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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Der Nachwuchs der ländlichen Arbeiter

weiß, daß in unserm grundbesitzenden Adel trotz mancher den Westdeutschen
und den Großstädter abstoßenden Stnndesvorurteile ein großer Schatz vor¬
nehmen Pflichtgefühls lebendig ist, der sich mit der agrarischen Agitation nicht
verträgt, mag sie anch unter dem Druck der materiellen Notlage eine Zeit lang
stillschweigend geduldet werden.

Vor allem aber hat sich dieser vornehme Adel die Neigung bewahrt, für
"seine Leute" zu sorgen, und diese werkthütige Nächstenliebe des Wohlhabenden
zu dem Armen, des Herrn zu dem Arbeiter hält Stand und siegt ersichtlich viel¬
fach, wenn auch in dem Ringen nach den veränderten Formen, die ihr die neuen
Wirtschafts- und Rechtsverhältnisse, auch wohl hie und da ein höherer Bildungs-
stand der Arbeiter, aufnötigen. Es ist der reine Unverstand, wenn für die
ländlichen Verhältnisse im Osten von der manchesterlichen und parteisozialistischen
Einseitigkeit "patriarchalische" Beziehungen zwischen Unternehmer und Arbeiter
ohne weiteres für unmöglich und uuzulüssig erklärt werden. Es muß einmal
von arbeiterfrenndlicher Seite im Interesse des Fortgangs vernünftiger Sozial-
refvrmen und ganz besonders im Interesse einer bessern Erziehung des länd¬
lichen Arbciternachwuchses ganz nachdrücklich gesagt werden, daß wir den
Patriarchalismus gar nicht entbehren können, den natürlichen, gesunden, ver¬
nünftigen, wenn auch ganz alten Patriarchalismus, der den Starken in seinem
Herrschaftsbereich für den Schwachen sorgen läßt in materieller wie in sittlicher
Beziehung, mögen die Formen dieser Fürsorge nach Ort, Zeit und Person auch
ganz verschieden sein. Fünf, sechs Jahrzehnte lang hat die Manchesterschule
gegen das "patriarchalische System" geeifert, jetzt besorgen das die Herren
Vebel, Naumann, Wagner noch bester, ohne jede Rücksicht darauf, daß dadurch
draußen auf dem Lande, auf den Rittergütern und in den Bauerhöfen, dem
Herrn wie dem Arbeiter alles vergällt und verleidet wird in der Wirtschaft
und in der Arbeit, ja die Heimat selbst. Auch unsre bürgerlichen Ritterguts¬
besitzer, soweit sie nicht zu den leider mehr, als man annimmt, verbreiteten
speknlirenden Güterhändlern gehören, sondern Landwirte sind, wie sie sein sollen,
sich auf die Datier mit Land und Leuten eins fühlen, sind immer noch sehr
Wohl befähigt und geneigt, sich patriarchalischer Pflichterfüllung zu widmen.
Wenn sie nur erst von dem Wahne geheilt sein werden, daß das doch eigentlich
gar nicht mehr zeitgemäß sei, und wenn sie erst eingesehen haben werden, daß
ein brauchbarer Arbeiterstand nicht nachwächst wie Unkraut hinterm Zaune,
wenn sie endlich anch im Osten im Arbeiter die rechtlich und sittlich freie,
gleichwertige Persönlichkeit anerkennen werden, wie es das Christentum seit
Jahrhunderte" von jedem einzelnen unzweideutig verlangt -- uicht etwa irgend
welcher neue Begriff von Recht und Billigkeit --, dann ist eine kräftige, praktische
Mitarbeit der Besitzer sicher, so verständnislos auch heute noch die Mehrzahl
der Aufgabe gegenübersteht. Und die jungen, von christlich- und national-
sozialen Theorien angeregten Herren Pastoren werden hoffentlich der Sauerteig


Der Nachwuchs der ländlichen Arbeiter

weiß, daß in unserm grundbesitzenden Adel trotz mancher den Westdeutschen
und den Großstädter abstoßenden Stnndesvorurteile ein großer Schatz vor¬
nehmen Pflichtgefühls lebendig ist, der sich mit der agrarischen Agitation nicht
verträgt, mag sie anch unter dem Druck der materiellen Notlage eine Zeit lang
stillschweigend geduldet werden.

Vor allem aber hat sich dieser vornehme Adel die Neigung bewahrt, für
„seine Leute" zu sorgen, und diese werkthütige Nächstenliebe des Wohlhabenden
zu dem Armen, des Herrn zu dem Arbeiter hält Stand und siegt ersichtlich viel¬
fach, wenn auch in dem Ringen nach den veränderten Formen, die ihr die neuen
Wirtschafts- und Rechtsverhältnisse, auch wohl hie und da ein höherer Bildungs-
stand der Arbeiter, aufnötigen. Es ist der reine Unverstand, wenn für die
ländlichen Verhältnisse im Osten von der manchesterlichen und parteisozialistischen
Einseitigkeit „patriarchalische" Beziehungen zwischen Unternehmer und Arbeiter
ohne weiteres für unmöglich und uuzulüssig erklärt werden. Es muß einmal
von arbeiterfrenndlicher Seite im Interesse des Fortgangs vernünftiger Sozial-
refvrmen und ganz besonders im Interesse einer bessern Erziehung des länd¬
lichen Arbciternachwuchses ganz nachdrücklich gesagt werden, daß wir den
Patriarchalismus gar nicht entbehren können, den natürlichen, gesunden, ver¬
nünftigen, wenn auch ganz alten Patriarchalismus, der den Starken in seinem
Herrschaftsbereich für den Schwachen sorgen läßt in materieller wie in sittlicher
Beziehung, mögen die Formen dieser Fürsorge nach Ort, Zeit und Person auch
ganz verschieden sein. Fünf, sechs Jahrzehnte lang hat die Manchesterschule
gegen das „patriarchalische System" geeifert, jetzt besorgen das die Herren
Vebel, Naumann, Wagner noch bester, ohne jede Rücksicht darauf, daß dadurch
draußen auf dem Lande, auf den Rittergütern und in den Bauerhöfen, dem
Herrn wie dem Arbeiter alles vergällt und verleidet wird in der Wirtschaft
und in der Arbeit, ja die Heimat selbst. Auch unsre bürgerlichen Ritterguts¬
besitzer, soweit sie nicht zu den leider mehr, als man annimmt, verbreiteten
speknlirenden Güterhändlern gehören, sondern Landwirte sind, wie sie sein sollen,
sich auf die Datier mit Land und Leuten eins fühlen, sind immer noch sehr
Wohl befähigt und geneigt, sich patriarchalischer Pflichterfüllung zu widmen.
Wenn sie nur erst von dem Wahne geheilt sein werden, daß das doch eigentlich
gar nicht mehr zeitgemäß sei, und wenn sie erst eingesehen haben werden, daß
ein brauchbarer Arbeiterstand nicht nachwächst wie Unkraut hinterm Zaune,
wenn sie endlich anch im Osten im Arbeiter die rechtlich und sittlich freie,
gleichwertige Persönlichkeit anerkennen werden, wie es das Christentum seit
Jahrhunderte» von jedem einzelnen unzweideutig verlangt — uicht etwa irgend
welcher neue Begriff von Recht und Billigkeit —, dann ist eine kräftige, praktische
Mitarbeit der Besitzer sicher, so verständnislos auch heute noch die Mehrzahl
der Aufgabe gegenübersteht. Und die jungen, von christlich- und national-
sozialen Theorien angeregten Herren Pastoren werden hoffentlich der Sauerteig


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[0429] Der Nachwuchs der ländlichen Arbeiter weiß, daß in unserm grundbesitzenden Adel trotz mancher den Westdeutschen und den Großstädter abstoßenden Stnndesvorurteile ein großer Schatz vor¬ nehmen Pflichtgefühls lebendig ist, der sich mit der agrarischen Agitation nicht verträgt, mag sie anch unter dem Druck der materiellen Notlage eine Zeit lang stillschweigend geduldet werden. Vor allem aber hat sich dieser vornehme Adel die Neigung bewahrt, für „seine Leute" zu sorgen, und diese werkthütige Nächstenliebe des Wohlhabenden zu dem Armen, des Herrn zu dem Arbeiter hält Stand und siegt ersichtlich viel¬ fach, wenn auch in dem Ringen nach den veränderten Formen, die ihr die neuen Wirtschafts- und Rechtsverhältnisse, auch wohl hie und da ein höherer Bildungs- stand der Arbeiter, aufnötigen. Es ist der reine Unverstand, wenn für die ländlichen Verhältnisse im Osten von der manchesterlichen und parteisozialistischen Einseitigkeit „patriarchalische" Beziehungen zwischen Unternehmer und Arbeiter ohne weiteres für unmöglich und uuzulüssig erklärt werden. Es muß einmal von arbeiterfrenndlicher Seite im Interesse des Fortgangs vernünftiger Sozial- refvrmen und ganz besonders im Interesse einer bessern Erziehung des länd¬ lichen Arbciternachwuchses ganz nachdrücklich gesagt werden, daß wir den Patriarchalismus gar nicht entbehren können, den natürlichen, gesunden, ver¬ nünftigen, wenn auch ganz alten Patriarchalismus, der den Starken in seinem Herrschaftsbereich für den Schwachen sorgen läßt in materieller wie in sittlicher Beziehung, mögen die Formen dieser Fürsorge nach Ort, Zeit und Person auch ganz verschieden sein. Fünf, sechs Jahrzehnte lang hat die Manchesterschule gegen das „patriarchalische System" geeifert, jetzt besorgen das die Herren Vebel, Naumann, Wagner noch bester, ohne jede Rücksicht darauf, daß dadurch draußen auf dem Lande, auf den Rittergütern und in den Bauerhöfen, dem Herrn wie dem Arbeiter alles vergällt und verleidet wird in der Wirtschaft und in der Arbeit, ja die Heimat selbst. Auch unsre bürgerlichen Ritterguts¬ besitzer, soweit sie nicht zu den leider mehr, als man annimmt, verbreiteten speknlirenden Güterhändlern gehören, sondern Landwirte sind, wie sie sein sollen, sich auf die Datier mit Land und Leuten eins fühlen, sind immer noch sehr Wohl befähigt und geneigt, sich patriarchalischer Pflichterfüllung zu widmen. Wenn sie nur erst von dem Wahne geheilt sein werden, daß das doch eigentlich gar nicht mehr zeitgemäß sei, und wenn sie erst eingesehen haben werden, daß ein brauchbarer Arbeiterstand nicht nachwächst wie Unkraut hinterm Zaune, wenn sie endlich anch im Osten im Arbeiter die rechtlich und sittlich freie, gleichwertige Persönlichkeit anerkennen werden, wie es das Christentum seit Jahrhunderte» von jedem einzelnen unzweideutig verlangt — uicht etwa irgend welcher neue Begriff von Recht und Billigkeit —, dann ist eine kräftige, praktische Mitarbeit der Besitzer sicher, so verständnislos auch heute noch die Mehrzahl der Aufgabe gegenübersteht. Und die jungen, von christlich- und national- sozialen Theorien angeregten Herren Pastoren werden hoffentlich der Sauerteig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/429>, abgerufen am 26.06.2024.