Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.lNidaskinder Die Fremde lächelte und sagte nun wieder ruhiger und mit wohlklingender Stimme: Durch Viktors Seele flogen eine Menge Erinnerungen an Lehrerinnen in Was er dann weiter sprach, galt ihrer ersten Bemerkung. Ich habe bis vorhin Ich kenne solche Angen, sagte sie bestimmt und kurz. Vor Viktors beunruhigter Seele stieg das Bild eines wunderschönen jungen O, wenn Viktor gewußt hätte, wie nahe diese Augen waren, aus welch altem Eine adliche Seele schaut heraus, fuhr sie fort, und das Schlechte schämt sich Viktors Antlitz klärte sich so auffallend auf, daß die Fremde dachte: er hat Hier müssen Sie abbiegen, wenn Sie das Wirtshaus zum "nassen Winkel" lNidaskinder Die Fremde lächelte und sagte nun wieder ruhiger und mit wohlklingender Stimme: Durch Viktors Seele flogen eine Menge Erinnerungen an Lehrerinnen in Was er dann weiter sprach, galt ihrer ersten Bemerkung. Ich habe bis vorhin Ich kenne solche Angen, sagte sie bestimmt und kurz. Vor Viktors beunruhigter Seele stieg das Bild eines wunderschönen jungen O, wenn Viktor gewußt hätte, wie nahe diese Augen waren, aus welch altem Eine adliche Seele schaut heraus, fuhr sie fort, und das Schlechte schämt sich Viktors Antlitz klärte sich so auffallend auf, daß die Fremde dachte: er hat Hier müssen Sie abbiegen, wenn Sie das Wirtshaus zum „nassen Winkel" <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0100" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/225028"/> <fw type="header" place="top"> lNidaskinder</fw><lb/> <p xml:id="ID_272" prev="#ID_271"> Die Fremde lächelte und sagte nun wieder ruhiger und mit wohlklingender Stimme:<lb/> Ich bin Lehrerin, da lernt mein mancherlei kennen!</p><lb/> <p xml:id="ID_273"> Durch Viktors Seele flogen eine Menge Erinnerungen an Lehrerinnen in<lb/> Locken, Lehrerinnen in Brillen, sanfte Lehrerinnen, und was er sonst an höflichen<lb/> und unhöflichen Bildern fand, und nun fah er die junge Lehrerin an seiner Seite<lb/> an und dachte, sie sei anders, als er sich seither die normale Lehrerin vorgestellt<lb/> hatte. Zum Glück sagte er das nicht, sonst hätte die Fremde vielleicht mit seinein<lb/> Notizbuch gemeiuschciftliche Sache gemacht.</p><lb/> <p xml:id="ID_274"> Was er dann weiter sprach, galt ihrer ersten Bemerkung. Ich habe bis vorhin<lb/> an diese Möglichkeit der Auslegung uicht gedacht, aber es ist etwas an ihr. Diese<lb/> Verwandlung von niederen und Hohem, von Verwerflichen und Beseligenden in<lb/> klingende Münze, in das Gold des Eigennutzes läßt sich allerdings auch aus der<lb/> Midassage lese», aber verzeihen Sie — und dies sagte er mit einem so nbbittenden<lb/> Blicke, daß sie ihm offenbar verzieh, ehe sie wußte, was er verbrochen habe, und<lb/> offenbar freundlich verzieh, denn sie sah ihn rin so lebendigem Blicke um, daß er<lb/> gerade in diesem Augenblicke das Midasgold hoher Lauterkeit in ihrem Auge auf¬<lb/> blitzen sah — verzeihen Sie, ich sehe in der alten Fabel etwas andres, ich sehe<lb/> Angen (und er sah sie und sprach mit tiefer Bewegung, die die Znhörerin bereit¬<lb/> willig auf seine Rechnung setzte, da sie nichts von ihren Augen wußte), ich sehe<lb/> Auge», die das Lichte, Liebliche, Heilige und Entzückende sehen, wie Kindemugeu,<lb/> die sich geschlossen haben, ehe die Sonne untergegangen ist, und sich öffnen, nach¬<lb/> dem sie wieder aufgegangen ist, und die darum nicht wissen, daß auch Nacht,<lb/> Dunkel und Düster i'u'der Welt ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_275"> Ich kenne solche Angen, sagte sie bestimmt und kurz.</p><lb/> <p xml:id="ID_276"> Vor Viktors beunruhigter Seele stieg das Bild eines wunderschönen jungen<lb/> Mannes auf, das Bild eines glücklichen jungen Paares, die Braut kannte er, sie<lb/> schritt ueben ihm wie ein Maitag, aber der Glückliche? Wer war es?</p><lb/> <p xml:id="ID_277"> O, wenn Viktor gewußt hätte, wie nahe diese Augen waren, aus welch altem<lb/> Gesichte sie hervorleuchteten, drüben am Waldrande, wo das kleine „Herrenhaus"<lb/> zwischen Gärten und Feldern ans die Buchen hier und den Fluß dort hinschaute!</p><lb/> <p xml:id="ID_278"> Eine adliche Seele schaut heraus, fuhr sie fort, und das Schlechte schämt sich<lb/> vor ihnen seiner Schlechtigkeit, und was noch nicht ganz an ihm verdorben ist, lebt<lb/> auf und sucht sich seiner selbst zu erwehren und neu zu werden, damit es vor der<lb/> Herrlichkeit der Midastochter bestehe» kann. Sie sehen, sagte sie lächelnd, ich be¬<lb/> reichere Ihr Buch um ein Kapitel von Midastochtern, denn ich denke an meine<lb/> Großmutter — die ich in zehn Minuten mit Stürmischkeit umarmen werde, hätte sie<lb/> hinzusetzen müssen, wenn das Leben sie nicht schon gelehrt gehabt hätte, im Gespräche<lb/> mit neuen Meuscheu die Erwähnung persönlicher Verhältnisse sorgfältig zu vermeiden.</p><lb/> <p xml:id="ID_279"> Viktors Antlitz klärte sich so auffallend auf, daß die Fremde dachte: er hat<lb/> auch eine Großmutter und liebt sie; und diese Liebe des Enkels gefiel ihr, und sie<lb/> trug auch diesen Posten abermals zu seinen Gunsten in die Rechnung ein.</p><lb/> <p xml:id="ID_280" next="#ID_281"> Hier müssen Sie abbiegen, wenn Sie das Wirtshaus zum „nassen Winkel"<lb/> besuchen Wollen, sagte sie, noch ehe Viktors Züge den alten Ausdruck wieder ganz<lb/> hatten. Sie sind in wenigen Augenblicken dort. Damit grüßte sie freundlich, aber<lb/> doch so, daß Viktor sich entlasse» sah. Sie selbst ging an der Wegteiluug zur<lb/> Linken weiter. Ans Viktor wartete zur Rechten ein schmaler Waldpfad, dem er nun<lb/> folgte, da er nicht ungehorsam sein wollte. Aber zwischen deu Stämmen des<lb/> jungen, dichten Buchenwaldes verborgen, sah er doch der Fremden nach, bis ihr<lb/> Helles Kleid zum letztenmale und unwiederbringlich zwischen den Stämmen auf-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0100]
lNidaskinder
Die Fremde lächelte und sagte nun wieder ruhiger und mit wohlklingender Stimme:
Ich bin Lehrerin, da lernt mein mancherlei kennen!
Durch Viktors Seele flogen eine Menge Erinnerungen an Lehrerinnen in
Locken, Lehrerinnen in Brillen, sanfte Lehrerinnen, und was er sonst an höflichen
und unhöflichen Bildern fand, und nun fah er die junge Lehrerin an seiner Seite
an und dachte, sie sei anders, als er sich seither die normale Lehrerin vorgestellt
hatte. Zum Glück sagte er das nicht, sonst hätte die Fremde vielleicht mit seinein
Notizbuch gemeiuschciftliche Sache gemacht.
Was er dann weiter sprach, galt ihrer ersten Bemerkung. Ich habe bis vorhin
an diese Möglichkeit der Auslegung uicht gedacht, aber es ist etwas an ihr. Diese
Verwandlung von niederen und Hohem, von Verwerflichen und Beseligenden in
klingende Münze, in das Gold des Eigennutzes läßt sich allerdings auch aus der
Midassage lese», aber verzeihen Sie — und dies sagte er mit einem so nbbittenden
Blicke, daß sie ihm offenbar verzieh, ehe sie wußte, was er verbrochen habe, und
offenbar freundlich verzieh, denn sie sah ihn rin so lebendigem Blicke um, daß er
gerade in diesem Augenblicke das Midasgold hoher Lauterkeit in ihrem Auge auf¬
blitzen sah — verzeihen Sie, ich sehe in der alten Fabel etwas andres, ich sehe
Angen (und er sah sie und sprach mit tiefer Bewegung, die die Znhörerin bereit¬
willig auf seine Rechnung setzte, da sie nichts von ihren Augen wußte), ich sehe
Auge», die das Lichte, Liebliche, Heilige und Entzückende sehen, wie Kindemugeu,
die sich geschlossen haben, ehe die Sonne untergegangen ist, und sich öffnen, nach¬
dem sie wieder aufgegangen ist, und die darum nicht wissen, daß auch Nacht,
Dunkel und Düster i'u'der Welt ist.
Ich kenne solche Angen, sagte sie bestimmt und kurz.
Vor Viktors beunruhigter Seele stieg das Bild eines wunderschönen jungen
Mannes auf, das Bild eines glücklichen jungen Paares, die Braut kannte er, sie
schritt ueben ihm wie ein Maitag, aber der Glückliche? Wer war es?
O, wenn Viktor gewußt hätte, wie nahe diese Augen waren, aus welch altem
Gesichte sie hervorleuchteten, drüben am Waldrande, wo das kleine „Herrenhaus"
zwischen Gärten und Feldern ans die Buchen hier und den Fluß dort hinschaute!
Eine adliche Seele schaut heraus, fuhr sie fort, und das Schlechte schämt sich
vor ihnen seiner Schlechtigkeit, und was noch nicht ganz an ihm verdorben ist, lebt
auf und sucht sich seiner selbst zu erwehren und neu zu werden, damit es vor der
Herrlichkeit der Midastochter bestehe» kann. Sie sehen, sagte sie lächelnd, ich be¬
reichere Ihr Buch um ein Kapitel von Midastochtern, denn ich denke an meine
Großmutter — die ich in zehn Minuten mit Stürmischkeit umarmen werde, hätte sie
hinzusetzen müssen, wenn das Leben sie nicht schon gelehrt gehabt hätte, im Gespräche
mit neuen Meuscheu die Erwähnung persönlicher Verhältnisse sorgfältig zu vermeiden.
Viktors Antlitz klärte sich so auffallend auf, daß die Fremde dachte: er hat
auch eine Großmutter und liebt sie; und diese Liebe des Enkels gefiel ihr, und sie
trug auch diesen Posten abermals zu seinen Gunsten in die Rechnung ein.
Hier müssen Sie abbiegen, wenn Sie das Wirtshaus zum „nassen Winkel"
besuchen Wollen, sagte sie, noch ehe Viktors Züge den alten Ausdruck wieder ganz
hatten. Sie sind in wenigen Augenblicken dort. Damit grüßte sie freundlich, aber
doch so, daß Viktor sich entlasse» sah. Sie selbst ging an der Wegteiluug zur
Linken weiter. Ans Viktor wartete zur Rechten ein schmaler Waldpfad, dem er nun
folgte, da er nicht ungehorsam sein wollte. Aber zwischen deu Stämmen des
jungen, dichten Buchenwaldes verborgen, sah er doch der Fremden nach, bis ihr
Helles Kleid zum letztenmale und unwiederbringlich zwischen den Stämmen auf-
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |