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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Der Friede von Abif Abeba und seine Folgen

leader 1885 zur Schlacht bei Kufit (zwischen Agordat und Kassala), die trotz
des Sieges den Abessiniern (10000 Mann unter Ras Ulula) die Lust zum
weitern Vorrücken benahm. Negus Regest Johannes hat aber Taka immer
als zu seiner Krone gehörig gerechnet, und es ist ein alter Brauch der abessi-
nischen Herrscher -- selbst der Usurpatoren des Thrones --, die Überlieferung
ihrer Vorgänger in Sachen des Reichs sich anzueignen. Menelik kann aber
noch mehr nachweisen, z. B. daß vor mehr als einem halben Jahrtausend
-- das ist doch auch "früher" -- Massaua ein abesstnischer Hafen war.
Außerdem hat der englische Admiral Hewett, wie Meneliks Berater, der schwei¬
zerische Ingenieur Jlg, berichtet, 1884 dem Negus Johannes den Besitz
Massauas noch besonders versprochen.

Nach solchen Ersahrungen und bei seiner engen Verbindung mit franzö¬
sischen Agenten ist das Mißtrauen Meneliks gegen die englische Politik be¬
greiflich. So heißt es denn auch, daß Artikel 5 von ihm aufgestellt worden
sei, weil ihm der erfolglose päpstliche Abgesandte, Monsignore Macarius, ge¬
droht habe, wenn er nicht bald Frieden schließe, werde Italien ganz Erythrcia
an England übergeben.

Nun spricht aber der Wortlaut des Vertrages gar nicht einmal von
"Zurückfallen" früher besessener Gebiete an Abessinien, sondern verlangt
-- freilich nur bis zur Grenzberichtigung -- einfach die Auslieferung der
etwa ausgegebnen Gebietsteile. Es befremdet, daß die italienische wie die eng¬
lische Presse über diese Verschiedenheit des Textes glatt hinweggegangen ist.

Artikel 6. Zur Hebung der händlerischen und industriellen Beziehungen
zwischen Italien und Äthiopier kann(!) eine weitere Übereinkunft geschlossen werden.

Nach der Versicherung eingeweihter Franzosen ist es der ehrliche Wunsch
Meneliks, sein Land dem italienischen Handel zu eröffnen. Dieser dürfte aber
gegenüber dem französischen, griechischen und vielleicht auch noch russischen
Wettbewerb nicht allzu günstige Aussichten haben. Daher zeigt man in Italien
wenig Sympathien für eine" solchen Vertrag. Gleichwohl wäre es ein poli¬
tischer Fehler, ihn nicht abzuschließen.

Artikel 7. Der gegenwärtige Vertrag wird durch die vertragsschließenden
Parteien den Mächten mitgeteilt.

Von Menelik ist dieses Verlangen ohne Zweifel gestellt worden, weil
Italien 1889 den Mächten den Schutzherrschaftsartikel des Vertrages von
Utschalli auf Grund des Artikels 34 der Kongoakte mitteilte.

Artikel 8. Der Vertrag ist binnen drei Monaten nach dem Datum seiner
Unterzeichnung zu rcitifiziren.

Das Telegramm sagte: binnen einem Monat, was mit Rücksicht auf die
Verbindung zwischen Abif Abeba und Rom einfach nicht möglich war. Wie
schon erwähnt, geschah die Ratifikation bis Zeita auf telegraphischem Wege.
Menelik hatte unmittelbar nach Abschluß des Friedensvertrages noch eine


Der Friede von Abif Abeba und seine Folgen

leader 1885 zur Schlacht bei Kufit (zwischen Agordat und Kassala), die trotz
des Sieges den Abessiniern (10000 Mann unter Ras Ulula) die Lust zum
weitern Vorrücken benahm. Negus Regest Johannes hat aber Taka immer
als zu seiner Krone gehörig gerechnet, und es ist ein alter Brauch der abessi-
nischen Herrscher — selbst der Usurpatoren des Thrones —, die Überlieferung
ihrer Vorgänger in Sachen des Reichs sich anzueignen. Menelik kann aber
noch mehr nachweisen, z. B. daß vor mehr als einem halben Jahrtausend
— das ist doch auch „früher" — Massaua ein abesstnischer Hafen war.
Außerdem hat der englische Admiral Hewett, wie Meneliks Berater, der schwei¬
zerische Ingenieur Jlg, berichtet, 1884 dem Negus Johannes den Besitz
Massauas noch besonders versprochen.

Nach solchen Ersahrungen und bei seiner engen Verbindung mit franzö¬
sischen Agenten ist das Mißtrauen Meneliks gegen die englische Politik be¬
greiflich. So heißt es denn auch, daß Artikel 5 von ihm aufgestellt worden
sei, weil ihm der erfolglose päpstliche Abgesandte, Monsignore Macarius, ge¬
droht habe, wenn er nicht bald Frieden schließe, werde Italien ganz Erythrcia
an England übergeben.

Nun spricht aber der Wortlaut des Vertrages gar nicht einmal von
„Zurückfallen" früher besessener Gebiete an Abessinien, sondern verlangt
— freilich nur bis zur Grenzberichtigung — einfach die Auslieferung der
etwa ausgegebnen Gebietsteile. Es befremdet, daß die italienische wie die eng¬
lische Presse über diese Verschiedenheit des Textes glatt hinweggegangen ist.

Artikel 6. Zur Hebung der händlerischen und industriellen Beziehungen
zwischen Italien und Äthiopier kann(!) eine weitere Übereinkunft geschlossen werden.

Nach der Versicherung eingeweihter Franzosen ist es der ehrliche Wunsch
Meneliks, sein Land dem italienischen Handel zu eröffnen. Dieser dürfte aber
gegenüber dem französischen, griechischen und vielleicht auch noch russischen
Wettbewerb nicht allzu günstige Aussichten haben. Daher zeigt man in Italien
wenig Sympathien für eine» solchen Vertrag. Gleichwohl wäre es ein poli¬
tischer Fehler, ihn nicht abzuschließen.

Artikel 7. Der gegenwärtige Vertrag wird durch die vertragsschließenden
Parteien den Mächten mitgeteilt.

Von Menelik ist dieses Verlangen ohne Zweifel gestellt worden, weil
Italien 1889 den Mächten den Schutzherrschaftsartikel des Vertrages von
Utschalli auf Grund des Artikels 34 der Kongoakte mitteilte.

Artikel 8. Der Vertrag ist binnen drei Monaten nach dem Datum seiner
Unterzeichnung zu rcitifiziren.

Das Telegramm sagte: binnen einem Monat, was mit Rücksicht auf die
Verbindung zwischen Abif Abeba und Rom einfach nicht möglich war. Wie
schon erwähnt, geschah die Ratifikation bis Zeita auf telegraphischem Wege.
Menelik hatte unmittelbar nach Abschluß des Friedensvertrages noch eine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/278>, abgerufen am 18.06.2024.