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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Dunkler Drang nach einem guten Rechtsweg

zuraunen gesucht,*) man sollte aber statt dessen damit anfangen, die instinkt¬
ähnlichen unmittelbaren Vorstellungen in unserm eignen Denken aufzusuchen.
Die unmittelbaren Vorstellungen sind freilich dem Menschen nicht angeboren,
aber sie sind auch nicht aus der Erfahrung gewonnen. Sie entwickeln sich auf
Grund angeborner Fähigkeit mit Hilfe der Erfahrung. Sie können logisch viel
eher zerstört als begründet werden, aber sie werden von dem Erkcnntnistrieb
der gesunden Vernunft als unentbehrlich und thatsächlich richtig festgehalten.
Sie dürfen nicht mit willkürlichen metaphysischen Spekulationen verwechselt
werden, denn sie sind allgemein und notwendig. Logisch wird jede Handlung
des Menschen von Beweggründen bestimmt, mögen sie aus Gedanken oder
Gefühlen bestehen, mögen sie bewußt oder unbewußt sein, aber nach unsrer
natürlichen unmittelbaren Erkenntnis hat der Mensch selbst einen bestimmenden
Einfluß auf die ihn bestimmenden Beweggründe. Also ein Widerspruch, und
dennoch eine Wahrheit. Die Willensfreiheit des Menschen widerspricht in der
That seinen eignen Denkgesetzen, und dennoch lebt sie in der Vorstellung aller
denkenden Menschen und wird praktisch auch von denen gedacht, die sie theo¬
retisch zu leugnen suchen, denn niemand vermag sich anders als mit bloßen
Worten dem Erkenntnistrieb seiner Vernunft zu entziehen. Wohin man kommt,
wenn man die objektive Giltigkeit der allgemeinen und notwendigen unmittel¬
baren Vorstellungen leugnen will, ist in den bisherigen Ausführungen nur im
Geistesgebiete des menschlichen Willens verfolgt worden. Im Gebiete der
Erscheinungswelt tritt es aber noch viel deutlicher zu Tage, daß man einer
allgemeinen und notwendigen Denkvoraussetzung, auch wenn sie sich logisch
widerspricht, nicht entgehen kann, ohne in noch größere Widersprüche zu ge¬
raten, als die vermieden werden sollen.

Bei unserm Wollen sprechen wir von Beweggründen, bei jeder Verände¬
rung in der Außenwelt von den sie bewirkenden Ursachen. Logisch muß jede
Veränderung eine zulängliche Erklärung in der sie bewirkenden Ursache haben,
und diese wirkende Ursache ist selbst wieder mir Wirkung einer vorhergehenden
Ursache. Ein Abschluß in der Reihe der wirkenden Ursachen läßt sich aber
niemals finden ohne den handgreiflichen logischen Widerspruch, daß schließlich
doch etwas die Ursache seiner selbst gewesen sein müßte. Wie man gegenüber
den bestimmenden Beweggründen logisch richtig die Willensfreiheit leugnet, so
muß man mit gleicher Schlüssigkeit jede Veränderung in der Außenwelt für
eine sich aus der Richtigkeit der Kausalitätsgesetze ergebende Sinnestäuschung
erklären. Wenn nämlich jede Wirkung lediglich der zulänglicher Ursache ent¬
springt und ihr mit Notwendigkeit entspringen muß, dann müssen Wirkung
und Ursache auch völlig übereinstimmen. Woher sollte auch ein drittes, die



") Ich verweise hier auf die im Vorwort zu meiner Schrift- Was ist Geld? (Leipzig,
Fr. Wilh, Grunow, 18!>4) ausgesprochnen Ansichten.
Dunkler Drang nach einem guten Rechtsweg

zuraunen gesucht,*) man sollte aber statt dessen damit anfangen, die instinkt¬
ähnlichen unmittelbaren Vorstellungen in unserm eignen Denken aufzusuchen.
Die unmittelbaren Vorstellungen sind freilich dem Menschen nicht angeboren,
aber sie sind auch nicht aus der Erfahrung gewonnen. Sie entwickeln sich auf
Grund angeborner Fähigkeit mit Hilfe der Erfahrung. Sie können logisch viel
eher zerstört als begründet werden, aber sie werden von dem Erkcnntnistrieb
der gesunden Vernunft als unentbehrlich und thatsächlich richtig festgehalten.
Sie dürfen nicht mit willkürlichen metaphysischen Spekulationen verwechselt
werden, denn sie sind allgemein und notwendig. Logisch wird jede Handlung
des Menschen von Beweggründen bestimmt, mögen sie aus Gedanken oder
Gefühlen bestehen, mögen sie bewußt oder unbewußt sein, aber nach unsrer
natürlichen unmittelbaren Erkenntnis hat der Mensch selbst einen bestimmenden
Einfluß auf die ihn bestimmenden Beweggründe. Also ein Widerspruch, und
dennoch eine Wahrheit. Die Willensfreiheit des Menschen widerspricht in der
That seinen eignen Denkgesetzen, und dennoch lebt sie in der Vorstellung aller
denkenden Menschen und wird praktisch auch von denen gedacht, die sie theo¬
retisch zu leugnen suchen, denn niemand vermag sich anders als mit bloßen
Worten dem Erkenntnistrieb seiner Vernunft zu entziehen. Wohin man kommt,
wenn man die objektive Giltigkeit der allgemeinen und notwendigen unmittel¬
baren Vorstellungen leugnen will, ist in den bisherigen Ausführungen nur im
Geistesgebiete des menschlichen Willens verfolgt worden. Im Gebiete der
Erscheinungswelt tritt es aber noch viel deutlicher zu Tage, daß man einer
allgemeinen und notwendigen Denkvoraussetzung, auch wenn sie sich logisch
widerspricht, nicht entgehen kann, ohne in noch größere Widersprüche zu ge¬
raten, als die vermieden werden sollen.

Bei unserm Wollen sprechen wir von Beweggründen, bei jeder Verände¬
rung in der Außenwelt von den sie bewirkenden Ursachen. Logisch muß jede
Veränderung eine zulängliche Erklärung in der sie bewirkenden Ursache haben,
und diese wirkende Ursache ist selbst wieder mir Wirkung einer vorhergehenden
Ursache. Ein Abschluß in der Reihe der wirkenden Ursachen läßt sich aber
niemals finden ohne den handgreiflichen logischen Widerspruch, daß schließlich
doch etwas die Ursache seiner selbst gewesen sein müßte. Wie man gegenüber
den bestimmenden Beweggründen logisch richtig die Willensfreiheit leugnet, so
muß man mit gleicher Schlüssigkeit jede Veränderung in der Außenwelt für
eine sich aus der Richtigkeit der Kausalitätsgesetze ergebende Sinnestäuschung
erklären. Wenn nämlich jede Wirkung lediglich der zulänglicher Ursache ent¬
springt und ihr mit Notwendigkeit entspringen muß, dann müssen Wirkung
und Ursache auch völlig übereinstimmen. Woher sollte auch ein drittes, die



") Ich verweise hier auf die im Vorwort zu meiner Schrift- Was ist Geld? (Leipzig,
Fr. Wilh, Grunow, 18!>4) ausgesprochnen Ansichten.
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[0228] Dunkler Drang nach einem guten Rechtsweg zuraunen gesucht,*) man sollte aber statt dessen damit anfangen, die instinkt¬ ähnlichen unmittelbaren Vorstellungen in unserm eignen Denken aufzusuchen. Die unmittelbaren Vorstellungen sind freilich dem Menschen nicht angeboren, aber sie sind auch nicht aus der Erfahrung gewonnen. Sie entwickeln sich auf Grund angeborner Fähigkeit mit Hilfe der Erfahrung. Sie können logisch viel eher zerstört als begründet werden, aber sie werden von dem Erkcnntnistrieb der gesunden Vernunft als unentbehrlich und thatsächlich richtig festgehalten. Sie dürfen nicht mit willkürlichen metaphysischen Spekulationen verwechselt werden, denn sie sind allgemein und notwendig. Logisch wird jede Handlung des Menschen von Beweggründen bestimmt, mögen sie aus Gedanken oder Gefühlen bestehen, mögen sie bewußt oder unbewußt sein, aber nach unsrer natürlichen unmittelbaren Erkenntnis hat der Mensch selbst einen bestimmenden Einfluß auf die ihn bestimmenden Beweggründe. Also ein Widerspruch, und dennoch eine Wahrheit. Die Willensfreiheit des Menschen widerspricht in der That seinen eignen Denkgesetzen, und dennoch lebt sie in der Vorstellung aller denkenden Menschen und wird praktisch auch von denen gedacht, die sie theo¬ retisch zu leugnen suchen, denn niemand vermag sich anders als mit bloßen Worten dem Erkenntnistrieb seiner Vernunft zu entziehen. Wohin man kommt, wenn man die objektive Giltigkeit der allgemeinen und notwendigen unmittel¬ baren Vorstellungen leugnen will, ist in den bisherigen Ausführungen nur im Geistesgebiete des menschlichen Willens verfolgt worden. Im Gebiete der Erscheinungswelt tritt es aber noch viel deutlicher zu Tage, daß man einer allgemeinen und notwendigen Denkvoraussetzung, auch wenn sie sich logisch widerspricht, nicht entgehen kann, ohne in noch größere Widersprüche zu ge¬ raten, als die vermieden werden sollen. Bei unserm Wollen sprechen wir von Beweggründen, bei jeder Verände¬ rung in der Außenwelt von den sie bewirkenden Ursachen. Logisch muß jede Veränderung eine zulängliche Erklärung in der sie bewirkenden Ursache haben, und diese wirkende Ursache ist selbst wieder mir Wirkung einer vorhergehenden Ursache. Ein Abschluß in der Reihe der wirkenden Ursachen läßt sich aber niemals finden ohne den handgreiflichen logischen Widerspruch, daß schließlich doch etwas die Ursache seiner selbst gewesen sein müßte. Wie man gegenüber den bestimmenden Beweggründen logisch richtig die Willensfreiheit leugnet, so muß man mit gleicher Schlüssigkeit jede Veränderung in der Außenwelt für eine sich aus der Richtigkeit der Kausalitätsgesetze ergebende Sinnestäuschung erklären. Wenn nämlich jede Wirkung lediglich der zulänglicher Ursache ent¬ springt und ihr mit Notwendigkeit entspringen muß, dann müssen Wirkung und Ursache auch völlig übereinstimmen. Woher sollte auch ein drittes, die ") Ich verweise hier auf die im Vorwort zu meiner Schrift- Was ist Geld? (Leipzig, Fr. Wilh, Grunow, 18!>4) ausgesprochnen Ansichten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/228>, abgerufen am 23.07.2024.