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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Verhältnisse aus können und dürfen die eignen Heeresverhältuisse beurteilt
werden; werden sie aus dem Auge gelassen, so bleibt als Rest nur das so be¬
kannte und so müßige Parteigeschwütz übrig. Vom Standpunkte der Billigkeit
und der Bequemlichkeit aus giebt es noch dick bessere Wehrsysteme, als sie
Bebel aufzutischen liebt, aber ob sie uns die nötige Sicherheit gegen Franzosen,
Russen und Engländer gebe", das ist es, worauf es ankommt, und wovon
er wohlweislich schweigt. Ein schlechtes Wehrsystem, das diese Sicherheit nicht
gewährleistet, ist jedenfalls das teuerste von allen; die Erinnerung an die Opfer
der siebenjährigen Fremdherrschaft zu Anfang des Jahrhunderts dürfte wohl in
Deutschland noch nicht völlig erloschen sein. In der Rolle des venetianischen
Löwenracheus mit der Unterschrift äcmcWAL "uvrete für Svldatenmißhandlungen
mag der smuxsr ^ugn8w8 weiter glänze", mit seinen Resvrmplnnen für die
Armee wird er sogar bei den "Genossen," die den bunten Rock getragen haben,
nur Heiterkeit erregen. Denn der Kernpunkt, den er völlig übersieht, oder den
er zu beachten nicht für nötig hält, liegt in dem gewaltigen Unterschied von dem
Gebrauchswert der Heere. Ein Heer kann von der größten Kriegslust und von
Vaterlandsliebe begeistert sein, es kann gut bewaffnet und in: Gebrauch der
Waffe" ganz ausreichend bewandert sein und doch nur einen überaus geringen
Gebrauchswert haben. Dieser hängt davon ab, ob auch die psychische Kraft
zur Ertragung harter Strapazen, zum vollkommnen Gehorsam unter den er¬
schwerendsten Umständen, zu ungeschwächter Beson"e"heit und Selbstbeherrschung
unter den Gefahren des Todes und zu freudiger Aufopferung des Lebens vor¬
handen n"d genügend entwickelt ist. Hier liegt das wesentliche aller kriegerischen
Tüchtigkeit eines Heeres. Dieses wesentliche ist das eiserne Pflicht- und Ehr¬
gefühl, der unerbittliche kategorische Imperativ den Stimmen gegenüber, die
sich im Herzen zu Gunsten der Selbsterhaltung regen wollen; die von Kaiser
Wilhelm 1. so oft betonte Disziplin. Die ältere Generation hat es praktisch
erfahre", warum unsre dezimirte" Truppe" doch immer das Feld behaupteten
gegen die an Zahl so weit überlegnen französischen Mvbilgnrden, Nationalgarde"
und Franktireurs. An dem Wunsch, uns aus Frankreich zu jagen, hat es ihnen
nicht gefehlt, aber a" der Grenze des wirksamen Feuers, wo der Wunsch """
zum Willen werden sollte, da wurde das Fleisch schwach.

Es ist ganz sicher, daß die verbesserte Waffentechnik i" dem nächste"
Kriege "och wesentlich höhere Anforderungen an die Gefcchtskraft der Truppen
stellen wird. Je mehr wir in aufgelösten Schwärmen fechten, je mehr diese
Schutz im Gelände suchen müssen, desto weniger kann der Zusammenhang der
Teile mechanisch durch Kommando gewahrt werden, desto mehr fechten wir "ur
"Herz an Herz" statt "Arm an Arm," desto mehr also müssen wir uns ans
die Festigkeit dieser Herze" verlasse" können. Es wird "och darauf zurück¬
zukommen sein. Zunächst soll ein geschichtlicher Überblick zeigen, wie sich in
der deutschen Geschichte die Anpassung des Volks an die äußern Bedingungen


Verhältnisse aus können und dürfen die eignen Heeresverhältuisse beurteilt
werden; werden sie aus dem Auge gelassen, so bleibt als Rest nur das so be¬
kannte und so müßige Parteigeschwütz übrig. Vom Standpunkte der Billigkeit
und der Bequemlichkeit aus giebt es noch dick bessere Wehrsysteme, als sie
Bebel aufzutischen liebt, aber ob sie uns die nötige Sicherheit gegen Franzosen,
Russen und Engländer gebe», das ist es, worauf es ankommt, und wovon
er wohlweislich schweigt. Ein schlechtes Wehrsystem, das diese Sicherheit nicht
gewährleistet, ist jedenfalls das teuerste von allen; die Erinnerung an die Opfer
der siebenjährigen Fremdherrschaft zu Anfang des Jahrhunderts dürfte wohl in
Deutschland noch nicht völlig erloschen sein. In der Rolle des venetianischen
Löwenracheus mit der Unterschrift äcmcWAL »uvrete für Svldatenmißhandlungen
mag der smuxsr ^ugn8w8 weiter glänze», mit seinen Resvrmplnnen für die
Armee wird er sogar bei den „Genossen," die den bunten Rock getragen haben,
nur Heiterkeit erregen. Denn der Kernpunkt, den er völlig übersieht, oder den
er zu beachten nicht für nötig hält, liegt in dem gewaltigen Unterschied von dem
Gebrauchswert der Heere. Ein Heer kann von der größten Kriegslust und von
Vaterlandsliebe begeistert sein, es kann gut bewaffnet und in: Gebrauch der
Waffe» ganz ausreichend bewandert sein und doch nur einen überaus geringen
Gebrauchswert haben. Dieser hängt davon ab, ob auch die psychische Kraft
zur Ertragung harter Strapazen, zum vollkommnen Gehorsam unter den er¬
schwerendsten Umständen, zu ungeschwächter Beson»e»heit und Selbstbeherrschung
unter den Gefahren des Todes und zu freudiger Aufopferung des Lebens vor¬
handen n»d genügend entwickelt ist. Hier liegt das wesentliche aller kriegerischen
Tüchtigkeit eines Heeres. Dieses wesentliche ist das eiserne Pflicht- und Ehr¬
gefühl, der unerbittliche kategorische Imperativ den Stimmen gegenüber, die
sich im Herzen zu Gunsten der Selbsterhaltung regen wollen; die von Kaiser
Wilhelm 1. so oft betonte Disziplin. Die ältere Generation hat es praktisch
erfahre», warum unsre dezimirte» Truppe» doch immer das Feld behaupteten
gegen die an Zahl so weit überlegnen französischen Mvbilgnrden, Nationalgarde»
und Franktireurs. An dem Wunsch, uns aus Frankreich zu jagen, hat es ihnen
nicht gefehlt, aber a» der Grenze des wirksamen Feuers, wo der Wunsch »»»
zum Willen werden sollte, da wurde das Fleisch schwach.

Es ist ganz sicher, daß die verbesserte Waffentechnik i» dem nächste»
Kriege »och wesentlich höhere Anforderungen an die Gefcchtskraft der Truppen
stellen wird. Je mehr wir in aufgelösten Schwärmen fechten, je mehr diese
Schutz im Gelände suchen müssen, desto weniger kann der Zusammenhang der
Teile mechanisch durch Kommando gewahrt werden, desto mehr fechten wir »ur
„Herz an Herz" statt „Arm an Arm," desto mehr also müssen wir uns ans
die Festigkeit dieser Herze» verlasse» können. Es wird »och darauf zurück¬
zukommen sein. Zunächst soll ein geschichtlicher Überblick zeigen, wie sich in
der deutschen Geschichte die Anpassung des Volks an die äußern Bedingungen


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[0571] Verhältnisse aus können und dürfen die eignen Heeresverhältuisse beurteilt werden; werden sie aus dem Auge gelassen, so bleibt als Rest nur das so be¬ kannte und so müßige Parteigeschwütz übrig. Vom Standpunkte der Billigkeit und der Bequemlichkeit aus giebt es noch dick bessere Wehrsysteme, als sie Bebel aufzutischen liebt, aber ob sie uns die nötige Sicherheit gegen Franzosen, Russen und Engländer gebe», das ist es, worauf es ankommt, und wovon er wohlweislich schweigt. Ein schlechtes Wehrsystem, das diese Sicherheit nicht gewährleistet, ist jedenfalls das teuerste von allen; die Erinnerung an die Opfer der siebenjährigen Fremdherrschaft zu Anfang des Jahrhunderts dürfte wohl in Deutschland noch nicht völlig erloschen sein. In der Rolle des venetianischen Löwenracheus mit der Unterschrift äcmcWAL »uvrete für Svldatenmißhandlungen mag der smuxsr ^ugn8w8 weiter glänze», mit seinen Resvrmplnnen für die Armee wird er sogar bei den „Genossen," die den bunten Rock getragen haben, nur Heiterkeit erregen. Denn der Kernpunkt, den er völlig übersieht, oder den er zu beachten nicht für nötig hält, liegt in dem gewaltigen Unterschied von dem Gebrauchswert der Heere. Ein Heer kann von der größten Kriegslust und von Vaterlandsliebe begeistert sein, es kann gut bewaffnet und in: Gebrauch der Waffe» ganz ausreichend bewandert sein und doch nur einen überaus geringen Gebrauchswert haben. Dieser hängt davon ab, ob auch die psychische Kraft zur Ertragung harter Strapazen, zum vollkommnen Gehorsam unter den er¬ schwerendsten Umständen, zu ungeschwächter Beson»e»heit und Selbstbeherrschung unter den Gefahren des Todes und zu freudiger Aufopferung des Lebens vor¬ handen n»d genügend entwickelt ist. Hier liegt das wesentliche aller kriegerischen Tüchtigkeit eines Heeres. Dieses wesentliche ist das eiserne Pflicht- und Ehr¬ gefühl, der unerbittliche kategorische Imperativ den Stimmen gegenüber, die sich im Herzen zu Gunsten der Selbsterhaltung regen wollen; die von Kaiser Wilhelm 1. so oft betonte Disziplin. Die ältere Generation hat es praktisch erfahre», warum unsre dezimirte» Truppe» doch immer das Feld behaupteten gegen die an Zahl so weit überlegnen französischen Mvbilgnrden, Nationalgarde» und Franktireurs. An dem Wunsch, uns aus Frankreich zu jagen, hat es ihnen nicht gefehlt, aber a» der Grenze des wirksamen Feuers, wo der Wunsch »»» zum Willen werden sollte, da wurde das Fleisch schwach. Es ist ganz sicher, daß die verbesserte Waffentechnik i» dem nächste» Kriege »och wesentlich höhere Anforderungen an die Gefcchtskraft der Truppen stellen wird. Je mehr wir in aufgelösten Schwärmen fechten, je mehr diese Schutz im Gelände suchen müssen, desto weniger kann der Zusammenhang der Teile mechanisch durch Kommando gewahrt werden, desto mehr fechten wir »ur „Herz an Herz" statt „Arm an Arm," desto mehr also müssen wir uns ans die Festigkeit dieser Herze» verlasse» können. Es wird »och darauf zurück¬ zukommen sein. Zunächst soll ein geschichtlicher Überblick zeigen, wie sich in der deutschen Geschichte die Anpassung des Volks an die äußern Bedingungen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/571>, abgerufen am 29.06.2024.