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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Apotheken oder Winkelapotheken?

anging, ohne den ganzen Stand völlig zu ruiniren, begnügte man sich damit,
eine Anzahl von Arzneimitteln dem freien Verkehre zu überlassen. Am
4. Januar 1875 erschien die bekannte Verordnung, die den Handel sämtlicher
Droguen freigab mit Ausnahmen, die in zwei Verzeichnissen festgesetzt wurden.
Das Verzeichnis enthielt die Arzneiformen, die den Apotheken vorbehalten
blieben, das Verzeichnis L die Droguen, deren freier Verkehr wegen ihrer
Schädlichkeit oder aus andern Gründen untersagt war.

Hier wurde nun schon ein Fehler gemacht insofern, als man nicht streng
genug schied und einfach sagte: Arzneien gehören in die Apotheke, Droguen
zum technischen Gebrauch sind dem Verkehr freizugeben. Dieser Grundsatz,
der der allein richtige ist, wurde durchbrochen; man überließ dem freien Verkehr
Dinge, die lediglich Arzneimittel sind, die Malzextrakte, die Arnikatinktnr, die
Baldriantinktur, den Pepsinwein, die Hoffmcinnschen Tropfen, die Miueralpastillen
und Mineralwasser, den Seifenspiritus, den Kampferspiritus, den Ameisen¬
spiritus, die Arzneikapseln usw. Damit schuf man Apotheken außer Kontrolle,
Winkelapotheken. Die nun zahlreich entstehenden Krämer, die sich Droguisten
nannten und außer Stearinkerzen, Ofenlack, Konditorwaren, Tinte, photo¬
graphischen Artikeln, Farbwaren, Bürsten und Pinseln, Kämmen und Par-
fümenen auch Arzneiwaren hielten, erweiterten bald den Kreis ihrer Thätigkeit.
Das Publikum, ja der Arzt selbst war darüber im Unklaren, was eigentlich
in einem Drogucnladen zu haben sei und was nicht, denn wer konnte jene
Ausnahmen auswendig lernen? So wurde es Gewohnheit, auch vcrbotne
Arzneimittel in den angeblich billigern Droguenläden zu fordern, und die
Droguisten beeilten sich, der Nachfrage zu genügen.

Ein zweiter Fehler war das Verzeichnis der nicht frei gegebnen Drognen
und Chemikalien. Es tauchen ja fast täglich neue Mittel auf, die bei deu
Ärzten Verwendung finden, und alle diese sind frei, weil sie in jenem Ver¬
zeichnis keine Aufnahme haben finden können, wenn sie nicht etwa unter die
deu Apotheken vorbehaltnen Arzneiformen gehören. Warum nicht umgekehrt
eine Liste der Droguen und Chemikalien, die dem freien Verkehr über¬
lassen sind?

Auch der Umstand, daß dieses Gesetz die Droguen und Chemikalien im
Großhandel völlig freigiebt, ohne zu bestimmen, was unter Großhandel zu ver¬
stehen sei, ist unzweckmäßig gewesen. Großhandel ist der Handel zwischen
Kaufmann und Kaufmann" oder zwischen Fabrikant und Kaufmann zum
Weiterverkauf an den Verbraucher. Ob der Apotheker fünf Gramm eines
Präparats bezieht oder fünf Kilo, ist gleichgiltig, es ist Großhandel; und
wenn der Konsument fünf Kilo Senfpulver zu Fußbädern kauft, so ist das
Kleinhandel. Das ist aber den Richtern nicht klar geworden, sie haben oft
Droguisten freigesprochen, wenn sie von einen, verbotnen Artikel größere Mengen
an Verbraucher verkauften, in der Meinung, daß das Großhandel sei.


Apotheken oder Winkelapotheken?

anging, ohne den ganzen Stand völlig zu ruiniren, begnügte man sich damit,
eine Anzahl von Arzneimitteln dem freien Verkehre zu überlassen. Am
4. Januar 1875 erschien die bekannte Verordnung, die den Handel sämtlicher
Droguen freigab mit Ausnahmen, die in zwei Verzeichnissen festgesetzt wurden.
Das Verzeichnis enthielt die Arzneiformen, die den Apotheken vorbehalten
blieben, das Verzeichnis L die Droguen, deren freier Verkehr wegen ihrer
Schädlichkeit oder aus andern Gründen untersagt war.

Hier wurde nun schon ein Fehler gemacht insofern, als man nicht streng
genug schied und einfach sagte: Arzneien gehören in die Apotheke, Droguen
zum technischen Gebrauch sind dem Verkehr freizugeben. Dieser Grundsatz,
der der allein richtige ist, wurde durchbrochen; man überließ dem freien Verkehr
Dinge, die lediglich Arzneimittel sind, die Malzextrakte, die Arnikatinktnr, die
Baldriantinktur, den Pepsinwein, die Hoffmcinnschen Tropfen, die Miueralpastillen
und Mineralwasser, den Seifenspiritus, den Kampferspiritus, den Ameisen¬
spiritus, die Arzneikapseln usw. Damit schuf man Apotheken außer Kontrolle,
Winkelapotheken. Die nun zahlreich entstehenden Krämer, die sich Droguisten
nannten und außer Stearinkerzen, Ofenlack, Konditorwaren, Tinte, photo¬
graphischen Artikeln, Farbwaren, Bürsten und Pinseln, Kämmen und Par-
fümenen auch Arzneiwaren hielten, erweiterten bald den Kreis ihrer Thätigkeit.
Das Publikum, ja der Arzt selbst war darüber im Unklaren, was eigentlich
in einem Drogucnladen zu haben sei und was nicht, denn wer konnte jene
Ausnahmen auswendig lernen? So wurde es Gewohnheit, auch vcrbotne
Arzneimittel in den angeblich billigern Droguenläden zu fordern, und die
Droguisten beeilten sich, der Nachfrage zu genügen.

Ein zweiter Fehler war das Verzeichnis der nicht frei gegebnen Drognen
und Chemikalien. Es tauchen ja fast täglich neue Mittel auf, die bei deu
Ärzten Verwendung finden, und alle diese sind frei, weil sie in jenem Ver¬
zeichnis keine Aufnahme haben finden können, wenn sie nicht etwa unter die
deu Apotheken vorbehaltnen Arzneiformen gehören. Warum nicht umgekehrt
eine Liste der Droguen und Chemikalien, die dem freien Verkehr über¬
lassen sind?

Auch der Umstand, daß dieses Gesetz die Droguen und Chemikalien im
Großhandel völlig freigiebt, ohne zu bestimmen, was unter Großhandel zu ver¬
stehen sei, ist unzweckmäßig gewesen. Großhandel ist der Handel zwischen
Kaufmann und Kaufmann» oder zwischen Fabrikant und Kaufmann zum
Weiterverkauf an den Verbraucher. Ob der Apotheker fünf Gramm eines
Präparats bezieht oder fünf Kilo, ist gleichgiltig, es ist Großhandel; und
wenn der Konsument fünf Kilo Senfpulver zu Fußbädern kauft, so ist das
Kleinhandel. Das ist aber den Richtern nicht klar geworden, sie haben oft
Droguisten freigesprochen, wenn sie von einen, verbotnen Artikel größere Mengen
an Verbraucher verkauften, in der Meinung, daß das Großhandel sei.


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[0340] Apotheken oder Winkelapotheken? anging, ohne den ganzen Stand völlig zu ruiniren, begnügte man sich damit, eine Anzahl von Arzneimitteln dem freien Verkehre zu überlassen. Am 4. Januar 1875 erschien die bekannte Verordnung, die den Handel sämtlicher Droguen freigab mit Ausnahmen, die in zwei Verzeichnissen festgesetzt wurden. Das Verzeichnis enthielt die Arzneiformen, die den Apotheken vorbehalten blieben, das Verzeichnis L die Droguen, deren freier Verkehr wegen ihrer Schädlichkeit oder aus andern Gründen untersagt war. Hier wurde nun schon ein Fehler gemacht insofern, als man nicht streng genug schied und einfach sagte: Arzneien gehören in die Apotheke, Droguen zum technischen Gebrauch sind dem Verkehr freizugeben. Dieser Grundsatz, der der allein richtige ist, wurde durchbrochen; man überließ dem freien Verkehr Dinge, die lediglich Arzneimittel sind, die Malzextrakte, die Arnikatinktnr, die Baldriantinktur, den Pepsinwein, die Hoffmcinnschen Tropfen, die Miueralpastillen und Mineralwasser, den Seifenspiritus, den Kampferspiritus, den Ameisen¬ spiritus, die Arzneikapseln usw. Damit schuf man Apotheken außer Kontrolle, Winkelapotheken. Die nun zahlreich entstehenden Krämer, die sich Droguisten nannten und außer Stearinkerzen, Ofenlack, Konditorwaren, Tinte, photo¬ graphischen Artikeln, Farbwaren, Bürsten und Pinseln, Kämmen und Par- fümenen auch Arzneiwaren hielten, erweiterten bald den Kreis ihrer Thätigkeit. Das Publikum, ja der Arzt selbst war darüber im Unklaren, was eigentlich in einem Drogucnladen zu haben sei und was nicht, denn wer konnte jene Ausnahmen auswendig lernen? So wurde es Gewohnheit, auch vcrbotne Arzneimittel in den angeblich billigern Droguenläden zu fordern, und die Droguisten beeilten sich, der Nachfrage zu genügen. Ein zweiter Fehler war das Verzeichnis der nicht frei gegebnen Drognen und Chemikalien. Es tauchen ja fast täglich neue Mittel auf, die bei deu Ärzten Verwendung finden, und alle diese sind frei, weil sie in jenem Ver¬ zeichnis keine Aufnahme haben finden können, wenn sie nicht etwa unter die deu Apotheken vorbehaltnen Arzneiformen gehören. Warum nicht umgekehrt eine Liste der Droguen und Chemikalien, die dem freien Verkehr über¬ lassen sind? Auch der Umstand, daß dieses Gesetz die Droguen und Chemikalien im Großhandel völlig freigiebt, ohne zu bestimmen, was unter Großhandel zu ver¬ stehen sei, ist unzweckmäßig gewesen. Großhandel ist der Handel zwischen Kaufmann und Kaufmann» oder zwischen Fabrikant und Kaufmann zum Weiterverkauf an den Verbraucher. Ob der Apotheker fünf Gramm eines Präparats bezieht oder fünf Kilo, ist gleichgiltig, es ist Großhandel; und wenn der Konsument fünf Kilo Senfpulver zu Fußbädern kauft, so ist das Kleinhandel. Das ist aber den Richtern nicht klar geworden, sie haben oft Droguisten freigesprochen, wenn sie von einen, verbotnen Artikel größere Mengen an Verbraucher verkauften, in der Meinung, daß das Großhandel sei.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/340>, abgerufen am 23.07.2024.