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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Line Geschichte von Florenz

als die Burgen, die demselben Zwecke dienten, aber doch einerseits weniger
Raum und Sicherheit boten, andrerseits selbst nur zu oft Räubernester waren.
"Auf sich selbst gestellt, hatten die Bürger es gelernt, in der herrschaftslosen
Zeit, oder wenn der Hader um die Krone jeden Schutz vereitelte, den Feinden
von den Mauern her zu wehren und die nächste Umgebung so gut zu ver¬
teidigen, als es gehen mochte. Ihr Selbstvertrauen mußte dadurch wachsen,
ihre Kraft reifen; sie erlangten durch die thatsächlichen Verhältnisse über das
offne Land ein Übergewicht, das sich allmählich zu einer Schutzgewalt steigerte
und in einem Steuerrecht als Entgelt für die gewährte Zuflucht seinen Aus¬
druck fand. Der Bürgersinn erstarkte, weil an den alten Nömcrmanern jene
Hochflut von Verwüstung und Plünderung brandete, die das offne Land über¬
schwemmte. Damals ertönte in Modena und wohl in vielen andern Städten
der lateinische Gesaug:


Du tapfre Jugend, kühne Kriegesmacht,
Laß deine Lieder klingen durch die Nacht!
Ihr haltet auf den Mauern treue Wacht,
Daß ihr des Feindes List zu Schanden macht.
Und von den Mauern tönt es: cia, wacht!
Das Echo hallt es wieder: ein, wacht!"

So wirkte" in Italien die geringere Ausdehnung des Landes, die dichtere
Zusammendrängung der Menschen, die aus der Römerzeit erhaltenen Stadt¬
mauern und die häufigern Barbareneinfälle samt den sich daran schließenden
räuberischen Überfällen von Burgherren oder eifersüchtigen Nachbarstüdten zu¬
sammen, ein weit regeres Gemeindcleben zu schaffen als im Norden, in Deutsch¬
land. Auf dem Dorfe wie in der Stadt fühlte sich die Bürgerschaft in Leid
und Freud, in Not und Gefahr wie im Glück und bei Erfolgen solidarisch;
bei Verträgen schworen oder unterzeichneten alle Gemeindegenvsfen, alle "Nach¬
barn," wie sie sich oft nannten; erst als die Gemeinden zu vielköpfig wurden,
ließen sie sich von einem Ausschuß, den boni llommes, vertreten. Unter der
Ulme vor der Pfarrkirche hielten sie ihre Versammlungen ab, zuweilen auch
in der Kirche selbst, die als Rathaus diente. Alle kirchlichen Einrichtungen
wurden dem Gemeindeleben dienstbar gemacht. Die Abteien waren Vermögens¬
anlagen reicher Familien; der Bischof übte Grafenrechte, aber bald war er nur
noch Werkzeug der Gemeinde, die sich durch ihn der Grafenrechte bemächtigte.
Fiel dem Bistum eine Erbschaft zu, so erbte in Wirklichkeit die Stadt. Die
Vicedomini, die das Vistumsvermögen verwalteten, waren städtische Beamte,
der Bischof selbst wurde, wenn nicht vom Volke, so doch unter dessen Mit¬
wirkung gewählt, und die Florentiner waren einmal nahe daran, ihre Stadt
anzuzünden, um sich nicht einen Bischof gefallen zu lassen, den man ihnen auf¬
drängen wollte. Die Pfarreien waren politische Verwaltungsbezirke, und wenn
die Bürger (namentlich ist das bei den Florentinern nachzuweisen) in den tires-


Line Geschichte von Florenz

als die Burgen, die demselben Zwecke dienten, aber doch einerseits weniger
Raum und Sicherheit boten, andrerseits selbst nur zu oft Räubernester waren.
„Auf sich selbst gestellt, hatten die Bürger es gelernt, in der herrschaftslosen
Zeit, oder wenn der Hader um die Krone jeden Schutz vereitelte, den Feinden
von den Mauern her zu wehren und die nächste Umgebung so gut zu ver¬
teidigen, als es gehen mochte. Ihr Selbstvertrauen mußte dadurch wachsen,
ihre Kraft reifen; sie erlangten durch die thatsächlichen Verhältnisse über das
offne Land ein Übergewicht, das sich allmählich zu einer Schutzgewalt steigerte
und in einem Steuerrecht als Entgelt für die gewährte Zuflucht seinen Aus¬
druck fand. Der Bürgersinn erstarkte, weil an den alten Nömcrmanern jene
Hochflut von Verwüstung und Plünderung brandete, die das offne Land über¬
schwemmte. Damals ertönte in Modena und wohl in vielen andern Städten
der lateinische Gesaug:


Du tapfre Jugend, kühne Kriegesmacht,
Laß deine Lieder klingen durch die Nacht!
Ihr haltet auf den Mauern treue Wacht,
Daß ihr des Feindes List zu Schanden macht.
Und von den Mauern tönt es: cia, wacht!
Das Echo hallt es wieder: ein, wacht!"

So wirkte» in Italien die geringere Ausdehnung des Landes, die dichtere
Zusammendrängung der Menschen, die aus der Römerzeit erhaltenen Stadt¬
mauern und die häufigern Barbareneinfälle samt den sich daran schließenden
räuberischen Überfällen von Burgherren oder eifersüchtigen Nachbarstüdten zu¬
sammen, ein weit regeres Gemeindcleben zu schaffen als im Norden, in Deutsch¬
land. Auf dem Dorfe wie in der Stadt fühlte sich die Bürgerschaft in Leid
und Freud, in Not und Gefahr wie im Glück und bei Erfolgen solidarisch;
bei Verträgen schworen oder unterzeichneten alle Gemeindegenvsfen, alle „Nach¬
barn," wie sie sich oft nannten; erst als die Gemeinden zu vielköpfig wurden,
ließen sie sich von einem Ausschuß, den boni llommes, vertreten. Unter der
Ulme vor der Pfarrkirche hielten sie ihre Versammlungen ab, zuweilen auch
in der Kirche selbst, die als Rathaus diente. Alle kirchlichen Einrichtungen
wurden dem Gemeindeleben dienstbar gemacht. Die Abteien waren Vermögens¬
anlagen reicher Familien; der Bischof übte Grafenrechte, aber bald war er nur
noch Werkzeug der Gemeinde, die sich durch ihn der Grafenrechte bemächtigte.
Fiel dem Bistum eine Erbschaft zu, so erbte in Wirklichkeit die Stadt. Die
Vicedomini, die das Vistumsvermögen verwalteten, waren städtische Beamte,
der Bischof selbst wurde, wenn nicht vom Volke, so doch unter dessen Mit¬
wirkung gewählt, und die Florentiner waren einmal nahe daran, ihre Stadt
anzuzünden, um sich nicht einen Bischof gefallen zu lassen, den man ihnen auf¬
drängen wollte. Die Pfarreien waren politische Verwaltungsbezirke, und wenn
die Bürger (namentlich ist das bei den Florentinern nachzuweisen) in den tires-


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[0644] Line Geschichte von Florenz als die Burgen, die demselben Zwecke dienten, aber doch einerseits weniger Raum und Sicherheit boten, andrerseits selbst nur zu oft Räubernester waren. „Auf sich selbst gestellt, hatten die Bürger es gelernt, in der herrschaftslosen Zeit, oder wenn der Hader um die Krone jeden Schutz vereitelte, den Feinden von den Mauern her zu wehren und die nächste Umgebung so gut zu ver¬ teidigen, als es gehen mochte. Ihr Selbstvertrauen mußte dadurch wachsen, ihre Kraft reifen; sie erlangten durch die thatsächlichen Verhältnisse über das offne Land ein Übergewicht, das sich allmählich zu einer Schutzgewalt steigerte und in einem Steuerrecht als Entgelt für die gewährte Zuflucht seinen Aus¬ druck fand. Der Bürgersinn erstarkte, weil an den alten Nömcrmanern jene Hochflut von Verwüstung und Plünderung brandete, die das offne Land über¬ schwemmte. Damals ertönte in Modena und wohl in vielen andern Städten der lateinische Gesaug: Du tapfre Jugend, kühne Kriegesmacht, Laß deine Lieder klingen durch die Nacht! Ihr haltet auf den Mauern treue Wacht, Daß ihr des Feindes List zu Schanden macht. Und von den Mauern tönt es: cia, wacht! Das Echo hallt es wieder: ein, wacht!" So wirkte» in Italien die geringere Ausdehnung des Landes, die dichtere Zusammendrängung der Menschen, die aus der Römerzeit erhaltenen Stadt¬ mauern und die häufigern Barbareneinfälle samt den sich daran schließenden räuberischen Überfällen von Burgherren oder eifersüchtigen Nachbarstüdten zu¬ sammen, ein weit regeres Gemeindcleben zu schaffen als im Norden, in Deutsch¬ land. Auf dem Dorfe wie in der Stadt fühlte sich die Bürgerschaft in Leid und Freud, in Not und Gefahr wie im Glück und bei Erfolgen solidarisch; bei Verträgen schworen oder unterzeichneten alle Gemeindegenvsfen, alle „Nach¬ barn," wie sie sich oft nannten; erst als die Gemeinden zu vielköpfig wurden, ließen sie sich von einem Ausschuß, den boni llommes, vertreten. Unter der Ulme vor der Pfarrkirche hielten sie ihre Versammlungen ab, zuweilen auch in der Kirche selbst, die als Rathaus diente. Alle kirchlichen Einrichtungen wurden dem Gemeindeleben dienstbar gemacht. Die Abteien waren Vermögens¬ anlagen reicher Familien; der Bischof übte Grafenrechte, aber bald war er nur noch Werkzeug der Gemeinde, die sich durch ihn der Grafenrechte bemächtigte. Fiel dem Bistum eine Erbschaft zu, so erbte in Wirklichkeit die Stadt. Die Vicedomini, die das Vistumsvermögen verwalteten, waren städtische Beamte, der Bischof selbst wurde, wenn nicht vom Volke, so doch unter dessen Mit¬ wirkung gewählt, und die Florentiner waren einmal nahe daran, ihre Stadt anzuzünden, um sich nicht einen Bischof gefallen zu lassen, den man ihnen auf¬ drängen wollte. Die Pfarreien waren politische Verwaltungsbezirke, und wenn die Bürger (namentlich ist das bei den Florentinern nachzuweisen) in den tires-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/644>, abgerufen am 26.06.2024.