Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.Midaskinder getaucht und verschvmudeu wcir. Einmal glaubte er aus der Ferne ein Bellen Der viel betretene Pfad führte ihn bald nach der Waldschenke zum "nassen Nun, seht war es Vorsommer, und Viktor sah, was der "unsse Winkel" bedeutete. Wenn ihnen eines nicht recht war, so waren es die Ohren des Vvgeljakob; Midaskinder getaucht und verschvmudeu wcir. Einmal glaubte er aus der Ferne ein Bellen Der viel betretene Pfad führte ihn bald nach der Waldschenke zum „nassen Nun, seht war es Vorsommer, und Viktor sah, was der „unsse Winkel" bedeutete. Wenn ihnen eines nicht recht war, so waren es die Ohren des Vvgeljakob; <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0101" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/225029"/> <fw type="header" place="top"> Midaskinder</fw><lb/> <p xml:id="ID_281" prev="#ID_280"> getaucht und verschvmudeu wcir. Einmal glaubte er aus der Ferne ein Bellen<lb/> zu hören; es war ihm, als sollte er diesem Rufe nachgehen, dann war es ihm<lb/> wieder, er solle es nicht thun, und dabei blieb es.</p><lb/> <p xml:id="ID_282"> Der viel betretene Pfad führte ihn bald nach der Waldschenke zum „nassen<lb/> Winkel." Von den Menschen, die Gründe gehabt hatten, dieses Wald- und Wiesen¬<lb/> paradies von hente so rheumatisch zu benennen, lebte niemand mehr, vermutlich<lb/> lebten anch ihre Urenkelgeschlechter nicht mehr, der Name aber war an dein Wald¬<lb/> winkel hängen geblieben, wie ein vergessener Hut oben am Nagel in einer eben<lb/> ausgeräumten Wohnung — es hatte ihn niemand entfernt, als mau Gräben zog, daß<lb/> die Wasser sich senkten, und ein Wald von weißstämmigeu Buchen und Alleen mit<lb/> dichtem Grasteppich und Wiesen mit dem Blütenmeere des Vorsommers und<lb/> Schmetterlinge mit ihrem endlosen Gaukelspiele an die Stelle der kleinen schwarzen<lb/> Wasserflächen traten. Die Blätter, wie sie sich das Jahr über von den Zweigen<lb/> lösten, fiele» nicht mehr auf nassen Boden, sondern schwebten langsam ans die<lb/> Pflanzengeschlechter herab, die ihren Zug mit dem Schneeglöckchen eröffneten, mit<lb/> Anemonen alle Winkel und Waldflächen weithin ausfüllten, mit Maikraut die Städter<lb/> und die Landkinder lockten und dann vor Wintersanbrnch das liebe Grün ver¬<lb/> trauensvoll der Stechpalme überließen, die es über die Schneezeit hinaus für bessere<lb/> Zeiten retten sollte.</p><lb/> <p xml:id="ID_283"> Nun, seht war es Vorsommer, und Viktor sah, was der „unsse Winkel" bedeutete.<lb/> Zwischen dem weit ausladenden Waldrnnde und einem Wiesenmeere stand der<lb/> freundlichste Erdenwinkel. Eine Linde berührte mit ihren mächtigen Zweigen den<lb/> Wald und spannte ihren grünen Schirm weit aus über Tische und Tischlein und<lb/> schaute über ein Haus und die grünen Wipfel ringsum und über die summenden<lb/> Wiesen weit hinaus. Das Haus daneben duckte sich uuter sein altes Strohdach,<lb/> das es sich wie eine gewaltige Haube über die Stirn gezogen hatte; die Haus¬<lb/> wart war weiß getüncht und mit grünen Läden lustig ausgeschmückt, die Zimmer<lb/> und Zimmerchen dieses fröhlichen Waldhüters hatten reine, braune, glänzende Tische<lb/> und reine, branne, glänzende Stühle mit Herzeinschnitteu in der steilen Lehne und<lb/> ungemütlichen steifen Sperrbeinen für gemütliche Leute. Und es kamen nur Leute,<lb/> die alles so haben wollten, wie eS war, denen auch die vielen Vögel recht waren,<lb/> die in Brutkäfigen und in Klansnerkäfigen wohnten, hüpften, pickten, zwitscherten<lb/> und an den Stäben zerrten, als wollten sie zu ihrer Kunst auch noch das Harfen-<lb/> spieleu lernen; gemütliche Leute, die selbst die Hanfkörner und Salatsamen und<lb/> viele andre nnbenennbare Körner billigten, die die energischen Schnäbel aus den<lb/> Köberchen hinaus und in die Nudelsuppe, den Maiwein und den berühmten Kaffee<lb/> des Vogeljakob streute».</p><lb/> <p xml:id="ID_284" next="#ID_285"> Wenn ihnen eines nicht recht war, so waren es die Ohren des Vvgeljakob;<lb/> es gab einen Mißstand für die Vögel und die Gäste. Die Vögel sangen seit<lb/> einigen Jahren umsonst für diese Ohren, und die Gäste fragten umsonst, wieviel<lb/> sie zu zahlen hätten, aber alle Parteien hatten sich still geeinigt: die Vögel sauge»,<lb/> als hörte der Vogeljakvb noch jeden Ton, und die Gäste zahlten ehrlich, wieviel sie<lb/> schuldig Ware«, und machten Zeichen mit den Angen, den Lippen und den Fingern,<lb/> und der Vogeljakob glaubte deu Vögeln und den Gästen und nickte mit dein Kopf<lb/> und lachte mit den Angen und lachte mit den glatten, runden, brauuroteu Wangen<lb/> und dem klugen Munde, und zuckte mit den Schultern und rieb sich die Hände<lb/> und war glücklich. Er fütterte seine Vögel und seine Städter, und Sohn, Schwieger¬<lb/> tochter, Enkel und Dienstboten zogen zu ihren Arbeiten hinaus, in die Wiesen,<lb/> Zu fernen Ackern, in die Tiefen des Waldes. Der Großvater machte alles recht,</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0101]
Midaskinder
getaucht und verschvmudeu wcir. Einmal glaubte er aus der Ferne ein Bellen
zu hören; es war ihm, als sollte er diesem Rufe nachgehen, dann war es ihm
wieder, er solle es nicht thun, und dabei blieb es.
Der viel betretene Pfad führte ihn bald nach der Waldschenke zum „nassen
Winkel." Von den Menschen, die Gründe gehabt hatten, dieses Wald- und Wiesen¬
paradies von hente so rheumatisch zu benennen, lebte niemand mehr, vermutlich
lebten anch ihre Urenkelgeschlechter nicht mehr, der Name aber war an dein Wald¬
winkel hängen geblieben, wie ein vergessener Hut oben am Nagel in einer eben
ausgeräumten Wohnung — es hatte ihn niemand entfernt, als mau Gräben zog, daß
die Wasser sich senkten, und ein Wald von weißstämmigeu Buchen und Alleen mit
dichtem Grasteppich und Wiesen mit dem Blütenmeere des Vorsommers und
Schmetterlinge mit ihrem endlosen Gaukelspiele an die Stelle der kleinen schwarzen
Wasserflächen traten. Die Blätter, wie sie sich das Jahr über von den Zweigen
lösten, fiele» nicht mehr auf nassen Boden, sondern schwebten langsam ans die
Pflanzengeschlechter herab, die ihren Zug mit dem Schneeglöckchen eröffneten, mit
Anemonen alle Winkel und Waldflächen weithin ausfüllten, mit Maikraut die Städter
und die Landkinder lockten und dann vor Wintersanbrnch das liebe Grün ver¬
trauensvoll der Stechpalme überließen, die es über die Schneezeit hinaus für bessere
Zeiten retten sollte.
Nun, seht war es Vorsommer, und Viktor sah, was der „unsse Winkel" bedeutete.
Zwischen dem weit ausladenden Waldrnnde und einem Wiesenmeere stand der
freundlichste Erdenwinkel. Eine Linde berührte mit ihren mächtigen Zweigen den
Wald und spannte ihren grünen Schirm weit aus über Tische und Tischlein und
schaute über ein Haus und die grünen Wipfel ringsum und über die summenden
Wiesen weit hinaus. Das Haus daneben duckte sich uuter sein altes Strohdach,
das es sich wie eine gewaltige Haube über die Stirn gezogen hatte; die Haus¬
wart war weiß getüncht und mit grünen Läden lustig ausgeschmückt, die Zimmer
und Zimmerchen dieses fröhlichen Waldhüters hatten reine, braune, glänzende Tische
und reine, branne, glänzende Stühle mit Herzeinschnitteu in der steilen Lehne und
ungemütlichen steifen Sperrbeinen für gemütliche Leute. Und es kamen nur Leute,
die alles so haben wollten, wie eS war, denen auch die vielen Vögel recht waren,
die in Brutkäfigen und in Klansnerkäfigen wohnten, hüpften, pickten, zwitscherten
und an den Stäben zerrten, als wollten sie zu ihrer Kunst auch noch das Harfen-
spieleu lernen; gemütliche Leute, die selbst die Hanfkörner und Salatsamen und
viele andre nnbenennbare Körner billigten, die die energischen Schnäbel aus den
Köberchen hinaus und in die Nudelsuppe, den Maiwein und den berühmten Kaffee
des Vogeljakob streute».
Wenn ihnen eines nicht recht war, so waren es die Ohren des Vvgeljakob;
es gab einen Mißstand für die Vögel und die Gäste. Die Vögel sangen seit
einigen Jahren umsonst für diese Ohren, und die Gäste fragten umsonst, wieviel
sie zu zahlen hätten, aber alle Parteien hatten sich still geeinigt: die Vögel sauge»,
als hörte der Vogeljakvb noch jeden Ton, und die Gäste zahlten ehrlich, wieviel sie
schuldig Ware«, und machten Zeichen mit den Angen, den Lippen und den Fingern,
und der Vogeljakob glaubte deu Vögeln und den Gästen und nickte mit dein Kopf
und lachte mit den Angen und lachte mit den glatten, runden, brauuroteu Wangen
und dem klugen Munde, und zuckte mit den Schultern und rieb sich die Hände
und war glücklich. Er fütterte seine Vögel und seine Städter, und Sohn, Schwieger¬
tochter, Enkel und Dienstboten zogen zu ihren Arbeiten hinaus, in die Wiesen,
Zu fernen Ackern, in die Tiefen des Waldes. Der Großvater machte alles recht,
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |