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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Deutsche Kolonisation

in Schlagwörter hüllt; mit der Anwendung dieser Schlagwörter ist die Sache
erledigt, und es kann alles hübsch beim alten bleiben. Solche Schlagwörter
sind die "uferlose Flvttenpolitik" und die "schrankenlose Weltmacht." Es
werden wenige ernstlich in Abrede stellen wollen, daß sich die europäische Kultur,
die europäische Politik und der europäische Handel in den letzten Jahr¬
zehnten zu Weltkultur, zu Weltpolitik und Welthandel ausgedehnt haben. Wenn
wir Englands, Rußlands, Frankreichs und sogar Österreichs und Italiens Be¬
strebungen in dieser Richtung sehen, haben wir uns zu fragen: Wollen wir
mit den andern mitthun, oder wollen wir wieder einmal zurückbleiben und uns
mit der Kritik und mit dem Abhub von andrer Tische begnügen?

Unsre Industrie ist ganz zweifellos schon jetzt eine Weltindnstrie, unser
Handel ein Welthandel geworden, ja sie könnten sich nicht einmal auf ihrem
jetzigen Standpunkt behaupten, wenn ihnen das überseeische Gebiet abgeschnitten
würde. Sind wir aber aus solche Gebiete angewiesen, so können wir auch nicht
allein Biunenlandpolitik treiben, wir sind eben nicht mehr bloß ein Binnen¬
staat. Alle Borgänger Deutschlands auf dem Gebiet überseeischer Politik sind
vom Handel zu Kolonien geführt worden. Die Hanse ist nach kurzer Blüte
darau zu Grunde gegangen, daß sie des Schutzes einer starken Zentralgewalt
im Mutterlande entbehrte und statt eigner großer Kolonien nur Handelsfakto¬
reien hatte. Kein Volk läßt sich auf die Dauer fremde Handelsherrschaft
-- Monopvlien, wie man früher sagte -- gefallen; nur politische Kinder
können glauben, daß uns England, die Vereinigten Staaten und Rußland auch
nur Handelsfreiheit in den von ihnen beherrschten oder beeinflußten Gebieten
länger erlauben werden, als es ihrem Interesse und ihrer Macht entspricht.
Darum müssen wir eigne Kolonien haben und auch hierin mit unsern Nachbar¬
staaten Schritt halten. Als es sich um die Dampferunterstützungen nach Ostasien
handelte, da rechneten die weitsichtigen Parlameutsrechner die Unrentabilität
dieser Anlage heraus, gerade so "reffend wie der Generalpvstmeister Nagler die
Unrentabilität der Berlin-Potsdamer Bahn damit nachwies, daß in den sechs
Diligencen, die den Verkehr damals besorgten, noch immer Plätze leer seien.
Diese Art vou Beweisführung ist natürlich außerordentlich überzeugend für alle,
die keine Lust haben, etwas zu thun, für die Kleinmütigen und Kurzsichtigen,
die man zu allem bringen kann, nnr nicht zu einem ganzen Entschluß.

Wir wollen zugeben, daß Deutschland ein Biuneustaat ist, aber es ist erst
ein Vinnenstnat geworden, seit Karl V. unseligen Andenkens die politische
Trennung Deutschlands von den Niederlanden und Oberitalien dauernd gemacht
hat. Soll dadurch, daß uns die Hauptzugäuge zum Meere damals entzogen
worden sind, Dentschland für immer auf seine überseeischen Aufgaben verzichten?
Soll Deutschlands Volkskraft nach ihrer Vereinigung auf beschränktem Boden
zur Erstickung verurteilt sein? Wir denken, die Entwicklung des deutschen
Handels, der deutscheu Industrie und -- der deutscheu Intelligenz haben darauf


Deutsche Kolonisation

in Schlagwörter hüllt; mit der Anwendung dieser Schlagwörter ist die Sache
erledigt, und es kann alles hübsch beim alten bleiben. Solche Schlagwörter
sind die „uferlose Flvttenpolitik" und die „schrankenlose Weltmacht." Es
werden wenige ernstlich in Abrede stellen wollen, daß sich die europäische Kultur,
die europäische Politik und der europäische Handel in den letzten Jahr¬
zehnten zu Weltkultur, zu Weltpolitik und Welthandel ausgedehnt haben. Wenn
wir Englands, Rußlands, Frankreichs und sogar Österreichs und Italiens Be¬
strebungen in dieser Richtung sehen, haben wir uns zu fragen: Wollen wir
mit den andern mitthun, oder wollen wir wieder einmal zurückbleiben und uns
mit der Kritik und mit dem Abhub von andrer Tische begnügen?

Unsre Industrie ist ganz zweifellos schon jetzt eine Weltindnstrie, unser
Handel ein Welthandel geworden, ja sie könnten sich nicht einmal auf ihrem
jetzigen Standpunkt behaupten, wenn ihnen das überseeische Gebiet abgeschnitten
würde. Sind wir aber aus solche Gebiete angewiesen, so können wir auch nicht
allein Biunenlandpolitik treiben, wir sind eben nicht mehr bloß ein Binnen¬
staat. Alle Borgänger Deutschlands auf dem Gebiet überseeischer Politik sind
vom Handel zu Kolonien geführt worden. Die Hanse ist nach kurzer Blüte
darau zu Grunde gegangen, daß sie des Schutzes einer starken Zentralgewalt
im Mutterlande entbehrte und statt eigner großer Kolonien nur Handelsfakto¬
reien hatte. Kein Volk läßt sich auf die Dauer fremde Handelsherrschaft
— Monopvlien, wie man früher sagte — gefallen; nur politische Kinder
können glauben, daß uns England, die Vereinigten Staaten und Rußland auch
nur Handelsfreiheit in den von ihnen beherrschten oder beeinflußten Gebieten
länger erlauben werden, als es ihrem Interesse und ihrer Macht entspricht.
Darum müssen wir eigne Kolonien haben und auch hierin mit unsern Nachbar¬
staaten Schritt halten. Als es sich um die Dampferunterstützungen nach Ostasien
handelte, da rechneten die weitsichtigen Parlameutsrechner die Unrentabilität
dieser Anlage heraus, gerade so «reffend wie der Generalpvstmeister Nagler die
Unrentabilität der Berlin-Potsdamer Bahn damit nachwies, daß in den sechs
Diligencen, die den Verkehr damals besorgten, noch immer Plätze leer seien.
Diese Art vou Beweisführung ist natürlich außerordentlich überzeugend für alle,
die keine Lust haben, etwas zu thun, für die Kleinmütigen und Kurzsichtigen,
die man zu allem bringen kann, nnr nicht zu einem ganzen Entschluß.

Wir wollen zugeben, daß Deutschland ein Biuneustaat ist, aber es ist erst
ein Vinnenstnat geworden, seit Karl V. unseligen Andenkens die politische
Trennung Deutschlands von den Niederlanden und Oberitalien dauernd gemacht
hat. Soll dadurch, daß uns die Hauptzugäuge zum Meere damals entzogen
worden sind, Dentschland für immer auf seine überseeischen Aufgaben verzichten?
Soll Deutschlands Volkskraft nach ihrer Vereinigung auf beschränktem Boden
zur Erstickung verurteilt sein? Wir denken, die Entwicklung des deutschen
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[0013] Deutsche Kolonisation in Schlagwörter hüllt; mit der Anwendung dieser Schlagwörter ist die Sache erledigt, und es kann alles hübsch beim alten bleiben. Solche Schlagwörter sind die „uferlose Flvttenpolitik" und die „schrankenlose Weltmacht." Es werden wenige ernstlich in Abrede stellen wollen, daß sich die europäische Kultur, die europäische Politik und der europäische Handel in den letzten Jahr¬ zehnten zu Weltkultur, zu Weltpolitik und Welthandel ausgedehnt haben. Wenn wir Englands, Rußlands, Frankreichs und sogar Österreichs und Italiens Be¬ strebungen in dieser Richtung sehen, haben wir uns zu fragen: Wollen wir mit den andern mitthun, oder wollen wir wieder einmal zurückbleiben und uns mit der Kritik und mit dem Abhub von andrer Tische begnügen? Unsre Industrie ist ganz zweifellos schon jetzt eine Weltindnstrie, unser Handel ein Welthandel geworden, ja sie könnten sich nicht einmal auf ihrem jetzigen Standpunkt behaupten, wenn ihnen das überseeische Gebiet abgeschnitten würde. Sind wir aber aus solche Gebiete angewiesen, so können wir auch nicht allein Biunenlandpolitik treiben, wir sind eben nicht mehr bloß ein Binnen¬ staat. Alle Borgänger Deutschlands auf dem Gebiet überseeischer Politik sind vom Handel zu Kolonien geführt worden. Die Hanse ist nach kurzer Blüte darau zu Grunde gegangen, daß sie des Schutzes einer starken Zentralgewalt im Mutterlande entbehrte und statt eigner großer Kolonien nur Handelsfakto¬ reien hatte. Kein Volk läßt sich auf die Dauer fremde Handelsherrschaft — Monopvlien, wie man früher sagte — gefallen; nur politische Kinder können glauben, daß uns England, die Vereinigten Staaten und Rußland auch nur Handelsfreiheit in den von ihnen beherrschten oder beeinflußten Gebieten länger erlauben werden, als es ihrem Interesse und ihrer Macht entspricht. Darum müssen wir eigne Kolonien haben und auch hierin mit unsern Nachbar¬ staaten Schritt halten. Als es sich um die Dampferunterstützungen nach Ostasien handelte, da rechneten die weitsichtigen Parlameutsrechner die Unrentabilität dieser Anlage heraus, gerade so «reffend wie der Generalpvstmeister Nagler die Unrentabilität der Berlin-Potsdamer Bahn damit nachwies, daß in den sechs Diligencen, die den Verkehr damals besorgten, noch immer Plätze leer seien. Diese Art vou Beweisführung ist natürlich außerordentlich überzeugend für alle, die keine Lust haben, etwas zu thun, für die Kleinmütigen und Kurzsichtigen, die man zu allem bringen kann, nnr nicht zu einem ganzen Entschluß. Wir wollen zugeben, daß Deutschland ein Biuneustaat ist, aber es ist erst ein Vinnenstnat geworden, seit Karl V. unseligen Andenkens die politische Trennung Deutschlands von den Niederlanden und Oberitalien dauernd gemacht hat. Soll dadurch, daß uns die Hauptzugäuge zum Meere damals entzogen worden sind, Dentschland für immer auf seine überseeischen Aufgaben verzichten? Soll Deutschlands Volkskraft nach ihrer Vereinigung auf beschränktem Boden zur Erstickung verurteilt sein? Wir denken, die Entwicklung des deutschen Handels, der deutscheu Industrie und — der deutscheu Intelligenz haben darauf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/13>, abgerufen am 23.07.2024.