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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Gewerbeaufsicht und Drtspolizei

gesuchten Theorien. Ganz neuerdings hat sich die großherzoglich badische
Gewerbeinspektion in ihrem Bericht für 1896 über diese Mängel in beachtens¬
werter Weise geäußert: "Von den Aufsichtsbeamten, heißt es da, wird bezüg¬
lich der Orte, in denen die Polizei nicht von den Staatsbehörden verwaltet
wird, fortwährend über mangelhafte Thätigkeit der Ortspolizeibehörden geklagt,
und es wird zur Begründung dieser Klagen ein ausreichendes Belegmaterial
beigebracht. Diese beklagten Mängel beziehen sich weniger auf die formelle
Besorgung der diesen Behörden übertragnen Geschäfte, als auf ein Dulden
ihnen bekannter Mißstände. Wie bedeutungsvoll die Thätigkeit der Ortspolizei
auf dem vorliegenden Gebiet sein kann, ergiebt sich daraus, daß in einer An¬
zahl vou Orten, in denen die Bürgermeister zugleich unabhängig, intelligent
und rührig siud, der Vollzug der gesetzlichen Vorschriften ein gerade so guter
ist als in den Städten, in denen die Polizei vom Staate gehandhabt wird."
Diese Auslassungen sind ganz besonders beherzigenswert, weil in ihnen das,
was unsrer Erfahrung nach vor allem not thut, und was bisher aus doktri¬
nären und parteipolitischer Vorurteilen in verhängnisvollen Grade unterschätzt
worden ist: die Bedeutung der Ortspolizei für den Arbeiterschutz, nicht nur
grundsätzlich anerkannt, sondern vor allem auch als praktisch wirksam und
möglich bezeugt wird. Wir haben schon in einer Besprechung der Mißstünde
in der Kleider- und Wäschekonfektion darauf hingewiesen, daß gegen die Aus¬
dehnung des Arbeitsschutzes und auch der sogenannten Gewerbeanfsicht auf die
Werkstätten, auch die der Hausindustrie, ganz unzutreffeuderweise immer die
Unmöglichkeit eingewendet wird, die für die unmittelbare Revision aller der
kleinen Betriebe erforderliche Anzahl von Gewerbeinspektoren anzustellen. Die
dauernde unmittelbare Aufsicht kann gar nicht Sache dieser Beamten sein,
sondern muß Sache der Ortspolizei sein. Dem Gewerbeinspektor kann dabei
nur eine die Ortspolizei leitende und durch Stichrevisionen kontrollirende Thätig¬
keit zufallen neben der dauernden Sammlung und Bearbeitung der Ergebnisse
aller wirtschaftlich und sozialpolitisch wichtigen Wahrnehmungen der Ortspolizei
und seiner eignen. Wir meinen, der Beweis für die Richtigkeit dieser Ansicht
ist an den fünf Fingern abzuzählen, sicher der für ihre negative Seite. Daß
die Ortspolizei hinreichendes leisten kann, darüber möchten wir noch solgendes
sagen.

Der Bericht des badischen Fabritinspektors unterscheidet zwischen Orten,
wo die Ortspolizei unmittelbar von Staatsbeamten ausgeübt wird, und
solchen, wo das nicht der Fall ist, d. h. wo die Polizei Organen der so¬
genannten Selbstverwaltung obliegt. Nur in den letzten werden Mängel beklagt,
aber auch nicht überall Wo die Bürgermeister unabhängig, intelligent und
rührig sind, sind auch hier die Leistungen der Ortspolizei für den Arbeiter¬
schutz gut. Es liegt darin ein Tadel für die Selbstverwaltung, und zwar
ein durchaus berechtigter, nicht nur für Baden. Das ist, wir sind uns dessen


Gewerbeaufsicht und Drtspolizei

gesuchten Theorien. Ganz neuerdings hat sich die großherzoglich badische
Gewerbeinspektion in ihrem Bericht für 1896 über diese Mängel in beachtens¬
werter Weise geäußert: „Von den Aufsichtsbeamten, heißt es da, wird bezüg¬
lich der Orte, in denen die Polizei nicht von den Staatsbehörden verwaltet
wird, fortwährend über mangelhafte Thätigkeit der Ortspolizeibehörden geklagt,
und es wird zur Begründung dieser Klagen ein ausreichendes Belegmaterial
beigebracht. Diese beklagten Mängel beziehen sich weniger auf die formelle
Besorgung der diesen Behörden übertragnen Geschäfte, als auf ein Dulden
ihnen bekannter Mißstände. Wie bedeutungsvoll die Thätigkeit der Ortspolizei
auf dem vorliegenden Gebiet sein kann, ergiebt sich daraus, daß in einer An¬
zahl vou Orten, in denen die Bürgermeister zugleich unabhängig, intelligent
und rührig siud, der Vollzug der gesetzlichen Vorschriften ein gerade so guter
ist als in den Städten, in denen die Polizei vom Staate gehandhabt wird."
Diese Auslassungen sind ganz besonders beherzigenswert, weil in ihnen das,
was unsrer Erfahrung nach vor allem not thut, und was bisher aus doktri¬
nären und parteipolitischer Vorurteilen in verhängnisvollen Grade unterschätzt
worden ist: die Bedeutung der Ortspolizei für den Arbeiterschutz, nicht nur
grundsätzlich anerkannt, sondern vor allem auch als praktisch wirksam und
möglich bezeugt wird. Wir haben schon in einer Besprechung der Mißstünde
in der Kleider- und Wäschekonfektion darauf hingewiesen, daß gegen die Aus¬
dehnung des Arbeitsschutzes und auch der sogenannten Gewerbeanfsicht auf die
Werkstätten, auch die der Hausindustrie, ganz unzutreffeuderweise immer die
Unmöglichkeit eingewendet wird, die für die unmittelbare Revision aller der
kleinen Betriebe erforderliche Anzahl von Gewerbeinspektoren anzustellen. Die
dauernde unmittelbare Aufsicht kann gar nicht Sache dieser Beamten sein,
sondern muß Sache der Ortspolizei sein. Dem Gewerbeinspektor kann dabei
nur eine die Ortspolizei leitende und durch Stichrevisionen kontrollirende Thätig¬
keit zufallen neben der dauernden Sammlung und Bearbeitung der Ergebnisse
aller wirtschaftlich und sozialpolitisch wichtigen Wahrnehmungen der Ortspolizei
und seiner eignen. Wir meinen, der Beweis für die Richtigkeit dieser Ansicht
ist an den fünf Fingern abzuzählen, sicher der für ihre negative Seite. Daß
die Ortspolizei hinreichendes leisten kann, darüber möchten wir noch solgendes
sagen.

Der Bericht des badischen Fabritinspektors unterscheidet zwischen Orten,
wo die Ortspolizei unmittelbar von Staatsbeamten ausgeübt wird, und
solchen, wo das nicht der Fall ist, d. h. wo die Polizei Organen der so¬
genannten Selbstverwaltung obliegt. Nur in den letzten werden Mängel beklagt,
aber auch nicht überall Wo die Bürgermeister unabhängig, intelligent und
rührig sind, sind auch hier die Leistungen der Ortspolizei für den Arbeiter¬
schutz gut. Es liegt darin ein Tadel für die Selbstverwaltung, und zwar
ein durchaus berechtigter, nicht nur für Baden. Das ist, wir sind uns dessen


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[0022] Gewerbeaufsicht und Drtspolizei gesuchten Theorien. Ganz neuerdings hat sich die großherzoglich badische Gewerbeinspektion in ihrem Bericht für 1896 über diese Mängel in beachtens¬ werter Weise geäußert: „Von den Aufsichtsbeamten, heißt es da, wird bezüg¬ lich der Orte, in denen die Polizei nicht von den Staatsbehörden verwaltet wird, fortwährend über mangelhafte Thätigkeit der Ortspolizeibehörden geklagt, und es wird zur Begründung dieser Klagen ein ausreichendes Belegmaterial beigebracht. Diese beklagten Mängel beziehen sich weniger auf die formelle Besorgung der diesen Behörden übertragnen Geschäfte, als auf ein Dulden ihnen bekannter Mißstände. Wie bedeutungsvoll die Thätigkeit der Ortspolizei auf dem vorliegenden Gebiet sein kann, ergiebt sich daraus, daß in einer An¬ zahl vou Orten, in denen die Bürgermeister zugleich unabhängig, intelligent und rührig siud, der Vollzug der gesetzlichen Vorschriften ein gerade so guter ist als in den Städten, in denen die Polizei vom Staate gehandhabt wird." Diese Auslassungen sind ganz besonders beherzigenswert, weil in ihnen das, was unsrer Erfahrung nach vor allem not thut, und was bisher aus doktri¬ nären und parteipolitischer Vorurteilen in verhängnisvollen Grade unterschätzt worden ist: die Bedeutung der Ortspolizei für den Arbeiterschutz, nicht nur grundsätzlich anerkannt, sondern vor allem auch als praktisch wirksam und möglich bezeugt wird. Wir haben schon in einer Besprechung der Mißstünde in der Kleider- und Wäschekonfektion darauf hingewiesen, daß gegen die Aus¬ dehnung des Arbeitsschutzes und auch der sogenannten Gewerbeanfsicht auf die Werkstätten, auch die der Hausindustrie, ganz unzutreffeuderweise immer die Unmöglichkeit eingewendet wird, die für die unmittelbare Revision aller der kleinen Betriebe erforderliche Anzahl von Gewerbeinspektoren anzustellen. Die dauernde unmittelbare Aufsicht kann gar nicht Sache dieser Beamten sein, sondern muß Sache der Ortspolizei sein. Dem Gewerbeinspektor kann dabei nur eine die Ortspolizei leitende und durch Stichrevisionen kontrollirende Thätig¬ keit zufallen neben der dauernden Sammlung und Bearbeitung der Ergebnisse aller wirtschaftlich und sozialpolitisch wichtigen Wahrnehmungen der Ortspolizei und seiner eignen. Wir meinen, der Beweis für die Richtigkeit dieser Ansicht ist an den fünf Fingern abzuzählen, sicher der für ihre negative Seite. Daß die Ortspolizei hinreichendes leisten kann, darüber möchten wir noch solgendes sagen. Der Bericht des badischen Fabritinspektors unterscheidet zwischen Orten, wo die Ortspolizei unmittelbar von Staatsbeamten ausgeübt wird, und solchen, wo das nicht der Fall ist, d. h. wo die Polizei Organen der so¬ genannten Selbstverwaltung obliegt. Nur in den letzten werden Mängel beklagt, aber auch nicht überall Wo die Bürgermeister unabhängig, intelligent und rührig sind, sind auch hier die Leistungen der Ortspolizei für den Arbeiter¬ schutz gut. Es liegt darin ein Tadel für die Selbstverwaltung, und zwar ein durchaus berechtigter, nicht nur für Baden. Das ist, wir sind uns dessen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/22>, abgerufen am 23.07.2024.