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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Heimatschutz

einem Teile des Wesergebirges hatte kürzlich ein Oberförster die ganze Reihe
prächtiger, den Kamm des Vergzuges schmückender Dolomitklippen an eine
Aktiengesellschaft verhandelt, die sie abbrechen und daraus Thomasphosphat¬
mehl herstellen wollte zur Düngung der Äcker. Zum Glück kreuzte die vor¬
gesetzte Behörde den Plan. Jetzt tauchen dieselben oder ähnliche Spekulanten
um andrer Stelle wieder auf, wo es sich leider um Privateigentum handelt,
und wo eine Felsgruppe, die sogenannte Lippoldshöhle, gefährdet wird, die im
früher Mittelalter mit ihren Spalten und Gängen zu einem burgartigen
Schlupfwinkel ausgestaltet wurde. Noch ist es ungewiß, ob es gelingen wird,
die Vernichtung dieses einzigen, ebenso geschichtlich interessanten wie landschaft¬
lich reizvollen Punktes zu retten. Die empörenden Verwüstungen, die die
Felspartien der Sächsischen Schweiz, namentlich am Elbufer, durch Stein¬
brüche erlitten haben, sind bekannt. Fast überall läßt sich dort Sandstein
brechen, also auch an einer Fülle von Punkten, wo die Landschaft keine wesent¬
liche Einbuße erzielen würde. Aber die bequemere Gelegenheit für den Trans¬
port, der größere Geldgewinn, der in Aussicht steht, giebt den Ausschlag.
Am rechten Rheinufer, etwa Remagen gegenüber, werden neuerdings Basalt¬
kegel angetastet, deren wundervolle Linien im Verein mit denen des Sieben¬
gebirges bisher, von der Bonner Gegend aus gesehen, ein Gesamtbild gaben,
wie es in Deutschland einzig dasteht. Schon jetzt beginnen die Spuren des
ZerHackens die herrlichen Umrisse zu schädigen; aber noch wäre es Zeit, das
Schlimmste abzuwenden. Im Vergleich damit sind die Steinbrüche im Neckar¬
thal erfreuliche Erscheinungen. Sie vernichten nicht malerische, von der Natur
selbst geschaffne Felsbildungen oder Bergkonturen, sondern treffen meist
gleichgiltigcs Gelände, ja sie werden, wenn sie verlassen und verwittert sind,
eher den Eindruck der Thalwünde beleben. Freilich ist ihre Zahl schon jetzt
sehr beträchtlich, und sie dürfte kaum noch vermehrt werden, ohne dennoch
das Landschaftsbild dauernd zu beeinträchtigen.

Von den zahllosen Grausamkeiten gegen die Natur, die die Eisenbahnen
auf dem Gewissen haben, ist eine der unverantwortlichsten die, die gegen das
Höllenthal bei Freiburg im Breisgau verübt worden ist. In so wundervoller
Fülle auch noch heute der herrlichste Wald die Abhänge bedeckt, so unvergleich¬
lich malerisch auch Fels und Burgtrümmer am Hirschsprung die Welt abzu¬
schließen scheinen, die große, einsame Poesie dieses Thales verträgt nicht den
Dampf der Lokomotive; die riesenhaften Steindämme, die errichtet werden
mußten, um den Schienenstrang zu tragen, die rauchgeschwärzten Löcher der
Tunnel, die kahlen Telegraphenstangen mit ihren Drähten, das alles durchbricht
so beständig das Bild, daß man nirgends mehr imstande ist, voll und frei die
Stimmung nachzuempfinden, die ehemals über dieser wunderbaren Schlucht lag.

Deutschland hat neben einer bedeutenden Anzahl schöner alter und auch
neuer Steindrucken leider eine mindestens eben so große Zahl eiserner, die fast


Grenzboten II 1897 5,2
Heimatschutz

einem Teile des Wesergebirges hatte kürzlich ein Oberförster die ganze Reihe
prächtiger, den Kamm des Vergzuges schmückender Dolomitklippen an eine
Aktiengesellschaft verhandelt, die sie abbrechen und daraus Thomasphosphat¬
mehl herstellen wollte zur Düngung der Äcker. Zum Glück kreuzte die vor¬
gesetzte Behörde den Plan. Jetzt tauchen dieselben oder ähnliche Spekulanten
um andrer Stelle wieder auf, wo es sich leider um Privateigentum handelt,
und wo eine Felsgruppe, die sogenannte Lippoldshöhle, gefährdet wird, die im
früher Mittelalter mit ihren Spalten und Gängen zu einem burgartigen
Schlupfwinkel ausgestaltet wurde. Noch ist es ungewiß, ob es gelingen wird,
die Vernichtung dieses einzigen, ebenso geschichtlich interessanten wie landschaft¬
lich reizvollen Punktes zu retten. Die empörenden Verwüstungen, die die
Felspartien der Sächsischen Schweiz, namentlich am Elbufer, durch Stein¬
brüche erlitten haben, sind bekannt. Fast überall läßt sich dort Sandstein
brechen, also auch an einer Fülle von Punkten, wo die Landschaft keine wesent¬
liche Einbuße erzielen würde. Aber die bequemere Gelegenheit für den Trans¬
port, der größere Geldgewinn, der in Aussicht steht, giebt den Ausschlag.
Am rechten Rheinufer, etwa Remagen gegenüber, werden neuerdings Basalt¬
kegel angetastet, deren wundervolle Linien im Verein mit denen des Sieben¬
gebirges bisher, von der Bonner Gegend aus gesehen, ein Gesamtbild gaben,
wie es in Deutschland einzig dasteht. Schon jetzt beginnen die Spuren des
ZerHackens die herrlichen Umrisse zu schädigen; aber noch wäre es Zeit, das
Schlimmste abzuwenden. Im Vergleich damit sind die Steinbrüche im Neckar¬
thal erfreuliche Erscheinungen. Sie vernichten nicht malerische, von der Natur
selbst geschaffne Felsbildungen oder Bergkonturen, sondern treffen meist
gleichgiltigcs Gelände, ja sie werden, wenn sie verlassen und verwittert sind,
eher den Eindruck der Thalwünde beleben. Freilich ist ihre Zahl schon jetzt
sehr beträchtlich, und sie dürfte kaum noch vermehrt werden, ohne dennoch
das Landschaftsbild dauernd zu beeinträchtigen.

Von den zahllosen Grausamkeiten gegen die Natur, die die Eisenbahnen
auf dem Gewissen haben, ist eine der unverantwortlichsten die, die gegen das
Höllenthal bei Freiburg im Breisgau verübt worden ist. In so wundervoller
Fülle auch noch heute der herrlichste Wald die Abhänge bedeckt, so unvergleich¬
lich malerisch auch Fels und Burgtrümmer am Hirschsprung die Welt abzu¬
schließen scheinen, die große, einsame Poesie dieses Thales verträgt nicht den
Dampf der Lokomotive; die riesenhaften Steindämme, die errichtet werden
mußten, um den Schienenstrang zu tragen, die rauchgeschwärzten Löcher der
Tunnel, die kahlen Telegraphenstangen mit ihren Drähten, das alles durchbricht
so beständig das Bild, daß man nirgends mehr imstande ist, voll und frei die
Stimmung nachzuempfinden, die ehemals über dieser wunderbaren Schlucht lag.

Deutschland hat neben einer bedeutenden Anzahl schöner alter und auch
neuer Steindrucken leider eine mindestens eben so große Zahl eiserner, die fast


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[0417] Heimatschutz einem Teile des Wesergebirges hatte kürzlich ein Oberförster die ganze Reihe prächtiger, den Kamm des Vergzuges schmückender Dolomitklippen an eine Aktiengesellschaft verhandelt, die sie abbrechen und daraus Thomasphosphat¬ mehl herstellen wollte zur Düngung der Äcker. Zum Glück kreuzte die vor¬ gesetzte Behörde den Plan. Jetzt tauchen dieselben oder ähnliche Spekulanten um andrer Stelle wieder auf, wo es sich leider um Privateigentum handelt, und wo eine Felsgruppe, die sogenannte Lippoldshöhle, gefährdet wird, die im früher Mittelalter mit ihren Spalten und Gängen zu einem burgartigen Schlupfwinkel ausgestaltet wurde. Noch ist es ungewiß, ob es gelingen wird, die Vernichtung dieses einzigen, ebenso geschichtlich interessanten wie landschaft¬ lich reizvollen Punktes zu retten. Die empörenden Verwüstungen, die die Felspartien der Sächsischen Schweiz, namentlich am Elbufer, durch Stein¬ brüche erlitten haben, sind bekannt. Fast überall läßt sich dort Sandstein brechen, also auch an einer Fülle von Punkten, wo die Landschaft keine wesent¬ liche Einbuße erzielen würde. Aber die bequemere Gelegenheit für den Trans¬ port, der größere Geldgewinn, der in Aussicht steht, giebt den Ausschlag. Am rechten Rheinufer, etwa Remagen gegenüber, werden neuerdings Basalt¬ kegel angetastet, deren wundervolle Linien im Verein mit denen des Sieben¬ gebirges bisher, von der Bonner Gegend aus gesehen, ein Gesamtbild gaben, wie es in Deutschland einzig dasteht. Schon jetzt beginnen die Spuren des ZerHackens die herrlichen Umrisse zu schädigen; aber noch wäre es Zeit, das Schlimmste abzuwenden. Im Vergleich damit sind die Steinbrüche im Neckar¬ thal erfreuliche Erscheinungen. Sie vernichten nicht malerische, von der Natur selbst geschaffne Felsbildungen oder Bergkonturen, sondern treffen meist gleichgiltigcs Gelände, ja sie werden, wenn sie verlassen und verwittert sind, eher den Eindruck der Thalwünde beleben. Freilich ist ihre Zahl schon jetzt sehr beträchtlich, und sie dürfte kaum noch vermehrt werden, ohne dennoch das Landschaftsbild dauernd zu beeinträchtigen. Von den zahllosen Grausamkeiten gegen die Natur, die die Eisenbahnen auf dem Gewissen haben, ist eine der unverantwortlichsten die, die gegen das Höllenthal bei Freiburg im Breisgau verübt worden ist. In so wundervoller Fülle auch noch heute der herrlichste Wald die Abhänge bedeckt, so unvergleich¬ lich malerisch auch Fels und Burgtrümmer am Hirschsprung die Welt abzu¬ schließen scheinen, die große, einsame Poesie dieses Thales verträgt nicht den Dampf der Lokomotive; die riesenhaften Steindämme, die errichtet werden mußten, um den Schienenstrang zu tragen, die rauchgeschwärzten Löcher der Tunnel, die kahlen Telegraphenstangen mit ihren Drähten, das alles durchbricht so beständig das Bild, daß man nirgends mehr imstande ist, voll und frei die Stimmung nachzuempfinden, die ehemals über dieser wunderbaren Schlucht lag. Deutschland hat neben einer bedeutenden Anzahl schöner alter und auch neuer Steindrucken leider eine mindestens eben so große Zahl eiserner, die fast Grenzboten II 1897 5,2

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/417>, abgerufen am 23.07.2024.