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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Aus den Denkwürdigkeiten zweier Annstforscher

Aber die historischen Stile sind nicht etwa einer durch den andern abgethan
worden. Man hat sie kennen gelernt und versteht darin zu arbeiten. Das
Gewerbe kann jedem Geschmack und allen Ansprüchen genügen. Herstellen
kann man alles, man wartet nur auf die Bestellungen der reichen Gönner, ohne
die auch die Renaissance in Italien nicht hätte leben können. Man hat Farben¬
sinn und Herrschaft über die Form erlangt, man hat Verlorne Techniken er¬
neut, wie Schmiedeeisen und alle Arten des Emails; geblasenes, geschliffnes,
gravirtes Glas übertrifft alles, was in den letzten Jahrhunderten hergestellt
wurde, und wetteifert mit den Gefäßen der Renaissance. Die großen Werk¬
stätten sind auf jeden Wunsch eingerichtet, und an Kennern, die wissen, was
richtig und stilwidrig ist, fehlt es ebensowenig. Es kommt nur auf das
kaufende Publikum an. Was kann man sich alles aussuchen und zusammen¬
stellen nach seinem persönlichen Geschmack, wovon man vor vierzig Jahren
nicht eine Ahnung hatte! Und deswegen, weil vieles darunter billig und
vieles zu billig und darum gering ist, darf man nicht übertreibend behaupten,
das Gute werde nicht mehr gemacht. Gemache wird alles, es muß nur be¬
zahlt werden. "Und das sage ich mit ganz besondrer Beziehung auf Wien
und Österreich. Was fehlt, sind Aufträge, wie sie der Pariser Industrie aus
der ganzen Welt zu teil werden. Die Künstler, Zeichner, Modelleure, die
heute arbeiten, sind jeder Aufgabe gewachsen -- man gebe sie ihnen nur --,
was vor fünfzig Jahren in keiner Weise der Fall war, und die ausführenden
Hände, die Goldschmiede, die Schnitzer, die Emciilleure, die Schlosser wissen
ihren Anforderungen zu folgen. Wo waren sie, die einen wie die andern,
da das Werk der Kunstreform begann?"

Es ist wichtig, auf diesen Teil des Faktischen Buches hinzuweisen, weil
nach dem, was wir in Norddeutschland (München scheint ja noch ganz zu¬
frieden zu sein mit seinen Leistungen) manchmal reden hören und gedruckt
lesen, den Eindruck bekommt, als wären alle diese Bestrebungen fehl geschlagen,
sodaß man die verantwortlichen Männer fragen möchte: Wozu habt ihr denn
das Geld ausgegeben, da man die Erfahrung doch früher machen konnte?
Sollte es nicht doch ganz richtig fein, daß man gut thäte, das Sorgen um
den neuen Stil ganz beiseite zu lasten, da und solange ihn keiner braucht,
weil jeder an den vorhandnen Stilen genug hat? Der Anstoß zu etwas
neuem müßte doch von unten, durch das Verlangen kommen, nicht von oben,
durch das Suchen. Wird das zugegeben, so hat man vielmehr Grund, sich
über die heute gegebne Möglichkeit einer reichen Auswahl zu freuen, und es
kommt auf die Einzelnen an, das richtige zu wählen. Sagen wir also: Das
Kunstgewerbe hat einstweilen seine Arbeit ganz gewiß gethan, denn vielleicht
in keinem gleichen Zeitraume ist so vielerlei und darunter so viel gutes hervor¬
gebracht worden, wie seit vierzig Jahren. Nun kommt die Reihe an das
kaufende und urteilende Publikum, zu zeigen, ob es diesen Reichtum verdient


Grenzboten II 1897 I?
Aus den Denkwürdigkeiten zweier Annstforscher

Aber die historischen Stile sind nicht etwa einer durch den andern abgethan
worden. Man hat sie kennen gelernt und versteht darin zu arbeiten. Das
Gewerbe kann jedem Geschmack und allen Ansprüchen genügen. Herstellen
kann man alles, man wartet nur auf die Bestellungen der reichen Gönner, ohne
die auch die Renaissance in Italien nicht hätte leben können. Man hat Farben¬
sinn und Herrschaft über die Form erlangt, man hat Verlorne Techniken er¬
neut, wie Schmiedeeisen und alle Arten des Emails; geblasenes, geschliffnes,
gravirtes Glas übertrifft alles, was in den letzten Jahrhunderten hergestellt
wurde, und wetteifert mit den Gefäßen der Renaissance. Die großen Werk¬
stätten sind auf jeden Wunsch eingerichtet, und an Kennern, die wissen, was
richtig und stilwidrig ist, fehlt es ebensowenig. Es kommt nur auf das
kaufende Publikum an. Was kann man sich alles aussuchen und zusammen¬
stellen nach seinem persönlichen Geschmack, wovon man vor vierzig Jahren
nicht eine Ahnung hatte! Und deswegen, weil vieles darunter billig und
vieles zu billig und darum gering ist, darf man nicht übertreibend behaupten,
das Gute werde nicht mehr gemacht. Gemache wird alles, es muß nur be¬
zahlt werden. „Und das sage ich mit ganz besondrer Beziehung auf Wien
und Österreich. Was fehlt, sind Aufträge, wie sie der Pariser Industrie aus
der ganzen Welt zu teil werden. Die Künstler, Zeichner, Modelleure, die
heute arbeiten, sind jeder Aufgabe gewachsen — man gebe sie ihnen nur —,
was vor fünfzig Jahren in keiner Weise der Fall war, und die ausführenden
Hände, die Goldschmiede, die Schnitzer, die Emciilleure, die Schlosser wissen
ihren Anforderungen zu folgen. Wo waren sie, die einen wie die andern,
da das Werk der Kunstreform begann?"

Es ist wichtig, auf diesen Teil des Faktischen Buches hinzuweisen, weil
nach dem, was wir in Norddeutschland (München scheint ja noch ganz zu¬
frieden zu sein mit seinen Leistungen) manchmal reden hören und gedruckt
lesen, den Eindruck bekommt, als wären alle diese Bestrebungen fehl geschlagen,
sodaß man die verantwortlichen Männer fragen möchte: Wozu habt ihr denn
das Geld ausgegeben, da man die Erfahrung doch früher machen konnte?
Sollte es nicht doch ganz richtig fein, daß man gut thäte, das Sorgen um
den neuen Stil ganz beiseite zu lasten, da und solange ihn keiner braucht,
weil jeder an den vorhandnen Stilen genug hat? Der Anstoß zu etwas
neuem müßte doch von unten, durch das Verlangen kommen, nicht von oben,
durch das Suchen. Wird das zugegeben, so hat man vielmehr Grund, sich
über die heute gegebne Möglichkeit einer reichen Auswahl zu freuen, und es
kommt auf die Einzelnen an, das richtige zu wählen. Sagen wir also: Das
Kunstgewerbe hat einstweilen seine Arbeit ganz gewiß gethan, denn vielleicht
in keinem gleichen Zeitraume ist so vielerlei und darunter so viel gutes hervor¬
gebracht worden, wie seit vierzig Jahren. Nun kommt die Reihe an das
kaufende und urteilende Publikum, zu zeigen, ob es diesen Reichtum verdient


Grenzboten II 1897 I?
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[0297] Aus den Denkwürdigkeiten zweier Annstforscher Aber die historischen Stile sind nicht etwa einer durch den andern abgethan worden. Man hat sie kennen gelernt und versteht darin zu arbeiten. Das Gewerbe kann jedem Geschmack und allen Ansprüchen genügen. Herstellen kann man alles, man wartet nur auf die Bestellungen der reichen Gönner, ohne die auch die Renaissance in Italien nicht hätte leben können. Man hat Farben¬ sinn und Herrschaft über die Form erlangt, man hat Verlorne Techniken er¬ neut, wie Schmiedeeisen und alle Arten des Emails; geblasenes, geschliffnes, gravirtes Glas übertrifft alles, was in den letzten Jahrhunderten hergestellt wurde, und wetteifert mit den Gefäßen der Renaissance. Die großen Werk¬ stätten sind auf jeden Wunsch eingerichtet, und an Kennern, die wissen, was richtig und stilwidrig ist, fehlt es ebensowenig. Es kommt nur auf das kaufende Publikum an. Was kann man sich alles aussuchen und zusammen¬ stellen nach seinem persönlichen Geschmack, wovon man vor vierzig Jahren nicht eine Ahnung hatte! Und deswegen, weil vieles darunter billig und vieles zu billig und darum gering ist, darf man nicht übertreibend behaupten, das Gute werde nicht mehr gemacht. Gemache wird alles, es muß nur be¬ zahlt werden. „Und das sage ich mit ganz besondrer Beziehung auf Wien und Österreich. Was fehlt, sind Aufträge, wie sie der Pariser Industrie aus der ganzen Welt zu teil werden. Die Künstler, Zeichner, Modelleure, die heute arbeiten, sind jeder Aufgabe gewachsen — man gebe sie ihnen nur —, was vor fünfzig Jahren in keiner Weise der Fall war, und die ausführenden Hände, die Goldschmiede, die Schnitzer, die Emciilleure, die Schlosser wissen ihren Anforderungen zu folgen. Wo waren sie, die einen wie die andern, da das Werk der Kunstreform begann?" Es ist wichtig, auf diesen Teil des Faktischen Buches hinzuweisen, weil nach dem, was wir in Norddeutschland (München scheint ja noch ganz zu¬ frieden zu sein mit seinen Leistungen) manchmal reden hören und gedruckt lesen, den Eindruck bekommt, als wären alle diese Bestrebungen fehl geschlagen, sodaß man die verantwortlichen Männer fragen möchte: Wozu habt ihr denn das Geld ausgegeben, da man die Erfahrung doch früher machen konnte? Sollte es nicht doch ganz richtig fein, daß man gut thäte, das Sorgen um den neuen Stil ganz beiseite zu lasten, da und solange ihn keiner braucht, weil jeder an den vorhandnen Stilen genug hat? Der Anstoß zu etwas neuem müßte doch von unten, durch das Verlangen kommen, nicht von oben, durch das Suchen. Wird das zugegeben, so hat man vielmehr Grund, sich über die heute gegebne Möglichkeit einer reichen Auswahl zu freuen, und es kommt auf die Einzelnen an, das richtige zu wählen. Sagen wir also: Das Kunstgewerbe hat einstweilen seine Arbeit ganz gewiß gethan, denn vielleicht in keinem gleichen Zeitraume ist so vielerlei und darunter so viel gutes hervor¬ gebracht worden, wie seit vierzig Jahren. Nun kommt die Reihe an das kaufende und urteilende Publikum, zu zeigen, ob es diesen Reichtum verdient Grenzboten II 1897 I?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/297>, abgerufen am 23.07.2024.