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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Deutsche Kolonisation

und gehabt hat, als daß es der erste, halb unbewußte Schritt auf dem Wege
zu Kolonialpolitik und zur Weltmacht gewesen ist.

Nachdem uns unsre Nachbarstaaten weit vorangeeilt sind auf diesen Pfaden,
müssen wir nun also einen klaren Entschluß fassen, ob wir mit ihnen Schritt
halten wollen oder nicht. Wollen wir uns auf binnenländische, kleindeutsche
Politik beschränken, so können wir ohne wesentlichen Nachteil unsre Hochsee¬
kriegsschiffe wieder einmal verauktioniren; wollen wir Welthandel, Weltindnstrie
und infolge davon auch Weltpolitik treiben, so gehört dazu eine wirklich
achtunggebietende Kriegsflotte, es gehören dazu überseeische Handelsnieder¬
lassungen und Tochterstaaten. Entweder -- oder! Der deutsche Michel steht
am Scheidewege.

Wir für unsern Teil sind uns völlig klar, welchen Stimmzettel wir ab¬
zugeben haben; wir halten ein größeres Deutschland für die Grundbedingung
unsrer Zukunft, wir wollen vorwärts und hinaus in die Welt, selbst um den'
Preis eines Krieges. Nachdem aber unsre Ausführungen zu diesem Ergebnis
gelangt sind, können wir uns natürlich nicht der Umschau auf dem Weltmarkte
uach dem Angebot entziehen.

Die Auswahl ist nicht sehr groß; wir wollen es machen wie ein umsichtiger
Herrscher, der für seinen mündig und reif gewordnen Thronfolger eine passende
Genossin sucht. Er wird die heiratsfähigen Prinzessinnen -- ihre Zahl ist ja
gering -- daraufhin prüfen, ob sie den Hauptbedingungen, die durch die Ver¬
hältnisse geboten sind, entspreche". Unser Bild für das deutsche Volk ist nicht
neu, unser größter Dichter hat es im Märchen in den "Unterhaltungen deutscher
Ausgewanderten" so dargestellt, im Harnisch des Krieges, im Purpur einer
weisen Negierung, doch ohne Krone, Zepter und Schwert. Schwert und Krone
sind bei Königgrätz und Sedan wiedergewonnen worden, über das Zepter wagen
wir uoch nichts zu sagen, so lange die "Weissagung von der Brücke" nicht
erfüllt ist.

Bei unsrer Musterung verfolgen wir hauptsächlich den Zweck, die öffent¬
liche Meinung in Deutschland über die wesentlichen Punkte aufzuklären und
zur Feststellung eines neuen nationalen Zieles unser Scherflein beizutragen.
Wir beklagen es als einen schweren Übelstand, daß kein solches allgemein an¬
erkanntes nationales Ziel in dem Getriebe der zerfcihrnen und wider einander
streitenden Parteiinteressen erkannt worden ist, und hoffen, wenn es hingestellt
wird, davon einen heilsamen Einfluß auf unser gesamtes politisches und
soziales Leben: die Erkenntnis des Wünschenswerten muß sich im Laufe der
Zeit zum festen, entschlossenen Wollen verdichten.

Der Hauptstrom der deutschen Auswanderung hat sich bisher nach Amerika
gerichtet; so liegt es auch am nächsten, zuerst zu prüfen, inwiefern die Ver¬
hältnisse dieses Weltteils den Zielen, die wir uns von nnn an stellen müssen,
entsprechen. Was wir fordern, ist ein zur Aufnahme einer organisirten deutschen


Deutsche Kolonisation

und gehabt hat, als daß es der erste, halb unbewußte Schritt auf dem Wege
zu Kolonialpolitik und zur Weltmacht gewesen ist.

Nachdem uns unsre Nachbarstaaten weit vorangeeilt sind auf diesen Pfaden,
müssen wir nun also einen klaren Entschluß fassen, ob wir mit ihnen Schritt
halten wollen oder nicht. Wollen wir uns auf binnenländische, kleindeutsche
Politik beschränken, so können wir ohne wesentlichen Nachteil unsre Hochsee¬
kriegsschiffe wieder einmal verauktioniren; wollen wir Welthandel, Weltindnstrie
und infolge davon auch Weltpolitik treiben, so gehört dazu eine wirklich
achtunggebietende Kriegsflotte, es gehören dazu überseeische Handelsnieder¬
lassungen und Tochterstaaten. Entweder — oder! Der deutsche Michel steht
am Scheidewege.

Wir für unsern Teil sind uns völlig klar, welchen Stimmzettel wir ab¬
zugeben haben; wir halten ein größeres Deutschland für die Grundbedingung
unsrer Zukunft, wir wollen vorwärts und hinaus in die Welt, selbst um den'
Preis eines Krieges. Nachdem aber unsre Ausführungen zu diesem Ergebnis
gelangt sind, können wir uns natürlich nicht der Umschau auf dem Weltmarkte
uach dem Angebot entziehen.

Die Auswahl ist nicht sehr groß; wir wollen es machen wie ein umsichtiger
Herrscher, der für seinen mündig und reif gewordnen Thronfolger eine passende
Genossin sucht. Er wird die heiratsfähigen Prinzessinnen — ihre Zahl ist ja
gering — daraufhin prüfen, ob sie den Hauptbedingungen, die durch die Ver¬
hältnisse geboten sind, entspreche». Unser Bild für das deutsche Volk ist nicht
neu, unser größter Dichter hat es im Märchen in den „Unterhaltungen deutscher
Ausgewanderten" so dargestellt, im Harnisch des Krieges, im Purpur einer
weisen Negierung, doch ohne Krone, Zepter und Schwert. Schwert und Krone
sind bei Königgrätz und Sedan wiedergewonnen worden, über das Zepter wagen
wir uoch nichts zu sagen, so lange die „Weissagung von der Brücke" nicht
erfüllt ist.

Bei unsrer Musterung verfolgen wir hauptsächlich den Zweck, die öffent¬
liche Meinung in Deutschland über die wesentlichen Punkte aufzuklären und
zur Feststellung eines neuen nationalen Zieles unser Scherflein beizutragen.
Wir beklagen es als einen schweren Übelstand, daß kein solches allgemein an¬
erkanntes nationales Ziel in dem Getriebe der zerfcihrnen und wider einander
streitenden Parteiinteressen erkannt worden ist, und hoffen, wenn es hingestellt
wird, davon einen heilsamen Einfluß auf unser gesamtes politisches und
soziales Leben: die Erkenntnis des Wünschenswerten muß sich im Laufe der
Zeit zum festen, entschlossenen Wollen verdichten.

Der Hauptstrom der deutschen Auswanderung hat sich bisher nach Amerika
gerichtet; so liegt es auch am nächsten, zuerst zu prüfen, inwiefern die Ver¬
hältnisse dieses Weltteils den Zielen, die wir uns von nnn an stellen müssen,
entsprechen. Was wir fordern, ist ein zur Aufnahme einer organisirten deutschen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/15>, abgerufen am 23.07.2024.