Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die ostdeutsche Landwirtschaft

kaum 49 Millionen. Daß Schuldzinsen von Einkünften, die einem Kapital
von 89 Millionen entsprechen, ohne Schwierigkeit getragen werden, dagegen
auf die von 49 Millionen erdrückend wirken können, ist klar. In günstigen
Zeiten Pflegen Kauf- und Pachtschillinge zu hoch getrieben zu werden, erstens
in der Hoffnung auf Dauer der günstigen Zeiten, sodann auch im Hinblick
auf die sozialen Vorteile des Rittergutsbesitzes; der Verkehrswert der Grund¬
stücke steigt über ihren Ertragswert. Dann wirft ein Unfall in der Land¬
wirtschaft wie im Handel und Gewerbe die unsicher stehenden Betriebe am
leichtesten um.

In Preußen sind nach dem siebenjährigen Kriege von Friedrich dem Großen
die landwirtschaftlichen Kreditvereine begründet worden. Die Rittergutsbesitzer
einer Provinz traten unter Aufsicht des Staats zu einem Verein zusammen,
der die Mittelsperson zwischen seinen Mitgliedern als Schuldnern und den
Gläubigern bilden sollte. Es wurden Pfandbriefe ausgegeben, für deren Sicher¬
heit alle Güter hypothekarisch und solidarisch hafteten. Jedes Gut wurde von
der Vereinsbehörde abgeschätzt und bis zu einem bestimmten Bruchteil des
Schätzungswertes, früher bis zur Hälfte, beliehen. Später wurde die Be-
leihungsgrenze ausgedehnt, und solange die Güterpreise nicht schwanken, ist das
nicht bedenklich, insoweit nicht die Wirtschaft durch zu hohe Verschuldung in
nachteiliger Weise beeinflußt wird. Aber bei korncinsführenden Ländern, deren
Abküufer im Auslande wohnen und sich unter Umständen auch anderswoher
versorgen können und bei Verkehrsstörungen versorgen müssen, sind die Güter¬
preise starken Schwankungen ausgesetzt, während die Pfandbriefschulden seit
ihrer Entstehung stetig gewachsen sind, die schlesischen z. B. in dem der Land¬
wirtschaft günstigen Jahrhundert von Friedrich dem Großen bis 1867 von
zehn auf sechzig Millionen Thaler. Die Schattenseiten, die unverkennbar mit
einer Erleichterung und Verbilligung des Hypothekarkredits verknüpft sind,
sind denn auch sehr bald, zwar nicht von den Interessenten, aber von scharfer
blickenden Staatsmännern wahrgenommen worden. So finden sich treffliche
Bemerkungen hierüber in den Memoiren des Generals von Boyen, eines gewiß
preußisch und staatsmünnisch gesinnten Mannes. Dieser schreibt über diese
Verhältnisse im Jahre 1790:

Königsberg war in diesem Winter durch den Zusammenfluß vieler Offiziere
und Beamten ans Berlin oder den andern Provinzen sehr belebt. Da zu gleicher
Zeit für den Getreidehandel, diesen Haupterwerb der Provinz, sehr günstige Ver¬
hältnisse eintraten, die Mobilmachung überhaupt eine Menge Geld unter die Leute
gebracht hatte, so erzeugte das Zusammentreffen aller dieser Umstände einen Um¬
schwung in dem geselligen Leben und in den Sitten der Provinz, wie es bis
dahin dem gastfreien, aber einfachen Leben der Bewohner von Königsberg fremd
geblieben war. Eine Menge früher unbekannter Genüsse erheiterten wohl, aber
verteuerten auch den geselligen Verkehr und legten in vielen Familien den Grund
zum Aufgeben der alten Sparsamkeit, woraus dann freilich im Zusammenwirken


Die ostdeutsche Landwirtschaft

kaum 49 Millionen. Daß Schuldzinsen von Einkünften, die einem Kapital
von 89 Millionen entsprechen, ohne Schwierigkeit getragen werden, dagegen
auf die von 49 Millionen erdrückend wirken können, ist klar. In günstigen
Zeiten Pflegen Kauf- und Pachtschillinge zu hoch getrieben zu werden, erstens
in der Hoffnung auf Dauer der günstigen Zeiten, sodann auch im Hinblick
auf die sozialen Vorteile des Rittergutsbesitzes; der Verkehrswert der Grund¬
stücke steigt über ihren Ertragswert. Dann wirft ein Unfall in der Land¬
wirtschaft wie im Handel und Gewerbe die unsicher stehenden Betriebe am
leichtesten um.

In Preußen sind nach dem siebenjährigen Kriege von Friedrich dem Großen
die landwirtschaftlichen Kreditvereine begründet worden. Die Rittergutsbesitzer
einer Provinz traten unter Aufsicht des Staats zu einem Verein zusammen,
der die Mittelsperson zwischen seinen Mitgliedern als Schuldnern und den
Gläubigern bilden sollte. Es wurden Pfandbriefe ausgegeben, für deren Sicher¬
heit alle Güter hypothekarisch und solidarisch hafteten. Jedes Gut wurde von
der Vereinsbehörde abgeschätzt und bis zu einem bestimmten Bruchteil des
Schätzungswertes, früher bis zur Hälfte, beliehen. Später wurde die Be-
leihungsgrenze ausgedehnt, und solange die Güterpreise nicht schwanken, ist das
nicht bedenklich, insoweit nicht die Wirtschaft durch zu hohe Verschuldung in
nachteiliger Weise beeinflußt wird. Aber bei korncinsführenden Ländern, deren
Abküufer im Auslande wohnen und sich unter Umständen auch anderswoher
versorgen können und bei Verkehrsstörungen versorgen müssen, sind die Güter¬
preise starken Schwankungen ausgesetzt, während die Pfandbriefschulden seit
ihrer Entstehung stetig gewachsen sind, die schlesischen z. B. in dem der Land¬
wirtschaft günstigen Jahrhundert von Friedrich dem Großen bis 1867 von
zehn auf sechzig Millionen Thaler. Die Schattenseiten, die unverkennbar mit
einer Erleichterung und Verbilligung des Hypothekarkredits verknüpft sind,
sind denn auch sehr bald, zwar nicht von den Interessenten, aber von scharfer
blickenden Staatsmännern wahrgenommen worden. So finden sich treffliche
Bemerkungen hierüber in den Memoiren des Generals von Boyen, eines gewiß
preußisch und staatsmünnisch gesinnten Mannes. Dieser schreibt über diese
Verhältnisse im Jahre 1790:

Königsberg war in diesem Winter durch den Zusammenfluß vieler Offiziere
und Beamten ans Berlin oder den andern Provinzen sehr belebt. Da zu gleicher
Zeit für den Getreidehandel, diesen Haupterwerb der Provinz, sehr günstige Ver¬
hältnisse eintraten, die Mobilmachung überhaupt eine Menge Geld unter die Leute
gebracht hatte, so erzeugte das Zusammentreffen aller dieser Umstände einen Um¬
schwung in dem geselligen Leben und in den Sitten der Provinz, wie es bis
dahin dem gastfreien, aber einfachen Leben der Bewohner von Königsberg fremd
geblieben war. Eine Menge früher unbekannter Genüsse erheiterten wohl, aber
verteuerten auch den geselligen Verkehr und legten in vielen Familien den Grund
zum Aufgeben der alten Sparsamkeit, woraus dann freilich im Zusammenwirken


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0426" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/225354"/>
            <fw type="header" place="top"> Die ostdeutsche Landwirtschaft</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1418" prev="#ID_1417"> kaum 49 Millionen. Daß Schuldzinsen von Einkünften, die einem Kapital<lb/>
von 89 Millionen entsprechen, ohne Schwierigkeit getragen werden, dagegen<lb/>
auf die von 49 Millionen erdrückend wirken können, ist klar. In günstigen<lb/>
Zeiten Pflegen Kauf- und Pachtschillinge zu hoch getrieben zu werden, erstens<lb/>
in der Hoffnung auf Dauer der günstigen Zeiten, sodann auch im Hinblick<lb/>
auf die sozialen Vorteile des Rittergutsbesitzes; der Verkehrswert der Grund¬<lb/>
stücke steigt über ihren Ertragswert. Dann wirft ein Unfall in der Land¬<lb/>
wirtschaft wie im Handel und Gewerbe die unsicher stehenden Betriebe am<lb/>
leichtesten um.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1419"> In Preußen sind nach dem siebenjährigen Kriege von Friedrich dem Großen<lb/>
die landwirtschaftlichen Kreditvereine begründet worden. Die Rittergutsbesitzer<lb/>
einer Provinz traten unter Aufsicht des Staats zu einem Verein zusammen,<lb/>
der die Mittelsperson zwischen seinen Mitgliedern als Schuldnern und den<lb/>
Gläubigern bilden sollte. Es wurden Pfandbriefe ausgegeben, für deren Sicher¬<lb/>
heit alle Güter hypothekarisch und solidarisch hafteten. Jedes Gut wurde von<lb/>
der Vereinsbehörde abgeschätzt und bis zu einem bestimmten Bruchteil des<lb/>
Schätzungswertes, früher bis zur Hälfte, beliehen. Später wurde die Be-<lb/>
leihungsgrenze ausgedehnt, und solange die Güterpreise nicht schwanken, ist das<lb/>
nicht bedenklich, insoweit nicht die Wirtschaft durch zu hohe Verschuldung in<lb/>
nachteiliger Weise beeinflußt wird. Aber bei korncinsführenden Ländern, deren<lb/>
Abküufer im Auslande wohnen und sich unter Umständen auch anderswoher<lb/>
versorgen können und bei Verkehrsstörungen versorgen müssen, sind die Güter¬<lb/>
preise starken Schwankungen ausgesetzt, während die Pfandbriefschulden seit<lb/>
ihrer Entstehung stetig gewachsen sind, die schlesischen z. B. in dem der Land¬<lb/>
wirtschaft günstigen Jahrhundert von Friedrich dem Großen bis 1867 von<lb/>
zehn auf sechzig Millionen Thaler. Die Schattenseiten, die unverkennbar mit<lb/>
einer Erleichterung und Verbilligung des Hypothekarkredits verknüpft sind,<lb/>
sind denn auch sehr bald, zwar nicht von den Interessenten, aber von scharfer<lb/>
blickenden Staatsmännern wahrgenommen worden. So finden sich treffliche<lb/>
Bemerkungen hierüber in den Memoiren des Generals von Boyen, eines gewiß<lb/>
preußisch und staatsmünnisch gesinnten Mannes. Dieser schreibt über diese<lb/>
Verhältnisse im Jahre 1790:</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1420" next="#ID_1421"> Königsberg war in diesem Winter durch den Zusammenfluß vieler Offiziere<lb/>
und Beamten ans Berlin oder den andern Provinzen sehr belebt. Da zu gleicher<lb/>
Zeit für den Getreidehandel, diesen Haupterwerb der Provinz, sehr günstige Ver¬<lb/>
hältnisse eintraten, die Mobilmachung überhaupt eine Menge Geld unter die Leute<lb/>
gebracht hatte, so erzeugte das Zusammentreffen aller dieser Umstände einen Um¬<lb/>
schwung in dem geselligen Leben und in den Sitten der Provinz, wie es bis<lb/>
dahin dem gastfreien, aber einfachen Leben der Bewohner von Königsberg fremd<lb/>
geblieben war. Eine Menge früher unbekannter Genüsse erheiterten wohl, aber<lb/>
verteuerten auch den geselligen Verkehr und legten in vielen Familien den Grund<lb/>
zum Aufgeben der alten Sparsamkeit, woraus dann freilich im Zusammenwirken</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0426] Die ostdeutsche Landwirtschaft kaum 49 Millionen. Daß Schuldzinsen von Einkünften, die einem Kapital von 89 Millionen entsprechen, ohne Schwierigkeit getragen werden, dagegen auf die von 49 Millionen erdrückend wirken können, ist klar. In günstigen Zeiten Pflegen Kauf- und Pachtschillinge zu hoch getrieben zu werden, erstens in der Hoffnung auf Dauer der günstigen Zeiten, sodann auch im Hinblick auf die sozialen Vorteile des Rittergutsbesitzes; der Verkehrswert der Grund¬ stücke steigt über ihren Ertragswert. Dann wirft ein Unfall in der Land¬ wirtschaft wie im Handel und Gewerbe die unsicher stehenden Betriebe am leichtesten um. In Preußen sind nach dem siebenjährigen Kriege von Friedrich dem Großen die landwirtschaftlichen Kreditvereine begründet worden. Die Rittergutsbesitzer einer Provinz traten unter Aufsicht des Staats zu einem Verein zusammen, der die Mittelsperson zwischen seinen Mitgliedern als Schuldnern und den Gläubigern bilden sollte. Es wurden Pfandbriefe ausgegeben, für deren Sicher¬ heit alle Güter hypothekarisch und solidarisch hafteten. Jedes Gut wurde von der Vereinsbehörde abgeschätzt und bis zu einem bestimmten Bruchteil des Schätzungswertes, früher bis zur Hälfte, beliehen. Später wurde die Be- leihungsgrenze ausgedehnt, und solange die Güterpreise nicht schwanken, ist das nicht bedenklich, insoweit nicht die Wirtschaft durch zu hohe Verschuldung in nachteiliger Weise beeinflußt wird. Aber bei korncinsführenden Ländern, deren Abküufer im Auslande wohnen und sich unter Umständen auch anderswoher versorgen können und bei Verkehrsstörungen versorgen müssen, sind die Güter¬ preise starken Schwankungen ausgesetzt, während die Pfandbriefschulden seit ihrer Entstehung stetig gewachsen sind, die schlesischen z. B. in dem der Land¬ wirtschaft günstigen Jahrhundert von Friedrich dem Großen bis 1867 von zehn auf sechzig Millionen Thaler. Die Schattenseiten, die unverkennbar mit einer Erleichterung und Verbilligung des Hypothekarkredits verknüpft sind, sind denn auch sehr bald, zwar nicht von den Interessenten, aber von scharfer blickenden Staatsmännern wahrgenommen worden. So finden sich treffliche Bemerkungen hierüber in den Memoiren des Generals von Boyen, eines gewiß preußisch und staatsmünnisch gesinnten Mannes. Dieser schreibt über diese Verhältnisse im Jahre 1790: Königsberg war in diesem Winter durch den Zusammenfluß vieler Offiziere und Beamten ans Berlin oder den andern Provinzen sehr belebt. Da zu gleicher Zeit für den Getreidehandel, diesen Haupterwerb der Provinz, sehr günstige Ver¬ hältnisse eintraten, die Mobilmachung überhaupt eine Menge Geld unter die Leute gebracht hatte, so erzeugte das Zusammentreffen aller dieser Umstände einen Um¬ schwung in dem geselligen Leben und in den Sitten der Provinz, wie es bis dahin dem gastfreien, aber einfachen Leben der Bewohner von Königsberg fremd geblieben war. Eine Menge früher unbekannter Genüsse erheiterten wohl, aber verteuerten auch den geselligen Verkehr und legten in vielen Familien den Grund zum Aufgeben der alten Sparsamkeit, woraus dann freilich im Zusammenwirken

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/426
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/426>, abgerufen am 23.07.2024.