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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Die Memoiren von Paul Barras

Auffassung begünstigt, als hätte man ihn wider seinen Wunsch gewissermaßen
deportiren wollen. Barras versichert dagegen, daß die Idee durchaus Bona¬
parte gehöre, dem eine Expedition gegen die englische Küste etwas zu gering¬
fügiges gewesen sei. Er habe ungeheure Mittel verlangt, das Direktorium
habe sich schwer entschlossen. Endlich, nicht lange vor der angesetzten Abreise,
kommt er mit dem Ansprüche, Direktor zu werden, obwohl er das gesetzliche
Alter uoch nicht hat; er hat sondiren lassen, die beiden Räte werden dafür
sein. Als er auch mit Barras spricht, ist dieser auf alles vorbereitet und
schlägt ihm sein Anliegen rundweg ab. Nun ist es allerdings Zeit, daß er
nach Ägypten geht.

Um dieselbe Zeit, wo der ägyptische Feldzug zuerst glänzend eingeleitet
wird, lange vor der Schlacht bei Abukir, ist Vernadvtte von seinem Botschafter¬
posten ans Wien zurückgekehrt. Er will nicht wieder nach Italien, sondern
zunächst in Paris bleiben, wo seine Anwesenheit bald nützlich werden kann.
Denn auf dem Kongreß zu Rastatt kommen die Verhandlungen nicht weiter, der
Krieg in Italien und mit Österreich droht schon wieder auszubrechen. Auch
Preußen scheint dem Direktorium trotz des Friedensschlusses von Basel nicht
mehr zuverlässig zu sein. Jourdnn wird nach Italien geschickt, aber er ist nicht
fähig zu wichtigen Entschlüssen. Außerdem sind noch die frühern Divisionäre
Bonapartes. Massaia und Macdonald, da. Dieser intriguirt gegen den viel
bedeutender!: Championnet und erreicht anch, daß er abgesetzt wird. Barras
erkennt Championnets Verdienste an, kann ihn aber nicht schützen. Er hält
ferner viel von Brune, der aber hat wegen seiner niedrigen Herkunft und seines
Zusammenhangs mit der Revolution einflußreiche Gegner. Talleyrand ist
durch Vonapartes Abreise isolirt, gegen ihn entlädt sich der allgemeine Zorn
über die nicht mehr zu leugnende Verschlimmerung der äußern Lage. Bald
darauf nimmt sispes nach Rewbells Auslosung die Wahl zum Direktor an.
Barras hat schon vorher die große Fähigkeit Bernadottes erkannt und ge¬
rühmt; er möchte ihn aufs neue bestimmen, das Oberkommando in Italien zu
übernehmen. Aber Vernadvtte setzt auseinander, mit dem gegenwärtigen Be¬
stände an Truppen sei das unmöglich. Auch Bonaparte habe nicht mit nichts
gesiegt. Wenn man auch kein Menschenschlüchter zu sein brauche, wie er, der
unaufhörlich wie ein Minotaurus die von Kellermann ausgebildeten Nach¬
schübe verschlungen habe, so gebe es doch eine gewisse Menschenzahl, ohne die
man im Kriege bei der heute üblichen Masfenentfaltung nicht fertig werden
könne, wenn man diesen kriegerischen Nationen gegenüberstehe, die sich be¬
ständig erneuern und Völker wie eine Sündflut ergossen. Das Direktorium
habe Vonaparte immer alles bewilligt, nun solle man auch ihn seinen Plan
ausführen lassen. Er reicht ihn ein, aber das Direktorium findet ihn zu kost¬
spielig; der Kriegsminister, Scherer, meint, es ginge auch ohne solchen Auf¬
wand, und findet sich selbst, indem man ihn beim Worte nimmt, zu seinem


Die Memoiren von Paul Barras

Auffassung begünstigt, als hätte man ihn wider seinen Wunsch gewissermaßen
deportiren wollen. Barras versichert dagegen, daß die Idee durchaus Bona¬
parte gehöre, dem eine Expedition gegen die englische Küste etwas zu gering¬
fügiges gewesen sei. Er habe ungeheure Mittel verlangt, das Direktorium
habe sich schwer entschlossen. Endlich, nicht lange vor der angesetzten Abreise,
kommt er mit dem Ansprüche, Direktor zu werden, obwohl er das gesetzliche
Alter uoch nicht hat; er hat sondiren lassen, die beiden Räte werden dafür
sein. Als er auch mit Barras spricht, ist dieser auf alles vorbereitet und
schlägt ihm sein Anliegen rundweg ab. Nun ist es allerdings Zeit, daß er
nach Ägypten geht.

Um dieselbe Zeit, wo der ägyptische Feldzug zuerst glänzend eingeleitet
wird, lange vor der Schlacht bei Abukir, ist Vernadvtte von seinem Botschafter¬
posten ans Wien zurückgekehrt. Er will nicht wieder nach Italien, sondern
zunächst in Paris bleiben, wo seine Anwesenheit bald nützlich werden kann.
Denn auf dem Kongreß zu Rastatt kommen die Verhandlungen nicht weiter, der
Krieg in Italien und mit Österreich droht schon wieder auszubrechen. Auch
Preußen scheint dem Direktorium trotz des Friedensschlusses von Basel nicht
mehr zuverlässig zu sein. Jourdnn wird nach Italien geschickt, aber er ist nicht
fähig zu wichtigen Entschlüssen. Außerdem sind noch die frühern Divisionäre
Bonapartes. Massaia und Macdonald, da. Dieser intriguirt gegen den viel
bedeutender!: Championnet und erreicht anch, daß er abgesetzt wird. Barras
erkennt Championnets Verdienste an, kann ihn aber nicht schützen. Er hält
ferner viel von Brune, der aber hat wegen seiner niedrigen Herkunft und seines
Zusammenhangs mit der Revolution einflußreiche Gegner. Talleyrand ist
durch Vonapartes Abreise isolirt, gegen ihn entlädt sich der allgemeine Zorn
über die nicht mehr zu leugnende Verschlimmerung der äußern Lage. Bald
darauf nimmt sispes nach Rewbells Auslosung die Wahl zum Direktor an.
Barras hat schon vorher die große Fähigkeit Bernadottes erkannt und ge¬
rühmt; er möchte ihn aufs neue bestimmen, das Oberkommando in Italien zu
übernehmen. Aber Vernadvtte setzt auseinander, mit dem gegenwärtigen Be¬
stände an Truppen sei das unmöglich. Auch Bonaparte habe nicht mit nichts
gesiegt. Wenn man auch kein Menschenschlüchter zu sein brauche, wie er, der
unaufhörlich wie ein Minotaurus die von Kellermann ausgebildeten Nach¬
schübe verschlungen habe, so gebe es doch eine gewisse Menschenzahl, ohne die
man im Kriege bei der heute üblichen Masfenentfaltung nicht fertig werden
könne, wenn man diesen kriegerischen Nationen gegenüberstehe, die sich be¬
ständig erneuern und Völker wie eine Sündflut ergossen. Das Direktorium
habe Vonaparte immer alles bewilligt, nun solle man auch ihn seinen Plan
ausführen lassen. Er reicht ihn ein, aber das Direktorium findet ihn zu kost¬
spielig; der Kriegsminister, Scherer, meint, es ginge auch ohne solchen Auf¬
wand, und findet sich selbst, indem man ihn beim Worte nimmt, zu seinem


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[0191] Die Memoiren von Paul Barras Auffassung begünstigt, als hätte man ihn wider seinen Wunsch gewissermaßen deportiren wollen. Barras versichert dagegen, daß die Idee durchaus Bona¬ parte gehöre, dem eine Expedition gegen die englische Küste etwas zu gering¬ fügiges gewesen sei. Er habe ungeheure Mittel verlangt, das Direktorium habe sich schwer entschlossen. Endlich, nicht lange vor der angesetzten Abreise, kommt er mit dem Ansprüche, Direktor zu werden, obwohl er das gesetzliche Alter uoch nicht hat; er hat sondiren lassen, die beiden Räte werden dafür sein. Als er auch mit Barras spricht, ist dieser auf alles vorbereitet und schlägt ihm sein Anliegen rundweg ab. Nun ist es allerdings Zeit, daß er nach Ägypten geht. Um dieselbe Zeit, wo der ägyptische Feldzug zuerst glänzend eingeleitet wird, lange vor der Schlacht bei Abukir, ist Vernadvtte von seinem Botschafter¬ posten ans Wien zurückgekehrt. Er will nicht wieder nach Italien, sondern zunächst in Paris bleiben, wo seine Anwesenheit bald nützlich werden kann. Denn auf dem Kongreß zu Rastatt kommen die Verhandlungen nicht weiter, der Krieg in Italien und mit Österreich droht schon wieder auszubrechen. Auch Preußen scheint dem Direktorium trotz des Friedensschlusses von Basel nicht mehr zuverlässig zu sein. Jourdnn wird nach Italien geschickt, aber er ist nicht fähig zu wichtigen Entschlüssen. Außerdem sind noch die frühern Divisionäre Bonapartes. Massaia und Macdonald, da. Dieser intriguirt gegen den viel bedeutender!: Championnet und erreicht anch, daß er abgesetzt wird. Barras erkennt Championnets Verdienste an, kann ihn aber nicht schützen. Er hält ferner viel von Brune, der aber hat wegen seiner niedrigen Herkunft und seines Zusammenhangs mit der Revolution einflußreiche Gegner. Talleyrand ist durch Vonapartes Abreise isolirt, gegen ihn entlädt sich der allgemeine Zorn über die nicht mehr zu leugnende Verschlimmerung der äußern Lage. Bald darauf nimmt sispes nach Rewbells Auslosung die Wahl zum Direktor an. Barras hat schon vorher die große Fähigkeit Bernadottes erkannt und ge¬ rühmt; er möchte ihn aufs neue bestimmen, das Oberkommando in Italien zu übernehmen. Aber Vernadvtte setzt auseinander, mit dem gegenwärtigen Be¬ stände an Truppen sei das unmöglich. Auch Bonaparte habe nicht mit nichts gesiegt. Wenn man auch kein Menschenschlüchter zu sein brauche, wie er, der unaufhörlich wie ein Minotaurus die von Kellermann ausgebildeten Nach¬ schübe verschlungen habe, so gebe es doch eine gewisse Menschenzahl, ohne die man im Kriege bei der heute üblichen Masfenentfaltung nicht fertig werden könne, wenn man diesen kriegerischen Nationen gegenüberstehe, die sich be¬ ständig erneuern und Völker wie eine Sündflut ergossen. Das Direktorium habe Vonaparte immer alles bewilligt, nun solle man auch ihn seinen Plan ausführen lassen. Er reicht ihn ein, aber das Direktorium findet ihn zu kost¬ spielig; der Kriegsminister, Scherer, meint, es ginge auch ohne solchen Auf¬ wand, und findet sich selbst, indem man ihn beim Worte nimmt, zu seinem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/191>, abgerufen am 23.07.2024.