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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Der Nebenverdienst des Hähern Lehrerstandes

ist die: er ist bei dem großen Andrang dazu schwer gangbar, weil sich fast
nur in den großen Städten und auch da nur wenigen die Möglichkeit bietet,
auf diesem Wege etwas zu verdienen. Es kommt also vor allem der Einzel¬
unterricht in Betracht. Hier kann ich nun aus einer zwanzigjährigen Erfahrung
reden und versichern, daß alle Vermutungen, was damit verdient werden
könne, weit, oft um das Drei- bis Vierfache über das hinausgehen, was selbst
in den besten Jahren mit großer Anstrengung und Selbstverleugnung dabei
wirklich erworben werden kann. Am angenehmsten ist noch die Vorbereitung
junger Leute zu irgend einer Prüfung. Denn in der Regel nimmt man mit
ihnen einen Stoff durch, der ihnen noch unbekannt ist, was immer erfreulicher
ist als die Wiederholung von schon Dagewesenem. Dann haben es die jungen
Leute gewöhnlich sehr nötig, zur rechten Zeit zu bestehn, und zeigen daher
meist guten Willen. Meistens hat man es freilich mit solchen zu thun, die
aus ihrer frühern Bahn gelenkt worden sind, und die Begabtesten sind es
gewöhnlich nicht, weil es diese eben auf den öffentlichen Lehranstalten bequemer
und billiger haben. Aber ich erinnre mich doch noch gern an eine Reihe
von Stunden, die ich solchen Leuten gegeben habe, vor allem Realschul¬
abiturienten, die die Gymnasialreifeprüfung nachholen wollten. Auch früher
nachlässig gewesene Gymnasiasten hatten in der Regel den Ernst ihrer Lage
begriffen und arbeiteten unverdrossen, um zu bestehn. So ist dieser Unter¬
richt nicht ohne Freude und bietet anßer materiellem Lohn eine gewisse innere
Befriedigung. Aber auch hier sind die Lehrer den Schülern gegenüber in der
Mehrzahl, und in kleinern Orten wird höchstens aller paar Jahre einmal ein
solcher Fall vorkommen.

Während aber diese beiden Arten noch eine befriedigende Thätigkeit bieten,
läßt sich das von dem Nachhilfeunterricht an Zurückgebliebne in keiner Weise
behaupten. Das ist eine öde Kärrnerarbeit, zu der Lehrer und Schüler mir
durch die Not getrieben werden. Handelt es sich um kränkliche oder lange
dem Unterricht ferngebliebne Schüler, so geht es immer noch. Aber die Haupt¬
masse wird ja von den indolenten Bengeln gestellt, die nnr um der Stellung
der Eltern willen die höhern Schule" besuchen. Wenn dann in langen, sorg¬
losen Monaten selbst das Notwendigste versäumt worden ist, und das Eltern¬
haus sich nicht mehr imstande fühlt, den Jungen auf der richtigen Bahn zu
erhalten, ruft man nach Arbeitsstunden und Privatunterricht. Dann sollen
in wenig Wochen die Lücken ausgefüllt und der Junge zur Versetzungsreife
gebracht werden. In vielen Fällen ist das gar nicht mehr möglich. Dann ist
natürlich der Lehrer schuld. Gelingt es ihm aber, so hat er auch dann auf
keinen Dank zu rechnen, da nun die Eltern sehr oft die Ausgaben bereuen.
Man sollte ja über eine Arbeit, die man sich selbst auferlegt, ja die man
gesucht hat, nichts Übles sagen. Aber wie öde und verloren erscheinen doch
einem Lehrer, der sich jahraus jahrein mit solchen Jungen plagt, solche


Der Nebenverdienst des Hähern Lehrerstandes

ist die: er ist bei dem großen Andrang dazu schwer gangbar, weil sich fast
nur in den großen Städten und auch da nur wenigen die Möglichkeit bietet,
auf diesem Wege etwas zu verdienen. Es kommt also vor allem der Einzel¬
unterricht in Betracht. Hier kann ich nun aus einer zwanzigjährigen Erfahrung
reden und versichern, daß alle Vermutungen, was damit verdient werden
könne, weit, oft um das Drei- bis Vierfache über das hinausgehen, was selbst
in den besten Jahren mit großer Anstrengung und Selbstverleugnung dabei
wirklich erworben werden kann. Am angenehmsten ist noch die Vorbereitung
junger Leute zu irgend einer Prüfung. Denn in der Regel nimmt man mit
ihnen einen Stoff durch, der ihnen noch unbekannt ist, was immer erfreulicher
ist als die Wiederholung von schon Dagewesenem. Dann haben es die jungen
Leute gewöhnlich sehr nötig, zur rechten Zeit zu bestehn, und zeigen daher
meist guten Willen. Meistens hat man es freilich mit solchen zu thun, die
aus ihrer frühern Bahn gelenkt worden sind, und die Begabtesten sind es
gewöhnlich nicht, weil es diese eben auf den öffentlichen Lehranstalten bequemer
und billiger haben. Aber ich erinnre mich doch noch gern an eine Reihe
von Stunden, die ich solchen Leuten gegeben habe, vor allem Realschul¬
abiturienten, die die Gymnasialreifeprüfung nachholen wollten. Auch früher
nachlässig gewesene Gymnasiasten hatten in der Regel den Ernst ihrer Lage
begriffen und arbeiteten unverdrossen, um zu bestehn. So ist dieser Unter¬
richt nicht ohne Freude und bietet anßer materiellem Lohn eine gewisse innere
Befriedigung. Aber auch hier sind die Lehrer den Schülern gegenüber in der
Mehrzahl, und in kleinern Orten wird höchstens aller paar Jahre einmal ein
solcher Fall vorkommen.

Während aber diese beiden Arten noch eine befriedigende Thätigkeit bieten,
läßt sich das von dem Nachhilfeunterricht an Zurückgebliebne in keiner Weise
behaupten. Das ist eine öde Kärrnerarbeit, zu der Lehrer und Schüler mir
durch die Not getrieben werden. Handelt es sich um kränkliche oder lange
dem Unterricht ferngebliebne Schüler, so geht es immer noch. Aber die Haupt¬
masse wird ja von den indolenten Bengeln gestellt, die nnr um der Stellung
der Eltern willen die höhern Schule« besuchen. Wenn dann in langen, sorg¬
losen Monaten selbst das Notwendigste versäumt worden ist, und das Eltern¬
haus sich nicht mehr imstande fühlt, den Jungen auf der richtigen Bahn zu
erhalten, ruft man nach Arbeitsstunden und Privatunterricht. Dann sollen
in wenig Wochen die Lücken ausgefüllt und der Junge zur Versetzungsreife
gebracht werden. In vielen Fällen ist das gar nicht mehr möglich. Dann ist
natürlich der Lehrer schuld. Gelingt es ihm aber, so hat er auch dann auf
keinen Dank zu rechnen, da nun die Eltern sehr oft die Ausgaben bereuen.
Man sollte ja über eine Arbeit, die man sich selbst auferlegt, ja die man
gesucht hat, nichts Übles sagen. Aber wie öde und verloren erscheinen doch
einem Lehrer, der sich jahraus jahrein mit solchen Jungen plagt, solche


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[0492] Der Nebenverdienst des Hähern Lehrerstandes ist die: er ist bei dem großen Andrang dazu schwer gangbar, weil sich fast nur in den großen Städten und auch da nur wenigen die Möglichkeit bietet, auf diesem Wege etwas zu verdienen. Es kommt also vor allem der Einzel¬ unterricht in Betracht. Hier kann ich nun aus einer zwanzigjährigen Erfahrung reden und versichern, daß alle Vermutungen, was damit verdient werden könne, weit, oft um das Drei- bis Vierfache über das hinausgehen, was selbst in den besten Jahren mit großer Anstrengung und Selbstverleugnung dabei wirklich erworben werden kann. Am angenehmsten ist noch die Vorbereitung junger Leute zu irgend einer Prüfung. Denn in der Regel nimmt man mit ihnen einen Stoff durch, der ihnen noch unbekannt ist, was immer erfreulicher ist als die Wiederholung von schon Dagewesenem. Dann haben es die jungen Leute gewöhnlich sehr nötig, zur rechten Zeit zu bestehn, und zeigen daher meist guten Willen. Meistens hat man es freilich mit solchen zu thun, die aus ihrer frühern Bahn gelenkt worden sind, und die Begabtesten sind es gewöhnlich nicht, weil es diese eben auf den öffentlichen Lehranstalten bequemer und billiger haben. Aber ich erinnre mich doch noch gern an eine Reihe von Stunden, die ich solchen Leuten gegeben habe, vor allem Realschul¬ abiturienten, die die Gymnasialreifeprüfung nachholen wollten. Auch früher nachlässig gewesene Gymnasiasten hatten in der Regel den Ernst ihrer Lage begriffen und arbeiteten unverdrossen, um zu bestehn. So ist dieser Unter¬ richt nicht ohne Freude und bietet anßer materiellem Lohn eine gewisse innere Befriedigung. Aber auch hier sind die Lehrer den Schülern gegenüber in der Mehrzahl, und in kleinern Orten wird höchstens aller paar Jahre einmal ein solcher Fall vorkommen. Während aber diese beiden Arten noch eine befriedigende Thätigkeit bieten, läßt sich das von dem Nachhilfeunterricht an Zurückgebliebne in keiner Weise behaupten. Das ist eine öde Kärrnerarbeit, zu der Lehrer und Schüler mir durch die Not getrieben werden. Handelt es sich um kränkliche oder lange dem Unterricht ferngebliebne Schüler, so geht es immer noch. Aber die Haupt¬ masse wird ja von den indolenten Bengeln gestellt, die nnr um der Stellung der Eltern willen die höhern Schule« besuchen. Wenn dann in langen, sorg¬ losen Monaten selbst das Notwendigste versäumt worden ist, und das Eltern¬ haus sich nicht mehr imstande fühlt, den Jungen auf der richtigen Bahn zu erhalten, ruft man nach Arbeitsstunden und Privatunterricht. Dann sollen in wenig Wochen die Lücken ausgefüllt und der Junge zur Versetzungsreife gebracht werden. In vielen Fällen ist das gar nicht mehr möglich. Dann ist natürlich der Lehrer schuld. Gelingt es ihm aber, so hat er auch dann auf keinen Dank zu rechnen, da nun die Eltern sehr oft die Ausgaben bereuen. Man sollte ja über eine Arbeit, die man sich selbst auferlegt, ja die man gesucht hat, nichts Übles sagen. Aber wie öde und verloren erscheinen doch einem Lehrer, der sich jahraus jahrein mit solchen Jungen plagt, solche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/492>, abgerufen am 26.06.2024.