Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Heimatschutz

Stadtverwaltung wenigstens das durchgesetzt hat, daß in dem altertümlichen
Teile der Stadt kein Haus gebaut werden darf, das den einheitlichen Charakter
der Umgebung durch Stil und Verhältnisse stören würde.

Es ist bekannt, daß in Preußen bis vor kurzem für die ganze Monarchie
nur ein einziger Mann damit betraut war, die Überwachung der Baudenk¬
mäler und sonstigen Altertümer zu besorgen. In diesem Jahre ist endlich
der erfreuliche Fortschritt zu verzeichnen, daß für jede preußische Provinz ein
besondrer Konservator ernannt und auch Bezirkskommissionen eingerichtet worden
sind. Aber wie wenig hat eine solche Maßregel zu bedeuten, solange sie sich
nnr auf Gebäude und Gegenstände bezieht, die sich im öffentlichen Besitz be¬
finden! Eines der schönsten, stattlichsten mittelalterlichen Privathäuser, durch¬
aus wohlerhalten und auch durch seine Lage ausgezeichnet, war der "Stern"
am Kohlmarkt in Braunschweig. Als sich vor einigen Jahren ein Bauspekulaut,
dem Gerücht nach mit Aussicht auf Erfolg, bei dem Besitzer um den Platz
bemühte, war die Entrüstung in gebildeten Kreisen der Stadt so groß, daß
die Wohlhabenden eine bedeutende Summe aufbrachten, um das Gebäude an¬
zukaufen und zu retten. Aber der Spekulant bot noch höher, und der alte
"Stern" hat einem großen, elegant aufdringlichen Neubau weichen müssen.
Ist es nicht unerhört, daß die unersetzlichsten vaterländischen Besitztümer bis
zum heutigen Tage schutzlos sind, daß es keine Gesetze giebt, das jedes irgend¬
wie wertvolle Vermächtnis der Vorzeit, auch wenn es sich in Privatbesitz
befindet, vor leichtfertiger Vernichtung oder Entstellung sichert, sei es durch
Zwangsenteignuug oder in welcher andern Form?

Der oben erwähnte Erlaß der sächsischen Provinzialkominission nennt die
Denkmäler ein teures Erbe, an dem sich das Verständnis sür die Geschichte
unsers Volks bilden, an dem sich die Heimath- und Vaterlandsliebe kräftigen
kann und soll, und denkt dabei natürlich zunächst an die Denkmäler von
Menschenhand. Aber diese Worte gelten in gleichem Maße für die Gestaltungen
der landschaftlichen Natur, die mit Kunstdenkmälern vereint erst die gesamte
überlieferte Physiognomie des Vaterlands bestimmen. Ebenso wie sie sind sie
idealer Gemeinbesitz des Volks, und ebenso wie sie sind sie für alle Ewigkeit
unersetzlich, wenn sie einmal dem Drange, dem Scheinvorteil des Augenblicks,
dem kleinen Begehren des Einzelnen hingeopfert sind. Diese kostbaren Erb¬
güter der beständigen Gefährdung, der sie durch die Rücksichtslosigkeit des
modernen Materialismus preisgegeben sind, zu entziehen, in der Jugend Ehr¬
furcht und Liebe für sie als für die unverletzlichsten Heiligtümer zu wecken
und zu pflegen, das wäre ein Solideres Förderungsmittel sür Heimat- und
Vaterlandsliebe als Feuerwerk und Blumenguirlanden samt allen schönen
Reden, mit denen heute patriotische Festtage im Übermaß gefeiert zu werden
Pflegen. Ja das würde die wahre "Ehrung" der großen Heldengestalten sein,
denen wir die Einigung des Vaterlands verdanken, bedeutungsvoller und frucht-


Heimatschutz

Stadtverwaltung wenigstens das durchgesetzt hat, daß in dem altertümlichen
Teile der Stadt kein Haus gebaut werden darf, das den einheitlichen Charakter
der Umgebung durch Stil und Verhältnisse stören würde.

Es ist bekannt, daß in Preußen bis vor kurzem für die ganze Monarchie
nur ein einziger Mann damit betraut war, die Überwachung der Baudenk¬
mäler und sonstigen Altertümer zu besorgen. In diesem Jahre ist endlich
der erfreuliche Fortschritt zu verzeichnen, daß für jede preußische Provinz ein
besondrer Konservator ernannt und auch Bezirkskommissionen eingerichtet worden
sind. Aber wie wenig hat eine solche Maßregel zu bedeuten, solange sie sich
nnr auf Gebäude und Gegenstände bezieht, die sich im öffentlichen Besitz be¬
finden! Eines der schönsten, stattlichsten mittelalterlichen Privathäuser, durch¬
aus wohlerhalten und auch durch seine Lage ausgezeichnet, war der „Stern"
am Kohlmarkt in Braunschweig. Als sich vor einigen Jahren ein Bauspekulaut,
dem Gerücht nach mit Aussicht auf Erfolg, bei dem Besitzer um den Platz
bemühte, war die Entrüstung in gebildeten Kreisen der Stadt so groß, daß
die Wohlhabenden eine bedeutende Summe aufbrachten, um das Gebäude an¬
zukaufen und zu retten. Aber der Spekulant bot noch höher, und der alte
„Stern" hat einem großen, elegant aufdringlichen Neubau weichen müssen.
Ist es nicht unerhört, daß die unersetzlichsten vaterländischen Besitztümer bis
zum heutigen Tage schutzlos sind, daß es keine Gesetze giebt, das jedes irgend¬
wie wertvolle Vermächtnis der Vorzeit, auch wenn es sich in Privatbesitz
befindet, vor leichtfertiger Vernichtung oder Entstellung sichert, sei es durch
Zwangsenteignuug oder in welcher andern Form?

Der oben erwähnte Erlaß der sächsischen Provinzialkominission nennt die
Denkmäler ein teures Erbe, an dem sich das Verständnis sür die Geschichte
unsers Volks bilden, an dem sich die Heimath- und Vaterlandsliebe kräftigen
kann und soll, und denkt dabei natürlich zunächst an die Denkmäler von
Menschenhand. Aber diese Worte gelten in gleichem Maße für die Gestaltungen
der landschaftlichen Natur, die mit Kunstdenkmälern vereint erst die gesamte
überlieferte Physiognomie des Vaterlands bestimmen. Ebenso wie sie sind sie
idealer Gemeinbesitz des Volks, und ebenso wie sie sind sie für alle Ewigkeit
unersetzlich, wenn sie einmal dem Drange, dem Scheinvorteil des Augenblicks,
dem kleinen Begehren des Einzelnen hingeopfert sind. Diese kostbaren Erb¬
güter der beständigen Gefährdung, der sie durch die Rücksichtslosigkeit des
modernen Materialismus preisgegeben sind, zu entziehen, in der Jugend Ehr¬
furcht und Liebe für sie als für die unverletzlichsten Heiligtümer zu wecken
und zu pflegen, das wäre ein Solideres Förderungsmittel sür Heimat- und
Vaterlandsliebe als Feuerwerk und Blumenguirlanden samt allen schönen
Reden, mit denen heute patriotische Festtage im Übermaß gefeiert zu werden
Pflegen. Ja das würde die wahre „Ehrung" der großen Heldengestalten sein,
denen wir die Einigung des Vaterlands verdanken, bedeutungsvoller und frucht-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0414" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/225342"/>
          <fw type="header" place="top"> Heimatschutz</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1386" prev="#ID_1385"> Stadtverwaltung wenigstens das durchgesetzt hat, daß in dem altertümlichen<lb/>
Teile der Stadt kein Haus gebaut werden darf, das den einheitlichen Charakter<lb/>
der Umgebung durch Stil und Verhältnisse stören würde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1387"> Es ist bekannt, daß in Preußen bis vor kurzem für die ganze Monarchie<lb/>
nur ein einziger Mann damit betraut war, die Überwachung der Baudenk¬<lb/>
mäler und sonstigen Altertümer zu besorgen. In diesem Jahre ist endlich<lb/>
der erfreuliche Fortschritt zu verzeichnen, daß für jede preußische Provinz ein<lb/>
besondrer Konservator ernannt und auch Bezirkskommissionen eingerichtet worden<lb/>
sind. Aber wie wenig hat eine solche Maßregel zu bedeuten, solange sie sich<lb/>
nnr auf Gebäude und Gegenstände bezieht, die sich im öffentlichen Besitz be¬<lb/>
finden! Eines der schönsten, stattlichsten mittelalterlichen Privathäuser, durch¬<lb/>
aus wohlerhalten und auch durch seine Lage ausgezeichnet, war der &#x201E;Stern"<lb/>
am Kohlmarkt in Braunschweig. Als sich vor einigen Jahren ein Bauspekulaut,<lb/>
dem Gerücht nach mit Aussicht auf Erfolg, bei dem Besitzer um den Platz<lb/>
bemühte, war die Entrüstung in gebildeten Kreisen der Stadt so groß, daß<lb/>
die Wohlhabenden eine bedeutende Summe aufbrachten, um das Gebäude an¬<lb/>
zukaufen und zu retten. Aber der Spekulant bot noch höher, und der alte<lb/>
&#x201E;Stern" hat einem großen, elegant aufdringlichen Neubau weichen müssen.<lb/>
Ist es nicht unerhört, daß die unersetzlichsten vaterländischen Besitztümer bis<lb/>
zum heutigen Tage schutzlos sind, daß es keine Gesetze giebt, das jedes irgend¬<lb/>
wie wertvolle Vermächtnis der Vorzeit, auch wenn es sich in Privatbesitz<lb/>
befindet, vor leichtfertiger Vernichtung oder Entstellung sichert, sei es durch<lb/>
Zwangsenteignuug oder in welcher andern Form?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1388" next="#ID_1389"> Der oben erwähnte Erlaß der sächsischen Provinzialkominission nennt die<lb/>
Denkmäler ein teures Erbe, an dem sich das Verständnis sür die Geschichte<lb/>
unsers Volks bilden, an dem sich die Heimath- und Vaterlandsliebe kräftigen<lb/>
kann und soll, und denkt dabei natürlich zunächst an die Denkmäler von<lb/>
Menschenhand. Aber diese Worte gelten in gleichem Maße für die Gestaltungen<lb/>
der landschaftlichen Natur, die mit Kunstdenkmälern vereint erst die gesamte<lb/>
überlieferte Physiognomie des Vaterlands bestimmen. Ebenso wie sie sind sie<lb/>
idealer Gemeinbesitz des Volks, und ebenso wie sie sind sie für alle Ewigkeit<lb/>
unersetzlich, wenn sie einmal dem Drange, dem Scheinvorteil des Augenblicks,<lb/>
dem kleinen Begehren des Einzelnen hingeopfert sind. Diese kostbaren Erb¬<lb/>
güter der beständigen Gefährdung, der sie durch die Rücksichtslosigkeit des<lb/>
modernen Materialismus preisgegeben sind, zu entziehen, in der Jugend Ehr¬<lb/>
furcht und Liebe für sie als für die unverletzlichsten Heiligtümer zu wecken<lb/>
und zu pflegen, das wäre ein Solideres Förderungsmittel sür Heimat- und<lb/>
Vaterlandsliebe als Feuerwerk und Blumenguirlanden samt allen schönen<lb/>
Reden, mit denen heute patriotische Festtage im Übermaß gefeiert zu werden<lb/>
Pflegen. Ja das würde die wahre &#x201E;Ehrung" der großen Heldengestalten sein,<lb/>
denen wir die Einigung des Vaterlands verdanken, bedeutungsvoller und frucht-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0414] Heimatschutz Stadtverwaltung wenigstens das durchgesetzt hat, daß in dem altertümlichen Teile der Stadt kein Haus gebaut werden darf, das den einheitlichen Charakter der Umgebung durch Stil und Verhältnisse stören würde. Es ist bekannt, daß in Preußen bis vor kurzem für die ganze Monarchie nur ein einziger Mann damit betraut war, die Überwachung der Baudenk¬ mäler und sonstigen Altertümer zu besorgen. In diesem Jahre ist endlich der erfreuliche Fortschritt zu verzeichnen, daß für jede preußische Provinz ein besondrer Konservator ernannt und auch Bezirkskommissionen eingerichtet worden sind. Aber wie wenig hat eine solche Maßregel zu bedeuten, solange sie sich nnr auf Gebäude und Gegenstände bezieht, die sich im öffentlichen Besitz be¬ finden! Eines der schönsten, stattlichsten mittelalterlichen Privathäuser, durch¬ aus wohlerhalten und auch durch seine Lage ausgezeichnet, war der „Stern" am Kohlmarkt in Braunschweig. Als sich vor einigen Jahren ein Bauspekulaut, dem Gerücht nach mit Aussicht auf Erfolg, bei dem Besitzer um den Platz bemühte, war die Entrüstung in gebildeten Kreisen der Stadt so groß, daß die Wohlhabenden eine bedeutende Summe aufbrachten, um das Gebäude an¬ zukaufen und zu retten. Aber der Spekulant bot noch höher, und der alte „Stern" hat einem großen, elegant aufdringlichen Neubau weichen müssen. Ist es nicht unerhört, daß die unersetzlichsten vaterländischen Besitztümer bis zum heutigen Tage schutzlos sind, daß es keine Gesetze giebt, das jedes irgend¬ wie wertvolle Vermächtnis der Vorzeit, auch wenn es sich in Privatbesitz befindet, vor leichtfertiger Vernichtung oder Entstellung sichert, sei es durch Zwangsenteignuug oder in welcher andern Form? Der oben erwähnte Erlaß der sächsischen Provinzialkominission nennt die Denkmäler ein teures Erbe, an dem sich das Verständnis sür die Geschichte unsers Volks bilden, an dem sich die Heimath- und Vaterlandsliebe kräftigen kann und soll, und denkt dabei natürlich zunächst an die Denkmäler von Menschenhand. Aber diese Worte gelten in gleichem Maße für die Gestaltungen der landschaftlichen Natur, die mit Kunstdenkmälern vereint erst die gesamte überlieferte Physiognomie des Vaterlands bestimmen. Ebenso wie sie sind sie idealer Gemeinbesitz des Volks, und ebenso wie sie sind sie für alle Ewigkeit unersetzlich, wenn sie einmal dem Drange, dem Scheinvorteil des Augenblicks, dem kleinen Begehren des Einzelnen hingeopfert sind. Diese kostbaren Erb¬ güter der beständigen Gefährdung, der sie durch die Rücksichtslosigkeit des modernen Materialismus preisgegeben sind, zu entziehen, in der Jugend Ehr¬ furcht und Liebe für sie als für die unverletzlichsten Heiligtümer zu wecken und zu pflegen, das wäre ein Solideres Förderungsmittel sür Heimat- und Vaterlandsliebe als Feuerwerk und Blumenguirlanden samt allen schönen Reden, mit denen heute patriotische Festtage im Übermaß gefeiert zu werden Pflegen. Ja das würde die wahre „Ehrung" der großen Heldengestalten sein, denen wir die Einigung des Vaterlands verdanken, bedeutungsvoller und frucht-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/414
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/414>, abgerufen am 23.07.2024.