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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Gottfried Keller und seine Novellen

der Humor des Verstandes, von dem aus der Philosoph mit fein überlegnem
Lächeln die Thorheiten der armen Welt begleitet. Es ist im eigentlichsten
Sinne der trockne Humor.

Wie launig ist das Treiben der Dichterlinge und ihres Anhangs in den
"Mißbrauchten Liebesbriefen" geschildert! Wie komisch in der heikeln Geschichte
"Der Schmied seines Glückes" der abenteuernde Nichtsthuer Kabis, der zum
Erbschleicher und Ehebrecher hinabsinkt, und der alte Tropf Litnmlei, der mit
aller Macht nach Geschlecht und Stammbaum trachtet! Freilich bleibt dann
Keller zuweilen in der Belustigung über die Vorgänge stecken und bewegt sich
so scheinbar in einer Sphäre jenseits von Gut und Böse. Für die Schänd¬
lichkeit der Frau, deren Wesen überhaupt völlig im Dunkel bleibt, und des
lumpichten Seldwylers hat er kein mißbilligendes Wort. Kabis sällt lautlos,
wie er gestiegen ist. Daß er zuletzt fällt (was nach der Entwicklung der Ge¬
schichte gar nicht notwendig ist) und so den rechten Lohn empfängt, ist schlie߬
lich die einzig wohlthuende Empfindung, mit der man von der Erzählung
scheidet. Es hat doch alles seine Zeit! Lachen hat seine Zeit, aber der
Zorn auch.

Reine Komik herrscht unter andern in den "Drei gerechten Kammachern."
Hier ist alles aufs feinste ausgeklügelt und auf seiue Wirkung berechnet. Erst
wird ein Geselle in seiner Selbstgerechtigkeit und Alltagsbiederkeit vorgeführt,
dann dies durch einen zweiten und dritten übertrumpft und bis zum äußersten
getrieben. Ebenso wird dann das neue Motiv, das Verlieben der drei in das¬
selbe Mädchen, in gleicher Weise gesteigert. Und die Komik erreicht endlich
ihre höchste Wirkung in der Lösung des Rätsels, vor dem das Mädchen steht,
in der Probe, die am nächsten Morgen angestellt wird. Aber der Ausgang
Paßt zu der durchweg auf das Komische angelegten Geschichte nicht: Jobst er¬
hängt sich, der Baier wird liederlich, und der Sachse erhält sein Geschäft und
sein Weib. Hier bricht unser Lachen jäh ab, und das ist immer unerfreulich.
Nirgends eine Heilung, nirgends eine Versöhnung, und so kommt uns nun
erst zum Bewußtsein, daß diese so hoch gepriesene Novelle durchweg herbe ist
wie ihr Schluß.

Die Ursache liegt in dem auffallenden Mangel an Gemüt bei Keller, der
überall fühlbar ist, dem Vorherrschen des Verstandes, das ihn zuweilen geradezu
zu Geschmacklosigkeiten verleitet. Er vergißt Stand, Bildung und Charakter
seiner Personen und legt ihnen seine eignen Gedanken und Worte in
den Mund. Ja die einfachsten Leute reden fast nur Kellerisch. Man lese im
"Fähnlein" nur die Rede, die Karl der Schueidersohn und Gerichtsschreiber
beim Bundesschießen ex tsmxors hält: "Es ist ein Verein (der sieben Kahl-
ivpfe), der keinen Namen hat, keinen Präsidenten und keine Statuten; seine
Mitglieder haben weder Titel noch Ämter, es ist angezeichnetes Stammholz
aus dem Waldesdickicht der Nation, das jetzt sür einen Augenblick vor deu


Grenzboten 1 1807 W
Gottfried Keller und seine Novellen

der Humor des Verstandes, von dem aus der Philosoph mit fein überlegnem
Lächeln die Thorheiten der armen Welt begleitet. Es ist im eigentlichsten
Sinne der trockne Humor.

Wie launig ist das Treiben der Dichterlinge und ihres Anhangs in den
„Mißbrauchten Liebesbriefen" geschildert! Wie komisch in der heikeln Geschichte
„Der Schmied seines Glückes" der abenteuernde Nichtsthuer Kabis, der zum
Erbschleicher und Ehebrecher hinabsinkt, und der alte Tropf Litnmlei, der mit
aller Macht nach Geschlecht und Stammbaum trachtet! Freilich bleibt dann
Keller zuweilen in der Belustigung über die Vorgänge stecken und bewegt sich
so scheinbar in einer Sphäre jenseits von Gut und Böse. Für die Schänd¬
lichkeit der Frau, deren Wesen überhaupt völlig im Dunkel bleibt, und des
lumpichten Seldwylers hat er kein mißbilligendes Wort. Kabis sällt lautlos,
wie er gestiegen ist. Daß er zuletzt fällt (was nach der Entwicklung der Ge¬
schichte gar nicht notwendig ist) und so den rechten Lohn empfängt, ist schlie߬
lich die einzig wohlthuende Empfindung, mit der man von der Erzählung
scheidet. Es hat doch alles seine Zeit! Lachen hat seine Zeit, aber der
Zorn auch.

Reine Komik herrscht unter andern in den „Drei gerechten Kammachern."
Hier ist alles aufs feinste ausgeklügelt und auf seiue Wirkung berechnet. Erst
wird ein Geselle in seiner Selbstgerechtigkeit und Alltagsbiederkeit vorgeführt,
dann dies durch einen zweiten und dritten übertrumpft und bis zum äußersten
getrieben. Ebenso wird dann das neue Motiv, das Verlieben der drei in das¬
selbe Mädchen, in gleicher Weise gesteigert. Und die Komik erreicht endlich
ihre höchste Wirkung in der Lösung des Rätsels, vor dem das Mädchen steht,
in der Probe, die am nächsten Morgen angestellt wird. Aber der Ausgang
Paßt zu der durchweg auf das Komische angelegten Geschichte nicht: Jobst er¬
hängt sich, der Baier wird liederlich, und der Sachse erhält sein Geschäft und
sein Weib. Hier bricht unser Lachen jäh ab, und das ist immer unerfreulich.
Nirgends eine Heilung, nirgends eine Versöhnung, und so kommt uns nun
erst zum Bewußtsein, daß diese so hoch gepriesene Novelle durchweg herbe ist
wie ihr Schluß.

Die Ursache liegt in dem auffallenden Mangel an Gemüt bei Keller, der
überall fühlbar ist, dem Vorherrschen des Verstandes, das ihn zuweilen geradezu
zu Geschmacklosigkeiten verleitet. Er vergißt Stand, Bildung und Charakter
seiner Personen und legt ihnen seine eignen Gedanken und Worte in
den Mund. Ja die einfachsten Leute reden fast nur Kellerisch. Man lese im
„Fähnlein" nur die Rede, die Karl der Schueidersohn und Gerichtsschreiber
beim Bundesschießen ex tsmxors hält: „Es ist ein Verein (der sieben Kahl-
ivpfe), der keinen Namen hat, keinen Präsidenten und keine Statuten; seine
Mitglieder haben weder Titel noch Ämter, es ist angezeichnetes Stammholz
aus dem Waldesdickicht der Nation, das jetzt sür einen Augenblick vor deu


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[0545] Gottfried Keller und seine Novellen der Humor des Verstandes, von dem aus der Philosoph mit fein überlegnem Lächeln die Thorheiten der armen Welt begleitet. Es ist im eigentlichsten Sinne der trockne Humor. Wie launig ist das Treiben der Dichterlinge und ihres Anhangs in den „Mißbrauchten Liebesbriefen" geschildert! Wie komisch in der heikeln Geschichte „Der Schmied seines Glückes" der abenteuernde Nichtsthuer Kabis, der zum Erbschleicher und Ehebrecher hinabsinkt, und der alte Tropf Litnmlei, der mit aller Macht nach Geschlecht und Stammbaum trachtet! Freilich bleibt dann Keller zuweilen in der Belustigung über die Vorgänge stecken und bewegt sich so scheinbar in einer Sphäre jenseits von Gut und Böse. Für die Schänd¬ lichkeit der Frau, deren Wesen überhaupt völlig im Dunkel bleibt, und des lumpichten Seldwylers hat er kein mißbilligendes Wort. Kabis sällt lautlos, wie er gestiegen ist. Daß er zuletzt fällt (was nach der Entwicklung der Ge¬ schichte gar nicht notwendig ist) und so den rechten Lohn empfängt, ist schlie߬ lich die einzig wohlthuende Empfindung, mit der man von der Erzählung scheidet. Es hat doch alles seine Zeit! Lachen hat seine Zeit, aber der Zorn auch. Reine Komik herrscht unter andern in den „Drei gerechten Kammachern." Hier ist alles aufs feinste ausgeklügelt und auf seiue Wirkung berechnet. Erst wird ein Geselle in seiner Selbstgerechtigkeit und Alltagsbiederkeit vorgeführt, dann dies durch einen zweiten und dritten übertrumpft und bis zum äußersten getrieben. Ebenso wird dann das neue Motiv, das Verlieben der drei in das¬ selbe Mädchen, in gleicher Weise gesteigert. Und die Komik erreicht endlich ihre höchste Wirkung in der Lösung des Rätsels, vor dem das Mädchen steht, in der Probe, die am nächsten Morgen angestellt wird. Aber der Ausgang Paßt zu der durchweg auf das Komische angelegten Geschichte nicht: Jobst er¬ hängt sich, der Baier wird liederlich, und der Sachse erhält sein Geschäft und sein Weib. Hier bricht unser Lachen jäh ab, und das ist immer unerfreulich. Nirgends eine Heilung, nirgends eine Versöhnung, und so kommt uns nun erst zum Bewußtsein, daß diese so hoch gepriesene Novelle durchweg herbe ist wie ihr Schluß. Die Ursache liegt in dem auffallenden Mangel an Gemüt bei Keller, der überall fühlbar ist, dem Vorherrschen des Verstandes, das ihn zuweilen geradezu zu Geschmacklosigkeiten verleitet. Er vergißt Stand, Bildung und Charakter seiner Personen und legt ihnen seine eignen Gedanken und Worte in den Mund. Ja die einfachsten Leute reden fast nur Kellerisch. Man lese im „Fähnlein" nur die Rede, die Karl der Schueidersohn und Gerichtsschreiber beim Bundesschießen ex tsmxors hält: „Es ist ein Verein (der sieben Kahl- ivpfe), der keinen Namen hat, keinen Präsidenten und keine Statuten; seine Mitglieder haben weder Titel noch Ämter, es ist angezeichnetes Stammholz aus dem Waldesdickicht der Nation, das jetzt sür einen Augenblick vor deu Grenzboten 1 1807 W

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/545>, abgerufen am 29.06.2024.