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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Agrarisches Zünftlertum

Aufnahme gefunden hat. Wir leugnen gar nicht, daß wir uns feit dreißig
Jahren über jedes Vauerndorf unsrer engern Heimat gefreut haben, wo im
großen und gauzeu die Güter nicht nur vor Zerschlagung bewahrt blieben,
sondern sich auch wie seit hundert Jahren vom Vater auf den Sohn weiter
vererbten, ohne Anerbenrecht und ohne Verschnldungsgreuze, bis auf deu heutigen
Tag. Diese bäuerliche Aristokratie hat etwas sehr bestechendes und für uns
anheimelndes. Aber so oft wir auch darüber nachgedacht haben, ob wohl für
diese Bauerndörfer die Einführung des Anerbenrechts als Jntestaterbrecht
wünschenswert sei, ob das, was sich bisher durch gesunden Familiensinn und
gute Wirtschaft freiwillig erhalten hat, durch eine Art von Zwang und Ent¬
mündigung der Bauern festgelegt werden sollte, immer sind wir zu der Ansicht
gelangt, daß damit viel mehr geschadet als genützt, daß Gutes in etwas Schlechtes
umgewandelt werden würde. Die Erhaltung der Bauernhöfe in unsrer schle-
sischen Heimat -- sie haben in der Regel zwanzig bis vierzig Hektar --, ungeteilt
und in der Familie, ist heute nur dann sozial erträglich, wenn sie sich mit
den besondern Verhältnissen des einzelnen Wirts, der einzelnen Familien ver¬
trüge. Unsre Bauern würden, trotz aller Liebe zum väterlichen Besitz, heute
noch den für verrückt halten, der ihnen vorreden wollte, die Pflicht und das
Recht des Bauers, fein Gut ungeteilt in der Familie zu erhalten, sei gleich¬
mäßig vorhanden bei dem, der einen Sohn, wie bei dem, der sieben Söhne
hat; sie würden ihn für gerade so verrückt halten wie den, der ihnen das
Zweikindershstem empfehlen würde. Dem gesunden Sinn unsrer Bauern er¬
scheint beides gleich plump, gleich roh, gleich unsittlich. Uns würde es als
eine unverantwortliche Frivolität erscheinen, wollte man sie an dieser An¬
schauung irre machen, wie es manchen unsrer Bauernretter wohl gar nicht
so fern liegt. Unsre Bauern lachen auch den "Studirten" gründlich aus,
der ihnen vorerzählt von dem schönen, patriarchalischen, sorgenfreien und
ehrenvollen Unterschlupf, den die "nachgebornen" Kinder angeblich auf dem
Hofe des Anerben haben sollen. Der gesunde Bauernsohn, der mit dreißig
Jahren noch als Sohn oder als Bruder zu Hanse sitzt, hat die Vermutung,
ein Lump oder ein Faulpelz zu sein, Wider sich, und das an ihren Söhnen,
auch den nachgebornen, zu erleben, ist unsern Bauern, Vätern wie Müttern,
fast ein noch größerer Schmerz, als bei reichem "Kindersegen" -- so sagt man
Gott sei Dank noch -- das Gut verkaufen zu müssen und den Söhnen zur
Begründung einer andern Lebensstellung zu helfen, wenn nicht eine reiche
Schwiegertochter ins Haus gebracht wird, oder eine Teilung des Gutes, was
selten, wohl zu selten vorkommt, den Neigungen entspricht. Jedenfalls ist es
bei der bestehenden Gesellschaftsordnung mit dem Privateigentum an Grund
und Boden der reine Unverstand, die Vermögenslage der Bauergutsbesitzer
gleich machen oder auch nur von größern Verschiedenheiten befreien zu
wollen, ganz abgesehen von der persönlichen Tüchtigkeit der einzelnen Wirte.


Agrarisches Zünftlertum

Aufnahme gefunden hat. Wir leugnen gar nicht, daß wir uns feit dreißig
Jahren über jedes Vauerndorf unsrer engern Heimat gefreut haben, wo im
großen und gauzeu die Güter nicht nur vor Zerschlagung bewahrt blieben,
sondern sich auch wie seit hundert Jahren vom Vater auf den Sohn weiter
vererbten, ohne Anerbenrecht und ohne Verschnldungsgreuze, bis auf deu heutigen
Tag. Diese bäuerliche Aristokratie hat etwas sehr bestechendes und für uns
anheimelndes. Aber so oft wir auch darüber nachgedacht haben, ob wohl für
diese Bauerndörfer die Einführung des Anerbenrechts als Jntestaterbrecht
wünschenswert sei, ob das, was sich bisher durch gesunden Familiensinn und
gute Wirtschaft freiwillig erhalten hat, durch eine Art von Zwang und Ent¬
mündigung der Bauern festgelegt werden sollte, immer sind wir zu der Ansicht
gelangt, daß damit viel mehr geschadet als genützt, daß Gutes in etwas Schlechtes
umgewandelt werden würde. Die Erhaltung der Bauernhöfe in unsrer schle-
sischen Heimat — sie haben in der Regel zwanzig bis vierzig Hektar —, ungeteilt
und in der Familie, ist heute nur dann sozial erträglich, wenn sie sich mit
den besondern Verhältnissen des einzelnen Wirts, der einzelnen Familien ver¬
trüge. Unsre Bauern würden, trotz aller Liebe zum väterlichen Besitz, heute
noch den für verrückt halten, der ihnen vorreden wollte, die Pflicht und das
Recht des Bauers, fein Gut ungeteilt in der Familie zu erhalten, sei gleich¬
mäßig vorhanden bei dem, der einen Sohn, wie bei dem, der sieben Söhne
hat; sie würden ihn für gerade so verrückt halten wie den, der ihnen das
Zweikindershstem empfehlen würde. Dem gesunden Sinn unsrer Bauern er¬
scheint beides gleich plump, gleich roh, gleich unsittlich. Uns würde es als
eine unverantwortliche Frivolität erscheinen, wollte man sie an dieser An¬
schauung irre machen, wie es manchen unsrer Bauernretter wohl gar nicht
so fern liegt. Unsre Bauern lachen auch den „Studirten" gründlich aus,
der ihnen vorerzählt von dem schönen, patriarchalischen, sorgenfreien und
ehrenvollen Unterschlupf, den die „nachgebornen" Kinder angeblich auf dem
Hofe des Anerben haben sollen. Der gesunde Bauernsohn, der mit dreißig
Jahren noch als Sohn oder als Bruder zu Hanse sitzt, hat die Vermutung,
ein Lump oder ein Faulpelz zu sein, Wider sich, und das an ihren Söhnen,
auch den nachgebornen, zu erleben, ist unsern Bauern, Vätern wie Müttern,
fast ein noch größerer Schmerz, als bei reichem „Kindersegen" — so sagt man
Gott sei Dank noch — das Gut verkaufen zu müssen und den Söhnen zur
Begründung einer andern Lebensstellung zu helfen, wenn nicht eine reiche
Schwiegertochter ins Haus gebracht wird, oder eine Teilung des Gutes, was
selten, wohl zu selten vorkommt, den Neigungen entspricht. Jedenfalls ist es
bei der bestehenden Gesellschaftsordnung mit dem Privateigentum an Grund
und Boden der reine Unverstand, die Vermögenslage der Bauergutsbesitzer
gleich machen oder auch nur von größern Verschiedenheiten befreien zu
wollen, ganz abgesehen von der persönlichen Tüchtigkeit der einzelnen Wirte.


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[0125] Agrarisches Zünftlertum Aufnahme gefunden hat. Wir leugnen gar nicht, daß wir uns feit dreißig Jahren über jedes Vauerndorf unsrer engern Heimat gefreut haben, wo im großen und gauzeu die Güter nicht nur vor Zerschlagung bewahrt blieben, sondern sich auch wie seit hundert Jahren vom Vater auf den Sohn weiter vererbten, ohne Anerbenrecht und ohne Verschnldungsgreuze, bis auf deu heutigen Tag. Diese bäuerliche Aristokratie hat etwas sehr bestechendes und für uns anheimelndes. Aber so oft wir auch darüber nachgedacht haben, ob wohl für diese Bauerndörfer die Einführung des Anerbenrechts als Jntestaterbrecht wünschenswert sei, ob das, was sich bisher durch gesunden Familiensinn und gute Wirtschaft freiwillig erhalten hat, durch eine Art von Zwang und Ent¬ mündigung der Bauern festgelegt werden sollte, immer sind wir zu der Ansicht gelangt, daß damit viel mehr geschadet als genützt, daß Gutes in etwas Schlechtes umgewandelt werden würde. Die Erhaltung der Bauernhöfe in unsrer schle- sischen Heimat — sie haben in der Regel zwanzig bis vierzig Hektar —, ungeteilt und in der Familie, ist heute nur dann sozial erträglich, wenn sie sich mit den besondern Verhältnissen des einzelnen Wirts, der einzelnen Familien ver¬ trüge. Unsre Bauern würden, trotz aller Liebe zum väterlichen Besitz, heute noch den für verrückt halten, der ihnen vorreden wollte, die Pflicht und das Recht des Bauers, fein Gut ungeteilt in der Familie zu erhalten, sei gleich¬ mäßig vorhanden bei dem, der einen Sohn, wie bei dem, der sieben Söhne hat; sie würden ihn für gerade so verrückt halten wie den, der ihnen das Zweikindershstem empfehlen würde. Dem gesunden Sinn unsrer Bauern er¬ scheint beides gleich plump, gleich roh, gleich unsittlich. Uns würde es als eine unverantwortliche Frivolität erscheinen, wollte man sie an dieser An¬ schauung irre machen, wie es manchen unsrer Bauernretter wohl gar nicht so fern liegt. Unsre Bauern lachen auch den „Studirten" gründlich aus, der ihnen vorerzählt von dem schönen, patriarchalischen, sorgenfreien und ehrenvollen Unterschlupf, den die „nachgebornen" Kinder angeblich auf dem Hofe des Anerben haben sollen. Der gesunde Bauernsohn, der mit dreißig Jahren noch als Sohn oder als Bruder zu Hanse sitzt, hat die Vermutung, ein Lump oder ein Faulpelz zu sein, Wider sich, und das an ihren Söhnen, auch den nachgebornen, zu erleben, ist unsern Bauern, Vätern wie Müttern, fast ein noch größerer Schmerz, als bei reichem „Kindersegen" — so sagt man Gott sei Dank noch — das Gut verkaufen zu müssen und den Söhnen zur Begründung einer andern Lebensstellung zu helfen, wenn nicht eine reiche Schwiegertochter ins Haus gebracht wird, oder eine Teilung des Gutes, was selten, wohl zu selten vorkommt, den Neigungen entspricht. Jedenfalls ist es bei der bestehenden Gesellschaftsordnung mit dem Privateigentum an Grund und Boden der reine Unverstand, die Vermögenslage der Bauergutsbesitzer gleich machen oder auch nur von größern Verschiedenheiten befreien zu wollen, ganz abgesehen von der persönlichen Tüchtigkeit der einzelnen Wirte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/125>, abgerufen am 23.07.2024.