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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Das Dreiklassenwahlsystem

dient hat, so weit herabgedrückt, daß die Marktproduktion nicht mehr genug
lohnt. Seitdem ist der Rittergutsbesitzer "notleidender Landwirt" und Schutz-
zöllner geworden. Der schlimmen Konkurrenz zu entgehen, dazu sollten die
Getreidezölle dienen, und sie waren in der That notwendig und heilsam als
eine Maßregel, die den raschen Preisfall hemmte und verzögerte, aber es darf
niemals verkannt werden, daß sie eine Steuer sind, die der Gesamtheit auf¬
erlegt wird zu Gunsten der Getreideverkäufer, mit denen die Gesamtheit diese
Getreideverkäufer über Wasser hält.

(Schluß folgt)




Das Dreiklassenwahlsystem
von einem höhern preußischen Verwaltungsbeamten (Schluß)

ir haben gesehen, daß die Gemeindegesetze der ersten Jahrzehnte
unsers Jahrhunderts allen Bürgern gleiches Wahlrecht gaben,
es aber nach unten durch einen Zensns beschränkten. Die Gesetz¬
gebung von 1848 verzichtete auch auf diese Beschränkung hin¬
sichtlich des gleichen Wahlrechts für die Volksvertretung, aber
wie die Gemeindeordnung für die Rheinprovinz zuerst das Dreiklasscnwahlsystem
annahm, und wie dasselbe System dann für die Wahlen zum Abgeordneten¬
hause und für die Gemeindewahlen der alten Provinzen angenommen wurde,
so trat allgemein wieder eine Beschränkung des Wahlrechts nach unten ein,
insofern das Wahlrecht zur zweiten Kammer die Befähigung zu den Gemeinde¬
wahlen voraussetzte, diese aber überall von einem bestimmten Vermögensbesitz
oder einer bestimmten Steuerleistung abhängig ist.

Die Gründe nun, die bei der Einführung des Dreiklassenwahlsystems ma߬
gebend gewesen sind, werden auch für die Beantwortung der Frage, ob dieses
System für die Gegenwart noch berechtigt sei, zum Anhalt dienen müssen.
Da aber die Frage neuerdings namentlich in Bezug auf die Gemeindewahlen
erörtert worden ist, und das Wahlrecht für die Volksvertretung zunächst die
Befähigung zu deu Gemeindewahlen voraussetzt, so soll sie auch hauptsächlich
mit Rücksicht auf das Gemeindewahlrecht untersucht werden. Flete das Drei-
klassenwahlsystem für die Gemeindewahlen, so ließe es sich auch für die Wahlen
zum Abgeordnetenhause nicht länger erhalten. Ebenso wird auch zur Ver-
gleichung nur das gleiche Wahlrecht berücksichtigt werden, wie es neben dem
Dreiklassenwahlsystem bisher in Preußen in Frage gekommen ist.


Das Dreiklassenwahlsystem

dient hat, so weit herabgedrückt, daß die Marktproduktion nicht mehr genug
lohnt. Seitdem ist der Rittergutsbesitzer „notleidender Landwirt" und Schutz-
zöllner geworden. Der schlimmen Konkurrenz zu entgehen, dazu sollten die
Getreidezölle dienen, und sie waren in der That notwendig und heilsam als
eine Maßregel, die den raschen Preisfall hemmte und verzögerte, aber es darf
niemals verkannt werden, daß sie eine Steuer sind, die der Gesamtheit auf¬
erlegt wird zu Gunsten der Getreideverkäufer, mit denen die Gesamtheit diese
Getreideverkäufer über Wasser hält.

(Schluß folgt)




Das Dreiklassenwahlsystem
von einem höhern preußischen Verwaltungsbeamten (Schluß)

ir haben gesehen, daß die Gemeindegesetze der ersten Jahrzehnte
unsers Jahrhunderts allen Bürgern gleiches Wahlrecht gaben,
es aber nach unten durch einen Zensns beschränkten. Die Gesetz¬
gebung von 1848 verzichtete auch auf diese Beschränkung hin¬
sichtlich des gleichen Wahlrechts für die Volksvertretung, aber
wie die Gemeindeordnung für die Rheinprovinz zuerst das Dreiklasscnwahlsystem
annahm, und wie dasselbe System dann für die Wahlen zum Abgeordneten¬
hause und für die Gemeindewahlen der alten Provinzen angenommen wurde,
so trat allgemein wieder eine Beschränkung des Wahlrechts nach unten ein,
insofern das Wahlrecht zur zweiten Kammer die Befähigung zu den Gemeinde¬
wahlen voraussetzte, diese aber überall von einem bestimmten Vermögensbesitz
oder einer bestimmten Steuerleistung abhängig ist.

Die Gründe nun, die bei der Einführung des Dreiklassenwahlsystems ma߬
gebend gewesen sind, werden auch für die Beantwortung der Frage, ob dieses
System für die Gegenwart noch berechtigt sei, zum Anhalt dienen müssen.
Da aber die Frage neuerdings namentlich in Bezug auf die Gemeindewahlen
erörtert worden ist, und das Wahlrecht für die Volksvertretung zunächst die
Befähigung zu deu Gemeindewahlen voraussetzt, so soll sie auch hauptsächlich
mit Rücksicht auf das Gemeindewahlrecht untersucht werden. Flete das Drei-
klassenwahlsystem für die Gemeindewahlen, so ließe es sich auch für die Wahlen
zum Abgeordnetenhause nicht länger erhalten. Ebenso wird auch zur Ver-
gleichung nur das gleiche Wahlrecht berücksichtigt werden, wie es neben dem
Dreiklassenwahlsystem bisher in Preußen in Frage gekommen ist.


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[0371] Das Dreiklassenwahlsystem dient hat, so weit herabgedrückt, daß die Marktproduktion nicht mehr genug lohnt. Seitdem ist der Rittergutsbesitzer „notleidender Landwirt" und Schutz- zöllner geworden. Der schlimmen Konkurrenz zu entgehen, dazu sollten die Getreidezölle dienen, und sie waren in der That notwendig und heilsam als eine Maßregel, die den raschen Preisfall hemmte und verzögerte, aber es darf niemals verkannt werden, daß sie eine Steuer sind, die der Gesamtheit auf¬ erlegt wird zu Gunsten der Getreideverkäufer, mit denen die Gesamtheit diese Getreideverkäufer über Wasser hält. (Schluß folgt) Das Dreiklassenwahlsystem von einem höhern preußischen Verwaltungsbeamten (Schluß) ir haben gesehen, daß die Gemeindegesetze der ersten Jahrzehnte unsers Jahrhunderts allen Bürgern gleiches Wahlrecht gaben, es aber nach unten durch einen Zensns beschränkten. Die Gesetz¬ gebung von 1848 verzichtete auch auf diese Beschränkung hin¬ sichtlich des gleichen Wahlrechts für die Volksvertretung, aber wie die Gemeindeordnung für die Rheinprovinz zuerst das Dreiklasscnwahlsystem annahm, und wie dasselbe System dann für die Wahlen zum Abgeordneten¬ hause und für die Gemeindewahlen der alten Provinzen angenommen wurde, so trat allgemein wieder eine Beschränkung des Wahlrechts nach unten ein, insofern das Wahlrecht zur zweiten Kammer die Befähigung zu den Gemeinde¬ wahlen voraussetzte, diese aber überall von einem bestimmten Vermögensbesitz oder einer bestimmten Steuerleistung abhängig ist. Die Gründe nun, die bei der Einführung des Dreiklassenwahlsystems ma߬ gebend gewesen sind, werden auch für die Beantwortung der Frage, ob dieses System für die Gegenwart noch berechtigt sei, zum Anhalt dienen müssen. Da aber die Frage neuerdings namentlich in Bezug auf die Gemeindewahlen erörtert worden ist, und das Wahlrecht für die Volksvertretung zunächst die Befähigung zu deu Gemeindewahlen voraussetzt, so soll sie auch hauptsächlich mit Rücksicht auf das Gemeindewahlrecht untersucht werden. Flete das Drei- klassenwahlsystem für die Gemeindewahlen, so ließe es sich auch für die Wahlen zum Abgeordnetenhause nicht länger erhalten. Ebenso wird auch zur Ver- gleichung nur das gleiche Wahlrecht berücksichtigt werden, wie es neben dem Dreiklassenwahlsystem bisher in Preußen in Frage gekommen ist.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/371>, abgerufen am 23.07.2024.