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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Heimatschutz

eine Straße, eine Stadt "schön" nennen, so kann man sicher sein, daß sie so
ziemlich alles dessen bar sind, was ihnen in den Augen eines vernünftigen
Menschen Reiz und Interesse verleihen würde. Ja die Traulichkeit, die
früher, und zwar in den verschiedensten Stilzeiten, so sehr den Grundzug
des deutschen Hausbaus ausmachte, daß die ganze Erscheinung des Hauses
auch nach außen hin erwärmend von ihr durchdrungen war, ist wie verschollen.
Nichts ist dasür bezeichnender als die vom Rohban unzertrennlichen, nach
Eisenbahuschuppcu schmeckenden flachen Bogen der Fcnsterumrahmungen und
die noch allgemeiner verbreiteten möglichst großen Fensterscheiben ohne
Kreuzungen: eine der ungemütlichsten Erfindungen der Neuzeit, der Inbegriff
des Hohlen, Glatten, Langweiligen, aber trotzdem das Ideal aller Vornehm-
thuer vom Millionär bis zum Schuhflicker. Wie ferner ein an sich richtiger
Gedanke durch Übertreibung endlich zum Aberwitz werden kann, das beweist
die wahrhaft lächerliche Ausartung des Strebens nach Luft und Licht. Ihm
zu Ehren prangen die meisten Modepaläste mit Fensteröffnungen von Scheunen-
thorgröße, jedem Gefühl für Verhältnisse in Gemeinschaft mit der unvernünf¬
tigen Höhe der Stockwerke Hohn sprechend; aber das um diesen Preis
errungne Sonnenlicht wird durch dreifache, dicke und dünne, helle und dunkle
Vorhänge so gründlich wieder unschädlich gemacht, daß ein gewöhnlicher Sterb¬
licher aus Mangel an Luft und Licht am liebsten das Zeug zerreißen und
die Niesenscheiben zerschlagen möchte.

Ludwig Richter schildert in seinen Lebenserinnerungen das alte malerische
Meißen, wo er sieben Jahre seines Lebens von 1828 bis 1835 zubrachte, und
schließt dann mit der Klage: "Die moderne Kultur hat allerdings manche
grelle, häßlich störende Dissonanzen in dies harmonische Gebilde getragen, die
für das Künstlerauge eine Wirkung hervorbringen, wie der gellende Ton einer
Dampfpfeife in einem Mozartschen Hymnus." Wie viel schlimmer ist es ge¬
worden, seit diese Worte geschrieben sind, und wie wenig Stellen in Deutsch¬
land giebt es noch, von denen man sagen könnte, diese Schilderung treffe nicht
zu! Sie würde ja für die meisten Städte heute viel zu gelind gehalten sein.
Der Unverstand, die kalte Rücksichtslosigkeit, mit der die äußersten Wider¬
sprüche neben einander gestellt werden, macht sich besonders peinlich in Nord¬
deutschland fühlbar, wo der Rohbau,*) von den Baugewerkschulen immer neu
gezüchtet, als Modekrankheit in Stadt und Land grassirt und die Unverein¬
barkeit des Alten und des Neuen schon durch die Härte seiner Farbenwirkung
ins grellste Licht setzt. Städte wie Braunschweig, Hameln, Hildesheim, Halber¬
stadt und andre liefern hierfür die beklagenswertesten Beispiele. Dem gegen¬
über kann Tübingens Vorgang zur Nachahmung empfohlen werden, wo die



*) Es ist wohl nicht nötig zu bemerken, daß die Plattheiten dieses modernen Ziohbaus
nichts gemein haben mit der reizvollen, feingcglicdertcn Backsteinarchitektur des Mittelalters.
Heimatschutz

eine Straße, eine Stadt „schön" nennen, so kann man sicher sein, daß sie so
ziemlich alles dessen bar sind, was ihnen in den Augen eines vernünftigen
Menschen Reiz und Interesse verleihen würde. Ja die Traulichkeit, die
früher, und zwar in den verschiedensten Stilzeiten, so sehr den Grundzug
des deutschen Hausbaus ausmachte, daß die ganze Erscheinung des Hauses
auch nach außen hin erwärmend von ihr durchdrungen war, ist wie verschollen.
Nichts ist dasür bezeichnender als die vom Rohban unzertrennlichen, nach
Eisenbahuschuppcu schmeckenden flachen Bogen der Fcnsterumrahmungen und
die noch allgemeiner verbreiteten möglichst großen Fensterscheiben ohne
Kreuzungen: eine der ungemütlichsten Erfindungen der Neuzeit, der Inbegriff
des Hohlen, Glatten, Langweiligen, aber trotzdem das Ideal aller Vornehm-
thuer vom Millionär bis zum Schuhflicker. Wie ferner ein an sich richtiger
Gedanke durch Übertreibung endlich zum Aberwitz werden kann, das beweist
die wahrhaft lächerliche Ausartung des Strebens nach Luft und Licht. Ihm
zu Ehren prangen die meisten Modepaläste mit Fensteröffnungen von Scheunen-
thorgröße, jedem Gefühl für Verhältnisse in Gemeinschaft mit der unvernünf¬
tigen Höhe der Stockwerke Hohn sprechend; aber das um diesen Preis
errungne Sonnenlicht wird durch dreifache, dicke und dünne, helle und dunkle
Vorhänge so gründlich wieder unschädlich gemacht, daß ein gewöhnlicher Sterb¬
licher aus Mangel an Luft und Licht am liebsten das Zeug zerreißen und
die Niesenscheiben zerschlagen möchte.

Ludwig Richter schildert in seinen Lebenserinnerungen das alte malerische
Meißen, wo er sieben Jahre seines Lebens von 1828 bis 1835 zubrachte, und
schließt dann mit der Klage: „Die moderne Kultur hat allerdings manche
grelle, häßlich störende Dissonanzen in dies harmonische Gebilde getragen, die
für das Künstlerauge eine Wirkung hervorbringen, wie der gellende Ton einer
Dampfpfeife in einem Mozartschen Hymnus." Wie viel schlimmer ist es ge¬
worden, seit diese Worte geschrieben sind, und wie wenig Stellen in Deutsch¬
land giebt es noch, von denen man sagen könnte, diese Schilderung treffe nicht
zu! Sie würde ja für die meisten Städte heute viel zu gelind gehalten sein.
Der Unverstand, die kalte Rücksichtslosigkeit, mit der die äußersten Wider¬
sprüche neben einander gestellt werden, macht sich besonders peinlich in Nord¬
deutschland fühlbar, wo der Rohbau,*) von den Baugewerkschulen immer neu
gezüchtet, als Modekrankheit in Stadt und Land grassirt und die Unverein¬
barkeit des Alten und des Neuen schon durch die Härte seiner Farbenwirkung
ins grellste Licht setzt. Städte wie Braunschweig, Hameln, Hildesheim, Halber¬
stadt und andre liefern hierfür die beklagenswertesten Beispiele. Dem gegen¬
über kann Tübingens Vorgang zur Nachahmung empfohlen werden, wo die



*) Es ist wohl nicht nötig zu bemerken, daß die Plattheiten dieses modernen Ziohbaus
nichts gemein haben mit der reizvollen, feingcglicdertcn Backsteinarchitektur des Mittelalters.
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[0413] Heimatschutz eine Straße, eine Stadt „schön" nennen, so kann man sicher sein, daß sie so ziemlich alles dessen bar sind, was ihnen in den Augen eines vernünftigen Menschen Reiz und Interesse verleihen würde. Ja die Traulichkeit, die früher, und zwar in den verschiedensten Stilzeiten, so sehr den Grundzug des deutschen Hausbaus ausmachte, daß die ganze Erscheinung des Hauses auch nach außen hin erwärmend von ihr durchdrungen war, ist wie verschollen. Nichts ist dasür bezeichnender als die vom Rohban unzertrennlichen, nach Eisenbahuschuppcu schmeckenden flachen Bogen der Fcnsterumrahmungen und die noch allgemeiner verbreiteten möglichst großen Fensterscheiben ohne Kreuzungen: eine der ungemütlichsten Erfindungen der Neuzeit, der Inbegriff des Hohlen, Glatten, Langweiligen, aber trotzdem das Ideal aller Vornehm- thuer vom Millionär bis zum Schuhflicker. Wie ferner ein an sich richtiger Gedanke durch Übertreibung endlich zum Aberwitz werden kann, das beweist die wahrhaft lächerliche Ausartung des Strebens nach Luft und Licht. Ihm zu Ehren prangen die meisten Modepaläste mit Fensteröffnungen von Scheunen- thorgröße, jedem Gefühl für Verhältnisse in Gemeinschaft mit der unvernünf¬ tigen Höhe der Stockwerke Hohn sprechend; aber das um diesen Preis errungne Sonnenlicht wird durch dreifache, dicke und dünne, helle und dunkle Vorhänge so gründlich wieder unschädlich gemacht, daß ein gewöhnlicher Sterb¬ licher aus Mangel an Luft und Licht am liebsten das Zeug zerreißen und die Niesenscheiben zerschlagen möchte. Ludwig Richter schildert in seinen Lebenserinnerungen das alte malerische Meißen, wo er sieben Jahre seines Lebens von 1828 bis 1835 zubrachte, und schließt dann mit der Klage: „Die moderne Kultur hat allerdings manche grelle, häßlich störende Dissonanzen in dies harmonische Gebilde getragen, die für das Künstlerauge eine Wirkung hervorbringen, wie der gellende Ton einer Dampfpfeife in einem Mozartschen Hymnus." Wie viel schlimmer ist es ge¬ worden, seit diese Worte geschrieben sind, und wie wenig Stellen in Deutsch¬ land giebt es noch, von denen man sagen könnte, diese Schilderung treffe nicht zu! Sie würde ja für die meisten Städte heute viel zu gelind gehalten sein. Der Unverstand, die kalte Rücksichtslosigkeit, mit der die äußersten Wider¬ sprüche neben einander gestellt werden, macht sich besonders peinlich in Nord¬ deutschland fühlbar, wo der Rohbau,*) von den Baugewerkschulen immer neu gezüchtet, als Modekrankheit in Stadt und Land grassirt und die Unverein¬ barkeit des Alten und des Neuen schon durch die Härte seiner Farbenwirkung ins grellste Licht setzt. Städte wie Braunschweig, Hameln, Hildesheim, Halber¬ stadt und andre liefern hierfür die beklagenswertesten Beispiele. Dem gegen¬ über kann Tübingens Vorgang zur Nachahmung empfohlen werden, wo die *) Es ist wohl nicht nötig zu bemerken, daß die Plattheiten dieses modernen Ziohbaus nichts gemein haben mit der reizvollen, feingcglicdertcn Backsteinarchitektur des Mittelalters.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/413>, abgerufen am 23.07.2024.