Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.Midaskinder staubten Kleider, Ernst an die Abfahrzeit des Postwagens, mit dem er sein nächstes Sie sahen sich in ein Helles, wohlgeordnetes Wohnzimmer geführt, in dem Aber wir stören! O Sie derangiren mich gar nicht! Wir Unterthörer sind auf Besuch aus, wie Ja, sagte Viktor, ich bin von Herrn Allgnuer in Haßlach wegen einer Aus¬ Das finde ich eben aber wirklich ganz scharmant, rief das kleine alte Fräulein, Bei diesen Worten sah sie die Freunde unaussprechlich freundlich an und nickte, Nun! der Bruder kommt in wenigen Minuten aus dein Pädagogium, um Während dieser Worte hatte sie eine alte, ganz verblaßte, reine gelbe Kaffee¬ Hätten Sie in der Stadt nach uns gefragt, wisse" Sie, was man da gesagt Zwischen diesen Reden hantirte das Franken Charmänterle aufs zierlichste an Endlich kam zu all dem Alten, Harmlosen, Feinen und Feierlich-Anmutigen Midaskinder staubten Kleider, Ernst an die Abfahrzeit des Postwagens, mit dem er sein nächstes Sie sahen sich in ein Helles, wohlgeordnetes Wohnzimmer geführt, in dem Aber wir stören! O Sie derangiren mich gar nicht! Wir Unterthörer sind auf Besuch aus, wie Ja, sagte Viktor, ich bin von Herrn Allgnuer in Haßlach wegen einer Aus¬ Das finde ich eben aber wirklich ganz scharmant, rief das kleine alte Fräulein, Bei diesen Worten sah sie die Freunde unaussprechlich freundlich an und nickte, Nun! der Bruder kommt in wenigen Minuten aus dein Pädagogium, um Während dieser Worte hatte sie eine alte, ganz verblaßte, reine gelbe Kaffee¬ Hätten Sie in der Stadt nach uns gefragt, wisse« Sie, was man da gesagt Zwischen diesen Reden hantirte das Franken Charmänterle aufs zierlichste an Endlich kam zu all dem Alten, Harmlosen, Feinen und Feierlich-Anmutigen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0253" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/225181"/> <fw type="header" place="top"> Midaskinder</fw><lb/> <p xml:id="ID_842" prev="#ID_841"> staubten Kleider, Ernst an die Abfahrzeit des Postwagens, mit dem er sein nächstes<lb/> Ziel in später Nachtstunde erreichen sollte. Über beides beruhigte das Fräulein,<lb/> und so folgten sie der wiederholten auffordernden Handbewegung, indem sie mit<lb/> Vorsicht nu den regungslos dasitzenden und sie anstarrenden Kindern vorüber die<lb/> Stufen der Vortreppe hinausgingen.</p><lb/> <p xml:id="ID_843"> Sie sahen sich in ein Helles, wohlgeordnetes Wohnzimmer geführt, in dem<lb/> nichts neu war; die Seichte hatten eine alte Form, der Sofaüberzug war aus aller<lb/> Mode, alle Gelüste eines Antiqnitätenjägers hätte die Kommode aufgestachelt, und<lb/> selbst der Vogelbauer war noch ein Geschenk des Urgroßvaters um die Urgroßmutter.<lb/> Nehmen Sie Platz, sagte das alte Fräulein mit gutherzigen Eifer.</p><lb/> <p xml:id="ID_844"> Aber wir stören!</p><lb/> <p xml:id="ID_845"> O Sie derangiren mich gar nicht! Wir Unterthörer sind auf Besuch aus, wie<lb/> der Kibitz auf Kunden, denn wir wohnen am ander» Ende der Welt; bis zur Kirche<lb/> habe ich zehn Minuten und bis zur Base Schlemperlein eine Viertelstunde, da sieht<lb/> man sich eben nur alle Jubeljahr einmal. Und Sie suchten meinen Bruder?</p><lb/> <p xml:id="ID_846"> Ja, sagte Viktor, ich bin von Herrn Allgnuer in Haßlach wegen einer Aus¬<lb/> kunft an ihn gewiesen.</p><lb/> <p xml:id="ID_847"> Das finde ich eben aber wirklich ganz scharmant, rief das kleine alte Fräulein,<lb/> daß Sie da gleich vor die rechte Thür kommen! Und vom lieben Herrn Allgauer!<lb/> Drum eben fanden Sie uus gleich: kinderlieb, göttlich, nnslicb!</p><lb/> <p xml:id="ID_848"> Bei diesen Worten sah sie die Freunde unaussprechlich freundlich an und nickte,<lb/> daß die Schlüssel am Schlüsselringe im Gürtel klirrten.</p><lb/> <p xml:id="ID_849"> Nun! der Bruder kommt in wenigen Minuten aus dein Pädagogium, um<lb/> vier Uhr ist sein Unterricht heute aus. Sind Sie morgen noch da, so steht Ihnen<lb/> sein freier Nachmittag zu Diensten. Heute geht er um fünf Uhr in die Montags¬<lb/> gesellschaft. Da schlagen Sie drei Fliegen mit einer Klappe: Sie finden dort Ihr<lb/> Hotel, den Postwagen und die Kapazität von An im Winkel.</p><lb/> <p xml:id="ID_850"> Während dieser Worte hatte sie eine alte, ganz verblaßte, reine gelbe Kaffee¬<lb/> decke über den Tisch ausgebreitet, eine ebenso alte gelblackirte Zuckerdose aus Blech<lb/> aufgestellt, frisches Brot zurechtgelegt und immer im Ordnen behaglich und zu¬<lb/> traulich weitergeplaudert.</p><lb/> <p xml:id="ID_851"> Hätten Sie in der Stadt nach uns gefragt, wisse« Sie, was man da gesagt<lb/> hätte, wenn Sie an die rechten Leute gekommen wären, und die fehlen bei uns<lb/> nicht, Gott seis geklagt; die hätten gesagt: Der Herr Meschiinterle wohnt am Unter¬<lb/> thor! Jetzt ärgeres mich ja nicht mehr, Gott sei Dank; wenn man in dem Alter<lb/> ist, wo die Nasen avanciren und die Wangen retiriren, dn läßt man die Leute rede»,<lb/> was sie wollen. Aber wie ich jung war, hats mir doch immer einen Stich ge¬<lb/> geben. Wie es hinauskam, weiß ich nicht, denn so was hängt man nicht an die<lb/> große Glocke, pu- «v — gut, ich nannte meinen lieben Bruder Herr Meschänterlc,<lb/> weil er mich Jungfer Charmänterle nannte. Die Neckerei schwirrte eben zum offnen<lb/> Fenster hinaus, und was fliegen soll, fliegt, sagte der Bauer, als er die Mücke<lb/> nicht fangen konnte.</p><lb/> <p xml:id="ID_852"> Zwischen diesen Reden hantirte das Franken Charmänterle aufs zierlichste an<lb/> dem Tische und zwischen Tisch und Küche, daß Viktor ihr mit fröhlichen Augen<lb/> zusah. Statt zwei Tassen kamen vier ans den Tisch, Tassen mit alten Formen und<lb/> alter Bemalung, und die silbernen Löffel dabei, Löffelchen wie für eine Puppen-<lb/> küche, stritten.mit den Tassen um den Altersvvrtritt.</p><lb/> <p xml:id="ID_853" next="#ID_854"> Endlich kam zu all dem Alten, Harmlosen, Feinen und Feierlich-Anmutigen<lb/> der Hausbesitzer selbst, der Herr Prttzeptor Röhrle, eine feine, gleichmäßige Gestalt,<lb/> auch schon ein ergrauender Mann. Er trat still ins Zimmer und ging mit</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0253]
Midaskinder
staubten Kleider, Ernst an die Abfahrzeit des Postwagens, mit dem er sein nächstes
Ziel in später Nachtstunde erreichen sollte. Über beides beruhigte das Fräulein,
und so folgten sie der wiederholten auffordernden Handbewegung, indem sie mit
Vorsicht nu den regungslos dasitzenden und sie anstarrenden Kindern vorüber die
Stufen der Vortreppe hinausgingen.
Sie sahen sich in ein Helles, wohlgeordnetes Wohnzimmer geführt, in dem
nichts neu war; die Seichte hatten eine alte Form, der Sofaüberzug war aus aller
Mode, alle Gelüste eines Antiqnitätenjägers hätte die Kommode aufgestachelt, und
selbst der Vogelbauer war noch ein Geschenk des Urgroßvaters um die Urgroßmutter.
Nehmen Sie Platz, sagte das alte Fräulein mit gutherzigen Eifer.
Aber wir stören!
O Sie derangiren mich gar nicht! Wir Unterthörer sind auf Besuch aus, wie
der Kibitz auf Kunden, denn wir wohnen am ander» Ende der Welt; bis zur Kirche
habe ich zehn Minuten und bis zur Base Schlemperlein eine Viertelstunde, da sieht
man sich eben nur alle Jubeljahr einmal. Und Sie suchten meinen Bruder?
Ja, sagte Viktor, ich bin von Herrn Allgnuer in Haßlach wegen einer Aus¬
kunft an ihn gewiesen.
Das finde ich eben aber wirklich ganz scharmant, rief das kleine alte Fräulein,
daß Sie da gleich vor die rechte Thür kommen! Und vom lieben Herrn Allgauer!
Drum eben fanden Sie uus gleich: kinderlieb, göttlich, nnslicb!
Bei diesen Worten sah sie die Freunde unaussprechlich freundlich an und nickte,
daß die Schlüssel am Schlüsselringe im Gürtel klirrten.
Nun! der Bruder kommt in wenigen Minuten aus dein Pädagogium, um
vier Uhr ist sein Unterricht heute aus. Sind Sie morgen noch da, so steht Ihnen
sein freier Nachmittag zu Diensten. Heute geht er um fünf Uhr in die Montags¬
gesellschaft. Da schlagen Sie drei Fliegen mit einer Klappe: Sie finden dort Ihr
Hotel, den Postwagen und die Kapazität von An im Winkel.
Während dieser Worte hatte sie eine alte, ganz verblaßte, reine gelbe Kaffee¬
decke über den Tisch ausgebreitet, eine ebenso alte gelblackirte Zuckerdose aus Blech
aufgestellt, frisches Brot zurechtgelegt und immer im Ordnen behaglich und zu¬
traulich weitergeplaudert.
Hätten Sie in der Stadt nach uns gefragt, wisse« Sie, was man da gesagt
hätte, wenn Sie an die rechten Leute gekommen wären, und die fehlen bei uns
nicht, Gott seis geklagt; die hätten gesagt: Der Herr Meschiinterle wohnt am Unter¬
thor! Jetzt ärgeres mich ja nicht mehr, Gott sei Dank; wenn man in dem Alter
ist, wo die Nasen avanciren und die Wangen retiriren, dn läßt man die Leute rede»,
was sie wollen. Aber wie ich jung war, hats mir doch immer einen Stich ge¬
geben. Wie es hinauskam, weiß ich nicht, denn so was hängt man nicht an die
große Glocke, pu- «v — gut, ich nannte meinen lieben Bruder Herr Meschänterlc,
weil er mich Jungfer Charmänterle nannte. Die Neckerei schwirrte eben zum offnen
Fenster hinaus, und was fliegen soll, fliegt, sagte der Bauer, als er die Mücke
nicht fangen konnte.
Zwischen diesen Reden hantirte das Franken Charmänterle aufs zierlichste an
dem Tische und zwischen Tisch und Küche, daß Viktor ihr mit fröhlichen Augen
zusah. Statt zwei Tassen kamen vier ans den Tisch, Tassen mit alten Formen und
alter Bemalung, und die silbernen Löffel dabei, Löffelchen wie für eine Puppen-
küche, stritten.mit den Tassen um den Altersvvrtritt.
Endlich kam zu all dem Alten, Harmlosen, Feinen und Feierlich-Anmutigen
der Hausbesitzer selbst, der Herr Prttzeptor Röhrle, eine feine, gleichmäßige Gestalt,
auch schon ein ergrauender Mann. Er trat still ins Zimmer und ging mit
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