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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Der Nachwuchs der ländliche" Arbeiter

halbwegs gedeihlichen Entwicklung bringen, und daß er am wenigsten etwas
für den Nachwuchs der landwirtschaftlichen Arbeiterschaft leisten wird. Schon
dadurch, daß man neuerdings der Fachseite des Unterrichts größeres Gewicht
beilegt, erschwert man diese Entwicklung. Betrachtet man diese Schulen als
landwirtschaftliche Fachschulen, wenn auch alleruntersten Ranges, so macht man
natürlich den angeblichen Mangel an geeigneten Lehrkräften von vornherein
zur willkommnen Einrede für die Gleichgültigen. Zunächst ist doch die Lehr-
befähigung der Masse der vorhandnen Volksschullehrer zu Grunde zu legen,
deren allgemeine pädagogische Schulung die segensreiche Wirkung des Unter¬
richts vor allem sichern muß und nach dem Leistungsstände der preußischen
Seminnre auch im allgemeine!! in der Richtung sichern wird, daß sie die Lehrer
veranlassen dürfte, beim Unterricht an die Berufsthätigkeit der Schüler anzu¬
knüpfen. Wenn es nach der Denkschrift als Grund für den Mangel an Lehr¬
befähigung angegeben zu werden Pflegt, daß die Lehrer vielfach ihr Dienst¬
land nicht selbst bestellen, sondern verpachten, so ist solchen Einreden wahr¬
haftig wenig Gewicht beizulegen. Daran wird es nie fehlen. Noch mehr als
die Masse der Haudwerkslehrliuge in den ostdeutschen Kleinstädter, und das
will viel sagen, braucht der Nachwuchs der ländlichen Arbeiterschaft dringend
eine Befestigung und Erweiterung des Lehrstoffs der Elementarschule, aber noch
mehr ist das auch für ihn keineswegs der einzige Zweck, vielleicht nicht einmal
der Hauptzweck des Fortbilduugsunterrichts. Muß es deun wirklich noch be¬
sonders betont werden, daß gerade die sittliche, die Charaktererziehung der
jungen Leute heute die Aufgabe solcher Schulen ist? Die Klagelieder der
ländlichen Grundbesitzer über die Verwahrlosung des Arbeiternachwuchses lassen
darüber doch keinen Zweifel, daß es hierauf vor allem ankommt. Schwer ist
diese Aufgabe freilich, aber die Erfahrung lehrt, daß sehr wohl ersprießliches
geleistet werden kann. Man mute die Aufgabe nur immer den Lehrern und
Geistlichen auf dem Lande zu, und mau mache sie ihnen erträglich durch Ab¬
wehr unberufner Dreinredereien, und man wird auf die guten Früchte nicht
lange zu warten brauchen.

So wie jetzt geht es eben einfach nicht weiter; der Staat muß in unsern
Tagen die Kräfte und Mittel alle benutzen, die ihm zur Überwachung und
Erziehung der aus der Schule entlassenen jungen Leute auf dem Lande zur
Verfügung stehen. Hier hat er sie, geschulte und meist willige Kräfte, und
er läßt sie brach liegen, weil ihm der nörgelnde Unverstand der Grund¬
besitzer mehr Berücksichtigung zu verdienen scheint als das Wohl des Ganzen.
Wenn nichts andres, so sollte schon die Rücksicht auf den Armeeersatz den
leitenden Kreisen die Augen über diese Politik öffnen. Grundsätzlich halten
wir natürlich bei dieser Sachlage auch die obligatorische Fortbildungsschule für
nötig, so wenig wir die Schwierigkeiten verkennen, die aus den örtlichen Ver¬
hältnissen zur Zeit noch vielfach erwachsen und Ausnahmen notwendig machen


Der Nachwuchs der ländliche» Arbeiter

halbwegs gedeihlichen Entwicklung bringen, und daß er am wenigsten etwas
für den Nachwuchs der landwirtschaftlichen Arbeiterschaft leisten wird. Schon
dadurch, daß man neuerdings der Fachseite des Unterrichts größeres Gewicht
beilegt, erschwert man diese Entwicklung. Betrachtet man diese Schulen als
landwirtschaftliche Fachschulen, wenn auch alleruntersten Ranges, so macht man
natürlich den angeblichen Mangel an geeigneten Lehrkräften von vornherein
zur willkommnen Einrede für die Gleichgültigen. Zunächst ist doch die Lehr-
befähigung der Masse der vorhandnen Volksschullehrer zu Grunde zu legen,
deren allgemeine pädagogische Schulung die segensreiche Wirkung des Unter¬
richts vor allem sichern muß und nach dem Leistungsstände der preußischen
Seminnre auch im allgemeine!! in der Richtung sichern wird, daß sie die Lehrer
veranlassen dürfte, beim Unterricht an die Berufsthätigkeit der Schüler anzu¬
knüpfen. Wenn es nach der Denkschrift als Grund für den Mangel an Lehr¬
befähigung angegeben zu werden Pflegt, daß die Lehrer vielfach ihr Dienst¬
land nicht selbst bestellen, sondern verpachten, so ist solchen Einreden wahr¬
haftig wenig Gewicht beizulegen. Daran wird es nie fehlen. Noch mehr als
die Masse der Haudwerkslehrliuge in den ostdeutschen Kleinstädter, und das
will viel sagen, braucht der Nachwuchs der ländlichen Arbeiterschaft dringend
eine Befestigung und Erweiterung des Lehrstoffs der Elementarschule, aber noch
mehr ist das auch für ihn keineswegs der einzige Zweck, vielleicht nicht einmal
der Hauptzweck des Fortbilduugsunterrichts. Muß es deun wirklich noch be¬
sonders betont werden, daß gerade die sittliche, die Charaktererziehung der
jungen Leute heute die Aufgabe solcher Schulen ist? Die Klagelieder der
ländlichen Grundbesitzer über die Verwahrlosung des Arbeiternachwuchses lassen
darüber doch keinen Zweifel, daß es hierauf vor allem ankommt. Schwer ist
diese Aufgabe freilich, aber die Erfahrung lehrt, daß sehr wohl ersprießliches
geleistet werden kann. Man mute die Aufgabe nur immer den Lehrern und
Geistlichen auf dem Lande zu, und mau mache sie ihnen erträglich durch Ab¬
wehr unberufner Dreinredereien, und man wird auf die guten Früchte nicht
lange zu warten brauchen.

So wie jetzt geht es eben einfach nicht weiter; der Staat muß in unsern
Tagen die Kräfte und Mittel alle benutzen, die ihm zur Überwachung und
Erziehung der aus der Schule entlassenen jungen Leute auf dem Lande zur
Verfügung stehen. Hier hat er sie, geschulte und meist willige Kräfte, und
er läßt sie brach liegen, weil ihm der nörgelnde Unverstand der Grund¬
besitzer mehr Berücksichtigung zu verdienen scheint als das Wohl des Ganzen.
Wenn nichts andres, so sollte schon die Rücksicht auf den Armeeersatz den
leitenden Kreisen die Augen über diese Politik öffnen. Grundsätzlich halten
wir natürlich bei dieser Sachlage auch die obligatorische Fortbildungsschule für
nötig, so wenig wir die Schwierigkeiten verkennen, die aus den örtlichen Ver¬
hältnissen zur Zeit noch vielfach erwachsen und Ausnahmen notwendig machen


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[0435] Der Nachwuchs der ländliche» Arbeiter halbwegs gedeihlichen Entwicklung bringen, und daß er am wenigsten etwas für den Nachwuchs der landwirtschaftlichen Arbeiterschaft leisten wird. Schon dadurch, daß man neuerdings der Fachseite des Unterrichts größeres Gewicht beilegt, erschwert man diese Entwicklung. Betrachtet man diese Schulen als landwirtschaftliche Fachschulen, wenn auch alleruntersten Ranges, so macht man natürlich den angeblichen Mangel an geeigneten Lehrkräften von vornherein zur willkommnen Einrede für die Gleichgültigen. Zunächst ist doch die Lehr- befähigung der Masse der vorhandnen Volksschullehrer zu Grunde zu legen, deren allgemeine pädagogische Schulung die segensreiche Wirkung des Unter¬ richts vor allem sichern muß und nach dem Leistungsstände der preußischen Seminnre auch im allgemeine!! in der Richtung sichern wird, daß sie die Lehrer veranlassen dürfte, beim Unterricht an die Berufsthätigkeit der Schüler anzu¬ knüpfen. Wenn es nach der Denkschrift als Grund für den Mangel an Lehr¬ befähigung angegeben zu werden Pflegt, daß die Lehrer vielfach ihr Dienst¬ land nicht selbst bestellen, sondern verpachten, so ist solchen Einreden wahr¬ haftig wenig Gewicht beizulegen. Daran wird es nie fehlen. Noch mehr als die Masse der Haudwerkslehrliuge in den ostdeutschen Kleinstädter, und das will viel sagen, braucht der Nachwuchs der ländlichen Arbeiterschaft dringend eine Befestigung und Erweiterung des Lehrstoffs der Elementarschule, aber noch mehr ist das auch für ihn keineswegs der einzige Zweck, vielleicht nicht einmal der Hauptzweck des Fortbilduugsunterrichts. Muß es deun wirklich noch be¬ sonders betont werden, daß gerade die sittliche, die Charaktererziehung der jungen Leute heute die Aufgabe solcher Schulen ist? Die Klagelieder der ländlichen Grundbesitzer über die Verwahrlosung des Arbeiternachwuchses lassen darüber doch keinen Zweifel, daß es hierauf vor allem ankommt. Schwer ist diese Aufgabe freilich, aber die Erfahrung lehrt, daß sehr wohl ersprießliches geleistet werden kann. Man mute die Aufgabe nur immer den Lehrern und Geistlichen auf dem Lande zu, und mau mache sie ihnen erträglich durch Ab¬ wehr unberufner Dreinredereien, und man wird auf die guten Früchte nicht lange zu warten brauchen. So wie jetzt geht es eben einfach nicht weiter; der Staat muß in unsern Tagen die Kräfte und Mittel alle benutzen, die ihm zur Überwachung und Erziehung der aus der Schule entlassenen jungen Leute auf dem Lande zur Verfügung stehen. Hier hat er sie, geschulte und meist willige Kräfte, und er läßt sie brach liegen, weil ihm der nörgelnde Unverstand der Grund¬ besitzer mehr Berücksichtigung zu verdienen scheint als das Wohl des Ganzen. Wenn nichts andres, so sollte schon die Rücksicht auf den Armeeersatz den leitenden Kreisen die Augen über diese Politik öffnen. Grundsätzlich halten wir natürlich bei dieser Sachlage auch die obligatorische Fortbildungsschule für nötig, so wenig wir die Schwierigkeiten verkennen, die aus den örtlichen Ver¬ hältnissen zur Zeit noch vielfach erwachsen und Ausnahmen notwendig machen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/435>, abgerufen am 27.09.2024.