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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Zur Antik des Marxismus

älter noch als Smith ist der "Mehrwert." Die Arbeitenden haben zu alleil
Zeiten darüber geklagt, daß der Brodherr mehr von dem Ertrag ihrer Arbeit
für sich behalte, als ihm von Rechts wegen zukomme; vom Alten Testament an¬
gefangen findet man diese Klagen in der Litteratur aller Völker und Zeiten.
Jetzt ist dieses Wort zum Losungswort einer großen politischen Partei ge¬
worden, und da thut es denn seine Wirkung. Die spitzfindige Art und Weise,
wie Marx den Mehrwert in der kapitalistischen Produktion entstehen läßt, ist
ganz gleichgiltig, kein Arbeiter liest diese Erklärung, und wenn sie einer läse,
so würde er sie nicht verstehen. Die kennzeichnenden Worte thuns: daß Marx
den Unternehmer darstellt als einen Mann, dessen Thätigkeit sich darauf be¬
schränkt, ans dem Arbeiter durch Zwang Mehrwert herauszupumpen. Dieses
Bild hat sich den Arbeitern tief eingeprägt und thut natürlich seine Wirkung.
Mit der Einführung dieser Redeweise hat Marx ein doppeltes Unrecht be¬
gangen. Erstens hat er die Arbeit des Unternehmers unterschlagen. Daß
diese Arbeit im Verhältnis zu der des Lohnarbeiters durchschnittlich zu hoch
bezahlt werde, haben die Arbeiter von alten Zeiten her immer geglaubt und
werden sie wahrscheinlich auch in Zukunft immer glauben; sie werden immer
der Meinung sein, daß sie zu kurz kämen. Wie sollten auch gerade sie dazu
kommen, anders zu rechnen, da doch die verschiednen Klassen der akademisch
gebildeten Beamten, also die "Philosophen," einander bestündig vorrechnen, wie
die eine zuviel und die andre zu wenig bekomme. Aber Marx hat die Arbeit
des Unternehmers nicht etwa sehr niedrig eingeschätzt, sondern vollständig ver¬
schwinden lassen, den Unternehmer also geradezu als einen überflüssigen und
hassenswerten Schmarotzer dargestellt. Zu einiger Entschuldigung dient ihm,
wie bereits öfter hervorgehoben worden ist, daß er keinen andern Unternehmer
vor Augen hatte, als den englischen Garn- und Kattunfabrikanten, dessen Arbeit
in jener Zeit, wo die ganze Erde von dem ohne Konkurrenten dastehenden
England mit schlichtem Kattun überschwemmt wurde und mit einer sehr un-
vollkommnen Maschinerie hohen Gewinn erzielte, wirklich nicht viel Kopfzer¬
brechen verursacht haben kann. Zweitens aber sündigt Marx gegen seine eigne
Theorie, derzufolge der Unternehmer selbst, gleich dem Arbeiter, nur das zu
jedem Widerstand unfähige Opfer eines natürlichen Entwicklungsprozesfes ist,
wenn er diesen Unternehmer als einen moralisch schuldigen Ausbeuter hinstellt,
der dem Arbeiter aus Bosheit und Habsucht wehe thue.

Wenckstern weist Marxen sehr scharfsinnig und ausführlich noch eine dritte
Sünde nach: einen Widerspruch, der sein ganzes Lehrgebäude als klaffender
Spalt durchziehe und es mit dem Einsturz bedrohe. Zuerst läßt Marx den
Mehrwert im Produktionsprozeß entstehen, indem der Unternehmer dem
Arbeiter nur so viel zahlt, als dessen notdürftiger Unterhalt kostet, ihn aber
zwölf Stunden zu arbeiten zwingt, während jene Unterhaltskosten schon bei
sechsstündiger Arbeit herauskommen würden. Dann aber, im dritten Buche,


Zur Antik des Marxismus

älter noch als Smith ist der „Mehrwert." Die Arbeitenden haben zu alleil
Zeiten darüber geklagt, daß der Brodherr mehr von dem Ertrag ihrer Arbeit
für sich behalte, als ihm von Rechts wegen zukomme; vom Alten Testament an¬
gefangen findet man diese Klagen in der Litteratur aller Völker und Zeiten.
Jetzt ist dieses Wort zum Losungswort einer großen politischen Partei ge¬
worden, und da thut es denn seine Wirkung. Die spitzfindige Art und Weise,
wie Marx den Mehrwert in der kapitalistischen Produktion entstehen läßt, ist
ganz gleichgiltig, kein Arbeiter liest diese Erklärung, und wenn sie einer läse,
so würde er sie nicht verstehen. Die kennzeichnenden Worte thuns: daß Marx
den Unternehmer darstellt als einen Mann, dessen Thätigkeit sich darauf be¬
schränkt, ans dem Arbeiter durch Zwang Mehrwert herauszupumpen. Dieses
Bild hat sich den Arbeitern tief eingeprägt und thut natürlich seine Wirkung.
Mit der Einführung dieser Redeweise hat Marx ein doppeltes Unrecht be¬
gangen. Erstens hat er die Arbeit des Unternehmers unterschlagen. Daß
diese Arbeit im Verhältnis zu der des Lohnarbeiters durchschnittlich zu hoch
bezahlt werde, haben die Arbeiter von alten Zeiten her immer geglaubt und
werden sie wahrscheinlich auch in Zukunft immer glauben; sie werden immer
der Meinung sein, daß sie zu kurz kämen. Wie sollten auch gerade sie dazu
kommen, anders zu rechnen, da doch die verschiednen Klassen der akademisch
gebildeten Beamten, also die „Philosophen," einander bestündig vorrechnen, wie
die eine zuviel und die andre zu wenig bekomme. Aber Marx hat die Arbeit
des Unternehmers nicht etwa sehr niedrig eingeschätzt, sondern vollständig ver¬
schwinden lassen, den Unternehmer also geradezu als einen überflüssigen und
hassenswerten Schmarotzer dargestellt. Zu einiger Entschuldigung dient ihm,
wie bereits öfter hervorgehoben worden ist, daß er keinen andern Unternehmer
vor Augen hatte, als den englischen Garn- und Kattunfabrikanten, dessen Arbeit
in jener Zeit, wo die ganze Erde von dem ohne Konkurrenten dastehenden
England mit schlichtem Kattun überschwemmt wurde und mit einer sehr un-
vollkommnen Maschinerie hohen Gewinn erzielte, wirklich nicht viel Kopfzer¬
brechen verursacht haben kann. Zweitens aber sündigt Marx gegen seine eigne
Theorie, derzufolge der Unternehmer selbst, gleich dem Arbeiter, nur das zu
jedem Widerstand unfähige Opfer eines natürlichen Entwicklungsprozesfes ist,
wenn er diesen Unternehmer als einen moralisch schuldigen Ausbeuter hinstellt,
der dem Arbeiter aus Bosheit und Habsucht wehe thue.

Wenckstern weist Marxen sehr scharfsinnig und ausführlich noch eine dritte
Sünde nach: einen Widerspruch, der sein ganzes Lehrgebäude als klaffender
Spalt durchziehe und es mit dem Einsturz bedrohe. Zuerst läßt Marx den
Mehrwert im Produktionsprozeß entstehen, indem der Unternehmer dem
Arbeiter nur so viel zahlt, als dessen notdürftiger Unterhalt kostet, ihn aber
zwölf Stunden zu arbeiten zwingt, während jene Unterhaltskosten schon bei
sechsstündiger Arbeit herauskommen würden. Dann aber, im dritten Buche,


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[0292] Zur Antik des Marxismus älter noch als Smith ist der „Mehrwert." Die Arbeitenden haben zu alleil Zeiten darüber geklagt, daß der Brodherr mehr von dem Ertrag ihrer Arbeit für sich behalte, als ihm von Rechts wegen zukomme; vom Alten Testament an¬ gefangen findet man diese Klagen in der Litteratur aller Völker und Zeiten. Jetzt ist dieses Wort zum Losungswort einer großen politischen Partei ge¬ worden, und da thut es denn seine Wirkung. Die spitzfindige Art und Weise, wie Marx den Mehrwert in der kapitalistischen Produktion entstehen läßt, ist ganz gleichgiltig, kein Arbeiter liest diese Erklärung, und wenn sie einer läse, so würde er sie nicht verstehen. Die kennzeichnenden Worte thuns: daß Marx den Unternehmer darstellt als einen Mann, dessen Thätigkeit sich darauf be¬ schränkt, ans dem Arbeiter durch Zwang Mehrwert herauszupumpen. Dieses Bild hat sich den Arbeitern tief eingeprägt und thut natürlich seine Wirkung. Mit der Einführung dieser Redeweise hat Marx ein doppeltes Unrecht be¬ gangen. Erstens hat er die Arbeit des Unternehmers unterschlagen. Daß diese Arbeit im Verhältnis zu der des Lohnarbeiters durchschnittlich zu hoch bezahlt werde, haben die Arbeiter von alten Zeiten her immer geglaubt und werden sie wahrscheinlich auch in Zukunft immer glauben; sie werden immer der Meinung sein, daß sie zu kurz kämen. Wie sollten auch gerade sie dazu kommen, anders zu rechnen, da doch die verschiednen Klassen der akademisch gebildeten Beamten, also die „Philosophen," einander bestündig vorrechnen, wie die eine zuviel und die andre zu wenig bekomme. Aber Marx hat die Arbeit des Unternehmers nicht etwa sehr niedrig eingeschätzt, sondern vollständig ver¬ schwinden lassen, den Unternehmer also geradezu als einen überflüssigen und hassenswerten Schmarotzer dargestellt. Zu einiger Entschuldigung dient ihm, wie bereits öfter hervorgehoben worden ist, daß er keinen andern Unternehmer vor Augen hatte, als den englischen Garn- und Kattunfabrikanten, dessen Arbeit in jener Zeit, wo die ganze Erde von dem ohne Konkurrenten dastehenden England mit schlichtem Kattun überschwemmt wurde und mit einer sehr un- vollkommnen Maschinerie hohen Gewinn erzielte, wirklich nicht viel Kopfzer¬ brechen verursacht haben kann. Zweitens aber sündigt Marx gegen seine eigne Theorie, derzufolge der Unternehmer selbst, gleich dem Arbeiter, nur das zu jedem Widerstand unfähige Opfer eines natürlichen Entwicklungsprozesfes ist, wenn er diesen Unternehmer als einen moralisch schuldigen Ausbeuter hinstellt, der dem Arbeiter aus Bosheit und Habsucht wehe thue. Wenckstern weist Marxen sehr scharfsinnig und ausführlich noch eine dritte Sünde nach: einen Widerspruch, der sein ganzes Lehrgebäude als klaffender Spalt durchziehe und es mit dem Einsturz bedrohe. Zuerst läßt Marx den Mehrwert im Produktionsprozeß entstehen, indem der Unternehmer dem Arbeiter nur so viel zahlt, als dessen notdürftiger Unterhalt kostet, ihn aber zwölf Stunden zu arbeiten zwingt, während jene Unterhaltskosten schon bei sechsstündiger Arbeit herauskommen würden. Dann aber, im dritten Buche,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/292>, abgerufen am 18.06.2024.