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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Alte und neue Kunst in Berliner Museen

wird. Zunächst scheint es, als ob die Mittel des Vereins dazu dienen sollten,
durch rechtzeitiges Einschreiten den Verkauf hervorragender Kunstwerke ins
Ausland zu verhindern, und daß dies geschehen wird, dafür bürgt die Wach¬
samkeit Vodes, die allerdings, wie man sich bei dem schwankenden Gesundheits¬
zustande des verdienstvollen Mannes nicht verhehlen kaun, nur ans seinen zwei
Augen steht. Vorläufig haben wir darum noch nicht zu sorgen. Dank den
Mitteln des Vereins ist es gelungen, den Franzosen eine Perle der französischen
Malerei des fünfzehnten Jahrhunderts abzujagen, ein fast einen Quadratmeter
großes Bild, das als die einzig beglaubigte Tafelmalerei des namentlich durch
feine Miniaturen bekannten französischen Malers Jean Fouquet gilt, wenn der
Beweis für seine Urheberschaft auch nur durch einen Vergleich mit seinen Minia¬
turen geführt werden kaun. Ob nun das Bild wirklich von Fouquet herrührt
oder vou einem andern, sicher ist, daß es die Schöpfung eines Künstlers ist,
der ein großer Charakterdarsteller war, etwa in der Richtung der van Esel, nur
noch größer und herber in der Auffassung. Das Bild stellt zwei Personen
dar, wie aus dem Vergleich mit einer Miniatur Fouquets hervorgeht, den
französischen Schatzkanzler Etienne Chevalier in andächtiger Haltung vor einem
unsichtbaren Gegenstande der Anbetung und seinen ihn empfehlenden Schutz¬
patron, den heiligen Diakonus Stephan, der wohl ebenfalls eine Porträtfigur
ist, zu der ein hagerer Laienpriefter oder Mönch Modell gesessen hat. Beide
Figuren werden erst verstündlich, wenn man weiß, daß man nur die eine Hälfte
eines Diptychons vor sich hat, dessen andre Hälfte, eine Madonna mit dein
Kinde von Engeln verehrt, sich im Museum zu Antwerpen befindet. Auf¬
fällig ist, daß diese zweite Hälfte dem Berliner Teile in Malerei und
Charakteristik bedeutend nachsteht.

Von den übrigen teils geschenkten, teils geliehenen Kunstwerken sind noch
zu nennen ein männliches Porträt von Memling, der Studienkopf eines Juden
von Rembrandt, eine kleine, intime Landschaft von Ruisdael, ein glasirtes
Madonnenrelief von Luca della Nobbici, eine dem Tilman Riemenschneider zu-
geschriebne bemalte Holzstatue und die Steiufigur eiues französischen Königs,
die vermutlich vom Hauptportal der Kathedrale zu Rouen stammt, ein sehr
kostbares Stück, da Proben französischer Plastik des dreizehnten Jahrhunderts
in deutschen Museen noch nicht zu finden sind.

Der Anfang ist so glücklich gemacht worden, wie es in Deutschland nur
möglich war. Das ist allein das Verdienst Bodes, das ihm niemand bestreiten
kann, und wir wünschen nur, daß er sich ungeteilt dieser schönen Aufgabe
widmen möge. Leider hat ihn in den letzten Jahren die Neigung gefaßt, sich
auch mit der modernen und -- im Gegensatz zu seinen frühern Studien --
sogleich mit der allermodernsten Kunst zu beschäftigen. Er ist ein eifriger
Parteigänger der "Modernen" geworden, die außer Klinger, Liebermann, Abbe
und andern dieser Art alle übrigen verachten. Gemeinschaftlich mit ihnen läuft


Alte und neue Kunst in Berliner Museen

wird. Zunächst scheint es, als ob die Mittel des Vereins dazu dienen sollten,
durch rechtzeitiges Einschreiten den Verkauf hervorragender Kunstwerke ins
Ausland zu verhindern, und daß dies geschehen wird, dafür bürgt die Wach¬
samkeit Vodes, die allerdings, wie man sich bei dem schwankenden Gesundheits¬
zustande des verdienstvollen Mannes nicht verhehlen kaun, nur ans seinen zwei
Augen steht. Vorläufig haben wir darum noch nicht zu sorgen. Dank den
Mitteln des Vereins ist es gelungen, den Franzosen eine Perle der französischen
Malerei des fünfzehnten Jahrhunderts abzujagen, ein fast einen Quadratmeter
großes Bild, das als die einzig beglaubigte Tafelmalerei des namentlich durch
feine Miniaturen bekannten französischen Malers Jean Fouquet gilt, wenn der
Beweis für seine Urheberschaft auch nur durch einen Vergleich mit seinen Minia¬
turen geführt werden kaun. Ob nun das Bild wirklich von Fouquet herrührt
oder vou einem andern, sicher ist, daß es die Schöpfung eines Künstlers ist,
der ein großer Charakterdarsteller war, etwa in der Richtung der van Esel, nur
noch größer und herber in der Auffassung. Das Bild stellt zwei Personen
dar, wie aus dem Vergleich mit einer Miniatur Fouquets hervorgeht, den
französischen Schatzkanzler Etienne Chevalier in andächtiger Haltung vor einem
unsichtbaren Gegenstande der Anbetung und seinen ihn empfehlenden Schutz¬
patron, den heiligen Diakonus Stephan, der wohl ebenfalls eine Porträtfigur
ist, zu der ein hagerer Laienpriefter oder Mönch Modell gesessen hat. Beide
Figuren werden erst verstündlich, wenn man weiß, daß man nur die eine Hälfte
eines Diptychons vor sich hat, dessen andre Hälfte, eine Madonna mit dein
Kinde von Engeln verehrt, sich im Museum zu Antwerpen befindet. Auf¬
fällig ist, daß diese zweite Hälfte dem Berliner Teile in Malerei und
Charakteristik bedeutend nachsteht.

Von den übrigen teils geschenkten, teils geliehenen Kunstwerken sind noch
zu nennen ein männliches Porträt von Memling, der Studienkopf eines Juden
von Rembrandt, eine kleine, intime Landschaft von Ruisdael, ein glasirtes
Madonnenrelief von Luca della Nobbici, eine dem Tilman Riemenschneider zu-
geschriebne bemalte Holzstatue und die Steiufigur eiues französischen Königs,
die vermutlich vom Hauptportal der Kathedrale zu Rouen stammt, ein sehr
kostbares Stück, da Proben französischer Plastik des dreizehnten Jahrhunderts
in deutschen Museen noch nicht zu finden sind.

Der Anfang ist so glücklich gemacht worden, wie es in Deutschland nur
möglich war. Das ist allein das Verdienst Bodes, das ihm niemand bestreiten
kann, und wir wünschen nur, daß er sich ungeteilt dieser schönen Aufgabe
widmen möge. Leider hat ihn in den letzten Jahren die Neigung gefaßt, sich
auch mit der modernen und — im Gegensatz zu seinen frühern Studien —
sogleich mit der allermodernsten Kunst zu beschäftigen. Er ist ein eifriger
Parteigänger der „Modernen" geworden, die außer Klinger, Liebermann, Abbe
und andern dieser Art alle übrigen verachten. Gemeinschaftlich mit ihnen läuft


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[0387] Alte und neue Kunst in Berliner Museen wird. Zunächst scheint es, als ob die Mittel des Vereins dazu dienen sollten, durch rechtzeitiges Einschreiten den Verkauf hervorragender Kunstwerke ins Ausland zu verhindern, und daß dies geschehen wird, dafür bürgt die Wach¬ samkeit Vodes, die allerdings, wie man sich bei dem schwankenden Gesundheits¬ zustande des verdienstvollen Mannes nicht verhehlen kaun, nur ans seinen zwei Augen steht. Vorläufig haben wir darum noch nicht zu sorgen. Dank den Mitteln des Vereins ist es gelungen, den Franzosen eine Perle der französischen Malerei des fünfzehnten Jahrhunderts abzujagen, ein fast einen Quadratmeter großes Bild, das als die einzig beglaubigte Tafelmalerei des namentlich durch feine Miniaturen bekannten französischen Malers Jean Fouquet gilt, wenn der Beweis für seine Urheberschaft auch nur durch einen Vergleich mit seinen Minia¬ turen geführt werden kaun. Ob nun das Bild wirklich von Fouquet herrührt oder vou einem andern, sicher ist, daß es die Schöpfung eines Künstlers ist, der ein großer Charakterdarsteller war, etwa in der Richtung der van Esel, nur noch größer und herber in der Auffassung. Das Bild stellt zwei Personen dar, wie aus dem Vergleich mit einer Miniatur Fouquets hervorgeht, den französischen Schatzkanzler Etienne Chevalier in andächtiger Haltung vor einem unsichtbaren Gegenstande der Anbetung und seinen ihn empfehlenden Schutz¬ patron, den heiligen Diakonus Stephan, der wohl ebenfalls eine Porträtfigur ist, zu der ein hagerer Laienpriefter oder Mönch Modell gesessen hat. Beide Figuren werden erst verstündlich, wenn man weiß, daß man nur die eine Hälfte eines Diptychons vor sich hat, dessen andre Hälfte, eine Madonna mit dein Kinde von Engeln verehrt, sich im Museum zu Antwerpen befindet. Auf¬ fällig ist, daß diese zweite Hälfte dem Berliner Teile in Malerei und Charakteristik bedeutend nachsteht. Von den übrigen teils geschenkten, teils geliehenen Kunstwerken sind noch zu nennen ein männliches Porträt von Memling, der Studienkopf eines Juden von Rembrandt, eine kleine, intime Landschaft von Ruisdael, ein glasirtes Madonnenrelief von Luca della Nobbici, eine dem Tilman Riemenschneider zu- geschriebne bemalte Holzstatue und die Steiufigur eiues französischen Königs, die vermutlich vom Hauptportal der Kathedrale zu Rouen stammt, ein sehr kostbares Stück, da Proben französischer Plastik des dreizehnten Jahrhunderts in deutschen Museen noch nicht zu finden sind. Der Anfang ist so glücklich gemacht worden, wie es in Deutschland nur möglich war. Das ist allein das Verdienst Bodes, das ihm niemand bestreiten kann, und wir wünschen nur, daß er sich ungeteilt dieser schönen Aufgabe widmen möge. Leider hat ihn in den letzten Jahren die Neigung gefaßt, sich auch mit der modernen und — im Gegensatz zu seinen frühern Studien — sogleich mit der allermodernsten Kunst zu beschäftigen. Er ist ein eifriger Parteigänger der „Modernen" geworden, die außer Klinger, Liebermann, Abbe und andern dieser Art alle übrigen verachten. Gemeinschaftlich mit ihnen läuft

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/387>, abgerufen am 23.07.2024.