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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Der Zusammenhang von Äußerer und innerer Politik

Hut sein müssen. Es ist klar, daß sich auch die Nationalökonomie wie andre
Wissenschaften zuerst mit ihren materiellen Elementen und deren direkten Wir¬
kungen beschäftigt; wen" aber ans dieser Stufe die Neigung hervortritt, die
Gesamtheit aller Erscheinungen zu erklären und andre "imponderable" Einflüsse
zu leugnen, so wird diese Neigung auch hier als ein unberechtigter Anspruch
zurückzuweisen sein. Es gilt auch hier:


Dann hat er die Teile in seiner Hand,
Fehlt, leider! nur das geistige Band,

Es ist ganz richtig, daß die materiellen wirtschaftlichen Verhältnisse bei
der Darstellung geschichtlicher Vorgänge oft übersehen oder zu wenig beachtet
worden sind, aber die Einseitigkeit ist nicht geringer, wenn man glaubt, alle
Geschichte in wirtschaftliche Vorgänge "auflösen" zu können. Für den Einzelnen
wird eine derartige materielle Auffassung doch schon als ein überwundner
Standpunkt angesehen, für eine Gesamtheit kann sie aber ebenso wenig zutreffen.

Dieser Richtung gegenüber ist es vielleicht zweckmäßig, auf eine der wich¬
tigsten Seiten bei der Bildung und Umbildung von Staat und Gesellschaft
hinzuweisen, die eine eingehendere Behandlung verdient, als ihr bisher zu teil
geworden ist und ihr der Natur der Sache nach auch hier zu teil werden kann.
Es ist das Gebiet der Heeresverfassuug, das Gebiet, auf dem wie auf keinem
andern die innern lind äußern Verhältnisse von Staat und Gesellschaft zu-
sammenhüngen.

Ganz zweifellos werden in den modernen Kulturstaaten die Heeresein-
richtnngen zuerst von den auswärtigen Verhältnissen bestimmt, jeder will durch
diese Einrichtungen den mutmaßlichen Gegner überbieten, ihm wenigstens die
Wage halten; dem Gesetzgeber sind aber durch das Wesen des Staats, dnrch
die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Volks die Grenzen gegeben,
innerhalb deren er sich bewegen muß. Andrerseits ist nicht zu verkenne", daß
die ans den erwähnten Gründen getrvffnen Anordnungen wieder als .Keime
und Entwicklungsströmungen einen ganz wesentlichen Einfluß auf die Fort¬
bildung der innern Verhältnisse haben müssen, einen Einfluß, der sich in ganz
unzweifelhafter Weise geschichtlich nachweisen läßt.

Es scheint nicht zuviel gesagt, wenn man die Heereseinrichtungen eines
Volkes als das bezeichnet, was im Bereiche der Natur die gesetzmäßige An¬
passung der Organismen an ihre Umgebung ist. Voller, die sich in der Ent-
wicklung ihrer Kräfte ihren Umgebungen und deren Veränderungen nicht an¬
zupassen vermocht haben, sind in dem Kampf ums Dasein zu Grunde ge¬
gangen. Die inner" Ursachen mögen noch so verschieden sein, die Thatsache,
daß ihre Anpassungsfähigkeit den Anforderungen der Lage nicht gewachsen war,
ist immer gleich. Wir wollen hier nur auf die hervorragendsten Beispiele, auf
Karthager und Polen hinweisen. Nur von dieser Grundlage der auswärtigen


Der Zusammenhang von Äußerer und innerer Politik

Hut sein müssen. Es ist klar, daß sich auch die Nationalökonomie wie andre
Wissenschaften zuerst mit ihren materiellen Elementen und deren direkten Wir¬
kungen beschäftigt; wen» aber ans dieser Stufe die Neigung hervortritt, die
Gesamtheit aller Erscheinungen zu erklären und andre „imponderable" Einflüsse
zu leugnen, so wird diese Neigung auch hier als ein unberechtigter Anspruch
zurückzuweisen sein. Es gilt auch hier:


Dann hat er die Teile in seiner Hand,
Fehlt, leider! nur das geistige Band,

Es ist ganz richtig, daß die materiellen wirtschaftlichen Verhältnisse bei
der Darstellung geschichtlicher Vorgänge oft übersehen oder zu wenig beachtet
worden sind, aber die Einseitigkeit ist nicht geringer, wenn man glaubt, alle
Geschichte in wirtschaftliche Vorgänge „auflösen" zu können. Für den Einzelnen
wird eine derartige materielle Auffassung doch schon als ein überwundner
Standpunkt angesehen, für eine Gesamtheit kann sie aber ebenso wenig zutreffen.

Dieser Richtung gegenüber ist es vielleicht zweckmäßig, auf eine der wich¬
tigsten Seiten bei der Bildung und Umbildung von Staat und Gesellschaft
hinzuweisen, die eine eingehendere Behandlung verdient, als ihr bisher zu teil
geworden ist und ihr der Natur der Sache nach auch hier zu teil werden kann.
Es ist das Gebiet der Heeresverfassuug, das Gebiet, auf dem wie auf keinem
andern die innern lind äußern Verhältnisse von Staat und Gesellschaft zu-
sammenhüngen.

Ganz zweifellos werden in den modernen Kulturstaaten die Heeresein-
richtnngen zuerst von den auswärtigen Verhältnissen bestimmt, jeder will durch
diese Einrichtungen den mutmaßlichen Gegner überbieten, ihm wenigstens die
Wage halten; dem Gesetzgeber sind aber durch das Wesen des Staats, dnrch
die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Volks die Grenzen gegeben,
innerhalb deren er sich bewegen muß. Andrerseits ist nicht zu verkenne», daß
die ans den erwähnten Gründen getrvffnen Anordnungen wieder als .Keime
und Entwicklungsströmungen einen ganz wesentlichen Einfluß auf die Fort¬
bildung der innern Verhältnisse haben müssen, einen Einfluß, der sich in ganz
unzweifelhafter Weise geschichtlich nachweisen läßt.

Es scheint nicht zuviel gesagt, wenn man die Heereseinrichtungen eines
Volkes als das bezeichnet, was im Bereiche der Natur die gesetzmäßige An¬
passung der Organismen an ihre Umgebung ist. Voller, die sich in der Ent-
wicklung ihrer Kräfte ihren Umgebungen und deren Veränderungen nicht an¬
zupassen vermocht haben, sind in dem Kampf ums Dasein zu Grunde ge¬
gangen. Die inner» Ursachen mögen noch so verschieden sein, die Thatsache,
daß ihre Anpassungsfähigkeit den Anforderungen der Lage nicht gewachsen war,
ist immer gleich. Wir wollen hier nur auf die hervorragendsten Beispiele, auf
Karthager und Polen hinweisen. Nur von dieser Grundlage der auswärtigen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/570>, abgerufen am 29.09.2024.