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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Agrarisches Zünstlertum

Auch von der Einführung einer Verschuldungsgrenze erwartet Brentano
mit Recht keinen Nutzen, sondern nur Schaden. Durch die Verschuldungsgrenze
soll, wie er sagt, die Konkurrenz aller, die Grundbesitz nur mit Hilfe fremder
Geldmittel unter Verpfändung des Grundbesitzes erwerben können, ausgeschlossen
und damit der Bodenpreis gedrückt werden. "Diejenigen, die bar zahlen
können, können nun umso billiger erwerben." Aber während dieses Mittel
zur Heilung des gegenwärtigen Notstands der Landwirtschaft, wo ein solcher
wirklich herrsche, "absolut unwirksam" sein würde, stehe es in "schneidendsten
Widerspruch mit den dauernden Interessen der Landwirtschaft und des Ganzen."
Der Notstand bestehe, wo er anzuerkennen sei, eben darin, daß die notleidenden
Grundbesitzer des Ostens heute schon über jede in Aussicht zu nehmende Ver¬
schuldungsgrenze hinaus verschuldet seien. Die Verschuldungsgrenze würde
ihre Lage nur verschlimmern, indem sie die Zahl der Käufer beschränke und
die Aussicht der Überschuldeten auf Rettung durch einen günstigen Verkauf
noch verringere. Aber die Erfahrung lehre ferner, daß die Verschuldungsgrenze
auch in Norddeutschland gerade die tüchtigsten und strebsamsten Landwirte vom
Erwerb ausschließen müsse, indem sie ihnen verbiete, den ihnen vielleicht reichlich
zur Verfügung stehenden, wohl verdienten Kredit beim Grunderwerb genügend
auszunutzen. Die kleinen Leute in Süddeutschland würden am Parzellenerwerb
verhindert werden- Sie kauften in der Regel mit geringer Anzahlung, zahlten aber
erfahrungsmäßig am raschesten ab. Trotz der großen Belastung dieser kleinen
Besitzer beim Vodenerwerb sei ihre Lage weit günstiger als die der großen,
und die von ihnen bebauten Grundstücke zeigten "eine Steigerung der Inten¬
sität im Anbau und eine Verbesserung der Bodcneigenschaften, womit nichts
rivalisiren" könne. "Fideikommisse, Anerbenrecht und Verschuldungsgrenze
haben also lediglich die Bedeutung, einerseits den Monopolcharakter des Bodens
zu Gunsten einer beschränkten Anzahl Privilegirter zu steigern, andrerseits aber
gerade zu verhindern, daß die Funktionen, um deretwillen das Grundeigentum
allein erträglich erscheint, erfüllt werden." Folgerichtig verurteilt Brentano
dann auch das preußische Gesetz vom 8. Juni 1896, wonach alle Rentengüter
dem Anerbenrecht unterworfen sein sollen, während er das Errichten von
Nentengütern an sich für sehr angebracht erklärt- Nicht nur, meint er, solle
der eine Erbe nach dem genannten Gesetz das Gut, und die übrigen Erben
eine Abfindung erhalten, sondern der übernehmende Erbe solle auch auf Kosten
seiner weichenden Geschwister in so weit gehendem Maße begünstigt werden,
wie dies seit der Bauernbefreiung noch nirgends der Fall gewesen sei.

Soweit Brentano- Wir haben wiederholt gegen die reaktionäre Neue¬
rungssucht der preußischen Baucruretter aus unsern eignen Wahrnehmungen
in Östdentschlciud heraus Verwahrung eingelegt, und wir müssen es geradezu
für ein Unglück erklären, daß die unklare Schwärmerei für das bäuerliche Au-
erbcnrecht in der preußischen landwirtschaftlichen Verwaltung so bereitwillige


Agrarisches Zünstlertum

Auch von der Einführung einer Verschuldungsgrenze erwartet Brentano
mit Recht keinen Nutzen, sondern nur Schaden. Durch die Verschuldungsgrenze
soll, wie er sagt, die Konkurrenz aller, die Grundbesitz nur mit Hilfe fremder
Geldmittel unter Verpfändung des Grundbesitzes erwerben können, ausgeschlossen
und damit der Bodenpreis gedrückt werden. „Diejenigen, die bar zahlen
können, können nun umso billiger erwerben." Aber während dieses Mittel
zur Heilung des gegenwärtigen Notstands der Landwirtschaft, wo ein solcher
wirklich herrsche, „absolut unwirksam" sein würde, stehe es in „schneidendsten
Widerspruch mit den dauernden Interessen der Landwirtschaft und des Ganzen."
Der Notstand bestehe, wo er anzuerkennen sei, eben darin, daß die notleidenden
Grundbesitzer des Ostens heute schon über jede in Aussicht zu nehmende Ver¬
schuldungsgrenze hinaus verschuldet seien. Die Verschuldungsgrenze würde
ihre Lage nur verschlimmern, indem sie die Zahl der Käufer beschränke und
die Aussicht der Überschuldeten auf Rettung durch einen günstigen Verkauf
noch verringere. Aber die Erfahrung lehre ferner, daß die Verschuldungsgrenze
auch in Norddeutschland gerade die tüchtigsten und strebsamsten Landwirte vom
Erwerb ausschließen müsse, indem sie ihnen verbiete, den ihnen vielleicht reichlich
zur Verfügung stehenden, wohl verdienten Kredit beim Grunderwerb genügend
auszunutzen. Die kleinen Leute in Süddeutschland würden am Parzellenerwerb
verhindert werden- Sie kauften in der Regel mit geringer Anzahlung, zahlten aber
erfahrungsmäßig am raschesten ab. Trotz der großen Belastung dieser kleinen
Besitzer beim Vodenerwerb sei ihre Lage weit günstiger als die der großen,
und die von ihnen bebauten Grundstücke zeigten „eine Steigerung der Inten¬
sität im Anbau und eine Verbesserung der Bodcneigenschaften, womit nichts
rivalisiren" könne. „Fideikommisse, Anerbenrecht und Verschuldungsgrenze
haben also lediglich die Bedeutung, einerseits den Monopolcharakter des Bodens
zu Gunsten einer beschränkten Anzahl Privilegirter zu steigern, andrerseits aber
gerade zu verhindern, daß die Funktionen, um deretwillen das Grundeigentum
allein erträglich erscheint, erfüllt werden." Folgerichtig verurteilt Brentano
dann auch das preußische Gesetz vom 8. Juni 1896, wonach alle Rentengüter
dem Anerbenrecht unterworfen sein sollen, während er das Errichten von
Nentengütern an sich für sehr angebracht erklärt- Nicht nur, meint er, solle
der eine Erbe nach dem genannten Gesetz das Gut, und die übrigen Erben
eine Abfindung erhalten, sondern der übernehmende Erbe solle auch auf Kosten
seiner weichenden Geschwister in so weit gehendem Maße begünstigt werden,
wie dies seit der Bauernbefreiung noch nirgends der Fall gewesen sei.

Soweit Brentano- Wir haben wiederholt gegen die reaktionäre Neue¬
rungssucht der preußischen Baucruretter aus unsern eignen Wahrnehmungen
in Östdentschlciud heraus Verwahrung eingelegt, und wir müssen es geradezu
für ein Unglück erklären, daß die unklare Schwärmerei für das bäuerliche Au-
erbcnrecht in der preußischen landwirtschaftlichen Verwaltung so bereitwillige


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[0124] Agrarisches Zünstlertum Auch von der Einführung einer Verschuldungsgrenze erwartet Brentano mit Recht keinen Nutzen, sondern nur Schaden. Durch die Verschuldungsgrenze soll, wie er sagt, die Konkurrenz aller, die Grundbesitz nur mit Hilfe fremder Geldmittel unter Verpfändung des Grundbesitzes erwerben können, ausgeschlossen und damit der Bodenpreis gedrückt werden. „Diejenigen, die bar zahlen können, können nun umso billiger erwerben." Aber während dieses Mittel zur Heilung des gegenwärtigen Notstands der Landwirtschaft, wo ein solcher wirklich herrsche, „absolut unwirksam" sein würde, stehe es in „schneidendsten Widerspruch mit den dauernden Interessen der Landwirtschaft und des Ganzen." Der Notstand bestehe, wo er anzuerkennen sei, eben darin, daß die notleidenden Grundbesitzer des Ostens heute schon über jede in Aussicht zu nehmende Ver¬ schuldungsgrenze hinaus verschuldet seien. Die Verschuldungsgrenze würde ihre Lage nur verschlimmern, indem sie die Zahl der Käufer beschränke und die Aussicht der Überschuldeten auf Rettung durch einen günstigen Verkauf noch verringere. Aber die Erfahrung lehre ferner, daß die Verschuldungsgrenze auch in Norddeutschland gerade die tüchtigsten und strebsamsten Landwirte vom Erwerb ausschließen müsse, indem sie ihnen verbiete, den ihnen vielleicht reichlich zur Verfügung stehenden, wohl verdienten Kredit beim Grunderwerb genügend auszunutzen. Die kleinen Leute in Süddeutschland würden am Parzellenerwerb verhindert werden- Sie kauften in der Regel mit geringer Anzahlung, zahlten aber erfahrungsmäßig am raschesten ab. Trotz der großen Belastung dieser kleinen Besitzer beim Vodenerwerb sei ihre Lage weit günstiger als die der großen, und die von ihnen bebauten Grundstücke zeigten „eine Steigerung der Inten¬ sität im Anbau und eine Verbesserung der Bodcneigenschaften, womit nichts rivalisiren" könne. „Fideikommisse, Anerbenrecht und Verschuldungsgrenze haben also lediglich die Bedeutung, einerseits den Monopolcharakter des Bodens zu Gunsten einer beschränkten Anzahl Privilegirter zu steigern, andrerseits aber gerade zu verhindern, daß die Funktionen, um deretwillen das Grundeigentum allein erträglich erscheint, erfüllt werden." Folgerichtig verurteilt Brentano dann auch das preußische Gesetz vom 8. Juni 1896, wonach alle Rentengüter dem Anerbenrecht unterworfen sein sollen, während er das Errichten von Nentengütern an sich für sehr angebracht erklärt- Nicht nur, meint er, solle der eine Erbe nach dem genannten Gesetz das Gut, und die übrigen Erben eine Abfindung erhalten, sondern der übernehmende Erbe solle auch auf Kosten seiner weichenden Geschwister in so weit gehendem Maße begünstigt werden, wie dies seit der Bauernbefreiung noch nirgends der Fall gewesen sei. Soweit Brentano- Wir haben wiederholt gegen die reaktionäre Neue¬ rungssucht der preußischen Baucruretter aus unsern eignen Wahrnehmungen in Östdentschlciud heraus Verwahrung eingelegt, und wir müssen es geradezu für ein Unglück erklären, daß die unklare Schwärmerei für das bäuerliche Au- erbcnrecht in der preußischen landwirtschaftlichen Verwaltung so bereitwillige

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/124>, abgerufen am 23.07.2024.