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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Der Nebenverdienst des höhern Lehrerstandes

stehe. Aber selbst wenn man den Widerwillen überwindet und sich zu dieser
Kärrnerarbeit entschließt, ist noch gar nicht gesagt, daß man alle sechs Stunden
in diesem ertragfähigsten Vierteljahr besetzen kann. Die Konkurrenz von aller¬
hand Privatlehrern und Privatlehranstalten ist so groß, daß es, selbst wenn
man wollte, durchaus nicht immer gelingt, einen nennenswerten Bruchteil der
oben genannten Summe zu erwerben. Mit den Jahren schwindet aber auch
der Wille dazu. Man fühlt, wenn man eine Reihe von Jahren seine freie
Zeit mit Privatunterricht ausgefüllt hat, unwillkürlich, daß es einen Zeitpunkt
giebt, wo man die wissenschaftlichen Interessen nicht mehr ungestraft hintan¬
setzen darf. Es ist die Furcht vor dem Handwerk, die einen dann überkommt
und einem den Wunsch nahe legt, auf solches zu teuer erworbne Geld zu ver¬
zichten. Darum geht auch allgemein der Zug durch die höhere Lehrerschaft,
das Privatstundenwesen sobald als möglich abzuschütteln, um seine Freizeit
besser auszufüllen.

Aber gerade die dem höhern Lehrerstande gegönnte Freizeit ist schon oft
Gegenstand einer übelwollenden Beurteilung gewesen. Indem man absichtlich
Hand- und Kopfarbeit verwechselt und die Korrekturen, die häuslichen Vor¬
bereitungen und die Konferenzen nicht berücksichtigt, sagt man: Vier Stunden
den Tag ist nicht zu viel. Das hat sogar in Preußen dazu geführt, die
Maximalstundenzahl als Normalzahl einzuführen und anderwärts die Gehalte
zu beschneiden und die Lehrer ausdrücklich auf Nebenarbeit und Nebenverdienst
hinzuweisen. Wie übel das erste gewirkt hat, wird jetzt von den Behörden
selbst unumwunden zugegeben: in der vorzeitigen Dienstunfähigkeit so vieler
Lehrer liegt eine eindringliche Warnung.

Also die Möglichkeit des Nebenerwerbs kann man nicht als triftigen
Grund dafür ansetzn, daß der höhere Lehrerstand schlechter bezahlt werden
müsse, als die ihm gleichgestellten Theologen und Juristen, denn dann müßte
man damit mindestens ebenso viel verdienen können, als die Einnahmen jener
Stände höher sind.

Freilich, die Lehrerwelt hat noch weit zu ihrem Ziel. Die demütige
Stellung des akademisch gebildeten Lehrerstandes kennzeichnet nichts mehr, als
daß man dem ganzen Stande ansinnt, einem Nebenverdienst nachzugehn. Das
ist nicht besser, als wenn man der Gesamtheit der Geistlichen zumuten wollte,
sür Geld Predigten und Vorträge zu Festlichkeiten zu halten, oder wenn man
die Amtsrichter auffordern wollte, für Geld rechtsgelehrten Rat zu erteilen.
Wenn das einer von den Angehörigen dieser Stunde privatim thut, so ist es ihm,
soviel ich weiß, unbenommen. Aber eine Behörde oder eine parlamentarische Ver¬
sammlung würde sich wohl hüten, öffentlich den beiden Ständen solche Neben¬
thätigkeit zu empfehlen, um ihnen damit das Einkommen zu ermöglichen, das sie
zu einer standesgemäßen Lebensführung brauchen, und das ihnen der Staat oder
die Gemeinde nicht geben will. Damit soll nicht gesagt sein, daß solche Privat-


Der Nebenverdienst des höhern Lehrerstandes

stehe. Aber selbst wenn man den Widerwillen überwindet und sich zu dieser
Kärrnerarbeit entschließt, ist noch gar nicht gesagt, daß man alle sechs Stunden
in diesem ertragfähigsten Vierteljahr besetzen kann. Die Konkurrenz von aller¬
hand Privatlehrern und Privatlehranstalten ist so groß, daß es, selbst wenn
man wollte, durchaus nicht immer gelingt, einen nennenswerten Bruchteil der
oben genannten Summe zu erwerben. Mit den Jahren schwindet aber auch
der Wille dazu. Man fühlt, wenn man eine Reihe von Jahren seine freie
Zeit mit Privatunterricht ausgefüllt hat, unwillkürlich, daß es einen Zeitpunkt
giebt, wo man die wissenschaftlichen Interessen nicht mehr ungestraft hintan¬
setzen darf. Es ist die Furcht vor dem Handwerk, die einen dann überkommt
und einem den Wunsch nahe legt, auf solches zu teuer erworbne Geld zu ver¬
zichten. Darum geht auch allgemein der Zug durch die höhere Lehrerschaft,
das Privatstundenwesen sobald als möglich abzuschütteln, um seine Freizeit
besser auszufüllen.

Aber gerade die dem höhern Lehrerstande gegönnte Freizeit ist schon oft
Gegenstand einer übelwollenden Beurteilung gewesen. Indem man absichtlich
Hand- und Kopfarbeit verwechselt und die Korrekturen, die häuslichen Vor¬
bereitungen und die Konferenzen nicht berücksichtigt, sagt man: Vier Stunden
den Tag ist nicht zu viel. Das hat sogar in Preußen dazu geführt, die
Maximalstundenzahl als Normalzahl einzuführen und anderwärts die Gehalte
zu beschneiden und die Lehrer ausdrücklich auf Nebenarbeit und Nebenverdienst
hinzuweisen. Wie übel das erste gewirkt hat, wird jetzt von den Behörden
selbst unumwunden zugegeben: in der vorzeitigen Dienstunfähigkeit so vieler
Lehrer liegt eine eindringliche Warnung.

Also die Möglichkeit des Nebenerwerbs kann man nicht als triftigen
Grund dafür ansetzn, daß der höhere Lehrerstand schlechter bezahlt werden
müsse, als die ihm gleichgestellten Theologen und Juristen, denn dann müßte
man damit mindestens ebenso viel verdienen können, als die Einnahmen jener
Stände höher sind.

Freilich, die Lehrerwelt hat noch weit zu ihrem Ziel. Die demütige
Stellung des akademisch gebildeten Lehrerstandes kennzeichnet nichts mehr, als
daß man dem ganzen Stande ansinnt, einem Nebenverdienst nachzugehn. Das
ist nicht besser, als wenn man der Gesamtheit der Geistlichen zumuten wollte,
sür Geld Predigten und Vorträge zu Festlichkeiten zu halten, oder wenn man
die Amtsrichter auffordern wollte, für Geld rechtsgelehrten Rat zu erteilen.
Wenn das einer von den Angehörigen dieser Stunde privatim thut, so ist es ihm,
soviel ich weiß, unbenommen. Aber eine Behörde oder eine parlamentarische Ver¬
sammlung würde sich wohl hüten, öffentlich den beiden Ständen solche Neben¬
thätigkeit zu empfehlen, um ihnen damit das Einkommen zu ermöglichen, das sie
zu einer standesgemäßen Lebensführung brauchen, und das ihnen der Staat oder
die Gemeinde nicht geben will. Damit soll nicht gesagt sein, daß solche Privat-


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[0494] Der Nebenverdienst des höhern Lehrerstandes stehe. Aber selbst wenn man den Widerwillen überwindet und sich zu dieser Kärrnerarbeit entschließt, ist noch gar nicht gesagt, daß man alle sechs Stunden in diesem ertragfähigsten Vierteljahr besetzen kann. Die Konkurrenz von aller¬ hand Privatlehrern und Privatlehranstalten ist so groß, daß es, selbst wenn man wollte, durchaus nicht immer gelingt, einen nennenswerten Bruchteil der oben genannten Summe zu erwerben. Mit den Jahren schwindet aber auch der Wille dazu. Man fühlt, wenn man eine Reihe von Jahren seine freie Zeit mit Privatunterricht ausgefüllt hat, unwillkürlich, daß es einen Zeitpunkt giebt, wo man die wissenschaftlichen Interessen nicht mehr ungestraft hintan¬ setzen darf. Es ist die Furcht vor dem Handwerk, die einen dann überkommt und einem den Wunsch nahe legt, auf solches zu teuer erworbne Geld zu ver¬ zichten. Darum geht auch allgemein der Zug durch die höhere Lehrerschaft, das Privatstundenwesen sobald als möglich abzuschütteln, um seine Freizeit besser auszufüllen. Aber gerade die dem höhern Lehrerstande gegönnte Freizeit ist schon oft Gegenstand einer übelwollenden Beurteilung gewesen. Indem man absichtlich Hand- und Kopfarbeit verwechselt und die Korrekturen, die häuslichen Vor¬ bereitungen und die Konferenzen nicht berücksichtigt, sagt man: Vier Stunden den Tag ist nicht zu viel. Das hat sogar in Preußen dazu geführt, die Maximalstundenzahl als Normalzahl einzuführen und anderwärts die Gehalte zu beschneiden und die Lehrer ausdrücklich auf Nebenarbeit und Nebenverdienst hinzuweisen. Wie übel das erste gewirkt hat, wird jetzt von den Behörden selbst unumwunden zugegeben: in der vorzeitigen Dienstunfähigkeit so vieler Lehrer liegt eine eindringliche Warnung. Also die Möglichkeit des Nebenerwerbs kann man nicht als triftigen Grund dafür ansetzn, daß der höhere Lehrerstand schlechter bezahlt werden müsse, als die ihm gleichgestellten Theologen und Juristen, denn dann müßte man damit mindestens ebenso viel verdienen können, als die Einnahmen jener Stände höher sind. Freilich, die Lehrerwelt hat noch weit zu ihrem Ziel. Die demütige Stellung des akademisch gebildeten Lehrerstandes kennzeichnet nichts mehr, als daß man dem ganzen Stande ansinnt, einem Nebenverdienst nachzugehn. Das ist nicht besser, als wenn man der Gesamtheit der Geistlichen zumuten wollte, sür Geld Predigten und Vorträge zu Festlichkeiten zu halten, oder wenn man die Amtsrichter auffordern wollte, für Geld rechtsgelehrten Rat zu erteilen. Wenn das einer von den Angehörigen dieser Stunde privatim thut, so ist es ihm, soviel ich weiß, unbenommen. Aber eine Behörde oder eine parlamentarische Ver¬ sammlung würde sich wohl hüten, öffentlich den beiden Ständen solche Neben¬ thätigkeit zu empfehlen, um ihnen damit das Einkommen zu ermöglichen, das sie zu einer standesgemäßen Lebensführung brauchen, und das ihnen der Staat oder die Gemeinde nicht geben will. Damit soll nicht gesagt sein, daß solche Privat-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/494>, abgerufen am 27.09.2024.