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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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planen und Wallonen

Auch das haben die Wallonen mit den Franzosen gemein, daß sie für
fremdes Volkstum keine Liebe zeigen und sich deshalb selten die Mühe nehmen,
Vlämisch zu lernen. Wenn man hört, mit welch unglaublicher Unwissenheit
wallonische Senatoren über die vlämische Sprache reden, mit welcher Über-
hebung und Verachtung sie oft über die Bestrebungen der Vlcimländer sprechen,
dann fällt einem unwillkürlich der alte Spruch ein: Wen die Götter ver¬
derben Wollen, den schlagen sie mit Blindheit. So haben sich die Senatoren
nicht gescheut, die Vlamen öffentlich ^Jani<znäikmt8 zu nennen, um anzudeuten,
daß sie nicht mehr als Bettler seien. Dieser Mangel an Gerechtigkeitsgefühl
zeigt aber nur, daß es um ihre Sache schlecht stehen muß; denn fühlten sie
sich wirklich stark, so könnten sie ja leicht den Gegnern alle Forderungen be¬
willigen und doch ihren alten Einfluß behaupten, sie würden auch nicht zu
verwerflichen Mitteln greifen, um ihn aufrecht zu erhalten. So aber zeigen
sie dnrch ihr unritterliches Versälle" nur zu deutlich ihre Schwäche; all ihr
Reichtum, den sie durch eine bedeutende Industrie erworben haben, kann ihre
geistige Armut nicht verdecken. Ihrem Charakter ist der germanische Idealismus
fremd. Sie sind nüchtern, positiv, sinnlich, raffinirt, gute Advokaten und
Industrielle, aber hohe geistige Leistungen darf man von ihnen nicht erwarten.

Die Gegner der Wallonen sind die Vlamlündcr oder Vläminge, die den
nordwestlichen Teil Belgiens bewohnen. Ihr Name geht (nach Professor
Kurth an der Universität zu Lüttich) auf das lateinische xls.na, Ebene zurück,
hat also dieselbe Abstammung und Bedeutung wie das spanische Ilano in Süd¬
amerika. Sie selbst nennen sich Vlamingen und ihr Land Vlcianderen, ihre
Sprache Iiet Vlaamsoll, das Vlämische, oder auch äistsens Wal, die deutsche
Sprache ("Gezahl"). Schon durch die Benennung cliotsou wird angezeigt, daß
sie dem deutschen Sprachstämme angehören, wenn sie auch durch die lang¬
jährige politische Trennung das Bewußtsein dafür verloren haben. Ihre
Sprache ist sogar reiner als die hochdeutsche, da sie alle Fremdwörter zu
vermeiden sucht, und sie ist auch in vielen Punkten reicher geblieben. So hat
man nicht weniger als drei Wörter für "Sprache." lÄal und M-aalc unter¬
scheiden sich etwa wie im Französischen largus und lanzaZs: also man spricht
z. B. von einer neäerämtsolls kaat, aber von stouw svraak (stolzer Sprache).
Daneben gebraucht man noch das Wort tolle (englisch olle), wofür man im
heutigen Hochdeutsch etwa Stimme oder "Organ" sagen würde, z. B. tolle avr
log'öukanring' "Organ der Opposition" ("Gegenkantung"), oder, wie ich in der
letzten Nummer von Vlaamson su Vrij ("Vlämisch und frei") bei der Be¬
sprechung der neuen Zeitschrift "Alldeutschland" finde: esu v<zrt>romvvar<z tolle
voor vis as ^Icluitsode bsvöglnA Kenruzn on, "ein zuverlässiges Organ für
den, der die altdeutsche Bewegung kennen lernen will."

Um einen Begriff der Sprache zu geben, will ich einige Verse aus
einem Gelegenheitsgedicht in deutscher Rechtschreibung anführen, das kürzlich


planen und Wallonen

Auch das haben die Wallonen mit den Franzosen gemein, daß sie für
fremdes Volkstum keine Liebe zeigen und sich deshalb selten die Mühe nehmen,
Vlämisch zu lernen. Wenn man hört, mit welch unglaublicher Unwissenheit
wallonische Senatoren über die vlämische Sprache reden, mit welcher Über-
hebung und Verachtung sie oft über die Bestrebungen der Vlcimländer sprechen,
dann fällt einem unwillkürlich der alte Spruch ein: Wen die Götter ver¬
derben Wollen, den schlagen sie mit Blindheit. So haben sich die Senatoren
nicht gescheut, die Vlamen öffentlich ^Jani<znäikmt8 zu nennen, um anzudeuten,
daß sie nicht mehr als Bettler seien. Dieser Mangel an Gerechtigkeitsgefühl
zeigt aber nur, daß es um ihre Sache schlecht stehen muß; denn fühlten sie
sich wirklich stark, so könnten sie ja leicht den Gegnern alle Forderungen be¬
willigen und doch ihren alten Einfluß behaupten, sie würden auch nicht zu
verwerflichen Mitteln greifen, um ihn aufrecht zu erhalten. So aber zeigen
sie dnrch ihr unritterliches Versälle» nur zu deutlich ihre Schwäche; all ihr
Reichtum, den sie durch eine bedeutende Industrie erworben haben, kann ihre
geistige Armut nicht verdecken. Ihrem Charakter ist der germanische Idealismus
fremd. Sie sind nüchtern, positiv, sinnlich, raffinirt, gute Advokaten und
Industrielle, aber hohe geistige Leistungen darf man von ihnen nicht erwarten.

Die Gegner der Wallonen sind die Vlamlündcr oder Vläminge, die den
nordwestlichen Teil Belgiens bewohnen. Ihr Name geht (nach Professor
Kurth an der Universität zu Lüttich) auf das lateinische xls.na, Ebene zurück,
hat also dieselbe Abstammung und Bedeutung wie das spanische Ilano in Süd¬
amerika. Sie selbst nennen sich Vlamingen und ihr Land Vlcianderen, ihre
Sprache Iiet Vlaamsoll, das Vlämische, oder auch äistsens Wal, die deutsche
Sprache („Gezahl"). Schon durch die Benennung cliotsou wird angezeigt, daß
sie dem deutschen Sprachstämme angehören, wenn sie auch durch die lang¬
jährige politische Trennung das Bewußtsein dafür verloren haben. Ihre
Sprache ist sogar reiner als die hochdeutsche, da sie alle Fremdwörter zu
vermeiden sucht, und sie ist auch in vielen Punkten reicher geblieben. So hat
man nicht weniger als drei Wörter für „Sprache." lÄal und M-aalc unter¬
scheiden sich etwa wie im Französischen largus und lanzaZs: also man spricht
z. B. von einer neäerämtsolls kaat, aber von stouw svraak (stolzer Sprache).
Daneben gebraucht man noch das Wort tolle (englisch olle), wofür man im
heutigen Hochdeutsch etwa Stimme oder „Organ" sagen würde, z. B. tolle avr
log'öukanring' „Organ der Opposition" („Gegenkantung"), oder, wie ich in der
letzten Nummer von Vlaamson su Vrij („Vlämisch und frei") bei der Be¬
sprechung der neuen Zeitschrift „Alldeutschland" finde: esu v<zrt>romvvar<z tolle
voor vis as ^Icluitsode bsvöglnA Kenruzn on, „ein zuverlässiges Organ für
den, der die altdeutsche Bewegung kennen lernen will."

Um einen Begriff der Sprache zu geben, will ich einige Verse aus
einem Gelegenheitsgedicht in deutscher Rechtschreibung anführen, das kürzlich


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[0245] planen und Wallonen Auch das haben die Wallonen mit den Franzosen gemein, daß sie für fremdes Volkstum keine Liebe zeigen und sich deshalb selten die Mühe nehmen, Vlämisch zu lernen. Wenn man hört, mit welch unglaublicher Unwissenheit wallonische Senatoren über die vlämische Sprache reden, mit welcher Über- hebung und Verachtung sie oft über die Bestrebungen der Vlcimländer sprechen, dann fällt einem unwillkürlich der alte Spruch ein: Wen die Götter ver¬ derben Wollen, den schlagen sie mit Blindheit. So haben sich die Senatoren nicht gescheut, die Vlamen öffentlich ^Jani<znäikmt8 zu nennen, um anzudeuten, daß sie nicht mehr als Bettler seien. Dieser Mangel an Gerechtigkeitsgefühl zeigt aber nur, daß es um ihre Sache schlecht stehen muß; denn fühlten sie sich wirklich stark, so könnten sie ja leicht den Gegnern alle Forderungen be¬ willigen und doch ihren alten Einfluß behaupten, sie würden auch nicht zu verwerflichen Mitteln greifen, um ihn aufrecht zu erhalten. So aber zeigen sie dnrch ihr unritterliches Versälle» nur zu deutlich ihre Schwäche; all ihr Reichtum, den sie durch eine bedeutende Industrie erworben haben, kann ihre geistige Armut nicht verdecken. Ihrem Charakter ist der germanische Idealismus fremd. Sie sind nüchtern, positiv, sinnlich, raffinirt, gute Advokaten und Industrielle, aber hohe geistige Leistungen darf man von ihnen nicht erwarten. Die Gegner der Wallonen sind die Vlamlündcr oder Vläminge, die den nordwestlichen Teil Belgiens bewohnen. Ihr Name geht (nach Professor Kurth an der Universität zu Lüttich) auf das lateinische xls.na, Ebene zurück, hat also dieselbe Abstammung und Bedeutung wie das spanische Ilano in Süd¬ amerika. Sie selbst nennen sich Vlamingen und ihr Land Vlcianderen, ihre Sprache Iiet Vlaamsoll, das Vlämische, oder auch äistsens Wal, die deutsche Sprache („Gezahl"). Schon durch die Benennung cliotsou wird angezeigt, daß sie dem deutschen Sprachstämme angehören, wenn sie auch durch die lang¬ jährige politische Trennung das Bewußtsein dafür verloren haben. Ihre Sprache ist sogar reiner als die hochdeutsche, da sie alle Fremdwörter zu vermeiden sucht, und sie ist auch in vielen Punkten reicher geblieben. So hat man nicht weniger als drei Wörter für „Sprache." lÄal und M-aalc unter¬ scheiden sich etwa wie im Französischen largus und lanzaZs: also man spricht z. B. von einer neäerämtsolls kaat, aber von stouw svraak (stolzer Sprache). Daneben gebraucht man noch das Wort tolle (englisch olle), wofür man im heutigen Hochdeutsch etwa Stimme oder „Organ" sagen würde, z. B. tolle avr log'öukanring' „Organ der Opposition" („Gegenkantung"), oder, wie ich in der letzten Nummer von Vlaamson su Vrij („Vlämisch und frei") bei der Be¬ sprechung der neuen Zeitschrift „Alldeutschland" finde: esu v<zrt>romvvar<z tolle voor vis as ^Icluitsode bsvöglnA Kenruzn on, „ein zuverlässiges Organ für den, der die altdeutsche Bewegung kennen lernen will." Um einen Begriff der Sprache zu geben, will ich einige Verse aus einem Gelegenheitsgedicht in deutscher Rechtschreibung anführen, das kürzlich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/245>, abgerufen am 23.07.2024.