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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Der Nachwuchs der ländlichen Arbeiter

werden, der bisher auf dem Lande im Osten gefehlt hat, das heilsame Gegen¬
gift gegen das manchesterliche I^Mor-Mor, die agrarische Lieblosigkeit, den
protzenhaften Hochmut, die läppischen Standesvornrteile der Besitzer. Man
müßte ja an der menschlichen Natur ganz verzweifeln, wenn diese von idealem
und doch auch praktischem Eifer erfüllten Theologen in der Praxis des Amts
nicht die Einseitigkeit und die Gedankenspielcrei ihrer sozialistischen Inspiratoren
erkennen sollten, mögen sie anch im Anfange sich manchmal die Finger ver¬
brennen und auf die Finger geklopft werden müssen. Was wir in dieser
Beziehung selbst gesehen und gehört haben, bestärkt unsre Zuversicht. Die
Aufgabe der Geistlichen, der katholischen wie der evangelischen, ist ungeheuer
groß aus nuserni Gebiete, und sie können sie löse", nicht gegen die Besitzer,
sondern mit den Besitzern und durch sie. Danke" wir dein Himmel, daß der alte
Geist der sozialen Gleichgültigkeit einer hingebenden Arbeitslust Platz zu machen
beginnt; es wäre wahrlich Sünde, den gesunden Trieb einiger störenden Aus¬
wüchse wegen durch plumpe Gewalt zum Verkümmern zu bringen. Wo
Menschenalter hindurch aus der Bevölkerung heraus nichts für den Nachwuchs
der ländlichen Arbeiterschaft gethan ist, da kann sehr viel geschehen, da ver¬
spricht jede vernünftige, liebevolle Pflege eine reiche Ernte.

Dazu kommt, daß auch der Staat auf diesem Gebiete bisher fast noch
gar nichts geleistet hat. Wenn auch die soziale Pflichterfüllung des Einzelnen
hier das Beste thun muß, so ist doch ohne ein kräftiges Eingreifen des Staats
mit materiellen Mitteln, mit moralischem Druck und nötigenfalls mit gesetzlichem
Zwang eine Besserung schwer zu erwarten, jedenfalls nicht so zeitig zu er¬
warten, wie es im Interesse des sozialen Friedens und der wirtschaftlichen
Gesundung unsrer Landbevölkerung geboten ist. Das Vorgehen der Regierung
ist, wie die Verhältnisse in den preußischen Ostseeprovinzen nun einmal liegen,
von so ausschlaggebender Bedeutung, daß wir uns mit ihr noch etwas ein¬
gehender beschäftigen müssen. Es ist in Preußen -- abgesehen von der all¬
gemeinen Volksschule -- eigentlich uur auf den, Gebiete des sogenannten Fort-
bildnngsschulwesens etwas gethan werden, und was es mit diesem Versuch
aus sich hat, davon giebt eine kürzlich veröffentlichte Denkschrift des Landwirt¬
schaftsministers über die Entwicklung und den Stand der ländlichen Fort¬
bildungsschulen in Preußen im Jahre 1896/97 ein sehr charakteristisches Bild.
Wir bitten deshalb den Leser, zunächst mit uns in diese Denkschrift einen Blick
zu werfen, er wird dadurch auch am besten über die Borbedingungen für die
nötigen Reformen überhaupt unterrichtet werden. ,

Das ländliche Fortbildungsschulwesen in Preußen hat früher unter dein
Unterrichtsministerium, später unter dem Handelsministerinm gestanden, seit dem
Januar 1895 ist es dem landwirtschaftlichen Ministerium überwiesen worden.
Die erste einheitliche Regelung erfuhren diese Schulen onrch einen gemeinsamen
Erlaß des Unterrichts- und des Landwirtschnftsministers vom Februar 1876


Der Nachwuchs der ländlichen Arbeiter

werden, der bisher auf dem Lande im Osten gefehlt hat, das heilsame Gegen¬
gift gegen das manchesterliche I^Mor-Mor, die agrarische Lieblosigkeit, den
protzenhaften Hochmut, die läppischen Standesvornrteile der Besitzer. Man
müßte ja an der menschlichen Natur ganz verzweifeln, wenn diese von idealem
und doch auch praktischem Eifer erfüllten Theologen in der Praxis des Amts
nicht die Einseitigkeit und die Gedankenspielcrei ihrer sozialistischen Inspiratoren
erkennen sollten, mögen sie anch im Anfange sich manchmal die Finger ver¬
brennen und auf die Finger geklopft werden müssen. Was wir in dieser
Beziehung selbst gesehen und gehört haben, bestärkt unsre Zuversicht. Die
Aufgabe der Geistlichen, der katholischen wie der evangelischen, ist ungeheuer
groß aus nuserni Gebiete, und sie können sie löse», nicht gegen die Besitzer,
sondern mit den Besitzern und durch sie. Danke» wir dein Himmel, daß der alte
Geist der sozialen Gleichgültigkeit einer hingebenden Arbeitslust Platz zu machen
beginnt; es wäre wahrlich Sünde, den gesunden Trieb einiger störenden Aus¬
wüchse wegen durch plumpe Gewalt zum Verkümmern zu bringen. Wo
Menschenalter hindurch aus der Bevölkerung heraus nichts für den Nachwuchs
der ländlichen Arbeiterschaft gethan ist, da kann sehr viel geschehen, da ver¬
spricht jede vernünftige, liebevolle Pflege eine reiche Ernte.

Dazu kommt, daß auch der Staat auf diesem Gebiete bisher fast noch
gar nichts geleistet hat. Wenn auch die soziale Pflichterfüllung des Einzelnen
hier das Beste thun muß, so ist doch ohne ein kräftiges Eingreifen des Staats
mit materiellen Mitteln, mit moralischem Druck und nötigenfalls mit gesetzlichem
Zwang eine Besserung schwer zu erwarten, jedenfalls nicht so zeitig zu er¬
warten, wie es im Interesse des sozialen Friedens und der wirtschaftlichen
Gesundung unsrer Landbevölkerung geboten ist. Das Vorgehen der Regierung
ist, wie die Verhältnisse in den preußischen Ostseeprovinzen nun einmal liegen,
von so ausschlaggebender Bedeutung, daß wir uns mit ihr noch etwas ein¬
gehender beschäftigen müssen. Es ist in Preußen — abgesehen von der all¬
gemeinen Volksschule — eigentlich uur auf den, Gebiete des sogenannten Fort-
bildnngsschulwesens etwas gethan werden, und was es mit diesem Versuch
aus sich hat, davon giebt eine kürzlich veröffentlichte Denkschrift des Landwirt¬
schaftsministers über die Entwicklung und den Stand der ländlichen Fort¬
bildungsschulen in Preußen im Jahre 1896/97 ein sehr charakteristisches Bild.
Wir bitten deshalb den Leser, zunächst mit uns in diese Denkschrift einen Blick
zu werfen, er wird dadurch auch am besten über die Borbedingungen für die
nötigen Reformen überhaupt unterrichtet werden. ,

Das ländliche Fortbildungsschulwesen in Preußen hat früher unter dein
Unterrichtsministerium, später unter dem Handelsministerinm gestanden, seit dem
Januar 1895 ist es dem landwirtschaftlichen Ministerium überwiesen worden.
Die erste einheitliche Regelung erfuhren diese Schulen onrch einen gemeinsamen
Erlaß des Unterrichts- und des Landwirtschnftsministers vom Februar 1876


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[0430] Der Nachwuchs der ländlichen Arbeiter werden, der bisher auf dem Lande im Osten gefehlt hat, das heilsame Gegen¬ gift gegen das manchesterliche I^Mor-Mor, die agrarische Lieblosigkeit, den protzenhaften Hochmut, die läppischen Standesvornrteile der Besitzer. Man müßte ja an der menschlichen Natur ganz verzweifeln, wenn diese von idealem und doch auch praktischem Eifer erfüllten Theologen in der Praxis des Amts nicht die Einseitigkeit und die Gedankenspielcrei ihrer sozialistischen Inspiratoren erkennen sollten, mögen sie anch im Anfange sich manchmal die Finger ver¬ brennen und auf die Finger geklopft werden müssen. Was wir in dieser Beziehung selbst gesehen und gehört haben, bestärkt unsre Zuversicht. Die Aufgabe der Geistlichen, der katholischen wie der evangelischen, ist ungeheuer groß aus nuserni Gebiete, und sie können sie löse», nicht gegen die Besitzer, sondern mit den Besitzern und durch sie. Danke» wir dein Himmel, daß der alte Geist der sozialen Gleichgültigkeit einer hingebenden Arbeitslust Platz zu machen beginnt; es wäre wahrlich Sünde, den gesunden Trieb einiger störenden Aus¬ wüchse wegen durch plumpe Gewalt zum Verkümmern zu bringen. Wo Menschenalter hindurch aus der Bevölkerung heraus nichts für den Nachwuchs der ländlichen Arbeiterschaft gethan ist, da kann sehr viel geschehen, da ver¬ spricht jede vernünftige, liebevolle Pflege eine reiche Ernte. Dazu kommt, daß auch der Staat auf diesem Gebiete bisher fast noch gar nichts geleistet hat. Wenn auch die soziale Pflichterfüllung des Einzelnen hier das Beste thun muß, so ist doch ohne ein kräftiges Eingreifen des Staats mit materiellen Mitteln, mit moralischem Druck und nötigenfalls mit gesetzlichem Zwang eine Besserung schwer zu erwarten, jedenfalls nicht so zeitig zu er¬ warten, wie es im Interesse des sozialen Friedens und der wirtschaftlichen Gesundung unsrer Landbevölkerung geboten ist. Das Vorgehen der Regierung ist, wie die Verhältnisse in den preußischen Ostseeprovinzen nun einmal liegen, von so ausschlaggebender Bedeutung, daß wir uns mit ihr noch etwas ein¬ gehender beschäftigen müssen. Es ist in Preußen — abgesehen von der all¬ gemeinen Volksschule — eigentlich uur auf den, Gebiete des sogenannten Fort- bildnngsschulwesens etwas gethan werden, und was es mit diesem Versuch aus sich hat, davon giebt eine kürzlich veröffentlichte Denkschrift des Landwirt¬ schaftsministers über die Entwicklung und den Stand der ländlichen Fort¬ bildungsschulen in Preußen im Jahre 1896/97 ein sehr charakteristisches Bild. Wir bitten deshalb den Leser, zunächst mit uns in diese Denkschrift einen Blick zu werfen, er wird dadurch auch am besten über die Borbedingungen für die nötigen Reformen überhaupt unterrichtet werden. , Das ländliche Fortbildungsschulwesen in Preußen hat früher unter dein Unterrichtsministerium, später unter dem Handelsministerinm gestanden, seit dem Januar 1895 ist es dem landwirtschaftlichen Ministerium überwiesen worden. Die erste einheitliche Regelung erfuhren diese Schulen onrch einen gemeinsamen Erlaß des Unterrichts- und des Landwirtschnftsministers vom Februar 1876

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/430>, abgerufen am 27.09.2024.