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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Gewerbeaufsicht und Grtspolizei

ausreichten, und daß es die ordentlichen Polizeibehörden -- die Ortspolizei,
Wie man zu sagen pflegt -- diesen Bestimmungen gegenüber vielfach an dem
Pflichtmäßigen Ernst und an Nachdruck fehlen ließen. Die Übertreibungen, die
gerade auf diesem Gebiete immer von sozialdemokratischen Reichstagsabgeord¬
neten sür angebracht gehalten werden, dürfen uns nicht darüber täuschen, daß
in der That die Beschwerden in viel zu weitem Umfange berechtigt sind.
Schon die amtlichen Berichte der Gewerbeaufsichtsbeamten bestätigen das auch
dem kritischen Leser hinreichend, und das Fortbestehen der Mängel sollte gerade
deshalb sehr ernst genommen werden, weil es der gemeingefährlichen Agitation
der Sozialdemokratie das erwünschteste Mittel in die Hand geben, immer wieder
in der Masse der arbeitenden Klassen die irrige Vorstellung zu erregen, daß
unsre Arbeiterschutzgesetzgebung durch ihre praktische Ausführung völlig wertlos
gemacht werde, und die heutige Staatsordnung überhaupt unfähig sei, dem
Gesetz Geltung zu verschaffen, sobald es sich um den Schutz der Arbeiter gegen
den Unternehmer, des Nichtbesitzenden gegen den Besitzenden, des Armen gegen
den Reichen handelt. Den berechtigten Beschwerden auf diesem Gebiete Abhilfe
zu schaffen ist jedenfalls eine der dringendsten sozialpolitischen Aufgaben der
Gegenwart. Daß man es bisher nicht in dem Maße, wie es nötig und auch
möglich war, gethan hat, liegt zum guten Teil an gewissen vorgefaßten Mei¬
nungen, infolgedessen man die Lösung des Problems in falscher und unmög¬
licher Richtung gesucht hat. Darüber möchten wir einige kurze Bemerkungen
machen.

Der erwähnte Z 139 der Gewerbeordnung schreibt vor, daß die Aufsicht
über die Ausführungen der Bestimmungen der §8 105a bis 105 Ir, 120-1 bis
120o und 134 bis 139g. "besondern" von den Landesregierungen zu er¬
nennenden Beamten zu übertragen sei, denen alle amtlichen Befugnisse der Orts-
Polizeibehvrden zustehen. Die Bestimmungen der §Z 105a bis v betreffen das
Verbot der Sonn- und Festtagsarbcit und die unter Umstünden zulässigen
Ausnahmen vou diesem Verbot, die Bestimmungen der §Z 120a bis <z ver¬
pflichten die Gewerbeunternehiner, Einrichtungen im Betriebe zu treffen und
Zu erhalten, die im Interesse der Gesundheit und des Lebens der Arbeiter,
sowie zur Aufrechterhaltung der guten Sitten und des Auslands erforderlich
sind, wobei für die Gesundheit und Sittlichkeit der Arbeiter unter achtzehn
wahren besondre Rücksichten eingeschärft werden. Während sich diese Schutz-
bestimmuugcn schon ans alle Arbeiter, auch die in kleiugcwerblicheu Betrieben,
^'ziehen, betreffen die Z§ 134 bis 139 a, noch lediglich die Fabrikarbeiter, und
zwar insbesondre den Erlaß von Arbeitsordnungen, das Verbot der Kinder¬
arbeit, die Einschränkung der täglichen Arbeitsdauer für "jugendliche" Arbeiter,
sowie die ihnen während der Arbeitszeit zu gewährenden Pansen, die Ein¬
schränkungen der täglichen Arbeitsdauer und die Pausen für erwachsene Ar¬
beiterinnen und die unter Umständen zuzugestehenden Ausnahmen, das Verbot


Grenzboten II 1897 2
Gewerbeaufsicht und Grtspolizei

ausreichten, und daß es die ordentlichen Polizeibehörden — die Ortspolizei,
Wie man zu sagen pflegt — diesen Bestimmungen gegenüber vielfach an dem
Pflichtmäßigen Ernst und an Nachdruck fehlen ließen. Die Übertreibungen, die
gerade auf diesem Gebiete immer von sozialdemokratischen Reichstagsabgeord¬
neten sür angebracht gehalten werden, dürfen uns nicht darüber täuschen, daß
in der That die Beschwerden in viel zu weitem Umfange berechtigt sind.
Schon die amtlichen Berichte der Gewerbeaufsichtsbeamten bestätigen das auch
dem kritischen Leser hinreichend, und das Fortbestehen der Mängel sollte gerade
deshalb sehr ernst genommen werden, weil es der gemeingefährlichen Agitation
der Sozialdemokratie das erwünschteste Mittel in die Hand geben, immer wieder
in der Masse der arbeitenden Klassen die irrige Vorstellung zu erregen, daß
unsre Arbeiterschutzgesetzgebung durch ihre praktische Ausführung völlig wertlos
gemacht werde, und die heutige Staatsordnung überhaupt unfähig sei, dem
Gesetz Geltung zu verschaffen, sobald es sich um den Schutz der Arbeiter gegen
den Unternehmer, des Nichtbesitzenden gegen den Besitzenden, des Armen gegen
den Reichen handelt. Den berechtigten Beschwerden auf diesem Gebiete Abhilfe
zu schaffen ist jedenfalls eine der dringendsten sozialpolitischen Aufgaben der
Gegenwart. Daß man es bisher nicht in dem Maße, wie es nötig und auch
möglich war, gethan hat, liegt zum guten Teil an gewissen vorgefaßten Mei¬
nungen, infolgedessen man die Lösung des Problems in falscher und unmög¬
licher Richtung gesucht hat. Darüber möchten wir einige kurze Bemerkungen
machen.

Der erwähnte Z 139 der Gewerbeordnung schreibt vor, daß die Aufsicht
über die Ausführungen der Bestimmungen der §8 105a bis 105 Ir, 120-1 bis
120o und 134 bis 139g. „besondern" von den Landesregierungen zu er¬
nennenden Beamten zu übertragen sei, denen alle amtlichen Befugnisse der Orts-
Polizeibehvrden zustehen. Die Bestimmungen der §Z 105a bis v betreffen das
Verbot der Sonn- und Festtagsarbcit und die unter Umstünden zulässigen
Ausnahmen vou diesem Verbot, die Bestimmungen der §Z 120a bis <z ver¬
pflichten die Gewerbeunternehiner, Einrichtungen im Betriebe zu treffen und
Zu erhalten, die im Interesse der Gesundheit und des Lebens der Arbeiter,
sowie zur Aufrechterhaltung der guten Sitten und des Auslands erforderlich
sind, wobei für die Gesundheit und Sittlichkeit der Arbeiter unter achtzehn
wahren besondre Rücksichten eingeschärft werden. Während sich diese Schutz-
bestimmuugcn schon ans alle Arbeiter, auch die in kleiugcwerblicheu Betrieben,
^'ziehen, betreffen die Z§ 134 bis 139 a, noch lediglich die Fabrikarbeiter, und
zwar insbesondre den Erlaß von Arbeitsordnungen, das Verbot der Kinder¬
arbeit, die Einschränkung der täglichen Arbeitsdauer für „jugendliche" Arbeiter,
sowie die ihnen während der Arbeitszeit zu gewährenden Pansen, die Ein¬
schränkungen der täglichen Arbeitsdauer und die Pausen für erwachsene Ar¬
beiterinnen und die unter Umständen zuzugestehenden Ausnahmen, das Verbot


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/17>, abgerufen am 23.07.2024.