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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Aus den Denkwürdigkeiten zweier Runstforscher

täglich und unter Erstattung der Reisekosten Deutschland einige Zeit bereisen
wolle, so möge er sich sofort nach Berlin begeben und dort aus der Gesandtschaft
Ihrer Majestät seine Instruktionen holen. Er reiste also nach Deutschland.
Diese Angelegenheit ist wichtig genug, um sie mit einigen Strichen in die
Geschichte der Zeit einzureihen.

Das Kabinett wollte auf John Rüssels Vorschlag in Bezug auf Deutsch¬
land, Österreich und Frankreich eine neue Politik einschlagen. Man wünschte
die Stimmung in den einzelnen Gegenden Deutschlands gegenüber Preußen
und der am Horizont heraufsteigenden Abrechnung mit Österreich kennen zu
lernen, man wollte wissen, ob sich Preußen durch seine Armeereform den
sow8 ano einer Großmacht sichern könne, und man hoffte mit Hilfe solcher
Kenntnisse die Bündnisse auf längere Zeit hinaus "festlegen" zu können. Aber
was darüber zu ermitteln und an das Auswärtige Amt in London zu be¬
richten war, das mußte er sich, wie er zu seinem Erstaunen von dem eng¬
lischen Gesandten in Berlin erfuhr, auf eigne Hand, ohne eine Empfehlung
an deutsche Persönlichkeiten verschaffen, denn wenn Ihrer Majestät Negierung
das Gewünschte durch die gewöhnlichen der Diplomatie zugänglichen Kanäle
erlangen könnte, so hätte sie ihn nicht zu bemühen brauchen. Lächelnd entließ
ihn der Gesandte, als er erklärte, zunächst nach Heidelberg gehen zu wollen:
was er denn dort wohl über Preußen erfahren könne! Er kannte nur einen,
von dem er etwas hoffte, Bunsen, der dort zurückgezogen lebte. Dieser nahm
ihn freundlich auf und empfahl ihm, Gervinus zu besuchen, der im Nachbar¬
hause wohnte. Der erklärte Crowe gegenüber seinen Nachbar für einen Doktrinär,
während Bunsen Gervinus als Visionär bezeichnete. Sie hatten beide Recht,
hätten aber mit demselben Rechte die Prädikate auch tauschen können. Es
scheint aber mehr als eine bloße Freundlichkeit gegen den Gastfreund zu sein,
wenn Crowe Bunsen einen fähigen und erfahrnen Staatsmann nennt, auf
dessen Weisheit er gelauscht habe, denn seine Politik mag dem Engländer
besser erschienen sein, in Deutschland war sie vielleicht schon damals Kinderspott.
Bunsen empfahl Crowe an Usedom, der Gesandter in Frankfurt war. Das
war wertvoll, denn nach seiner Rückkehr nach Berlin erlangte Crowe Zutritt
in die Arsenale mit Ausnahme der Spandauer Geschützgießerei und gewann
das Interesse Willisens, dem er seine Kriegserlebnisse erzählte, um dafür Mit¬
teilungen über militärische Dinge und preußische Politik zu erhalten. Dann
begab er sich in die großen Städte des Ostens und nach Leipzig und Dresden,
nach München zu Sybel, nach Gotha, dem Mittelpunkte des Nationalvereius,
und nach Koburg, wo er bei dem Herzog die freundlichste Aufnahme fand,
nach Stuttgart zu Wolfgang Menzel und Hackländer, und als er darauf wieder
uach Berlin zurückkehrte, war er bei den Diplomaten und Staatsmännern, auf
die es ihm ankam, aufs beste eingeführt. Er verkehrte auf der englischen Ge¬
sandtschaft, saß bei einem Diner unter lauter bevollmächtigten Ministern und


Grenzboten II 1807 42
Aus den Denkwürdigkeiten zweier Runstforscher

täglich und unter Erstattung der Reisekosten Deutschland einige Zeit bereisen
wolle, so möge er sich sofort nach Berlin begeben und dort aus der Gesandtschaft
Ihrer Majestät seine Instruktionen holen. Er reiste also nach Deutschland.
Diese Angelegenheit ist wichtig genug, um sie mit einigen Strichen in die
Geschichte der Zeit einzureihen.

Das Kabinett wollte auf John Rüssels Vorschlag in Bezug auf Deutsch¬
land, Österreich und Frankreich eine neue Politik einschlagen. Man wünschte
die Stimmung in den einzelnen Gegenden Deutschlands gegenüber Preußen
und der am Horizont heraufsteigenden Abrechnung mit Österreich kennen zu
lernen, man wollte wissen, ob sich Preußen durch seine Armeereform den
sow8 ano einer Großmacht sichern könne, und man hoffte mit Hilfe solcher
Kenntnisse die Bündnisse auf längere Zeit hinaus „festlegen" zu können. Aber
was darüber zu ermitteln und an das Auswärtige Amt in London zu be¬
richten war, das mußte er sich, wie er zu seinem Erstaunen von dem eng¬
lischen Gesandten in Berlin erfuhr, auf eigne Hand, ohne eine Empfehlung
an deutsche Persönlichkeiten verschaffen, denn wenn Ihrer Majestät Negierung
das Gewünschte durch die gewöhnlichen der Diplomatie zugänglichen Kanäle
erlangen könnte, so hätte sie ihn nicht zu bemühen brauchen. Lächelnd entließ
ihn der Gesandte, als er erklärte, zunächst nach Heidelberg gehen zu wollen:
was er denn dort wohl über Preußen erfahren könne! Er kannte nur einen,
von dem er etwas hoffte, Bunsen, der dort zurückgezogen lebte. Dieser nahm
ihn freundlich auf und empfahl ihm, Gervinus zu besuchen, der im Nachbar¬
hause wohnte. Der erklärte Crowe gegenüber seinen Nachbar für einen Doktrinär,
während Bunsen Gervinus als Visionär bezeichnete. Sie hatten beide Recht,
hätten aber mit demselben Rechte die Prädikate auch tauschen können. Es
scheint aber mehr als eine bloße Freundlichkeit gegen den Gastfreund zu sein,
wenn Crowe Bunsen einen fähigen und erfahrnen Staatsmann nennt, auf
dessen Weisheit er gelauscht habe, denn seine Politik mag dem Engländer
besser erschienen sein, in Deutschland war sie vielleicht schon damals Kinderspott.
Bunsen empfahl Crowe an Usedom, der Gesandter in Frankfurt war. Das
war wertvoll, denn nach seiner Rückkehr nach Berlin erlangte Crowe Zutritt
in die Arsenale mit Ausnahme der Spandauer Geschützgießerei und gewann
das Interesse Willisens, dem er seine Kriegserlebnisse erzählte, um dafür Mit¬
teilungen über militärische Dinge und preußische Politik zu erhalten. Dann
begab er sich in die großen Städte des Ostens und nach Leipzig und Dresden,
nach München zu Sybel, nach Gotha, dem Mittelpunkte des Nationalvereius,
und nach Koburg, wo er bei dem Herzog die freundlichste Aufnahme fand,
nach Stuttgart zu Wolfgang Menzel und Hackländer, und als er darauf wieder
uach Berlin zurückkehrte, war er bei den Diplomaten und Staatsmännern, auf
die es ihm ankam, aufs beste eingeführt. Er verkehrte auf der englischen Ge¬
sandtschaft, saß bei einem Diner unter lauter bevollmächtigten Ministern und


Grenzboten II 1807 42
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/337>, abgerufen am 23.07.2024.