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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Heimatschutz

ausschließlich häßlich") sind: Eisenbahnbrücken und andre. Allen diesen ist es
mehr oder weniger gelungen, ihre Umgebung gleichsam auszulöschen, mag sie
an sich noch so anmutig sein, so z. B. oberhalb Dresdens, wo die Elbufer
seit einigen Jahren durch ein riesiges Stangenwerk verbunden werden, das
beinahe die halbe Höhe des Loschwitzer Abhangs erreicht. Die brutalste
Wirkung aber bringt doch der ungeheure Eisenkasten hervor, der auf zwei
Riesensteinpfeilern ruhend den Eingang zu dem wilden Seitenthal des Höllcu-
thals, zur Ravennaschlucht bei Höllsteig überbrückt. Freilich an und für sich
gewiß ein erstaunliches technisches Kunststück! Aber was soll man dazu sagen,
wenn die beispiellose Verunglimpfung, die dieses Ungetüm an dieser Stelle
hervorbringt, auch noch photographirt und in allen Gaststuben und allen
Schaufenstern der Kunstläden ausgehängt wird? Ganz nach dem Muster der
großen Dampfbrauereien und sonstigen Fabriken, auf deren Reklameschildern
alle Häßlichkeiten ihrer Betriebsgebäude und Schornsteine aus dem Hinter¬
grunde der armen von ihnen ruinirten Landschaft sich wohlgemut breit machen,
je ungeschlachter, um so besser. Unwille und Trauer über die Höllenthalbahn sind
um so berechtigter, als ihr Nutzen in keinem Verhältnis zu dem Schaden steht, den
sie gebracht hat -- nicht nur zu der Einbuße an Poesie und Schönheit, sondern
auch in andern Beziehungen. Wer bei den ernstern Leuten dort aufragt, der wird
hören, daß die Zustimmung der Regierung wesentlich auf das ungestüme Drängen
zweier Neustädter Firmen hin erfolgt ist, die für ihre Fabrikate bequemern
Absatz wünschten. Die Erwerbsverhältnisse der ländlichen Bevölkerung aber
haben unter dem Umschwung, den das neue Verkehrsmittel brachte, gelitten.
Es erstickte die alten Verkehrsmittel und machte damit die Fuhrleute, die die
Holzabfuhren in dem waldreichen Gebiet besorgten, die Schmiede und andre
Handwerker, die dabei in Frage kamen, brotlos. Die alte Poststraße, die den
Verkehr von Schwaben her nach dem Rhein seit Jahrhunderten vermittelte,
und von deren außerordentlicher Belebtheit die nun verwaist stehenden mächtigen
Stallgebäude der ehemaligen Posthalterei Höllsteig Zeugnis ablegen, ist verödet.
Während sonst im Winter wie im Sommer das gesunde, volkstümliche Leben
in dem stattlichen Gasthaus nie still stand, das von der ersten Hälfte des
fünfzehnten Jahrhunderts an den Mittelpunkt des Verkehrs bildete, jagen jetzt
die Eisenbahnzüge vorüber, und der Verdienst ist auf das beschränkt, was etwa
Sommerpensionäre und Touristenschwärme während der heißen Monate ein¬
bringen. Knechte aber und Dienstmägde sind nicht zu haben, weil alles
gewinn- und vergnügungssüchtige junge Volk den Weg zur Fabrikarbeit in der
Stadt sucht. So ist zum Vorteil weniger eine natürliche Daseinsform künst¬
lich beseitigt, bei der jedes einzelne Glied der Gesamtheit auf seine Rechnung



*) Man sollte nie andre Eisenbahnbrücken bauen als solche, bei denen der Bogen unter¬
halb des Übergangsnivenus bleibt. Ein leises Herüberragen eines einzelnen Bogens, wie bei
der Koblenzer Eisenbahnbrücke, ist allenfalls erträglich, jedes Mehr aber unerträglich.
Heimatschutz

ausschließlich häßlich") sind: Eisenbahnbrücken und andre. Allen diesen ist es
mehr oder weniger gelungen, ihre Umgebung gleichsam auszulöschen, mag sie
an sich noch so anmutig sein, so z. B. oberhalb Dresdens, wo die Elbufer
seit einigen Jahren durch ein riesiges Stangenwerk verbunden werden, das
beinahe die halbe Höhe des Loschwitzer Abhangs erreicht. Die brutalste
Wirkung aber bringt doch der ungeheure Eisenkasten hervor, der auf zwei
Riesensteinpfeilern ruhend den Eingang zu dem wilden Seitenthal des Höllcu-
thals, zur Ravennaschlucht bei Höllsteig überbrückt. Freilich an und für sich
gewiß ein erstaunliches technisches Kunststück! Aber was soll man dazu sagen,
wenn die beispiellose Verunglimpfung, die dieses Ungetüm an dieser Stelle
hervorbringt, auch noch photographirt und in allen Gaststuben und allen
Schaufenstern der Kunstläden ausgehängt wird? Ganz nach dem Muster der
großen Dampfbrauereien und sonstigen Fabriken, auf deren Reklameschildern
alle Häßlichkeiten ihrer Betriebsgebäude und Schornsteine aus dem Hinter¬
grunde der armen von ihnen ruinirten Landschaft sich wohlgemut breit machen,
je ungeschlachter, um so besser. Unwille und Trauer über die Höllenthalbahn sind
um so berechtigter, als ihr Nutzen in keinem Verhältnis zu dem Schaden steht, den
sie gebracht hat — nicht nur zu der Einbuße an Poesie und Schönheit, sondern
auch in andern Beziehungen. Wer bei den ernstern Leuten dort aufragt, der wird
hören, daß die Zustimmung der Regierung wesentlich auf das ungestüme Drängen
zweier Neustädter Firmen hin erfolgt ist, die für ihre Fabrikate bequemern
Absatz wünschten. Die Erwerbsverhältnisse der ländlichen Bevölkerung aber
haben unter dem Umschwung, den das neue Verkehrsmittel brachte, gelitten.
Es erstickte die alten Verkehrsmittel und machte damit die Fuhrleute, die die
Holzabfuhren in dem waldreichen Gebiet besorgten, die Schmiede und andre
Handwerker, die dabei in Frage kamen, brotlos. Die alte Poststraße, die den
Verkehr von Schwaben her nach dem Rhein seit Jahrhunderten vermittelte,
und von deren außerordentlicher Belebtheit die nun verwaist stehenden mächtigen
Stallgebäude der ehemaligen Posthalterei Höllsteig Zeugnis ablegen, ist verödet.
Während sonst im Winter wie im Sommer das gesunde, volkstümliche Leben
in dem stattlichen Gasthaus nie still stand, das von der ersten Hälfte des
fünfzehnten Jahrhunderts an den Mittelpunkt des Verkehrs bildete, jagen jetzt
die Eisenbahnzüge vorüber, und der Verdienst ist auf das beschränkt, was etwa
Sommerpensionäre und Touristenschwärme während der heißen Monate ein¬
bringen. Knechte aber und Dienstmägde sind nicht zu haben, weil alles
gewinn- und vergnügungssüchtige junge Volk den Weg zur Fabrikarbeit in der
Stadt sucht. So ist zum Vorteil weniger eine natürliche Daseinsform künst¬
lich beseitigt, bei der jedes einzelne Glied der Gesamtheit auf seine Rechnung



*) Man sollte nie andre Eisenbahnbrücken bauen als solche, bei denen der Bogen unter¬
halb des Übergangsnivenus bleibt. Ein leises Herüberragen eines einzelnen Bogens, wie bei
der Koblenzer Eisenbahnbrücke, ist allenfalls erträglich, jedes Mehr aber unerträglich.
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[0418] Heimatschutz ausschließlich häßlich") sind: Eisenbahnbrücken und andre. Allen diesen ist es mehr oder weniger gelungen, ihre Umgebung gleichsam auszulöschen, mag sie an sich noch so anmutig sein, so z. B. oberhalb Dresdens, wo die Elbufer seit einigen Jahren durch ein riesiges Stangenwerk verbunden werden, das beinahe die halbe Höhe des Loschwitzer Abhangs erreicht. Die brutalste Wirkung aber bringt doch der ungeheure Eisenkasten hervor, der auf zwei Riesensteinpfeilern ruhend den Eingang zu dem wilden Seitenthal des Höllcu- thals, zur Ravennaschlucht bei Höllsteig überbrückt. Freilich an und für sich gewiß ein erstaunliches technisches Kunststück! Aber was soll man dazu sagen, wenn die beispiellose Verunglimpfung, die dieses Ungetüm an dieser Stelle hervorbringt, auch noch photographirt und in allen Gaststuben und allen Schaufenstern der Kunstläden ausgehängt wird? Ganz nach dem Muster der großen Dampfbrauereien und sonstigen Fabriken, auf deren Reklameschildern alle Häßlichkeiten ihrer Betriebsgebäude und Schornsteine aus dem Hinter¬ grunde der armen von ihnen ruinirten Landschaft sich wohlgemut breit machen, je ungeschlachter, um so besser. Unwille und Trauer über die Höllenthalbahn sind um so berechtigter, als ihr Nutzen in keinem Verhältnis zu dem Schaden steht, den sie gebracht hat — nicht nur zu der Einbuße an Poesie und Schönheit, sondern auch in andern Beziehungen. Wer bei den ernstern Leuten dort aufragt, der wird hören, daß die Zustimmung der Regierung wesentlich auf das ungestüme Drängen zweier Neustädter Firmen hin erfolgt ist, die für ihre Fabrikate bequemern Absatz wünschten. Die Erwerbsverhältnisse der ländlichen Bevölkerung aber haben unter dem Umschwung, den das neue Verkehrsmittel brachte, gelitten. Es erstickte die alten Verkehrsmittel und machte damit die Fuhrleute, die die Holzabfuhren in dem waldreichen Gebiet besorgten, die Schmiede und andre Handwerker, die dabei in Frage kamen, brotlos. Die alte Poststraße, die den Verkehr von Schwaben her nach dem Rhein seit Jahrhunderten vermittelte, und von deren außerordentlicher Belebtheit die nun verwaist stehenden mächtigen Stallgebäude der ehemaligen Posthalterei Höllsteig Zeugnis ablegen, ist verödet. Während sonst im Winter wie im Sommer das gesunde, volkstümliche Leben in dem stattlichen Gasthaus nie still stand, das von der ersten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts an den Mittelpunkt des Verkehrs bildete, jagen jetzt die Eisenbahnzüge vorüber, und der Verdienst ist auf das beschränkt, was etwa Sommerpensionäre und Touristenschwärme während der heißen Monate ein¬ bringen. Knechte aber und Dienstmägde sind nicht zu haben, weil alles gewinn- und vergnügungssüchtige junge Volk den Weg zur Fabrikarbeit in der Stadt sucht. So ist zum Vorteil weniger eine natürliche Daseinsform künst¬ lich beseitigt, bei der jedes einzelne Glied der Gesamtheit auf seine Rechnung *) Man sollte nie andre Eisenbahnbrücken bauen als solche, bei denen der Bogen unter¬ halb des Übergangsnivenus bleibt. Ein leises Herüberragen eines einzelnen Bogens, wie bei der Koblenzer Eisenbahnbrücke, ist allenfalls erträglich, jedes Mehr aber unerträglich.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/418>, abgerufen am 23.07.2024.