Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Gewerbeaufsicht und Grtspolizei

der Wvchnerinnenarbeit und Anmeldung und Listenführung über "jugendliche
und weibliche Arbeiter." Damit ist aber der gesetzliche Arbeiterschutz, auch
wenn wir uns ans die Bestimmungen der Neichsgewerbeordnung beschränken,
noch nicht erschöpft. Unter anderen fallen in seinen Nahmen auch die Be¬
stimmungen über die Arbeitsbücher der minderjährigen Arbeiter und über
das Verbot der Anleitung von Arbeitern unter achtzehn Jahren für Gewerb-
treibende, denen die bürgerlichen Ehrenrechte aberkannt sind, die Vorschriften
über die Ausstellung von Zeugnissen, die Schntzbcstimmungen für die Lohn¬
zahlungen, Abzüge, Strafen, für das sogenannte Trucksystem, für den Besuch von
Fortbildungsschulen, auch verschiedne in den Abschnitten II und III des Titels VII
der Gewerbeordnung über die besondern Verhältnisse der Gesellen und Lehrlinge
enthaltene, seit lange giltige Gebote und Verbote.

Ursprünglich nur sür die "Fabrikanfsicht" bestellt, sind also, wie wir sehen,
die besondern Aufsichtsbeamten jetzt in der That mit einer "Gewerbcaufsicht"
betraut worden, aus den Fabrikinspektoren sind Gewerbeinspcktoren geworden.
Wenn ihnen noch heute gewisse Gebiete des Arbeitsschutzes nicht überwiesen sind,
so hat das der Sache nach kaum noch eine Berechtigung; praktisch findet es,
z. B. was das Trucksystem betrifft, kaum noch Beachtung, und durch die Aus¬
dehnung der Paragraphen auf Kleingewerbe und Hausindustrie, wie sie zu
erwarten ist, wird es noch mehr an Bedeutung verliere". Gleichzeitig mit der Um¬
wandlung der besondern Fabrikaufsicht in eine besondre Gewerbeaufsicht hat sich
insofern eine weitere Änderung vollzogen, als der hygienische und technische
Zweck immer mehr gegen den sozialen und polizeilichen zurückgetreten ist; das
ist vollends geschehen, nachdem, wenigstens für die Großindustrie, die staatliche
Unfallversicherung in ganz zweckmäßiger Weise die Berufsgenossenschaften an
der Unfallverhütung unmittelbar mit ihrem Geldbeutel interessirt hat, und diese
deshalb vielfach schon besondre Nevisionsingenieure mit der Aufsicht über den
Unfallschutz in den Betrieben beauftragen. Angesichts dieser Entwicklung kann
man wohl sagen, daß die besondre Gewerbeaufsicht in ihrem Wesen, so weit
es gesetzlich begrenzt ist, immer mehr die Besonderheit verloren hat, ja immer
mehr ein Teil der ordentlichen Polizei geworden ist. Trotzdem macht sich in
der heutigen Praxis immer noch der frühere scharfe, jetzt gesetzlich und
sachlich nicht mehr begründete Unterschied geltend, und auch in deu An¬
sichten über die Abstellung der in der Handhabung des Arbeiterschutzes be¬
klagten Mängel spielt der alte Unterschied zwischen Gewerbeanfsicht und Orts¬
polizei zum Schaden der Sache immer noch eine Rolle.

Hält man, wie es vielfach geschieht, an der früheren Meinung fest, daß
es sich bei der Gewerbeaufsicht um eine wesentlich andre Aufgabe handle, als
die ist, die der Polizei auch für das Gewerbe obliegt, eine Aufgabe, zu der die
Polizei auch nicht durch die Einfügung einer gehörigen Anzahl für die neuen
sozialen Rücksichten besonders befähigter Kräfte tüchtig gemacht werden könne,


Gewerbeaufsicht und Grtspolizei

der Wvchnerinnenarbeit und Anmeldung und Listenführung über „jugendliche
und weibliche Arbeiter." Damit ist aber der gesetzliche Arbeiterschutz, auch
wenn wir uns ans die Bestimmungen der Neichsgewerbeordnung beschränken,
noch nicht erschöpft. Unter anderen fallen in seinen Nahmen auch die Be¬
stimmungen über die Arbeitsbücher der minderjährigen Arbeiter und über
das Verbot der Anleitung von Arbeitern unter achtzehn Jahren für Gewerb-
treibende, denen die bürgerlichen Ehrenrechte aberkannt sind, die Vorschriften
über die Ausstellung von Zeugnissen, die Schntzbcstimmungen für die Lohn¬
zahlungen, Abzüge, Strafen, für das sogenannte Trucksystem, für den Besuch von
Fortbildungsschulen, auch verschiedne in den Abschnitten II und III des Titels VII
der Gewerbeordnung über die besondern Verhältnisse der Gesellen und Lehrlinge
enthaltene, seit lange giltige Gebote und Verbote.

Ursprünglich nur sür die „Fabrikanfsicht" bestellt, sind also, wie wir sehen,
die besondern Aufsichtsbeamten jetzt in der That mit einer „Gewerbcaufsicht"
betraut worden, aus den Fabrikinspektoren sind Gewerbeinspcktoren geworden.
Wenn ihnen noch heute gewisse Gebiete des Arbeitsschutzes nicht überwiesen sind,
so hat das der Sache nach kaum noch eine Berechtigung; praktisch findet es,
z. B. was das Trucksystem betrifft, kaum noch Beachtung, und durch die Aus¬
dehnung der Paragraphen auf Kleingewerbe und Hausindustrie, wie sie zu
erwarten ist, wird es noch mehr an Bedeutung verliere«. Gleichzeitig mit der Um¬
wandlung der besondern Fabrikaufsicht in eine besondre Gewerbeaufsicht hat sich
insofern eine weitere Änderung vollzogen, als der hygienische und technische
Zweck immer mehr gegen den sozialen und polizeilichen zurückgetreten ist; das
ist vollends geschehen, nachdem, wenigstens für die Großindustrie, die staatliche
Unfallversicherung in ganz zweckmäßiger Weise die Berufsgenossenschaften an
der Unfallverhütung unmittelbar mit ihrem Geldbeutel interessirt hat, und diese
deshalb vielfach schon besondre Nevisionsingenieure mit der Aufsicht über den
Unfallschutz in den Betrieben beauftragen. Angesichts dieser Entwicklung kann
man wohl sagen, daß die besondre Gewerbeaufsicht in ihrem Wesen, so weit
es gesetzlich begrenzt ist, immer mehr die Besonderheit verloren hat, ja immer
mehr ein Teil der ordentlichen Polizei geworden ist. Trotzdem macht sich in
der heutigen Praxis immer noch der frühere scharfe, jetzt gesetzlich und
sachlich nicht mehr begründete Unterschied geltend, und auch in deu An¬
sichten über die Abstellung der in der Handhabung des Arbeiterschutzes be¬
klagten Mängel spielt der alte Unterschied zwischen Gewerbeanfsicht und Orts¬
polizei zum Schaden der Sache immer noch eine Rolle.

Hält man, wie es vielfach geschieht, an der früheren Meinung fest, daß
es sich bei der Gewerbeaufsicht um eine wesentlich andre Aufgabe handle, als
die ist, die der Polizei auch für das Gewerbe obliegt, eine Aufgabe, zu der die
Polizei auch nicht durch die Einfügung einer gehörigen Anzahl für die neuen
sozialen Rücksichten besonders befähigter Kräfte tüchtig gemacht werden könne,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0018" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/224946"/>
          <fw type="header" place="top"> Gewerbeaufsicht und Grtspolizei</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_40" prev="#ID_39"> der Wvchnerinnenarbeit und Anmeldung und Listenführung über &#x201E;jugendliche<lb/>
und weibliche Arbeiter." Damit ist aber der gesetzliche Arbeiterschutz, auch<lb/>
wenn wir uns ans die Bestimmungen der Neichsgewerbeordnung beschränken,<lb/>
noch nicht erschöpft. Unter anderen fallen in seinen Nahmen auch die Be¬<lb/>
stimmungen über die Arbeitsbücher der minderjährigen Arbeiter und über<lb/>
das Verbot der Anleitung von Arbeitern unter achtzehn Jahren für Gewerb-<lb/>
treibende, denen die bürgerlichen Ehrenrechte aberkannt sind, die Vorschriften<lb/>
über die Ausstellung von Zeugnissen, die Schntzbcstimmungen für die Lohn¬<lb/>
zahlungen, Abzüge, Strafen, für das sogenannte Trucksystem, für den Besuch von<lb/>
Fortbildungsschulen, auch verschiedne in den Abschnitten II und III des Titels VII<lb/>
der Gewerbeordnung über die besondern Verhältnisse der Gesellen und Lehrlinge<lb/>
enthaltene, seit lange giltige Gebote und Verbote.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_41"> Ursprünglich nur sür die &#x201E;Fabrikanfsicht" bestellt, sind also, wie wir sehen,<lb/>
die besondern Aufsichtsbeamten jetzt in der That mit einer &#x201E;Gewerbcaufsicht"<lb/>
betraut worden, aus den Fabrikinspektoren sind Gewerbeinspcktoren geworden.<lb/>
Wenn ihnen noch heute gewisse Gebiete des Arbeitsschutzes nicht überwiesen sind,<lb/>
so hat das der Sache nach kaum noch eine Berechtigung; praktisch findet es,<lb/>
z. B. was das Trucksystem betrifft, kaum noch Beachtung, und durch die Aus¬<lb/>
dehnung der Paragraphen auf Kleingewerbe und Hausindustrie, wie sie zu<lb/>
erwarten ist, wird es noch mehr an Bedeutung verliere«. Gleichzeitig mit der Um¬<lb/>
wandlung der besondern Fabrikaufsicht in eine besondre Gewerbeaufsicht hat sich<lb/>
insofern eine weitere Änderung vollzogen, als der hygienische und technische<lb/>
Zweck immer mehr gegen den sozialen und polizeilichen zurückgetreten ist; das<lb/>
ist vollends geschehen, nachdem, wenigstens für die Großindustrie, die staatliche<lb/>
Unfallversicherung in ganz zweckmäßiger Weise die Berufsgenossenschaften an<lb/>
der Unfallverhütung unmittelbar mit ihrem Geldbeutel interessirt hat, und diese<lb/>
deshalb vielfach schon besondre Nevisionsingenieure mit der Aufsicht über den<lb/>
Unfallschutz in den Betrieben beauftragen. Angesichts dieser Entwicklung kann<lb/>
man wohl sagen, daß die besondre Gewerbeaufsicht in ihrem Wesen, so weit<lb/>
es gesetzlich begrenzt ist, immer mehr die Besonderheit verloren hat, ja immer<lb/>
mehr ein Teil der ordentlichen Polizei geworden ist. Trotzdem macht sich in<lb/>
der heutigen Praxis immer noch der frühere scharfe, jetzt gesetzlich und<lb/>
sachlich nicht mehr begründete Unterschied geltend, und auch in deu An¬<lb/>
sichten über die Abstellung der in der Handhabung des Arbeiterschutzes be¬<lb/>
klagten Mängel spielt der alte Unterschied zwischen Gewerbeanfsicht und Orts¬<lb/>
polizei zum Schaden der Sache immer noch eine Rolle.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_42" next="#ID_43"> Hält man, wie es vielfach geschieht, an der früheren Meinung fest, daß<lb/>
es sich bei der Gewerbeaufsicht um eine wesentlich andre Aufgabe handle, als<lb/>
die ist, die der Polizei auch für das Gewerbe obliegt, eine Aufgabe, zu der die<lb/>
Polizei auch nicht durch die Einfügung einer gehörigen Anzahl für die neuen<lb/>
sozialen Rücksichten besonders befähigter Kräfte tüchtig gemacht werden könne,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0018] Gewerbeaufsicht und Grtspolizei der Wvchnerinnenarbeit und Anmeldung und Listenführung über „jugendliche und weibliche Arbeiter." Damit ist aber der gesetzliche Arbeiterschutz, auch wenn wir uns ans die Bestimmungen der Neichsgewerbeordnung beschränken, noch nicht erschöpft. Unter anderen fallen in seinen Nahmen auch die Be¬ stimmungen über die Arbeitsbücher der minderjährigen Arbeiter und über das Verbot der Anleitung von Arbeitern unter achtzehn Jahren für Gewerb- treibende, denen die bürgerlichen Ehrenrechte aberkannt sind, die Vorschriften über die Ausstellung von Zeugnissen, die Schntzbcstimmungen für die Lohn¬ zahlungen, Abzüge, Strafen, für das sogenannte Trucksystem, für den Besuch von Fortbildungsschulen, auch verschiedne in den Abschnitten II und III des Titels VII der Gewerbeordnung über die besondern Verhältnisse der Gesellen und Lehrlinge enthaltene, seit lange giltige Gebote und Verbote. Ursprünglich nur sür die „Fabrikanfsicht" bestellt, sind also, wie wir sehen, die besondern Aufsichtsbeamten jetzt in der That mit einer „Gewerbcaufsicht" betraut worden, aus den Fabrikinspektoren sind Gewerbeinspcktoren geworden. Wenn ihnen noch heute gewisse Gebiete des Arbeitsschutzes nicht überwiesen sind, so hat das der Sache nach kaum noch eine Berechtigung; praktisch findet es, z. B. was das Trucksystem betrifft, kaum noch Beachtung, und durch die Aus¬ dehnung der Paragraphen auf Kleingewerbe und Hausindustrie, wie sie zu erwarten ist, wird es noch mehr an Bedeutung verliere«. Gleichzeitig mit der Um¬ wandlung der besondern Fabrikaufsicht in eine besondre Gewerbeaufsicht hat sich insofern eine weitere Änderung vollzogen, als der hygienische und technische Zweck immer mehr gegen den sozialen und polizeilichen zurückgetreten ist; das ist vollends geschehen, nachdem, wenigstens für die Großindustrie, die staatliche Unfallversicherung in ganz zweckmäßiger Weise die Berufsgenossenschaften an der Unfallverhütung unmittelbar mit ihrem Geldbeutel interessirt hat, und diese deshalb vielfach schon besondre Nevisionsingenieure mit der Aufsicht über den Unfallschutz in den Betrieben beauftragen. Angesichts dieser Entwicklung kann man wohl sagen, daß die besondre Gewerbeaufsicht in ihrem Wesen, so weit es gesetzlich begrenzt ist, immer mehr die Besonderheit verloren hat, ja immer mehr ein Teil der ordentlichen Polizei geworden ist. Trotzdem macht sich in der heutigen Praxis immer noch der frühere scharfe, jetzt gesetzlich und sachlich nicht mehr begründete Unterschied geltend, und auch in deu An¬ sichten über die Abstellung der in der Handhabung des Arbeiterschutzes be¬ klagten Mängel spielt der alte Unterschied zwischen Gewerbeanfsicht und Orts¬ polizei zum Schaden der Sache immer noch eine Rolle. Hält man, wie es vielfach geschieht, an der früheren Meinung fest, daß es sich bei der Gewerbeaufsicht um eine wesentlich andre Aufgabe handle, als die ist, die der Polizei auch für das Gewerbe obliegt, eine Aufgabe, zu der die Polizei auch nicht durch die Einfügung einer gehörigen Anzahl für die neuen sozialen Rücksichten besonders befähigter Kräfte tüchtig gemacht werden könne,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/18
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/18>, abgerufen am 23.07.2024.