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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Der Nebenverdienst des höhern Lehrerstandes

arbeit des höhern Lehrerstandes überhaupt aufzuhören habe, sie soll nur frei
sein. Nicht die Not, sondern die Neigung soll den Einzelnen dazu führen.
Wer keine Neigung hat, der mag in seinem Berufe sein Genügen finden oder
sich mehr, als es in unsern Kreisen bisher üblich war, am öffentlichen Leben
beteiligen. Vor allem aber soll uns der Übergang zum Lehramt nicht die
Thüren zum Tempel der Wissenschaft verschließen. In dem Einerlei des Be¬
rufes hat man es oft recht nötig, dahin zu flüchten und in stillen Stunden
bei den großen Alten und den "bessern neuern Schriften" einzukehren. Wie
viele sind aber dazu, leider, zu -- müde! Wie viele haben es auch in der
langen Dulderzeit der Hilfslehrerjahre ganz verlernt!

Man hat seit einigen Jahren diese Übelstände erkannt. Man hat gesehn,
daß die Einzelnen zu früh matt werden und ausspannen müssen, und daß der
Nachwuchs ausbleibt. Die Söhne besserer Familien, die durch Familienüber¬
lieferung und gute Vermögensverhältnisse gewissermaßen von der Natur zum
Studium bestimmt sind, wenden sich immer mehr von der Philologie und der
Mathematik ab, ja es ist zu fürchten, daß sich auch die Begabteren aus den
ürmern Kreisen des Volkes nicht mehr zu diesem Berufe entschließen werden.
Die Hörsäle der Philologen und der Mathematiker leeren sich zusehends, und
ihre Seminare sind meistens nur zur Hälfte besetzt, und bisweilen mit Leuten,
die vor zwanzig Jahren, als unser deutsches Schulwesen blühte, gar nicht daran
hätten denken dürfen, aufgenommen zu werden.

So hat man denn in den meisten Staaten Abhilfe zu schaffen gesucht.
Am entschiedensten ist Preußen vorgegangen. Dort haben die akademisch ge¬
bildeten Lehrer 1892 das Dienstaltersshstem und damit endlich die Sicherheit
des Aufrückens und den Normaletat erhalten. Und für 1897 ist vorgeschlagen,
daß sie, wenn auch "in gebührendem Abstände" doch xari xsssu mit den Amts¬
richtern vorrücken sollen. Daß sie wieder hinter diesen Hermarschiren müssen,
daran ist eben die falsche Vorstellung schuld, die von ihrem Nebenverdienst
unter den Leuten verbreitet ist. Ob es diesmal gelingen wird, das längst
gewünschte Ziel zu erreichen und auch die finanzielle Gleichstellung mit den
Juristen gleichen Ranges zu erlangen, müssen wir abwarten. Es kann aber
nicht oft genug darauf hingewiesen werden, daß dieser Anspruch auf Gleich¬
stellung innerlich wohl begründet ist.

Wir haben jetzt den vierhundertjährigen Geburtstag Melanchthons, des
IMgeöptor (Förmanlao, gefeiert. In einer seiner äselg-lliAtiongs schildert er beredt
das Elend der damaligen Lehrer. Seitdem ist vieles besser geworden, vieles
trifft aber auch hente noch zu, vor allen Dingen die Belastung der Lehrer mit
Nebenarbeit. Hoffentlich gelingt es unsrer Zeit, sie mich von dieser Last noch
zu befreien.




Der Nebenverdienst des höhern Lehrerstandes

arbeit des höhern Lehrerstandes überhaupt aufzuhören habe, sie soll nur frei
sein. Nicht die Not, sondern die Neigung soll den Einzelnen dazu führen.
Wer keine Neigung hat, der mag in seinem Berufe sein Genügen finden oder
sich mehr, als es in unsern Kreisen bisher üblich war, am öffentlichen Leben
beteiligen. Vor allem aber soll uns der Übergang zum Lehramt nicht die
Thüren zum Tempel der Wissenschaft verschließen. In dem Einerlei des Be¬
rufes hat man es oft recht nötig, dahin zu flüchten und in stillen Stunden
bei den großen Alten und den „bessern neuern Schriften" einzukehren. Wie
viele sind aber dazu, leider, zu — müde! Wie viele haben es auch in der
langen Dulderzeit der Hilfslehrerjahre ganz verlernt!

Man hat seit einigen Jahren diese Übelstände erkannt. Man hat gesehn,
daß die Einzelnen zu früh matt werden und ausspannen müssen, und daß der
Nachwuchs ausbleibt. Die Söhne besserer Familien, die durch Familienüber¬
lieferung und gute Vermögensverhältnisse gewissermaßen von der Natur zum
Studium bestimmt sind, wenden sich immer mehr von der Philologie und der
Mathematik ab, ja es ist zu fürchten, daß sich auch die Begabteren aus den
ürmern Kreisen des Volkes nicht mehr zu diesem Berufe entschließen werden.
Die Hörsäle der Philologen und der Mathematiker leeren sich zusehends, und
ihre Seminare sind meistens nur zur Hälfte besetzt, und bisweilen mit Leuten,
die vor zwanzig Jahren, als unser deutsches Schulwesen blühte, gar nicht daran
hätten denken dürfen, aufgenommen zu werden.

So hat man denn in den meisten Staaten Abhilfe zu schaffen gesucht.
Am entschiedensten ist Preußen vorgegangen. Dort haben die akademisch ge¬
bildeten Lehrer 1892 das Dienstaltersshstem und damit endlich die Sicherheit
des Aufrückens und den Normaletat erhalten. Und für 1897 ist vorgeschlagen,
daß sie, wenn auch „in gebührendem Abstände" doch xari xsssu mit den Amts¬
richtern vorrücken sollen. Daß sie wieder hinter diesen Hermarschiren müssen,
daran ist eben die falsche Vorstellung schuld, die von ihrem Nebenverdienst
unter den Leuten verbreitet ist. Ob es diesmal gelingen wird, das längst
gewünschte Ziel zu erreichen und auch die finanzielle Gleichstellung mit den
Juristen gleichen Ranges zu erlangen, müssen wir abwarten. Es kann aber
nicht oft genug darauf hingewiesen werden, daß dieser Anspruch auf Gleich¬
stellung innerlich wohl begründet ist.

Wir haben jetzt den vierhundertjährigen Geburtstag Melanchthons, des
IMgeöptor (Förmanlao, gefeiert. In einer seiner äselg-lliAtiongs schildert er beredt
das Elend der damaligen Lehrer. Seitdem ist vieles besser geworden, vieles
trifft aber auch hente noch zu, vor allen Dingen die Belastung der Lehrer mit
Nebenarbeit. Hoffentlich gelingt es unsrer Zeit, sie mich von dieser Last noch
zu befreien.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/495>, abgerufen am 26.06.2024.