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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Das Dreiklassenwahlsystem

es noch den Verhältnissen unsrer Zeit entspreche, ist es aber erforderlich, zu
zeigen, wie es seiner Zeit entstanden ist und sich entwickelt hat.

Die Städte- und Gemeindeordnungen, die nach der Fremdherrschaft im
Anfange des Jahrhunderts für Preußen erlassen wurden, enthalten die Drei¬
klassenwahl noch nicht. So gab die Steinsche Städteordnung vom 10. November
1808 bei der Wahl der Stadtverordneten allen Bürgern gleiches Wahlrecht
und schloß nur solche Unangesessene davon aus, deren Einkommen in kleinen
Städten noch nicht hundertfünfzig Thaler, in großen Städten noch nicht zwei¬
hundert Thaler betrug. Die Stadtverordneten wurden bezirksweise gewählt
nach dem Verhältnis der darin wohnenden Bürger und in geheimer Ab¬
stimmung. Die revidirte Städteordnung vom 17. März 1831 machte die Er¬
werbung des Bürgerrechts von einem für damalige Verhältnisse sehr hohen
Zensus abhängig: der geringste Wert des Grundeigentums, dessen Besitz zur
Erwerbung des Bürgerrechts berechtigte und verpflichtete, sollte in kleinen
Städten nicht unter dreihundert Thalern, in größern nicht über zweitausend
Thaler betragen, ebenso die geringste Einnahme aus einem stehenden Ge¬
werbe, dessen Betreibung in gleicher Weife zur Erwerbung des Bürgerrechts
berechtigte und verpflichtete, zweihundert bis sechshundert Thaler, und daneben
waren nur die zur Erwerbung des Bürgerrechts berechtigt, die aus andern
Quellen ein Einkommen von wenigstens vierhundert bis zwölfhundert Thalern
bezogen und zwei Jahre in der Stadt gewohnt hatten. Aber auch diese Städte¬
ordnung gab zunächst noch allen Bürgern gleiches Wahlrecht. Sie enthielt
aber daneben die Bestimmung, daß die Bürger in größern Städten für die
Wahl der Stadtverordneten in mehrere Versammlungen zu teilen seien, und
zwar nach den Stadtbezirken, worin die Bürger ihre Wohnungen hätten, und
sie gestattete insofern eine Klasfeneinteilung, als der K 52 bestimmte: "Diese
Verteilung (der Bürger in mehrere Versammlungen) kann ferner in solchen
Städten, worin die verschiedenartigen Verhältnisse der Einwohner es rätlich
machen, nach Klassen der Bürger geschehen, welche aus der Beschäftigung oder
Lebensweise hervorgehen." Die nähere Bestimmung war den Statuten vor¬
behalten. Diese revidirte Städteordnung ist nicht allgemein eingeführt worden,
es ist mir auch nicht bekannt, wie weit von der Bestimmung des 8 52 Gebrauch
gemacht und wie sie ausgeführt worden ist, jedenfalls war es noch nicht die
Absicht, die Klasseneinteilung allein nach der Steuerleistung vorzunehmen und
die Zahl der Klassen auf drei festzustellen. Andrerseits ging das Streben bei
Erlaß dieser Städteordnung schon dahin, die weniger Vermögenden von der
Verwaltung der Städte auszuschließen, denn K 56 bestimmt, daß zu Stadt¬
verordneten nur Bürger gewählt werden dürften, die in dem Stadtbezirk
Grundeigentum hätten, dessen geringster Wert in kleinen Städten nicht unter
tausend Thalern, in größern Städten nicht über zwölftausend Thaler betragen
solle, oder ein jährliches Einkommen, dessen geringster Ertrag sich auf zwei-


Das Dreiklassenwahlsystem

es noch den Verhältnissen unsrer Zeit entspreche, ist es aber erforderlich, zu
zeigen, wie es seiner Zeit entstanden ist und sich entwickelt hat.

Die Städte- und Gemeindeordnungen, die nach der Fremdherrschaft im
Anfange des Jahrhunderts für Preußen erlassen wurden, enthalten die Drei¬
klassenwahl noch nicht. So gab die Steinsche Städteordnung vom 10. November
1808 bei der Wahl der Stadtverordneten allen Bürgern gleiches Wahlrecht
und schloß nur solche Unangesessene davon aus, deren Einkommen in kleinen
Städten noch nicht hundertfünfzig Thaler, in großen Städten noch nicht zwei¬
hundert Thaler betrug. Die Stadtverordneten wurden bezirksweise gewählt
nach dem Verhältnis der darin wohnenden Bürger und in geheimer Ab¬
stimmung. Die revidirte Städteordnung vom 17. März 1831 machte die Er¬
werbung des Bürgerrechts von einem für damalige Verhältnisse sehr hohen
Zensus abhängig: der geringste Wert des Grundeigentums, dessen Besitz zur
Erwerbung des Bürgerrechts berechtigte und verpflichtete, sollte in kleinen
Städten nicht unter dreihundert Thalern, in größern nicht über zweitausend
Thaler betragen, ebenso die geringste Einnahme aus einem stehenden Ge¬
werbe, dessen Betreibung in gleicher Weife zur Erwerbung des Bürgerrechts
berechtigte und verpflichtete, zweihundert bis sechshundert Thaler, und daneben
waren nur die zur Erwerbung des Bürgerrechts berechtigt, die aus andern
Quellen ein Einkommen von wenigstens vierhundert bis zwölfhundert Thalern
bezogen und zwei Jahre in der Stadt gewohnt hatten. Aber auch diese Städte¬
ordnung gab zunächst noch allen Bürgern gleiches Wahlrecht. Sie enthielt
aber daneben die Bestimmung, daß die Bürger in größern Städten für die
Wahl der Stadtverordneten in mehrere Versammlungen zu teilen seien, und
zwar nach den Stadtbezirken, worin die Bürger ihre Wohnungen hätten, und
sie gestattete insofern eine Klasfeneinteilung, als der K 52 bestimmte: „Diese
Verteilung (der Bürger in mehrere Versammlungen) kann ferner in solchen
Städten, worin die verschiedenartigen Verhältnisse der Einwohner es rätlich
machen, nach Klassen der Bürger geschehen, welche aus der Beschäftigung oder
Lebensweise hervorgehen." Die nähere Bestimmung war den Statuten vor¬
behalten. Diese revidirte Städteordnung ist nicht allgemein eingeführt worden,
es ist mir auch nicht bekannt, wie weit von der Bestimmung des 8 52 Gebrauch
gemacht und wie sie ausgeführt worden ist, jedenfalls war es noch nicht die
Absicht, die Klasseneinteilung allein nach der Steuerleistung vorzunehmen und
die Zahl der Klassen auf drei festzustellen. Andrerseits ging das Streben bei
Erlaß dieser Städteordnung schon dahin, die weniger Vermögenden von der
Verwaltung der Städte auszuschließen, denn K 56 bestimmt, daß zu Stadt¬
verordneten nur Bürger gewählt werden dürften, die in dem Stadtbezirk
Grundeigentum hätten, dessen geringster Wert in kleinen Städten nicht unter
tausend Thalern, in größern Städten nicht über zwölftausend Thaler betragen
solle, oder ein jährliches Einkommen, dessen geringster Ertrag sich auf zwei-


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[0314] Das Dreiklassenwahlsystem es noch den Verhältnissen unsrer Zeit entspreche, ist es aber erforderlich, zu zeigen, wie es seiner Zeit entstanden ist und sich entwickelt hat. Die Städte- und Gemeindeordnungen, die nach der Fremdherrschaft im Anfange des Jahrhunderts für Preußen erlassen wurden, enthalten die Drei¬ klassenwahl noch nicht. So gab die Steinsche Städteordnung vom 10. November 1808 bei der Wahl der Stadtverordneten allen Bürgern gleiches Wahlrecht und schloß nur solche Unangesessene davon aus, deren Einkommen in kleinen Städten noch nicht hundertfünfzig Thaler, in großen Städten noch nicht zwei¬ hundert Thaler betrug. Die Stadtverordneten wurden bezirksweise gewählt nach dem Verhältnis der darin wohnenden Bürger und in geheimer Ab¬ stimmung. Die revidirte Städteordnung vom 17. März 1831 machte die Er¬ werbung des Bürgerrechts von einem für damalige Verhältnisse sehr hohen Zensus abhängig: der geringste Wert des Grundeigentums, dessen Besitz zur Erwerbung des Bürgerrechts berechtigte und verpflichtete, sollte in kleinen Städten nicht unter dreihundert Thalern, in größern nicht über zweitausend Thaler betragen, ebenso die geringste Einnahme aus einem stehenden Ge¬ werbe, dessen Betreibung in gleicher Weife zur Erwerbung des Bürgerrechts berechtigte und verpflichtete, zweihundert bis sechshundert Thaler, und daneben waren nur die zur Erwerbung des Bürgerrechts berechtigt, die aus andern Quellen ein Einkommen von wenigstens vierhundert bis zwölfhundert Thalern bezogen und zwei Jahre in der Stadt gewohnt hatten. Aber auch diese Städte¬ ordnung gab zunächst noch allen Bürgern gleiches Wahlrecht. Sie enthielt aber daneben die Bestimmung, daß die Bürger in größern Städten für die Wahl der Stadtverordneten in mehrere Versammlungen zu teilen seien, und zwar nach den Stadtbezirken, worin die Bürger ihre Wohnungen hätten, und sie gestattete insofern eine Klasfeneinteilung, als der K 52 bestimmte: „Diese Verteilung (der Bürger in mehrere Versammlungen) kann ferner in solchen Städten, worin die verschiedenartigen Verhältnisse der Einwohner es rätlich machen, nach Klassen der Bürger geschehen, welche aus der Beschäftigung oder Lebensweise hervorgehen." Die nähere Bestimmung war den Statuten vor¬ behalten. Diese revidirte Städteordnung ist nicht allgemein eingeführt worden, es ist mir auch nicht bekannt, wie weit von der Bestimmung des 8 52 Gebrauch gemacht und wie sie ausgeführt worden ist, jedenfalls war es noch nicht die Absicht, die Klasseneinteilung allein nach der Steuerleistung vorzunehmen und die Zahl der Klassen auf drei festzustellen. Andrerseits ging das Streben bei Erlaß dieser Städteordnung schon dahin, die weniger Vermögenden von der Verwaltung der Städte auszuschließen, denn K 56 bestimmt, daß zu Stadt¬ verordneten nur Bürger gewählt werden dürften, die in dem Stadtbezirk Grundeigentum hätten, dessen geringster Wert in kleinen Städten nicht unter tausend Thalern, in größern Städten nicht über zwölftausend Thaler betragen solle, oder ein jährliches Einkommen, dessen geringster Ertrag sich auf zwei-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/314>, abgerufen am 23.07.2024.