Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Zoll- und handelspolitische Aussichten

Liegen so die Verhältnisse schon bei dem Zolltarif, so stellen sie sich noch
um vieles verwickelter für Handelsverträge dar, die den Bedürfnissen und
wirtschaftlichen Bedingungen mehrerer Nationen zugleich gerecht werden sollen.
Hier gilt es, eine ganze lange Skala sich widersprechender wirtschaftlicher Be¬
dingungen so gegeneinander abzuwägen, abzustimmen und auszugleichen, daß
durch den Vertrag thatsächlich ein harmonischer Ausgleich geschaffen, kein
Interesse einer der vertragschließenden Mächte ungebührlich verletzt, kein be¬
rechtigtes Bedürfnis unbefriedigt und keine zuständige Forderung unerfüllt
gelassen wird. Daß solch ein subtiler Ausgleich nicht allein vom grünen
Tische aus getroffen, sondern ein alle beteiligten Teile soweit wie möglich
befriedigendes Vertragsverhältnis nur aus der praktischen Handhabung der
Handelsverträge heraus geschaffen werden kann, liegt auf der Hand. Erst auf
Grund der praktischen Erfahrungen wird es daher im Laufe der Zeit möglich
sein, einen alle Teile möglichst befriedigenden Ausgleich zwischen den wider¬
streitenden internationalen Interessen und denen des eignen Landes zu stände
zu bringen.

Daher können und dürfen Zolltarife wie Handelsverträge nicht für alle
Zeiten festgesetzt werden, beide können nur sür eine bestimmte Zeit beschlossen
werden, sür die sie allerdings stabil sein müssen, in der aber durch sorgfältige
Beobachtung aller Wirkungen festgestellt werden muß, wo sich eine Abände¬
rung des Bestehenden als notwendig erweist. Daher kann aber auch immer
nnr auf Abänderung innerhalb der festgesetzten Grenzen vlaidirt, darf nicht
fortgesetzt an den Verträgen gerüttelt werden. Es zeugt von dem großen
Mangel an politischer Reife und an staatsmännischem Sinn in unsern Parteien
der Rechten wie der Linken, daß es bei uns möglich war, die Tarife wie die
Verträge vom ersten Augenblick an aufs erbittertste zu bekämpfen, daß Man
die Handelsverträge zu stürzen suchte, obwohl sie schon in Geltung getreten
waren. Die Interessenpolitik ist eben stärker als die Anerkennung und die
Achtung vor den konstitutionellen Einrichtungen; die will jede Partei nur
dann gelten lassen, wenn es ihrem eignen Kirchturmsinteresse nützt. Eine be¬
trübende Erfahrung, die wir auf jedem Gebiete des öffentlichen Lebens sich
nur zu oft wiederholen sehen.

Es ist nnn gänzlich unverständlich, wie es möglich gewesen ist, aus den
Worten des Staatssekretärs des Neichsschatzamts eine Zustimmung der Neichs-
regierung zu den erbitterten Kämpfen gegen die Handelsvertragspolitik zu hören,
aus diesen Worten auf eine "Bekehrung der Neichsregierung zur wirtschaft¬
lichen Weltanschauung der Agrarier" zu schließen und daraus einen Gegensatz
zwischen dem Grafen Posadowsky und dem Freiherrn von Marschall herzuleiten.
Im Gegenteil, man schafft wohl, indem man die Erklärung des Staatssekretärs
derart vergewaltigt, künstlich solch einen Gegensatz, erschüttert mit Unrecht das
internationale Vertrauen auf die Vertragstreue der Neichsregierung und schädigt


Zoll- und handelspolitische Aussichten

Liegen so die Verhältnisse schon bei dem Zolltarif, so stellen sie sich noch
um vieles verwickelter für Handelsverträge dar, die den Bedürfnissen und
wirtschaftlichen Bedingungen mehrerer Nationen zugleich gerecht werden sollen.
Hier gilt es, eine ganze lange Skala sich widersprechender wirtschaftlicher Be¬
dingungen so gegeneinander abzuwägen, abzustimmen und auszugleichen, daß
durch den Vertrag thatsächlich ein harmonischer Ausgleich geschaffen, kein
Interesse einer der vertragschließenden Mächte ungebührlich verletzt, kein be¬
rechtigtes Bedürfnis unbefriedigt und keine zuständige Forderung unerfüllt
gelassen wird. Daß solch ein subtiler Ausgleich nicht allein vom grünen
Tische aus getroffen, sondern ein alle beteiligten Teile soweit wie möglich
befriedigendes Vertragsverhältnis nur aus der praktischen Handhabung der
Handelsverträge heraus geschaffen werden kann, liegt auf der Hand. Erst auf
Grund der praktischen Erfahrungen wird es daher im Laufe der Zeit möglich
sein, einen alle Teile möglichst befriedigenden Ausgleich zwischen den wider¬
streitenden internationalen Interessen und denen des eignen Landes zu stände
zu bringen.

Daher können und dürfen Zolltarife wie Handelsverträge nicht für alle
Zeiten festgesetzt werden, beide können nur sür eine bestimmte Zeit beschlossen
werden, sür die sie allerdings stabil sein müssen, in der aber durch sorgfältige
Beobachtung aller Wirkungen festgestellt werden muß, wo sich eine Abände¬
rung des Bestehenden als notwendig erweist. Daher kann aber auch immer
nnr auf Abänderung innerhalb der festgesetzten Grenzen vlaidirt, darf nicht
fortgesetzt an den Verträgen gerüttelt werden. Es zeugt von dem großen
Mangel an politischer Reife und an staatsmännischem Sinn in unsern Parteien
der Rechten wie der Linken, daß es bei uns möglich war, die Tarife wie die
Verträge vom ersten Augenblick an aufs erbittertste zu bekämpfen, daß Man
die Handelsverträge zu stürzen suchte, obwohl sie schon in Geltung getreten
waren. Die Interessenpolitik ist eben stärker als die Anerkennung und die
Achtung vor den konstitutionellen Einrichtungen; die will jede Partei nur
dann gelten lassen, wenn es ihrem eignen Kirchturmsinteresse nützt. Eine be¬
trübende Erfahrung, die wir auf jedem Gebiete des öffentlichen Lebens sich
nur zu oft wiederholen sehen.

Es ist nnn gänzlich unverständlich, wie es möglich gewesen ist, aus den
Worten des Staatssekretärs des Neichsschatzamts eine Zustimmung der Neichs-
regierung zu den erbitterten Kämpfen gegen die Handelsvertragspolitik zu hören,
aus diesen Worten auf eine „Bekehrung der Neichsregierung zur wirtschaft¬
lichen Weltanschauung der Agrarier" zu schließen und daraus einen Gegensatz
zwischen dem Grafen Posadowsky und dem Freiherrn von Marschall herzuleiten.
Im Gegenteil, man schafft wohl, indem man die Erklärung des Staatssekretärs
derart vergewaltigt, künstlich solch einen Gegensatz, erschüttert mit Unrecht das
internationale Vertrauen auf die Vertragstreue der Neichsregierung und schädigt


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0340" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/224586"/>
          <fw type="header" place="top"> Zoll- und handelspolitische Aussichten</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1012"> Liegen so die Verhältnisse schon bei dem Zolltarif, so stellen sie sich noch<lb/>
um vieles verwickelter für Handelsverträge dar, die den Bedürfnissen und<lb/>
wirtschaftlichen Bedingungen mehrerer Nationen zugleich gerecht werden sollen.<lb/>
Hier gilt es, eine ganze lange Skala sich widersprechender wirtschaftlicher Be¬<lb/>
dingungen so gegeneinander abzuwägen, abzustimmen und auszugleichen, daß<lb/>
durch den Vertrag thatsächlich ein harmonischer Ausgleich geschaffen, kein<lb/>
Interesse einer der vertragschließenden Mächte ungebührlich verletzt, kein be¬<lb/>
rechtigtes Bedürfnis unbefriedigt und keine zuständige Forderung unerfüllt<lb/>
gelassen wird. Daß solch ein subtiler Ausgleich nicht allein vom grünen<lb/>
Tische aus getroffen, sondern ein alle beteiligten Teile soweit wie möglich<lb/>
befriedigendes Vertragsverhältnis nur aus der praktischen Handhabung der<lb/>
Handelsverträge heraus geschaffen werden kann, liegt auf der Hand. Erst auf<lb/>
Grund der praktischen Erfahrungen wird es daher im Laufe der Zeit möglich<lb/>
sein, einen alle Teile möglichst befriedigenden Ausgleich zwischen den wider¬<lb/>
streitenden internationalen Interessen und denen des eignen Landes zu stände<lb/>
zu bringen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1013"> Daher können und dürfen Zolltarife wie Handelsverträge nicht für alle<lb/>
Zeiten festgesetzt werden, beide können nur sür eine bestimmte Zeit beschlossen<lb/>
werden, sür die sie allerdings stabil sein müssen, in der aber durch sorgfältige<lb/>
Beobachtung aller Wirkungen festgestellt werden muß, wo sich eine Abände¬<lb/>
rung des Bestehenden als notwendig erweist. Daher kann aber auch immer<lb/>
nnr auf Abänderung innerhalb der festgesetzten Grenzen vlaidirt, darf nicht<lb/>
fortgesetzt an den Verträgen gerüttelt werden. Es zeugt von dem großen<lb/>
Mangel an politischer Reife und an staatsmännischem Sinn in unsern Parteien<lb/>
der Rechten wie der Linken, daß es bei uns möglich war, die Tarife wie die<lb/>
Verträge vom ersten Augenblick an aufs erbittertste zu bekämpfen, daß Man<lb/>
die Handelsverträge zu stürzen suchte, obwohl sie schon in Geltung getreten<lb/>
waren. Die Interessenpolitik ist eben stärker als die Anerkennung und die<lb/>
Achtung vor den konstitutionellen Einrichtungen; die will jede Partei nur<lb/>
dann gelten lassen, wenn es ihrem eignen Kirchturmsinteresse nützt. Eine be¬<lb/>
trübende Erfahrung, die wir auf jedem Gebiete des öffentlichen Lebens sich<lb/>
nur zu oft wiederholen sehen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1014" next="#ID_1015"> Es ist nnn gänzlich unverständlich, wie es möglich gewesen ist, aus den<lb/>
Worten des Staatssekretärs des Neichsschatzamts eine Zustimmung der Neichs-<lb/>
regierung zu den erbitterten Kämpfen gegen die Handelsvertragspolitik zu hören,<lb/>
aus diesen Worten auf eine &#x201E;Bekehrung der Neichsregierung zur wirtschaft¬<lb/>
lichen Weltanschauung der Agrarier" zu schließen und daraus einen Gegensatz<lb/>
zwischen dem Grafen Posadowsky und dem Freiherrn von Marschall herzuleiten.<lb/>
Im Gegenteil, man schafft wohl, indem man die Erklärung des Staatssekretärs<lb/>
derart vergewaltigt, künstlich solch einen Gegensatz, erschüttert mit Unrecht das<lb/>
internationale Vertrauen auf die Vertragstreue der Neichsregierung und schädigt</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0340] Zoll- und handelspolitische Aussichten Liegen so die Verhältnisse schon bei dem Zolltarif, so stellen sie sich noch um vieles verwickelter für Handelsverträge dar, die den Bedürfnissen und wirtschaftlichen Bedingungen mehrerer Nationen zugleich gerecht werden sollen. Hier gilt es, eine ganze lange Skala sich widersprechender wirtschaftlicher Be¬ dingungen so gegeneinander abzuwägen, abzustimmen und auszugleichen, daß durch den Vertrag thatsächlich ein harmonischer Ausgleich geschaffen, kein Interesse einer der vertragschließenden Mächte ungebührlich verletzt, kein be¬ rechtigtes Bedürfnis unbefriedigt und keine zuständige Forderung unerfüllt gelassen wird. Daß solch ein subtiler Ausgleich nicht allein vom grünen Tische aus getroffen, sondern ein alle beteiligten Teile soweit wie möglich befriedigendes Vertragsverhältnis nur aus der praktischen Handhabung der Handelsverträge heraus geschaffen werden kann, liegt auf der Hand. Erst auf Grund der praktischen Erfahrungen wird es daher im Laufe der Zeit möglich sein, einen alle Teile möglichst befriedigenden Ausgleich zwischen den wider¬ streitenden internationalen Interessen und denen des eignen Landes zu stände zu bringen. Daher können und dürfen Zolltarife wie Handelsverträge nicht für alle Zeiten festgesetzt werden, beide können nur sür eine bestimmte Zeit beschlossen werden, sür die sie allerdings stabil sein müssen, in der aber durch sorgfältige Beobachtung aller Wirkungen festgestellt werden muß, wo sich eine Abände¬ rung des Bestehenden als notwendig erweist. Daher kann aber auch immer nnr auf Abänderung innerhalb der festgesetzten Grenzen vlaidirt, darf nicht fortgesetzt an den Verträgen gerüttelt werden. Es zeugt von dem großen Mangel an politischer Reife und an staatsmännischem Sinn in unsern Parteien der Rechten wie der Linken, daß es bei uns möglich war, die Tarife wie die Verträge vom ersten Augenblick an aufs erbittertste zu bekämpfen, daß Man die Handelsverträge zu stürzen suchte, obwohl sie schon in Geltung getreten waren. Die Interessenpolitik ist eben stärker als die Anerkennung und die Achtung vor den konstitutionellen Einrichtungen; die will jede Partei nur dann gelten lassen, wenn es ihrem eignen Kirchturmsinteresse nützt. Eine be¬ trübende Erfahrung, die wir auf jedem Gebiete des öffentlichen Lebens sich nur zu oft wiederholen sehen. Es ist nnn gänzlich unverständlich, wie es möglich gewesen ist, aus den Worten des Staatssekretärs des Neichsschatzamts eine Zustimmung der Neichs- regierung zu den erbitterten Kämpfen gegen die Handelsvertragspolitik zu hören, aus diesen Worten auf eine „Bekehrung der Neichsregierung zur wirtschaft¬ lichen Weltanschauung der Agrarier" zu schließen und daraus einen Gegensatz zwischen dem Grafen Posadowsky und dem Freiherrn von Marschall herzuleiten. Im Gegenteil, man schafft wohl, indem man die Erklärung des Staatssekretärs derart vergewaltigt, künstlich solch einen Gegensatz, erschüttert mit Unrecht das internationale Vertrauen auf die Vertragstreue der Neichsregierung und schädigt

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/340
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/340>, abgerufen am 21.06.2024.