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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Das Dreiklassenwahlsystem

hundert bis zwölfhundert Thaler belaufe. Stellt man sich die damaligen Wert¬
verhältnisse vor, so wird man begreifen, ein wie großer Teil der Bürgerschaft
besonders in den Städten, die damals als größere angesehen wurden, von der
Wahl in die Stadtverordnetenversammlung ausgeschlossen war. Diese Ein¬
schränkung war offenbar für die kleinen Bürger noch weit ungünstiger als das
Dreiklassenwahlsystem; dies giebt zwar die Entscheidung den Höchst- und Hoch¬
besteuerten, gewährt aber doch dem kleinen Bürger der dritten Klasse noch die
Möglichkeit, Stadtverordneter zu werden und ein Wort mitzureden, wenn er
den Mut dazu hat.

Von den in Aussicht gestellten Landgemeindeordnungen kam damals nur
eine, die sür die Provinz Westfalen vom 31. Oktober 1841 zu stände, und
auch diese enthielt das Dreiklassenwahlsystem noch nicht. Die Teilnahme an
den Wähle" stand nur den "Meistbeerbten," d. h. denen zu, die ein Haus besaßen
und eine Hauptgrundsteuer entrichteten, die nach den Ortsverhältnissen nicht
unter zwei und nicht über fünf Thaler betrug und durch den Oberprüsidenten
nach Vernehmung der Gemeindebchörde festgesetzt wurde; ferner solchen, denen
das Gemeinderecht besonders verliehen worden war. Die Meistbeerbten waren
freilich für die Wahlen in zwei Klassen geteilt, aber nur darnach, ob ihre Hofe
schon vor 1806 in den Katastern aufgeführt oder dem Gesetz über die bäuer¬
liche Erbfolge vom 18. Juli 1836 unterworfen gewesen waren oder nicht,
und zu der zweiten Klasse wurden auch die gerechnet, denen das Gemeinderecht
besonders verliehen worden war. Auch konnte, wenn die Gemeinde aus
Bauerschaften mit zerstreut liegenden Besitzungen und aus einem geschlossenen
Dorfe bestand, aus den im Dorfe wohnenden Meistbeerbten eine dritte Klasse
gebildet werden.

Unterm 23. Juli 1845 wurde dann "nach Vernehmung Unsrer getreuen
Stände auf den Antrag Unsers Staatsministeriums" die Gemeindeordnung
für die Rheinprovinz erlassen, die mit einigen durch das Gesetz vom 15. Mai
1856 verfügten Abänderungen noch jetzt für die Landgemeinden der Rhein¬
provinz giltig ist, und die bestimmt, daß die zur Teilnahme an den öffentlichen
Geschäften der Gemeinde berechtigten Mitglieder der Gemeinde (die "Meist¬
beerbten") zu den Wahlen nach ihrem Einkommen oder den von ihnen zu
entrichtenden Steuern in drei Klassen geteilt werden sollen, und zwar so, daß
auf jede Klasse ein Dritten der Gesamtsumme des Einkommens oder der
Steuerbeträge aller Meistbeerbten sällt. Demnach bilden, wie es in dem
Gesetze heißt: "diejenigen, welche das höchste Einkommen besitzen, bis zur
Summe eines Drittens des Einkommens aller Meistbeerbten die erste Klasse,
die zweite Klasse besteht aus den nächst jenen am meisten Begüterten, welche
das zweite Dritten des Einkommens aller Meistbecrbten besitzen; die dritte
Klasse umfaßt alle übrigen Meistbeerbten." Hier ist die Entstehung und erste
Anwendung des Dreiklassenwahlsystems zu suchen. Die Gründe, die damals


Das Dreiklassenwahlsystem

hundert bis zwölfhundert Thaler belaufe. Stellt man sich die damaligen Wert¬
verhältnisse vor, so wird man begreifen, ein wie großer Teil der Bürgerschaft
besonders in den Städten, die damals als größere angesehen wurden, von der
Wahl in die Stadtverordnetenversammlung ausgeschlossen war. Diese Ein¬
schränkung war offenbar für die kleinen Bürger noch weit ungünstiger als das
Dreiklassenwahlsystem; dies giebt zwar die Entscheidung den Höchst- und Hoch¬
besteuerten, gewährt aber doch dem kleinen Bürger der dritten Klasse noch die
Möglichkeit, Stadtverordneter zu werden und ein Wort mitzureden, wenn er
den Mut dazu hat.

Von den in Aussicht gestellten Landgemeindeordnungen kam damals nur
eine, die sür die Provinz Westfalen vom 31. Oktober 1841 zu stände, und
auch diese enthielt das Dreiklassenwahlsystem noch nicht. Die Teilnahme an
den Wähle» stand nur den „Meistbeerbten," d. h. denen zu, die ein Haus besaßen
und eine Hauptgrundsteuer entrichteten, die nach den Ortsverhältnissen nicht
unter zwei und nicht über fünf Thaler betrug und durch den Oberprüsidenten
nach Vernehmung der Gemeindebchörde festgesetzt wurde; ferner solchen, denen
das Gemeinderecht besonders verliehen worden war. Die Meistbeerbten waren
freilich für die Wahlen in zwei Klassen geteilt, aber nur darnach, ob ihre Hofe
schon vor 1806 in den Katastern aufgeführt oder dem Gesetz über die bäuer¬
liche Erbfolge vom 18. Juli 1836 unterworfen gewesen waren oder nicht,
und zu der zweiten Klasse wurden auch die gerechnet, denen das Gemeinderecht
besonders verliehen worden war. Auch konnte, wenn die Gemeinde aus
Bauerschaften mit zerstreut liegenden Besitzungen und aus einem geschlossenen
Dorfe bestand, aus den im Dorfe wohnenden Meistbeerbten eine dritte Klasse
gebildet werden.

Unterm 23. Juli 1845 wurde dann „nach Vernehmung Unsrer getreuen
Stände auf den Antrag Unsers Staatsministeriums" die Gemeindeordnung
für die Rheinprovinz erlassen, die mit einigen durch das Gesetz vom 15. Mai
1856 verfügten Abänderungen noch jetzt für die Landgemeinden der Rhein¬
provinz giltig ist, und die bestimmt, daß die zur Teilnahme an den öffentlichen
Geschäften der Gemeinde berechtigten Mitglieder der Gemeinde (die „Meist¬
beerbten") zu den Wahlen nach ihrem Einkommen oder den von ihnen zu
entrichtenden Steuern in drei Klassen geteilt werden sollen, und zwar so, daß
auf jede Klasse ein Dritten der Gesamtsumme des Einkommens oder der
Steuerbeträge aller Meistbeerbten sällt. Demnach bilden, wie es in dem
Gesetze heißt: „diejenigen, welche das höchste Einkommen besitzen, bis zur
Summe eines Drittens des Einkommens aller Meistbeerbten die erste Klasse,
die zweite Klasse besteht aus den nächst jenen am meisten Begüterten, welche
das zweite Dritten des Einkommens aller Meistbecrbten besitzen; die dritte
Klasse umfaßt alle übrigen Meistbeerbten." Hier ist die Entstehung und erste
Anwendung des Dreiklassenwahlsystems zu suchen. Die Gründe, die damals


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[0315] Das Dreiklassenwahlsystem hundert bis zwölfhundert Thaler belaufe. Stellt man sich die damaligen Wert¬ verhältnisse vor, so wird man begreifen, ein wie großer Teil der Bürgerschaft besonders in den Städten, die damals als größere angesehen wurden, von der Wahl in die Stadtverordnetenversammlung ausgeschlossen war. Diese Ein¬ schränkung war offenbar für die kleinen Bürger noch weit ungünstiger als das Dreiklassenwahlsystem; dies giebt zwar die Entscheidung den Höchst- und Hoch¬ besteuerten, gewährt aber doch dem kleinen Bürger der dritten Klasse noch die Möglichkeit, Stadtverordneter zu werden und ein Wort mitzureden, wenn er den Mut dazu hat. Von den in Aussicht gestellten Landgemeindeordnungen kam damals nur eine, die sür die Provinz Westfalen vom 31. Oktober 1841 zu stände, und auch diese enthielt das Dreiklassenwahlsystem noch nicht. Die Teilnahme an den Wähle» stand nur den „Meistbeerbten," d. h. denen zu, die ein Haus besaßen und eine Hauptgrundsteuer entrichteten, die nach den Ortsverhältnissen nicht unter zwei und nicht über fünf Thaler betrug und durch den Oberprüsidenten nach Vernehmung der Gemeindebchörde festgesetzt wurde; ferner solchen, denen das Gemeinderecht besonders verliehen worden war. Die Meistbeerbten waren freilich für die Wahlen in zwei Klassen geteilt, aber nur darnach, ob ihre Hofe schon vor 1806 in den Katastern aufgeführt oder dem Gesetz über die bäuer¬ liche Erbfolge vom 18. Juli 1836 unterworfen gewesen waren oder nicht, und zu der zweiten Klasse wurden auch die gerechnet, denen das Gemeinderecht besonders verliehen worden war. Auch konnte, wenn die Gemeinde aus Bauerschaften mit zerstreut liegenden Besitzungen und aus einem geschlossenen Dorfe bestand, aus den im Dorfe wohnenden Meistbeerbten eine dritte Klasse gebildet werden. Unterm 23. Juli 1845 wurde dann „nach Vernehmung Unsrer getreuen Stände auf den Antrag Unsers Staatsministeriums" die Gemeindeordnung für die Rheinprovinz erlassen, die mit einigen durch das Gesetz vom 15. Mai 1856 verfügten Abänderungen noch jetzt für die Landgemeinden der Rhein¬ provinz giltig ist, und die bestimmt, daß die zur Teilnahme an den öffentlichen Geschäften der Gemeinde berechtigten Mitglieder der Gemeinde (die „Meist¬ beerbten") zu den Wahlen nach ihrem Einkommen oder den von ihnen zu entrichtenden Steuern in drei Klassen geteilt werden sollen, und zwar so, daß auf jede Klasse ein Dritten der Gesamtsumme des Einkommens oder der Steuerbeträge aller Meistbeerbten sällt. Demnach bilden, wie es in dem Gesetze heißt: „diejenigen, welche das höchste Einkommen besitzen, bis zur Summe eines Drittens des Einkommens aller Meistbeerbten die erste Klasse, die zweite Klasse besteht aus den nächst jenen am meisten Begüterten, welche das zweite Dritten des Einkommens aller Meistbecrbten besitzen; die dritte Klasse umfaßt alle übrigen Meistbeerbten." Hier ist die Entstehung und erste Anwendung des Dreiklassenwahlsystems zu suchen. Die Gründe, die damals

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/315>, abgerufen am 23.07.2024.