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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Zoll- und handelspolitische Aussichten

Vismarcksche Wirtschaftspolitik vom Jahre 1879, die damals die heutigen
Agrarier bekämpften, weil sie nur der Industrie Nutzen bringe, war geboten
durch die internationale Zollpolitik, indem uns die fremden Staaten ihre
Grenzen verschlossen, während wir ihrem wirtschaftlichen Ansturm preisgegeben
waren. Der Schutz der nationalen Arbeit gegen die auswärtige Konkurrenz
war das Hauptprinzip der Schutzzollpolitik des Fürsten Bismarck. Schon
damals aber war kein Volkswirtschafter von praktischem und über die un¬
mittelbare Gegenwart hinausschauendem Blicke darüber in Zweifel, am wenigsten
Fürst Bismarck selbst, daß die Schutzzollpolitik nicht nur Schutz und Waffe,
sondern auch ein Ausgleichsmittel sein sollte, um mit den auswärtigen Staaten
in ein gegenseitiges handelspolitisches Verhältnis treten zu können. Die ganze
Schutzzollpolitik hätte nur einen sehr engbegrenzten und bedingten Wert
gehabt, wenn sie uicht zugleich dem deutscheu Reiche die zvllpolitischen Mittel
geboten hätte, mit den großen und für unser wirtschaftliches Leben bedeutenden
Staaten des Auslandes in ein Handelsvertragsverhültnis zu treten, das zwischen
den wirtschaftlichen Bedürfnissen der einzelnen Nationen einen Ausgleich zu
schaffen vermochte. Die Welt stand schon damals viel zu sehr im Zeichen des
Verkehrs, und keiner der einzelnen Staaten war so sehr und so vollständig
mit den Bedingungen seiner wirtschaftlichen Existenz auf sich selbst gestellt, daß
eine prohibitive Schutzzollpolitik durchführbar gewesen wäre, ohne zugleich die
Interessen des eignen Landes aufs empfindlichste zu schädigen. Das ist, wie
gesagt, schon damals von allen weiter schauenden eingesehen, vom Fürsten
Bismarck zugegeben und auch von uns seinerzeit als das allein richtige Prinzip
vertreten worden.

Nun wurde schon damals selbst von Freunden einer maßvollen Schutz¬
zollpolitik gegen den Zolltarif der Vorwurf erhoben, daß er in seiner praktischen
Anwendung nicht überall den thatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnissen
genügend angepaßt, und daß namentlich nicht überall Rücksicht genug auf die
Rohprodukte und Halbprodukte genommen worden sei, deren die deutsche In¬
dustrie und das deutsche Gewerbe zur Verarbeitung bedurften. Das konnte
auch beim besten Willen, die nationale Arbeit zu schützen, und bei der sorg¬
fältigsten Prüfung aller einzelnen Positionen gar nicht anders sein. Denn die
wirtschaftlichen Beziehungen der Völker sind so feiner, so vielfältiger und
verwickelter Art, daß selbst der beste Zolltarif, insofern er nicht eben eine
lediglich prohibitive Wirkung üben oder lediglich als Finanzquelle dienen soll,
erst praktisch erprobt werden muß. Im Laufe seiner praktischen Wirksamkeit
sind denn auch an dem Zolltarif von 1879 verschiedne Änderungen vor¬
genommen worden, um auszugleichen und den Ansprüchen und Bedürfnissen
des Handels wie der Industrie und der Landwirtschaft mehr als bisher gerecht
zu werden, und noch immer treten im praktischen Verkehr neue Bedürfnisse
hervor.


Zoll- und handelspolitische Aussichten

Vismarcksche Wirtschaftspolitik vom Jahre 1879, die damals die heutigen
Agrarier bekämpften, weil sie nur der Industrie Nutzen bringe, war geboten
durch die internationale Zollpolitik, indem uns die fremden Staaten ihre
Grenzen verschlossen, während wir ihrem wirtschaftlichen Ansturm preisgegeben
waren. Der Schutz der nationalen Arbeit gegen die auswärtige Konkurrenz
war das Hauptprinzip der Schutzzollpolitik des Fürsten Bismarck. Schon
damals aber war kein Volkswirtschafter von praktischem und über die un¬
mittelbare Gegenwart hinausschauendem Blicke darüber in Zweifel, am wenigsten
Fürst Bismarck selbst, daß die Schutzzollpolitik nicht nur Schutz und Waffe,
sondern auch ein Ausgleichsmittel sein sollte, um mit den auswärtigen Staaten
in ein gegenseitiges handelspolitisches Verhältnis treten zu können. Die ganze
Schutzzollpolitik hätte nur einen sehr engbegrenzten und bedingten Wert
gehabt, wenn sie uicht zugleich dem deutscheu Reiche die zvllpolitischen Mittel
geboten hätte, mit den großen und für unser wirtschaftliches Leben bedeutenden
Staaten des Auslandes in ein Handelsvertragsverhültnis zu treten, das zwischen
den wirtschaftlichen Bedürfnissen der einzelnen Nationen einen Ausgleich zu
schaffen vermochte. Die Welt stand schon damals viel zu sehr im Zeichen des
Verkehrs, und keiner der einzelnen Staaten war so sehr und so vollständig
mit den Bedingungen seiner wirtschaftlichen Existenz auf sich selbst gestellt, daß
eine prohibitive Schutzzollpolitik durchführbar gewesen wäre, ohne zugleich die
Interessen des eignen Landes aufs empfindlichste zu schädigen. Das ist, wie
gesagt, schon damals von allen weiter schauenden eingesehen, vom Fürsten
Bismarck zugegeben und auch von uns seinerzeit als das allein richtige Prinzip
vertreten worden.

Nun wurde schon damals selbst von Freunden einer maßvollen Schutz¬
zollpolitik gegen den Zolltarif der Vorwurf erhoben, daß er in seiner praktischen
Anwendung nicht überall den thatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnissen
genügend angepaßt, und daß namentlich nicht überall Rücksicht genug auf die
Rohprodukte und Halbprodukte genommen worden sei, deren die deutsche In¬
dustrie und das deutsche Gewerbe zur Verarbeitung bedurften. Das konnte
auch beim besten Willen, die nationale Arbeit zu schützen, und bei der sorg¬
fältigsten Prüfung aller einzelnen Positionen gar nicht anders sein. Denn die
wirtschaftlichen Beziehungen der Völker sind so feiner, so vielfältiger und
verwickelter Art, daß selbst der beste Zolltarif, insofern er nicht eben eine
lediglich prohibitive Wirkung üben oder lediglich als Finanzquelle dienen soll,
erst praktisch erprobt werden muß. Im Laufe seiner praktischen Wirksamkeit
sind denn auch an dem Zolltarif von 1879 verschiedne Änderungen vor¬
genommen worden, um auszugleichen und den Ansprüchen und Bedürfnissen
des Handels wie der Industrie und der Landwirtschaft mehr als bisher gerecht
zu werden, und noch immer treten im praktischen Verkehr neue Bedürfnisse
hervor.


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[0339] Zoll- und handelspolitische Aussichten Vismarcksche Wirtschaftspolitik vom Jahre 1879, die damals die heutigen Agrarier bekämpften, weil sie nur der Industrie Nutzen bringe, war geboten durch die internationale Zollpolitik, indem uns die fremden Staaten ihre Grenzen verschlossen, während wir ihrem wirtschaftlichen Ansturm preisgegeben waren. Der Schutz der nationalen Arbeit gegen die auswärtige Konkurrenz war das Hauptprinzip der Schutzzollpolitik des Fürsten Bismarck. Schon damals aber war kein Volkswirtschafter von praktischem und über die un¬ mittelbare Gegenwart hinausschauendem Blicke darüber in Zweifel, am wenigsten Fürst Bismarck selbst, daß die Schutzzollpolitik nicht nur Schutz und Waffe, sondern auch ein Ausgleichsmittel sein sollte, um mit den auswärtigen Staaten in ein gegenseitiges handelspolitisches Verhältnis treten zu können. Die ganze Schutzzollpolitik hätte nur einen sehr engbegrenzten und bedingten Wert gehabt, wenn sie uicht zugleich dem deutscheu Reiche die zvllpolitischen Mittel geboten hätte, mit den großen und für unser wirtschaftliches Leben bedeutenden Staaten des Auslandes in ein Handelsvertragsverhültnis zu treten, das zwischen den wirtschaftlichen Bedürfnissen der einzelnen Nationen einen Ausgleich zu schaffen vermochte. Die Welt stand schon damals viel zu sehr im Zeichen des Verkehrs, und keiner der einzelnen Staaten war so sehr und so vollständig mit den Bedingungen seiner wirtschaftlichen Existenz auf sich selbst gestellt, daß eine prohibitive Schutzzollpolitik durchführbar gewesen wäre, ohne zugleich die Interessen des eignen Landes aufs empfindlichste zu schädigen. Das ist, wie gesagt, schon damals von allen weiter schauenden eingesehen, vom Fürsten Bismarck zugegeben und auch von uns seinerzeit als das allein richtige Prinzip vertreten worden. Nun wurde schon damals selbst von Freunden einer maßvollen Schutz¬ zollpolitik gegen den Zolltarif der Vorwurf erhoben, daß er in seiner praktischen Anwendung nicht überall den thatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnissen genügend angepaßt, und daß namentlich nicht überall Rücksicht genug auf die Rohprodukte und Halbprodukte genommen worden sei, deren die deutsche In¬ dustrie und das deutsche Gewerbe zur Verarbeitung bedurften. Das konnte auch beim besten Willen, die nationale Arbeit zu schützen, und bei der sorg¬ fältigsten Prüfung aller einzelnen Positionen gar nicht anders sein. Denn die wirtschaftlichen Beziehungen der Völker sind so feiner, so vielfältiger und verwickelter Art, daß selbst der beste Zolltarif, insofern er nicht eben eine lediglich prohibitive Wirkung üben oder lediglich als Finanzquelle dienen soll, erst praktisch erprobt werden muß. Im Laufe seiner praktischen Wirksamkeit sind denn auch an dem Zolltarif von 1879 verschiedne Änderungen vor¬ genommen worden, um auszugleichen und den Ansprüchen und Bedürfnissen des Handels wie der Industrie und der Landwirtschaft mehr als bisher gerecht zu werden, und noch immer treten im praktischen Verkehr neue Bedürfnisse hervor.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/339>, abgerufen am 27.09.2024.