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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Der Nachwuchs der ländlichen Arbeiter

werden. Verkehrt wäre es aber jedenfalls, die Einführung des Zwangs von
jemand anders abhängig zu machen, als von der obersten Regierungsgewalt
selbst. Der Schulzwang auf Grund ortsstatutarischer Festsetzungen ist in den
Städten ein tvtgebornes Kind geblieben, auf dem Lande wäre er, darüber klärt
die Denkschrift selbst am besten ans, ein Unding. Von heute zu morgen wird
man natürlich much dnrch den Zwang kein blühendes ländliches Fortbildungs-
schulweseu im Osten schaffen, aber ohne Zwang schafft man gar nichts. Da
heißt es eben endlich mit dem "Wahns mir den Pelz, aber mach mich nicht naß"
zu brechen, zu dem die famose Selbstverwaltung die preußischen Negieruugs-
stellen gar zu sehr verführt hat.

Ganze 30000 Mark giebt der Staat Preußen für das ländliche Fort-
bildungswescn aus! Eine Million wäre, alles Ernstes gesprochen, vielleicht
angemessen angesichts der zu leistenden Aufgabe und der hunderttausende, die
allein von der landwirtschaftlichen Verwaltung bisher den Vereinen für Vieh-
und Pflanzenzuchtzwecke alljährlich zur Verfügung gestellt worden sind. Die
Kreise geben etwa ebensoviel. Von den Hunderten von Millionen, die ihnen
aus den Erträgen der Zölle nach der "Isx Hueue" überwiesen worden sind,
haben sie nichts, auch gar nichts übrig für die ländlichen Fortbildungs¬
schulen, für den Nachwuchs der Arbeiterschaft überhaupt. Nun sollen die Ge¬
meinden in den leeren Beutel greifen, diese armen ostdeutschen Landgemeinden,
deren Leistungsfähigkeit ohnehin im ärgsten Mißverhältnis zu ihren Aufgaben
steht, ganz abgesehen von den Schwierigkeiten, die das Nebeneinander von Ge¬
meinden und Gutsbezirken auch in dieser Sache hervorruft. Wie kann man
da etwas vernünftiges erwarten? Nur wenn der Staat selbst eingreift, selbst
entscheidet, selbst zahlt, kaun die preußische ländliche Fortbildungsschulfrage
aus den: kläglichen Zustande hercinskommeu, in dem sie sich hente befindet,
und der aller preußischen Verwaltungstradüionen unwürdig ist. Aber die
Tage des verrannten Agrariertnms wie die des verrannten Sozialismus
sind doch wohl auch in Preußen gezählt. Dann wird der friedericianische
Geist wieder frei werden von den ungesunden Fesseln, und er wird die Sozial¬
reformen, die die Neuzeit fordert, fortführen können auch in der Landbevölke¬
rung des Ostens. Das ist die alte Hvhenzollernpolitik östlich von der Elbe,
und zu ihr werden wir das Vertrauen noch lange nicht verlieren, selbst wenn
die kommenden Reichstagswahlen noch einmal dem Unverstande zum Siege
verhelfen sollten.

Wir bitten den Leser, mit uns noch einen Blick in eine zweite Veröffent¬
lichung aus der neuesten Zeit zu werfen, in die verdienstvolle Arbeit des
Generalsekretärs des deutschen Landwirtschaftsrats Dr. Date, "Die Entwicklung
der ländlichen Arbeiterverhältnisse in den Königreichen Preußen, Baiern und
Sachsen von 1875 bis 1895 und die Mittel zur Besserung derselben." Den
Inhalt bilden Auszüge aus den Jahresberichten der "landwirtschaftlichen


Der Nachwuchs der ländlichen Arbeiter

werden. Verkehrt wäre es aber jedenfalls, die Einführung des Zwangs von
jemand anders abhängig zu machen, als von der obersten Regierungsgewalt
selbst. Der Schulzwang auf Grund ortsstatutarischer Festsetzungen ist in den
Städten ein tvtgebornes Kind geblieben, auf dem Lande wäre er, darüber klärt
die Denkschrift selbst am besten ans, ein Unding. Von heute zu morgen wird
man natürlich much dnrch den Zwang kein blühendes ländliches Fortbildungs-
schulweseu im Osten schaffen, aber ohne Zwang schafft man gar nichts. Da
heißt es eben endlich mit dem „Wahns mir den Pelz, aber mach mich nicht naß"
zu brechen, zu dem die famose Selbstverwaltung die preußischen Negieruugs-
stellen gar zu sehr verführt hat.

Ganze 30000 Mark giebt der Staat Preußen für das ländliche Fort-
bildungswescn aus! Eine Million wäre, alles Ernstes gesprochen, vielleicht
angemessen angesichts der zu leistenden Aufgabe und der hunderttausende, die
allein von der landwirtschaftlichen Verwaltung bisher den Vereinen für Vieh-
und Pflanzenzuchtzwecke alljährlich zur Verfügung gestellt worden sind. Die
Kreise geben etwa ebensoviel. Von den Hunderten von Millionen, die ihnen
aus den Erträgen der Zölle nach der „Isx Hueue" überwiesen worden sind,
haben sie nichts, auch gar nichts übrig für die ländlichen Fortbildungs¬
schulen, für den Nachwuchs der Arbeiterschaft überhaupt. Nun sollen die Ge¬
meinden in den leeren Beutel greifen, diese armen ostdeutschen Landgemeinden,
deren Leistungsfähigkeit ohnehin im ärgsten Mißverhältnis zu ihren Aufgaben
steht, ganz abgesehen von den Schwierigkeiten, die das Nebeneinander von Ge¬
meinden und Gutsbezirken auch in dieser Sache hervorruft. Wie kann man
da etwas vernünftiges erwarten? Nur wenn der Staat selbst eingreift, selbst
entscheidet, selbst zahlt, kaun die preußische ländliche Fortbildungsschulfrage
aus den: kläglichen Zustande hercinskommeu, in dem sie sich hente befindet,
und der aller preußischen Verwaltungstradüionen unwürdig ist. Aber die
Tage des verrannten Agrariertnms wie die des verrannten Sozialismus
sind doch wohl auch in Preußen gezählt. Dann wird der friedericianische
Geist wieder frei werden von den ungesunden Fesseln, und er wird die Sozial¬
reformen, die die Neuzeit fordert, fortführen können auch in der Landbevölke¬
rung des Ostens. Das ist die alte Hvhenzollernpolitik östlich von der Elbe,
und zu ihr werden wir das Vertrauen noch lange nicht verlieren, selbst wenn
die kommenden Reichstagswahlen noch einmal dem Unverstande zum Siege
verhelfen sollten.

Wir bitten den Leser, mit uns noch einen Blick in eine zweite Veröffent¬
lichung aus der neuesten Zeit zu werfen, in die verdienstvolle Arbeit des
Generalsekretärs des deutschen Landwirtschaftsrats Dr. Date, „Die Entwicklung
der ländlichen Arbeiterverhältnisse in den Königreichen Preußen, Baiern und
Sachsen von 1875 bis 1895 und die Mittel zur Besserung derselben." Den
Inhalt bilden Auszüge aus den Jahresberichten der „landwirtschaftlichen


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[0436] Der Nachwuchs der ländlichen Arbeiter werden. Verkehrt wäre es aber jedenfalls, die Einführung des Zwangs von jemand anders abhängig zu machen, als von der obersten Regierungsgewalt selbst. Der Schulzwang auf Grund ortsstatutarischer Festsetzungen ist in den Städten ein tvtgebornes Kind geblieben, auf dem Lande wäre er, darüber klärt die Denkschrift selbst am besten ans, ein Unding. Von heute zu morgen wird man natürlich much dnrch den Zwang kein blühendes ländliches Fortbildungs- schulweseu im Osten schaffen, aber ohne Zwang schafft man gar nichts. Da heißt es eben endlich mit dem „Wahns mir den Pelz, aber mach mich nicht naß" zu brechen, zu dem die famose Selbstverwaltung die preußischen Negieruugs- stellen gar zu sehr verführt hat. Ganze 30000 Mark giebt der Staat Preußen für das ländliche Fort- bildungswescn aus! Eine Million wäre, alles Ernstes gesprochen, vielleicht angemessen angesichts der zu leistenden Aufgabe und der hunderttausende, die allein von der landwirtschaftlichen Verwaltung bisher den Vereinen für Vieh- und Pflanzenzuchtzwecke alljährlich zur Verfügung gestellt worden sind. Die Kreise geben etwa ebensoviel. Von den Hunderten von Millionen, die ihnen aus den Erträgen der Zölle nach der „Isx Hueue" überwiesen worden sind, haben sie nichts, auch gar nichts übrig für die ländlichen Fortbildungs¬ schulen, für den Nachwuchs der Arbeiterschaft überhaupt. Nun sollen die Ge¬ meinden in den leeren Beutel greifen, diese armen ostdeutschen Landgemeinden, deren Leistungsfähigkeit ohnehin im ärgsten Mißverhältnis zu ihren Aufgaben steht, ganz abgesehen von den Schwierigkeiten, die das Nebeneinander von Ge¬ meinden und Gutsbezirken auch in dieser Sache hervorruft. Wie kann man da etwas vernünftiges erwarten? Nur wenn der Staat selbst eingreift, selbst entscheidet, selbst zahlt, kaun die preußische ländliche Fortbildungsschulfrage aus den: kläglichen Zustande hercinskommeu, in dem sie sich hente befindet, und der aller preußischen Verwaltungstradüionen unwürdig ist. Aber die Tage des verrannten Agrariertnms wie die des verrannten Sozialismus sind doch wohl auch in Preußen gezählt. Dann wird der friedericianische Geist wieder frei werden von den ungesunden Fesseln, und er wird die Sozial¬ reformen, die die Neuzeit fordert, fortführen können auch in der Landbevölke¬ rung des Ostens. Das ist die alte Hvhenzollernpolitik östlich von der Elbe, und zu ihr werden wir das Vertrauen noch lange nicht verlieren, selbst wenn die kommenden Reichstagswahlen noch einmal dem Unverstande zum Siege verhelfen sollten. Wir bitten den Leser, mit uns noch einen Blick in eine zweite Veröffent¬ lichung aus der neuesten Zeit zu werfen, in die verdienstvolle Arbeit des Generalsekretärs des deutschen Landwirtschaftsrats Dr. Date, „Die Entwicklung der ländlichen Arbeiterverhältnisse in den Königreichen Preußen, Baiern und Sachsen von 1875 bis 1895 und die Mittel zur Besserung derselben." Den Inhalt bilden Auszüge aus den Jahresberichten der „landwirtschaftlichen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/436>, abgerufen am 18.06.2024.