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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Der Zusammenhang von äußerer und innerer Politik

die Zukunft bewirkt werden, und das ist in der That der Weg, auf dem sich
Kriegswesen und Staatsverfassung mit der Zeit immer mehr lockern.

Gegen die räuberischen Einfälle der östlichen Reitervölker bedarf man
fester Zufluchtsorte, die eine lokale Verteidigung begünstigen, zum Kampf und
zur Verfolgung vor allem einer kampfgeübten Reiterei. Hierin liegt ein weiterer
Antrieb zur Bildung eines besondern Kriegerstandes. Der kostbare Harnisch
kam dazu, der Waffendienst zu Pferde und in der Rüstung erforderte Übung;
aus all diesen Umstünden ergab sich, daß bald Adel, Reiterdienst, Ritterschaft
und Vasallität zusammenfielen.

Den hervvrgehobneu Zerbröckluugsneigungen gegenüber stellt im frühen
Mittelalter die Kirche die zusammenhaltende Kraft dar; als unter Heinrich IV.
Kaisertum und Papsttum in Gegensatz geraten, da ist das Übergewicht der
zentrifugalen Kräfte mit einem Schlage entschieden. Nur mit Mühe und nach
schweren Kämpfen erhält sich das Königtum mit großen Zugeständnissen gegen
Papst und Fürstentum. Im Kampfe gegen die beiden bisherige" Stützen der
Königsgewalt bedarf Heinrich IV. einer neuen Grundlage seiner Macht; er
findet sie in dein Dienstadel, den Ministerialen und dem Bürgertum der
rheinischen Städte. Eine Fülle königlicher Begünstigungen ist ihr Lohn, und
aus dem langen Bürgerkriege gehe" die Keime zu den glänzendsten Entwick¬
lungen des spätern Mittelalters hervor.

Die Hohenstaufen sind unzweifelhaft die größten Politiker unter den alten
Kaisern, aber in dem für die Entwicklung Deutschlands und der Königsmacht
allerwichtigsten Punkt haben sie eine falsche Stellung eingenommen. Daran,
daß sie es versäumte", die aufstrebenden deutschen Städte in den Staat einzu-
ordnen, ihr Wohl nach Gebühr zu berücksichtigen, und statt dieses innern
Gleichgewichts das geldwirtschaftliche Gegengewicht gegen die zentrifugale"
Kräfte i" Italien suchten, sind sie trotz aller Energie und Genialität zu Grunde
gegangen. Karl Lamprecht hat in seiner deutscheu Geschichte diesen Ereignissen
den berechtigten Ausdruck eines allgemeinen Gesetzes gegeben: "Große Strö¬
mungen auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiete, wie der Beginn der Geld¬
wirtschaft, bedürfen fester Leitung von oben her; durch die ausgleichende Ein¬
wirkung der Staatsgewalt soll in ihnen nicht Egoismus und Partikularismus
die Oberhand gewinnen über eine dem Gedeihen aller gerecht werdende Ent¬
wicklung."

Zur Verwirklichung der kaiserlichen Ansprüche in Italien reichten die
Vasallenheere nicht hin; die großen Vasallen mochten auch ahnen, daß sie
in Italien die Macht erkämpfen sollten, die sich dereinst gegen sie richten
würde. Dadurch, daß sich der mächtigste von ihnen, Heinrich der Löwe, dem
Kaiser widersetzte, wurde dieser eiuer Katastrophe entgegengeführt. Von diesem
kriegerischen Ereignis nimmt eine der wichtigste" Verfassnngsänderungen des
alte" Reichs ihren Ausgang. Friedrich Barbarossa beseitigt die mit einer selb-


Der Zusammenhang von äußerer und innerer Politik

die Zukunft bewirkt werden, und das ist in der That der Weg, auf dem sich
Kriegswesen und Staatsverfassung mit der Zeit immer mehr lockern.

Gegen die räuberischen Einfälle der östlichen Reitervölker bedarf man
fester Zufluchtsorte, die eine lokale Verteidigung begünstigen, zum Kampf und
zur Verfolgung vor allem einer kampfgeübten Reiterei. Hierin liegt ein weiterer
Antrieb zur Bildung eines besondern Kriegerstandes. Der kostbare Harnisch
kam dazu, der Waffendienst zu Pferde und in der Rüstung erforderte Übung;
aus all diesen Umstünden ergab sich, daß bald Adel, Reiterdienst, Ritterschaft
und Vasallität zusammenfielen.

Den hervvrgehobneu Zerbröckluugsneigungen gegenüber stellt im frühen
Mittelalter die Kirche die zusammenhaltende Kraft dar; als unter Heinrich IV.
Kaisertum und Papsttum in Gegensatz geraten, da ist das Übergewicht der
zentrifugalen Kräfte mit einem Schlage entschieden. Nur mit Mühe und nach
schweren Kämpfen erhält sich das Königtum mit großen Zugeständnissen gegen
Papst und Fürstentum. Im Kampfe gegen die beiden bisherige» Stützen der
Königsgewalt bedarf Heinrich IV. einer neuen Grundlage seiner Macht; er
findet sie in dein Dienstadel, den Ministerialen und dem Bürgertum der
rheinischen Städte. Eine Fülle königlicher Begünstigungen ist ihr Lohn, und
aus dem langen Bürgerkriege gehe» die Keime zu den glänzendsten Entwick¬
lungen des spätern Mittelalters hervor.

Die Hohenstaufen sind unzweifelhaft die größten Politiker unter den alten
Kaisern, aber in dem für die Entwicklung Deutschlands und der Königsmacht
allerwichtigsten Punkt haben sie eine falsche Stellung eingenommen. Daran,
daß sie es versäumte», die aufstrebenden deutschen Städte in den Staat einzu-
ordnen, ihr Wohl nach Gebühr zu berücksichtigen, und statt dieses innern
Gleichgewichts das geldwirtschaftliche Gegengewicht gegen die zentrifugale»
Kräfte i» Italien suchten, sind sie trotz aller Energie und Genialität zu Grunde
gegangen. Karl Lamprecht hat in seiner deutscheu Geschichte diesen Ereignissen
den berechtigten Ausdruck eines allgemeinen Gesetzes gegeben: „Große Strö¬
mungen auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiete, wie der Beginn der Geld¬
wirtschaft, bedürfen fester Leitung von oben her; durch die ausgleichende Ein¬
wirkung der Staatsgewalt soll in ihnen nicht Egoismus und Partikularismus
die Oberhand gewinnen über eine dem Gedeihen aller gerecht werdende Ent¬
wicklung."

Zur Verwirklichung der kaiserlichen Ansprüche in Italien reichten die
Vasallenheere nicht hin; die großen Vasallen mochten auch ahnen, daß sie
in Italien die Macht erkämpfen sollten, die sich dereinst gegen sie richten
würde. Dadurch, daß sich der mächtigste von ihnen, Heinrich der Löwe, dem
Kaiser widersetzte, wurde dieser eiuer Katastrophe entgegengeführt. Von diesem
kriegerischen Ereignis nimmt eine der wichtigste» Verfassnngsänderungen des
alte» Reichs ihren Ausgang. Friedrich Barbarossa beseitigt die mit einer selb-


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[0574] Der Zusammenhang von äußerer und innerer Politik die Zukunft bewirkt werden, und das ist in der That der Weg, auf dem sich Kriegswesen und Staatsverfassung mit der Zeit immer mehr lockern. Gegen die räuberischen Einfälle der östlichen Reitervölker bedarf man fester Zufluchtsorte, die eine lokale Verteidigung begünstigen, zum Kampf und zur Verfolgung vor allem einer kampfgeübten Reiterei. Hierin liegt ein weiterer Antrieb zur Bildung eines besondern Kriegerstandes. Der kostbare Harnisch kam dazu, der Waffendienst zu Pferde und in der Rüstung erforderte Übung; aus all diesen Umstünden ergab sich, daß bald Adel, Reiterdienst, Ritterschaft und Vasallität zusammenfielen. Den hervvrgehobneu Zerbröckluugsneigungen gegenüber stellt im frühen Mittelalter die Kirche die zusammenhaltende Kraft dar; als unter Heinrich IV. Kaisertum und Papsttum in Gegensatz geraten, da ist das Übergewicht der zentrifugalen Kräfte mit einem Schlage entschieden. Nur mit Mühe und nach schweren Kämpfen erhält sich das Königtum mit großen Zugeständnissen gegen Papst und Fürstentum. Im Kampfe gegen die beiden bisherige» Stützen der Königsgewalt bedarf Heinrich IV. einer neuen Grundlage seiner Macht; er findet sie in dein Dienstadel, den Ministerialen und dem Bürgertum der rheinischen Städte. Eine Fülle königlicher Begünstigungen ist ihr Lohn, und aus dem langen Bürgerkriege gehe» die Keime zu den glänzendsten Entwick¬ lungen des spätern Mittelalters hervor. Die Hohenstaufen sind unzweifelhaft die größten Politiker unter den alten Kaisern, aber in dem für die Entwicklung Deutschlands und der Königsmacht allerwichtigsten Punkt haben sie eine falsche Stellung eingenommen. Daran, daß sie es versäumte», die aufstrebenden deutschen Städte in den Staat einzu- ordnen, ihr Wohl nach Gebühr zu berücksichtigen, und statt dieses innern Gleichgewichts das geldwirtschaftliche Gegengewicht gegen die zentrifugale» Kräfte i» Italien suchten, sind sie trotz aller Energie und Genialität zu Grunde gegangen. Karl Lamprecht hat in seiner deutscheu Geschichte diesen Ereignissen den berechtigten Ausdruck eines allgemeinen Gesetzes gegeben: „Große Strö¬ mungen auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiete, wie der Beginn der Geld¬ wirtschaft, bedürfen fester Leitung von oben her; durch die ausgleichende Ein¬ wirkung der Staatsgewalt soll in ihnen nicht Egoismus und Partikularismus die Oberhand gewinnen über eine dem Gedeihen aller gerecht werdende Ent¬ wicklung." Zur Verwirklichung der kaiserlichen Ansprüche in Italien reichten die Vasallenheere nicht hin; die großen Vasallen mochten auch ahnen, daß sie in Italien die Macht erkämpfen sollten, die sich dereinst gegen sie richten würde. Dadurch, daß sich der mächtigste von ihnen, Heinrich der Löwe, dem Kaiser widersetzte, wurde dieser eiuer Katastrophe entgegengeführt. Von diesem kriegerischen Ereignis nimmt eine der wichtigste» Verfassnngsänderungen des alte» Reichs ihren Ausgang. Friedrich Barbarossa beseitigt die mit einer selb-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/574>, abgerufen am 29.06.2024.