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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Unsre postdampferlinien

worin es unter andern: heißt: "Wenn ich auch im Rückblick auf die Samoa-
frage und in Erwägung der im Reichstage vorherrschenden Tendenzen auf
einen unmittelbaren Erfolg des gestellten Antrags kaum rechne, so halte ich es
doch für Pflicht der verbündeten Regierungen, sich von der Anregung solcher
Einrichtungen, von denen sie eine Förderung nationaler Wohlfahrt erwarten,
durch UnWahrscheinlichkeit der Zustimmung des jeweiligen Reichstags nicht ab¬
halten zu lassen."

Der Reichskanzler hatte sich nicht getäuscht. Es wurde über die Vorlage
in der Sitzung des Reichstags vom 14. Juni 1884 verhandelt. Ihre Ver¬
tretung hatten der Reichskanzler und der Staatssekretär des Reichspostamts
übernommen. Beide legten in längern Reden die wirtschaftliche und nationale
Bedeutung der Sache dar; aber die Reichstagsmehrheit unter Führung Bam-
bergers und Richters verhielt sich kühl ablehnend. Die Ausführungen, mit
denen namentlich Bamberger die Vorlage bekämpfte, erreichten ihren Höhepunkt
in der Bemerkung, der deutsche Handel mit Ostasien und Australien sei nicht
bedeutend genug, den Postdampfern für die Hin- und Rückfahrt ausreichende
Ladung zu liefern; man möge doch an die Schwierigkeiten denken, die von
Hamburg abgehenden Frachtdampfer zu füllen. Die gegenwärtigen Gesellschaften
seien gern bereit, aller vierzehn Tage Schiffe abzusenden, wenn sie Ladung
hätten, aber ohne Ladung zu fahren, sei doch ein Vergnügen, daß man sich
nur auf Kosten der Steuerzahler gestatten könne. Dagegen bemerkte der Staats¬
sekretär des Reichspostamts: "Ich bin fest überzeugt, daß wir in zehn Jahren
schon so bedeutende Ergebnisse erzielt haben werden, daß man dann gar nicht
begreifen wird, wie es überhaupt möglich gewesen ist, daß sich eine Stimme
gegen diesen Vorschlag hat erheben können."

Der Gesetzentwurf wurde darauf der Budgetkommission überwiesen. Aber
obgleich Fürst Bismarck auch hier persönlich für die Vorlage eintrat, wobei er sich
in Bezug auf deu Nutzen der Postdampferlinien auf das Zeugnis des franzö¬
sischen Postministers Cochery berief und es als eine Überhebung bezeichnete, wenn
wir Deutschen behaupten wollten, daß alles das, was andern Nationen fromme,
für uns nichts tauge, blieb der Gesetzentwurf in der Kommission unerledigt
liegen. Die Beratungen sind übrigens insofern besonders denkwürdig, als der
Reichskanzler in der letzten Sitzung der Kommission am Abend des 23. Juni
die bekannten wichtigen Erklärungen über den Beginn einer aktiven Kolonial-
politik des deutschen Reichs abgab.

Durch seinen Mißerfolg ließ sich jedoch Fürst Bismarck nicht abhalten,
bei dem Reichstag am 20. November 1884 eine zweite Dampfervorlage ein¬
zubringen. Der Reichstag bot nach der Neuwahl, die inzwischen stattgefunden
hatte, ein wesentlich andres Bild, da sich die in dem größten Teile der
Nation entstandne Erregung über die Verschleppung der ersten Dampfervvrlcige
nicht bloß in Zustimmungsadressen an den Reichskanzler, sondern auch durch


Unsre postdampferlinien

worin es unter andern: heißt: „Wenn ich auch im Rückblick auf die Samoa-
frage und in Erwägung der im Reichstage vorherrschenden Tendenzen auf
einen unmittelbaren Erfolg des gestellten Antrags kaum rechne, so halte ich es
doch für Pflicht der verbündeten Regierungen, sich von der Anregung solcher
Einrichtungen, von denen sie eine Förderung nationaler Wohlfahrt erwarten,
durch UnWahrscheinlichkeit der Zustimmung des jeweiligen Reichstags nicht ab¬
halten zu lassen."

Der Reichskanzler hatte sich nicht getäuscht. Es wurde über die Vorlage
in der Sitzung des Reichstags vom 14. Juni 1884 verhandelt. Ihre Ver¬
tretung hatten der Reichskanzler und der Staatssekretär des Reichspostamts
übernommen. Beide legten in längern Reden die wirtschaftliche und nationale
Bedeutung der Sache dar; aber die Reichstagsmehrheit unter Führung Bam-
bergers und Richters verhielt sich kühl ablehnend. Die Ausführungen, mit
denen namentlich Bamberger die Vorlage bekämpfte, erreichten ihren Höhepunkt
in der Bemerkung, der deutsche Handel mit Ostasien und Australien sei nicht
bedeutend genug, den Postdampfern für die Hin- und Rückfahrt ausreichende
Ladung zu liefern; man möge doch an die Schwierigkeiten denken, die von
Hamburg abgehenden Frachtdampfer zu füllen. Die gegenwärtigen Gesellschaften
seien gern bereit, aller vierzehn Tage Schiffe abzusenden, wenn sie Ladung
hätten, aber ohne Ladung zu fahren, sei doch ein Vergnügen, daß man sich
nur auf Kosten der Steuerzahler gestatten könne. Dagegen bemerkte der Staats¬
sekretär des Reichspostamts: „Ich bin fest überzeugt, daß wir in zehn Jahren
schon so bedeutende Ergebnisse erzielt haben werden, daß man dann gar nicht
begreifen wird, wie es überhaupt möglich gewesen ist, daß sich eine Stimme
gegen diesen Vorschlag hat erheben können."

Der Gesetzentwurf wurde darauf der Budgetkommission überwiesen. Aber
obgleich Fürst Bismarck auch hier persönlich für die Vorlage eintrat, wobei er sich
in Bezug auf deu Nutzen der Postdampferlinien auf das Zeugnis des franzö¬
sischen Postministers Cochery berief und es als eine Überhebung bezeichnete, wenn
wir Deutschen behaupten wollten, daß alles das, was andern Nationen fromme,
für uns nichts tauge, blieb der Gesetzentwurf in der Kommission unerledigt
liegen. Die Beratungen sind übrigens insofern besonders denkwürdig, als der
Reichskanzler in der letzten Sitzung der Kommission am Abend des 23. Juni
die bekannten wichtigen Erklärungen über den Beginn einer aktiven Kolonial-
politik des deutschen Reichs abgab.

Durch seinen Mißerfolg ließ sich jedoch Fürst Bismarck nicht abhalten,
bei dem Reichstag am 20. November 1884 eine zweite Dampfervorlage ein¬
zubringen. Der Reichstag bot nach der Neuwahl, die inzwischen stattgefunden
hatte, ein wesentlich andres Bild, da sich die in dem größten Teile der
Nation entstandne Erregung über die Verschleppung der ersten Dampfervvrlcige
nicht bloß in Zustimmungsadressen an den Reichskanzler, sondern auch durch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/68>, abgerufen am 27.06.2024.