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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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München und Konstanz

sollen, rede ich nicht), aber diese Heiligen und Helden sind ja meistens lackirt;
kratzt man den Legendenlack herunter, so sindet man genug des Heitern. Die
echten Heroen verschmähen den Lack. Cäsar hatte nichts dagegen, daß seine
Soldaten Spottlieder auf ihn sangen, und Sokrates saß bei der Aufführung
der Wolken in der ersten Reihe, und als seine Karikatur auf der Bühne erschien,
drehte er sich um, damit sich die Zuschauer überzeugen könnten, ob die Maske
getroffen sei. Mit Aristophanes blieb er gut Freund, und der Verehrung,
die er bei seinen Anhängern genoß, that die Verspottung keinen Eintrag.

Die Arbeit für den Merkur -- ich war der Hnuptmitarbeiter; außerdem
lieferten die Professoren Neusch und Michelis das meiste -- füllte meine Zeit
so ziemlich aus. Da ich des Morgens zeitig anzufangen Pflege, habe ichs um
12 Uhr gewöhnlich satt. In München rückte ich -- wenn ich nicht gerade
um diese Zeit auf der Bibliothek zu thun hatte -- regelmüßig Punkt
12 Uhr mit der Wachtparade aus, die damals von der Türkenkaserne gestellt
wurde, und freute mich über den mitmarschirenden Trupp junger Arbeiter und
Handwerksgesellen, die allesamt gläubige Sozialdemokraten und zugleich warme
Verehrer der forschen Militärmusik waren. Ich marschirte mit bis zur Feld¬
herrnhalle und bog dann in den englischen Garten ab, da man bei Heat erst
um 1 Uhr Mittagessen bekommt. Bei Regenwetter brachte ich die Stunde in
einer der "Theken" zu. Nach dem Kaffee wurden im Museum Zeitungen
und Zeitschriften gelesen. Die Abende verlebte ich im Sommer im Freien, im
Winter oft bei meinen Wirtsleuten, manchmal im Caso Heat, wo man ge¬
wöhnlich ein paar altkatholische und auch andre Professoren traf. Besonders
lieb waren mir unter ihnen Stieve und der leider in den besten Jahren ver-
stvrbne von Drusfel, die mir sehr freundschaftlich gesinnt waren, und die ich
auch öfter bei Lossen traf, in dessen angenehmem Familienkreise ich, so oft es
anging, die Sonntagnachmittage und Abende zubrachte.

Gottesdienst hatte ich fast alle Sonntage zu halten. Manchmal in der
Kirche auf dem Gasteig, am äußersten Ostende Münchens, jenseits der Maxi¬
miliansbrücke. Es war sehr freundlich von den guten Münchnern gewesen,
daß sie den Altkatholiken gerade dieses Kirchlein angewiesen hatten, wodurch
sie, von ihrem römisch-katholischen Moralstandpunkte aus gesprochen, die Ver¬
dienstlichkeit des Kirchenbesuchs nicht wenig steigerten. Ein Richter, der eine
volle Stunde zu marschiren hatte, kam stets und bei jedem Wetter mit seiner
Frau, und immer zu Fuß; auch I)r. Lossen, der -- sein Haus steht in der
Kaulbachstraße -- ziemlich weit hat, fehlte niemals. Das Kirchlein war immer
dicht gefüllt, und die regelmäßigen Besucher waren zweifellos aufrichtig religiös
gesinnte Leute. Am häufigsten hielt ich in Mehring Gottesdienst. Mehring ist
ein Flecken zwischen München und Augsburg, dessen Pfarrer, Renftle hieß er,-
sich gegen die vatikanischen Dekrete erklärt hatte. Da die bairische Negierung
diese als nicht vorhanden behandelte, konnte sie die dagegen protestirenden


München und Konstanz

sollen, rede ich nicht), aber diese Heiligen und Helden sind ja meistens lackirt;
kratzt man den Legendenlack herunter, so sindet man genug des Heitern. Die
echten Heroen verschmähen den Lack. Cäsar hatte nichts dagegen, daß seine
Soldaten Spottlieder auf ihn sangen, und Sokrates saß bei der Aufführung
der Wolken in der ersten Reihe, und als seine Karikatur auf der Bühne erschien,
drehte er sich um, damit sich die Zuschauer überzeugen könnten, ob die Maske
getroffen sei. Mit Aristophanes blieb er gut Freund, und der Verehrung,
die er bei seinen Anhängern genoß, that die Verspottung keinen Eintrag.

Die Arbeit für den Merkur — ich war der Hnuptmitarbeiter; außerdem
lieferten die Professoren Neusch und Michelis das meiste — füllte meine Zeit
so ziemlich aus. Da ich des Morgens zeitig anzufangen Pflege, habe ichs um
12 Uhr gewöhnlich satt. In München rückte ich — wenn ich nicht gerade
um diese Zeit auf der Bibliothek zu thun hatte — regelmüßig Punkt
12 Uhr mit der Wachtparade aus, die damals von der Türkenkaserne gestellt
wurde, und freute mich über den mitmarschirenden Trupp junger Arbeiter und
Handwerksgesellen, die allesamt gläubige Sozialdemokraten und zugleich warme
Verehrer der forschen Militärmusik waren. Ich marschirte mit bis zur Feld¬
herrnhalle und bog dann in den englischen Garten ab, da man bei Heat erst
um 1 Uhr Mittagessen bekommt. Bei Regenwetter brachte ich die Stunde in
einer der „Theken" zu. Nach dem Kaffee wurden im Museum Zeitungen
und Zeitschriften gelesen. Die Abende verlebte ich im Sommer im Freien, im
Winter oft bei meinen Wirtsleuten, manchmal im Caso Heat, wo man ge¬
wöhnlich ein paar altkatholische und auch andre Professoren traf. Besonders
lieb waren mir unter ihnen Stieve und der leider in den besten Jahren ver-
stvrbne von Drusfel, die mir sehr freundschaftlich gesinnt waren, und die ich
auch öfter bei Lossen traf, in dessen angenehmem Familienkreise ich, so oft es
anging, die Sonntagnachmittage und Abende zubrachte.

Gottesdienst hatte ich fast alle Sonntage zu halten. Manchmal in der
Kirche auf dem Gasteig, am äußersten Ostende Münchens, jenseits der Maxi¬
miliansbrücke. Es war sehr freundlich von den guten Münchnern gewesen,
daß sie den Altkatholiken gerade dieses Kirchlein angewiesen hatten, wodurch
sie, von ihrem römisch-katholischen Moralstandpunkte aus gesprochen, die Ver¬
dienstlichkeit des Kirchenbesuchs nicht wenig steigerten. Ein Richter, der eine
volle Stunde zu marschiren hatte, kam stets und bei jedem Wetter mit seiner
Frau, und immer zu Fuß; auch I)r. Lossen, der — sein Haus steht in der
Kaulbachstraße — ziemlich weit hat, fehlte niemals. Das Kirchlein war immer
dicht gefüllt, und die regelmäßigen Besucher waren zweifellos aufrichtig religiös
gesinnte Leute. Am häufigsten hielt ich in Mehring Gottesdienst. Mehring ist
ein Flecken zwischen München und Augsburg, dessen Pfarrer, Renftle hieß er,-
sich gegen die vatikanischen Dekrete erklärt hatte. Da die bairische Negierung
diese als nicht vorhanden behandelte, konnte sie die dagegen protestirenden


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[0234] München und Konstanz sollen, rede ich nicht), aber diese Heiligen und Helden sind ja meistens lackirt; kratzt man den Legendenlack herunter, so sindet man genug des Heitern. Die echten Heroen verschmähen den Lack. Cäsar hatte nichts dagegen, daß seine Soldaten Spottlieder auf ihn sangen, und Sokrates saß bei der Aufführung der Wolken in der ersten Reihe, und als seine Karikatur auf der Bühne erschien, drehte er sich um, damit sich die Zuschauer überzeugen könnten, ob die Maske getroffen sei. Mit Aristophanes blieb er gut Freund, und der Verehrung, die er bei seinen Anhängern genoß, that die Verspottung keinen Eintrag. Die Arbeit für den Merkur — ich war der Hnuptmitarbeiter; außerdem lieferten die Professoren Neusch und Michelis das meiste — füllte meine Zeit so ziemlich aus. Da ich des Morgens zeitig anzufangen Pflege, habe ichs um 12 Uhr gewöhnlich satt. In München rückte ich — wenn ich nicht gerade um diese Zeit auf der Bibliothek zu thun hatte — regelmüßig Punkt 12 Uhr mit der Wachtparade aus, die damals von der Türkenkaserne gestellt wurde, und freute mich über den mitmarschirenden Trupp junger Arbeiter und Handwerksgesellen, die allesamt gläubige Sozialdemokraten und zugleich warme Verehrer der forschen Militärmusik waren. Ich marschirte mit bis zur Feld¬ herrnhalle und bog dann in den englischen Garten ab, da man bei Heat erst um 1 Uhr Mittagessen bekommt. Bei Regenwetter brachte ich die Stunde in einer der „Theken" zu. Nach dem Kaffee wurden im Museum Zeitungen und Zeitschriften gelesen. Die Abende verlebte ich im Sommer im Freien, im Winter oft bei meinen Wirtsleuten, manchmal im Caso Heat, wo man ge¬ wöhnlich ein paar altkatholische und auch andre Professoren traf. Besonders lieb waren mir unter ihnen Stieve und der leider in den besten Jahren ver- stvrbne von Drusfel, die mir sehr freundschaftlich gesinnt waren, und die ich auch öfter bei Lossen traf, in dessen angenehmem Familienkreise ich, so oft es anging, die Sonntagnachmittage und Abende zubrachte. Gottesdienst hatte ich fast alle Sonntage zu halten. Manchmal in der Kirche auf dem Gasteig, am äußersten Ostende Münchens, jenseits der Maxi¬ miliansbrücke. Es war sehr freundlich von den guten Münchnern gewesen, daß sie den Altkatholiken gerade dieses Kirchlein angewiesen hatten, wodurch sie, von ihrem römisch-katholischen Moralstandpunkte aus gesprochen, die Ver¬ dienstlichkeit des Kirchenbesuchs nicht wenig steigerten. Ein Richter, der eine volle Stunde zu marschiren hatte, kam stets und bei jedem Wetter mit seiner Frau, und immer zu Fuß; auch I)r. Lossen, der — sein Haus steht in der Kaulbachstraße — ziemlich weit hat, fehlte niemals. Das Kirchlein war immer dicht gefüllt, und die regelmäßigen Besucher waren zweifellos aufrichtig religiös gesinnte Leute. Am häufigsten hielt ich in Mehring Gottesdienst. Mehring ist ein Flecken zwischen München und Augsburg, dessen Pfarrer, Renftle hieß er,- sich gegen die vatikanischen Dekrete erklärt hatte. Da die bairische Negierung diese als nicht vorhanden behandelte, konnte sie die dagegen protestirenden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/234>, abgerufen am 23.07.2024.