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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Die Memoiren von Paul Barras

seine Stellung. Nun konnte sispes Bernadotte nicht leiden -- "falsch und
höflich wie ein Bearner," sagte er immer von ihm -- und drängte ihn aus
dem Ministerium (warum gab das Barras zu? wenn man seinen Bericht liest,
muß man sagen, daß er sich mindestens einfältig benahm), und gleich darauf,
ganz kurz vor Bonapartes Ankunft in Frsjus, hatte Masssmi über die Öster¬
reicher und Russen, und Brune über die Engländer gesiegt. Barras Lage konnte
in diesem Augenblicke nicht schlimmer sein.

Hier beginnt der vierte Band (Konsulat, Kaiserreich, Restauration). Nach
Beruadottes Entlassung hat Barras gegen Bonaparte verspielt. Seine frühere
Energie ist nicht mehr zu bemerken. Er ist schlaff und scheint alles abwarten
zu wollen. Ob er wirklich diese Resignation, die er sich zuschreibt, damals
schon hatte? Oder ist es wieder eine Nttckspiegelung seiner Phantasie? Als
ob ihn das nichts mehr anginge, berichtet er nun mit vielen Scherzen und
Witzworten die kleinen Ereignisse, die den Staatsstreich des ersten Konsuls
einleiten. Bonaparte spricht offen von der Notwendigkeit, die Staatsform zu
ändern; man müsse im Innern sicher sein. Auch äußerlich sei in seiner Ab¬
wesenheit alles verloren gegangen. Wir wissen, daß sispes ihm angehört, und
daß Talleyrand und Fouchu seine Werkzeuge sind. Er nennt Barras einen,
der nur an seine Republik denkt, eine Reliquie. Der wichtigste ist offenbar
für ihn Bernadotte, durch dessen Sekretär nun Barras alle Nachrichten frisch
bekommt. Bernadottes Frau, seine "kleine Spionin," ist die Schwester von
Joseph Bonaparte, die ganze Familie Bonaparte umgiebt ihn wie mit einem
Netz, um ihn für den Bruder, den "General" schlechthin, zu gewinnen. Als
Bonaparte ankam, hätte es nach Barras Auffassung das Direktorium in der
Hand gehabt, ihn, wenn Sivhes gewollt hätte, zu vernichten. Er hatte ohne
Erlaubnis seinen Posten verlassen. Über die Greuel, die er mit fortwährendem
Erschießen und Kopfabschneiden angerichtet hatte, waren ganze Stöße von Nach¬
richten lange vor ihm eingetroffen. Seine Parteigänger richteten ihm ein Essen
an; Bernadotte lehnte die Ausforderung dazu mit dem Scherzwort ab, er wolle
nicht mit einem Pestkranken essen (Vonaparte hatte die Quarantäne nicht inne
gehalten). Es finden nun Unterredungen zwischen beiden Männern statt.
Bernadotte bleibt zunächst der Republik treu; er und Moreau, die sich früher
kaum gesehen haben, schwören sich einen Eid in die.Hand. Barras ladet beide
zu Tische und fragt sich dabei im stillen, wer zuerst seinen Schwur brechen
werde. Bonaparte findet sich nun mit dem sich bildenden Anhange bei Gast-
mühlern und ähnlichen Vereinigungen zusammen. Er umgiebt sich mit Zivi¬
listen und Gelehrten, um sich gegen die Militärs, die keine Gelehrten sind, ein
Gegengewicht zu geben, während er die Nichtmilitärs durch seine Charge be¬
herrscht. Bald treffen wir alle, auch Moreau und Bernadotte.

Bernadotte entschließt sich am schwersten und macht noch eine Zeit lang
Versuche, mit Hilfe des Rats der Fünfhundert und des Rats der Alten die


Grenzboten II 1897 24
Die Memoiren von Paul Barras

seine Stellung. Nun konnte sispes Bernadotte nicht leiden — „falsch und
höflich wie ein Bearner," sagte er immer von ihm — und drängte ihn aus
dem Ministerium (warum gab das Barras zu? wenn man seinen Bericht liest,
muß man sagen, daß er sich mindestens einfältig benahm), und gleich darauf,
ganz kurz vor Bonapartes Ankunft in Frsjus, hatte Masssmi über die Öster¬
reicher und Russen, und Brune über die Engländer gesiegt. Barras Lage konnte
in diesem Augenblicke nicht schlimmer sein.

Hier beginnt der vierte Band (Konsulat, Kaiserreich, Restauration). Nach
Beruadottes Entlassung hat Barras gegen Bonaparte verspielt. Seine frühere
Energie ist nicht mehr zu bemerken. Er ist schlaff und scheint alles abwarten
zu wollen. Ob er wirklich diese Resignation, die er sich zuschreibt, damals
schon hatte? Oder ist es wieder eine Nttckspiegelung seiner Phantasie? Als
ob ihn das nichts mehr anginge, berichtet er nun mit vielen Scherzen und
Witzworten die kleinen Ereignisse, die den Staatsstreich des ersten Konsuls
einleiten. Bonaparte spricht offen von der Notwendigkeit, die Staatsform zu
ändern; man müsse im Innern sicher sein. Auch äußerlich sei in seiner Ab¬
wesenheit alles verloren gegangen. Wir wissen, daß sispes ihm angehört, und
daß Talleyrand und Fouchu seine Werkzeuge sind. Er nennt Barras einen,
der nur an seine Republik denkt, eine Reliquie. Der wichtigste ist offenbar
für ihn Bernadotte, durch dessen Sekretär nun Barras alle Nachrichten frisch
bekommt. Bernadottes Frau, seine „kleine Spionin," ist die Schwester von
Joseph Bonaparte, die ganze Familie Bonaparte umgiebt ihn wie mit einem
Netz, um ihn für den Bruder, den „General" schlechthin, zu gewinnen. Als
Bonaparte ankam, hätte es nach Barras Auffassung das Direktorium in der
Hand gehabt, ihn, wenn Sivhes gewollt hätte, zu vernichten. Er hatte ohne
Erlaubnis seinen Posten verlassen. Über die Greuel, die er mit fortwährendem
Erschießen und Kopfabschneiden angerichtet hatte, waren ganze Stöße von Nach¬
richten lange vor ihm eingetroffen. Seine Parteigänger richteten ihm ein Essen
an; Bernadotte lehnte die Ausforderung dazu mit dem Scherzwort ab, er wolle
nicht mit einem Pestkranken essen (Vonaparte hatte die Quarantäne nicht inne
gehalten). Es finden nun Unterredungen zwischen beiden Männern statt.
Bernadotte bleibt zunächst der Republik treu; er und Moreau, die sich früher
kaum gesehen haben, schwören sich einen Eid in die.Hand. Barras ladet beide
zu Tische und fragt sich dabei im stillen, wer zuerst seinen Schwur brechen
werde. Bonaparte findet sich nun mit dem sich bildenden Anhange bei Gast-
mühlern und ähnlichen Vereinigungen zusammen. Er umgiebt sich mit Zivi¬
listen und Gelehrten, um sich gegen die Militärs, die keine Gelehrten sind, ein
Gegengewicht zu geben, während er die Nichtmilitärs durch seine Charge be¬
herrscht. Bald treffen wir alle, auch Moreau und Bernadotte.

Bernadotte entschließt sich am schwersten und macht noch eine Zeit lang
Versuche, mit Hilfe des Rats der Fünfhundert und des Rats der Alten die


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[0193] Die Memoiren von Paul Barras seine Stellung. Nun konnte sispes Bernadotte nicht leiden — „falsch und höflich wie ein Bearner," sagte er immer von ihm — und drängte ihn aus dem Ministerium (warum gab das Barras zu? wenn man seinen Bericht liest, muß man sagen, daß er sich mindestens einfältig benahm), und gleich darauf, ganz kurz vor Bonapartes Ankunft in Frsjus, hatte Masssmi über die Öster¬ reicher und Russen, und Brune über die Engländer gesiegt. Barras Lage konnte in diesem Augenblicke nicht schlimmer sein. Hier beginnt der vierte Band (Konsulat, Kaiserreich, Restauration). Nach Beruadottes Entlassung hat Barras gegen Bonaparte verspielt. Seine frühere Energie ist nicht mehr zu bemerken. Er ist schlaff und scheint alles abwarten zu wollen. Ob er wirklich diese Resignation, die er sich zuschreibt, damals schon hatte? Oder ist es wieder eine Nttckspiegelung seiner Phantasie? Als ob ihn das nichts mehr anginge, berichtet er nun mit vielen Scherzen und Witzworten die kleinen Ereignisse, die den Staatsstreich des ersten Konsuls einleiten. Bonaparte spricht offen von der Notwendigkeit, die Staatsform zu ändern; man müsse im Innern sicher sein. Auch äußerlich sei in seiner Ab¬ wesenheit alles verloren gegangen. Wir wissen, daß sispes ihm angehört, und daß Talleyrand und Fouchu seine Werkzeuge sind. Er nennt Barras einen, der nur an seine Republik denkt, eine Reliquie. Der wichtigste ist offenbar für ihn Bernadotte, durch dessen Sekretär nun Barras alle Nachrichten frisch bekommt. Bernadottes Frau, seine „kleine Spionin," ist die Schwester von Joseph Bonaparte, die ganze Familie Bonaparte umgiebt ihn wie mit einem Netz, um ihn für den Bruder, den „General" schlechthin, zu gewinnen. Als Bonaparte ankam, hätte es nach Barras Auffassung das Direktorium in der Hand gehabt, ihn, wenn Sivhes gewollt hätte, zu vernichten. Er hatte ohne Erlaubnis seinen Posten verlassen. Über die Greuel, die er mit fortwährendem Erschießen und Kopfabschneiden angerichtet hatte, waren ganze Stöße von Nach¬ richten lange vor ihm eingetroffen. Seine Parteigänger richteten ihm ein Essen an; Bernadotte lehnte die Ausforderung dazu mit dem Scherzwort ab, er wolle nicht mit einem Pestkranken essen (Vonaparte hatte die Quarantäne nicht inne gehalten). Es finden nun Unterredungen zwischen beiden Männern statt. Bernadotte bleibt zunächst der Republik treu; er und Moreau, die sich früher kaum gesehen haben, schwören sich einen Eid in die.Hand. Barras ladet beide zu Tische und fragt sich dabei im stillen, wer zuerst seinen Schwur brechen werde. Bonaparte findet sich nun mit dem sich bildenden Anhange bei Gast- mühlern und ähnlichen Vereinigungen zusammen. Er umgiebt sich mit Zivi¬ listen und Gelehrten, um sich gegen die Militärs, die keine Gelehrten sind, ein Gegengewicht zu geben, während er die Nichtmilitärs durch seine Charge be¬ herrscht. Bald treffen wir alle, auch Moreau und Bernadotte. Bernadotte entschließt sich am schwersten und macht noch eine Zeit lang Versuche, mit Hilfe des Rats der Fünfhundert und des Rats der Alten die Grenzboten II 1897 24

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/193>, abgerufen am 23.07.2024.