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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Heimatschutz

lächerliche Zufälligkeit, ein aufdringlicher Flecken in dem Gesamtbilde. Was
wollen im hellen Sonnenlicht eure Trauerkleider, über die die Dornen zu
spotten scheinen, wie über eine gute Beute? Euer lästiger und ungereimter
Anzug erscheint hier bemitleidenswerter als die Lumpen des Armen; man fühlt,
daß ihr nicht hineingehört in die frische Luft, daß euer Bedientenkostüm euch
zu nichte macht." Was würde die geistvolle Frau gesagt haben, wenn sie das
Fahrrad und nun gar "radelnde" Frauenzimmer erlebt hatte!

"In unsrer alten Volks- und Standestracht, so schrieb vor einiger Zeit
die Deutsche Tageszeitung, steckt und stak ein gutes Stück deutschen Sonder-,
Standes- und Kraftbewußtseins, das zugleich mit dem Schwinden der Tracht
geschwunden ist. Wo Brauch und Tracht noch zu halten sind, müssen alle
wahren Volksfreunde dafür sorgen, daß sie nicht verfallen und verschwinden.
In der Großstadt ist die Durchschnittsart und Dutzendware zur unbestrittnen
Herrschaft gelangt. Auf dem Lande ist diese Herrschaft noch weniger sest ge¬
gründet. Deshalb kann und muß sie hier noch gebrochen werden, aber es ist
hohe Zeit, daß man daran gehe, sie zu brechen. Sie beginnt schon recht be¬
merkbar in den Bauernhöfen und Herrenhäusern ihr Szepter zu schwingen und
die Eigenart hinauszutreiben. Noch vor Jahrzehnten war ein stutzerhafter
Gutsherr eine Erscheinung, die der allgemeinen Heiterkeit und Verachtung zum
Opfer fiel. Heute sind die Herren, die in sackförmiger Jacke, in weiten Hosen,
in Schnabelschuhen, mit Atcmzwangskragcn und Armbandkette auf dem Acker
-- vogelscheuchenähnlich -- einherschlürfen, nicht gar so selten mehr. Daß
die innere Ausstattung der alten Schlösser an gediegnem Ernst dem Geiste des
Baues entsprechen müsse, galt sonst als selbstverständlich. Heute finden wir
in manchem alten ehrwürdigen schönen Bau, dessen prächtige Gewölbe und
dessen ernste Wände wie ein steinerner Protest gegen den modernen Tand
wirken, die zudringliche, dem Wesen des Protzentums geradezu abgelauschte,
an die Möbeltrödelbude gemahnende kunst- und geistlose Anhäufung aller
Möbelarten, wie sie jetzt sür modern gehalten wird. Und nicht anders im
Bauernhause! Die alte Tracht des Vaters macht dem neuen Allerweltsgewande
Platz. Den Kirchenrock ersetzt das "Ausgehejacket." An die Stelle des Echten,
Tüchtigen in der weiblichen Kleidung tritt das Unechte, nachgeahmte, Tändelnde.
Der Bauer im altväterlichen Abendmahlsrock ist eine ehrwürdige, ernste Er¬
scheinung. Im großstädtischen Gigerl- oder Durchschnittsanzuge hat er niemals
etwas Ehrwürdiges, oft etwas Lächerliches, Wie tüchtig und kernig mutete
uicht die alte Bauernstube an, mit ihren festen Stühlen, ihren mächtigen
Truhen, ihrer ganzen, den kernhaften Bauernsinn widerspiegelnden Ausstattung!
Heute haben schon hie und da mit der elenden "Causeuse," auf der kein
Mensch ruhen kann, ohne sich der Verkrümmungsgefahr auszusetzen, die Nipp-
stühlchen Eingang gefunden, auf denen sich niederzulassen für einen einiger¬
maßen gewichtigen Mann ein Wagnis ist. Man glaubt verpflichtet zu sein,


Heimatschutz

lächerliche Zufälligkeit, ein aufdringlicher Flecken in dem Gesamtbilde. Was
wollen im hellen Sonnenlicht eure Trauerkleider, über die die Dornen zu
spotten scheinen, wie über eine gute Beute? Euer lästiger und ungereimter
Anzug erscheint hier bemitleidenswerter als die Lumpen des Armen; man fühlt,
daß ihr nicht hineingehört in die frische Luft, daß euer Bedientenkostüm euch
zu nichte macht." Was würde die geistvolle Frau gesagt haben, wenn sie das
Fahrrad und nun gar „radelnde" Frauenzimmer erlebt hatte!

„In unsrer alten Volks- und Standestracht, so schrieb vor einiger Zeit
die Deutsche Tageszeitung, steckt und stak ein gutes Stück deutschen Sonder-,
Standes- und Kraftbewußtseins, das zugleich mit dem Schwinden der Tracht
geschwunden ist. Wo Brauch und Tracht noch zu halten sind, müssen alle
wahren Volksfreunde dafür sorgen, daß sie nicht verfallen und verschwinden.
In der Großstadt ist die Durchschnittsart und Dutzendware zur unbestrittnen
Herrschaft gelangt. Auf dem Lande ist diese Herrschaft noch weniger sest ge¬
gründet. Deshalb kann und muß sie hier noch gebrochen werden, aber es ist
hohe Zeit, daß man daran gehe, sie zu brechen. Sie beginnt schon recht be¬
merkbar in den Bauernhöfen und Herrenhäusern ihr Szepter zu schwingen und
die Eigenart hinauszutreiben. Noch vor Jahrzehnten war ein stutzerhafter
Gutsherr eine Erscheinung, die der allgemeinen Heiterkeit und Verachtung zum
Opfer fiel. Heute sind die Herren, die in sackförmiger Jacke, in weiten Hosen,
in Schnabelschuhen, mit Atcmzwangskragcn und Armbandkette auf dem Acker
— vogelscheuchenähnlich — einherschlürfen, nicht gar so selten mehr. Daß
die innere Ausstattung der alten Schlösser an gediegnem Ernst dem Geiste des
Baues entsprechen müsse, galt sonst als selbstverständlich. Heute finden wir
in manchem alten ehrwürdigen schönen Bau, dessen prächtige Gewölbe und
dessen ernste Wände wie ein steinerner Protest gegen den modernen Tand
wirken, die zudringliche, dem Wesen des Protzentums geradezu abgelauschte,
an die Möbeltrödelbude gemahnende kunst- und geistlose Anhäufung aller
Möbelarten, wie sie jetzt sür modern gehalten wird. Und nicht anders im
Bauernhause! Die alte Tracht des Vaters macht dem neuen Allerweltsgewande
Platz. Den Kirchenrock ersetzt das »Ausgehejacket.« An die Stelle des Echten,
Tüchtigen in der weiblichen Kleidung tritt das Unechte, nachgeahmte, Tändelnde.
Der Bauer im altväterlichen Abendmahlsrock ist eine ehrwürdige, ernste Er¬
scheinung. Im großstädtischen Gigerl- oder Durchschnittsanzuge hat er niemals
etwas Ehrwürdiges, oft etwas Lächerliches, Wie tüchtig und kernig mutete
uicht die alte Bauernstube an, mit ihren festen Stühlen, ihren mächtigen
Truhen, ihrer ganzen, den kernhaften Bauernsinn widerspiegelnden Ausstattung!
Heute haben schon hie und da mit der elenden »Causeuse,« auf der kein
Mensch ruhen kann, ohne sich der Verkrümmungsgefahr auszusetzen, die Nipp-
stühlchen Eingang gefunden, auf denen sich niederzulassen für einen einiger¬
maßen gewichtigen Mann ein Wagnis ist. Man glaubt verpflichtet zu sein,


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[0469] Heimatschutz lächerliche Zufälligkeit, ein aufdringlicher Flecken in dem Gesamtbilde. Was wollen im hellen Sonnenlicht eure Trauerkleider, über die die Dornen zu spotten scheinen, wie über eine gute Beute? Euer lästiger und ungereimter Anzug erscheint hier bemitleidenswerter als die Lumpen des Armen; man fühlt, daß ihr nicht hineingehört in die frische Luft, daß euer Bedientenkostüm euch zu nichte macht." Was würde die geistvolle Frau gesagt haben, wenn sie das Fahrrad und nun gar „radelnde" Frauenzimmer erlebt hatte! „In unsrer alten Volks- und Standestracht, so schrieb vor einiger Zeit die Deutsche Tageszeitung, steckt und stak ein gutes Stück deutschen Sonder-, Standes- und Kraftbewußtseins, das zugleich mit dem Schwinden der Tracht geschwunden ist. Wo Brauch und Tracht noch zu halten sind, müssen alle wahren Volksfreunde dafür sorgen, daß sie nicht verfallen und verschwinden. In der Großstadt ist die Durchschnittsart und Dutzendware zur unbestrittnen Herrschaft gelangt. Auf dem Lande ist diese Herrschaft noch weniger sest ge¬ gründet. Deshalb kann und muß sie hier noch gebrochen werden, aber es ist hohe Zeit, daß man daran gehe, sie zu brechen. Sie beginnt schon recht be¬ merkbar in den Bauernhöfen und Herrenhäusern ihr Szepter zu schwingen und die Eigenart hinauszutreiben. Noch vor Jahrzehnten war ein stutzerhafter Gutsherr eine Erscheinung, die der allgemeinen Heiterkeit und Verachtung zum Opfer fiel. Heute sind die Herren, die in sackförmiger Jacke, in weiten Hosen, in Schnabelschuhen, mit Atcmzwangskragcn und Armbandkette auf dem Acker — vogelscheuchenähnlich — einherschlürfen, nicht gar so selten mehr. Daß die innere Ausstattung der alten Schlösser an gediegnem Ernst dem Geiste des Baues entsprechen müsse, galt sonst als selbstverständlich. Heute finden wir in manchem alten ehrwürdigen schönen Bau, dessen prächtige Gewölbe und dessen ernste Wände wie ein steinerner Protest gegen den modernen Tand wirken, die zudringliche, dem Wesen des Protzentums geradezu abgelauschte, an die Möbeltrödelbude gemahnende kunst- und geistlose Anhäufung aller Möbelarten, wie sie jetzt sür modern gehalten wird. Und nicht anders im Bauernhause! Die alte Tracht des Vaters macht dem neuen Allerweltsgewande Platz. Den Kirchenrock ersetzt das »Ausgehejacket.« An die Stelle des Echten, Tüchtigen in der weiblichen Kleidung tritt das Unechte, nachgeahmte, Tändelnde. Der Bauer im altväterlichen Abendmahlsrock ist eine ehrwürdige, ernste Er¬ scheinung. Im großstädtischen Gigerl- oder Durchschnittsanzuge hat er niemals etwas Ehrwürdiges, oft etwas Lächerliches, Wie tüchtig und kernig mutete uicht die alte Bauernstube an, mit ihren festen Stühlen, ihren mächtigen Truhen, ihrer ganzen, den kernhaften Bauernsinn widerspiegelnden Ausstattung! Heute haben schon hie und da mit der elenden »Causeuse,« auf der kein Mensch ruhen kann, ohne sich der Verkrümmungsgefahr auszusetzen, die Nipp- stühlchen Eingang gefunden, auf denen sich niederzulassen für einen einiger¬ maßen gewichtigen Mann ein Wagnis ist. Man glaubt verpflichtet zu sein,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/469>, abgerufen am 23.07.2024.