Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Zur mittelalterliche" Wirtschaftsgeschichte

einem zuverlässigen und ehrenwerten Kaufmann an, der ein sehr einträgliches
Geschäft hat, mit der Bitte, er möge sie darin anlegen. Gajus lehnt es aus
verschiednen Gründen ab, den Titius als vollberechtigter Teilhaber aufzunehmen,
der Gewinn und Verlust mit ihm zu teilen haben würde, und kommt mit ihm
dahin überein, daß sein Kapital sicher gestellt werden soll, und daß ihm als Anteil
an dem vorher nicht festzustellenden Gewinn fünf Prozent zufallen sollen; jedem
der Beteiligten soll es freistehen, den Vertrag nach dreimonatlicher Kündigung
zu lösen. Es entsteht die Frage: ist dieses Abkommen als billig und gesetz¬
mäßig zu betrachten, oder wäre Titius uicht verpflichtet, die fünf Prozent
zurückzuerstatten? Weniger noch als die Doktoren von Bologna war ein
Deutscher geneigt, dem Dr. Eck seine fünf Prozent zu bewilligen: Luther, der
uoch ganz auf dem Standpunkte des Thomas von Aquino stand, obwohl sich
seitdem das Wirtschaftsleben von Grund aus geändert hatte. Die Kurie, durch
die Reformation ängstlich geworden, nahm die Zugeständnisse, die sie den Be¬
dürfnissen des Wirtschaftslebens schon gemacht hatte, teilweise wieder zurück,
bis dann die weltklugen Jesuiten die Sache vollends ins Reine brachten. Unter
den Reformatoren hatte schon Melanchthon eingelenkt, und Calvin, wenn auch
nicht ohne ernste Bedenken, den Anforderungen der Zeit vollauf Rechnung ge¬
tragen; für die Niederländer bildete natürlich seine Zinstheorie nicht den am
wenigsten wertvollen Bestandteil seiner Lehre.

Die dritte kanonisch erlaubte Art des Zinsenbezugs war das iuwrest, die
Buße für Zahluugsversüumnis. Säumige Schuldner zur Zahlung zu zwingen,
hatte man in ältern Zeiten allerlei rohe Mittel. Das roheste war die Schuld¬
haft; weniger roh, aber äußerst unpraktisch war die in mittelalterlichen Städten
übliche Einsperrung des Schuldners oder seiner Bürgen in einem Wirtshause;
da sich die Bürgen in ihrer Haft selbstverständlich mit nichts anderm als mit
Zechen die Zeit vertrieben, so liefen für den Schuldner oft unerschwingliche Kosten
auf. Da war denn eine Geldstrafe noch das vernünftigste. Sie wird in der
Gesetzsammlung des Justinian oder sse genannt: la <me>ä intsrest, der Ver¬
mögensunterschied zwischen der gegenwärtigen Lage des Gläubigers und der Lage,
wie sie sein würde, wenn der Schuldner den Vertrag inne gehalten Hütte (die
englische Schreibweise intsrest ist also die etymologisch richtige). Das kanonische
Recht gestattete dieses Jnterest unter der Bedingung, daß der Gläubiger wirklich
eine" Schaden erlitten habe, z. B. aus Geldmangel in Not geraten sei. oder
daß ihm ein Vorteil entgangen sei, z. B. die Möglichkeit, an einem gewinn¬
bringenden Handelsgeschäft teilzunehmen. Auch äamnum einen-gens oder luoruru
vöSLAns waren also keine Sophismen zur Umgebung des Gesetzes, weil sie eben
in der Naturalwirtschaft nicht bei jeder Geldverleihung vorkommen. Sie
mußten in jedem einzelnen Falle nachgewiesen werden; vom Kaufmann jedoch,
der Geld verlieh, wurde der Nachweis nicht gefordert, weil ja bei ihm stets
beides zutrifft. Schon jesuitischer sieht es aus, wenn zu guterletzt das Zins-


Grenzboten I 1397 22
Zur mittelalterliche» Wirtschaftsgeschichte

einem zuverlässigen und ehrenwerten Kaufmann an, der ein sehr einträgliches
Geschäft hat, mit der Bitte, er möge sie darin anlegen. Gajus lehnt es aus
verschiednen Gründen ab, den Titius als vollberechtigter Teilhaber aufzunehmen,
der Gewinn und Verlust mit ihm zu teilen haben würde, und kommt mit ihm
dahin überein, daß sein Kapital sicher gestellt werden soll, und daß ihm als Anteil
an dem vorher nicht festzustellenden Gewinn fünf Prozent zufallen sollen; jedem
der Beteiligten soll es freistehen, den Vertrag nach dreimonatlicher Kündigung
zu lösen. Es entsteht die Frage: ist dieses Abkommen als billig und gesetz¬
mäßig zu betrachten, oder wäre Titius uicht verpflichtet, die fünf Prozent
zurückzuerstatten? Weniger noch als die Doktoren von Bologna war ein
Deutscher geneigt, dem Dr. Eck seine fünf Prozent zu bewilligen: Luther, der
uoch ganz auf dem Standpunkte des Thomas von Aquino stand, obwohl sich
seitdem das Wirtschaftsleben von Grund aus geändert hatte. Die Kurie, durch
die Reformation ängstlich geworden, nahm die Zugeständnisse, die sie den Be¬
dürfnissen des Wirtschaftslebens schon gemacht hatte, teilweise wieder zurück,
bis dann die weltklugen Jesuiten die Sache vollends ins Reine brachten. Unter
den Reformatoren hatte schon Melanchthon eingelenkt, und Calvin, wenn auch
nicht ohne ernste Bedenken, den Anforderungen der Zeit vollauf Rechnung ge¬
tragen; für die Niederländer bildete natürlich seine Zinstheorie nicht den am
wenigsten wertvollen Bestandteil seiner Lehre.

Die dritte kanonisch erlaubte Art des Zinsenbezugs war das iuwrest, die
Buße für Zahluugsversüumnis. Säumige Schuldner zur Zahlung zu zwingen,
hatte man in ältern Zeiten allerlei rohe Mittel. Das roheste war die Schuld¬
haft; weniger roh, aber äußerst unpraktisch war die in mittelalterlichen Städten
übliche Einsperrung des Schuldners oder seiner Bürgen in einem Wirtshause;
da sich die Bürgen in ihrer Haft selbstverständlich mit nichts anderm als mit
Zechen die Zeit vertrieben, so liefen für den Schuldner oft unerschwingliche Kosten
auf. Da war denn eine Geldstrafe noch das vernünftigste. Sie wird in der
Gesetzsammlung des Justinian oder sse genannt: la <me>ä intsrest, der Ver¬
mögensunterschied zwischen der gegenwärtigen Lage des Gläubigers und der Lage,
wie sie sein würde, wenn der Schuldner den Vertrag inne gehalten Hütte (die
englische Schreibweise intsrest ist also die etymologisch richtige). Das kanonische
Recht gestattete dieses Jnterest unter der Bedingung, daß der Gläubiger wirklich
eine» Schaden erlitten habe, z. B. aus Geldmangel in Not geraten sei. oder
daß ihm ein Vorteil entgangen sei, z. B. die Möglichkeit, an einem gewinn¬
bringenden Handelsgeschäft teilzunehmen. Auch äamnum einen-gens oder luoruru
vöSLAns waren also keine Sophismen zur Umgebung des Gesetzes, weil sie eben
in der Naturalwirtschaft nicht bei jeder Geldverleihung vorkommen. Sie
mußten in jedem einzelnen Falle nachgewiesen werden; vom Kaufmann jedoch,
der Geld verlieh, wurde der Nachweis nicht gefordert, weil ja bei ihm stets
beides zutrifft. Schon jesuitischer sieht es aus, wenn zu guterletzt das Zins-


Grenzboten I 1397 22
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0177" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/224423"/>
          <fw type="header" place="top"> Zur mittelalterliche» Wirtschaftsgeschichte</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_484" prev="#ID_483"> einem zuverlässigen und ehrenwerten Kaufmann an, der ein sehr einträgliches<lb/>
Geschäft hat, mit der Bitte, er möge sie darin anlegen. Gajus lehnt es aus<lb/>
verschiednen Gründen ab, den Titius als vollberechtigter Teilhaber aufzunehmen,<lb/>
der Gewinn und Verlust mit ihm zu teilen haben würde, und kommt mit ihm<lb/>
dahin überein, daß sein Kapital sicher gestellt werden soll, und daß ihm als Anteil<lb/>
an dem vorher nicht festzustellenden Gewinn fünf Prozent zufallen sollen; jedem<lb/>
der Beteiligten soll es freistehen, den Vertrag nach dreimonatlicher Kündigung<lb/>
zu lösen. Es entsteht die Frage: ist dieses Abkommen als billig und gesetz¬<lb/>
mäßig zu betrachten, oder wäre Titius uicht verpflichtet, die fünf Prozent<lb/>
zurückzuerstatten? Weniger noch als die Doktoren von Bologna war ein<lb/>
Deutscher geneigt, dem Dr. Eck seine fünf Prozent zu bewilligen: Luther, der<lb/>
uoch ganz auf dem Standpunkte des Thomas von Aquino stand, obwohl sich<lb/>
seitdem das Wirtschaftsleben von Grund aus geändert hatte. Die Kurie, durch<lb/>
die Reformation ängstlich geworden, nahm die Zugeständnisse, die sie den Be¬<lb/>
dürfnissen des Wirtschaftslebens schon gemacht hatte, teilweise wieder zurück,<lb/>
bis dann die weltklugen Jesuiten die Sache vollends ins Reine brachten. Unter<lb/>
den Reformatoren hatte schon Melanchthon eingelenkt, und Calvin, wenn auch<lb/>
nicht ohne ernste Bedenken, den Anforderungen der Zeit vollauf Rechnung ge¬<lb/>
tragen; für die Niederländer bildete natürlich seine Zinstheorie nicht den am<lb/>
wenigsten wertvollen Bestandteil seiner Lehre.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_485" next="#ID_486"> Die dritte kanonisch erlaubte Art des Zinsenbezugs war das iuwrest, die<lb/>
Buße für Zahluugsversüumnis. Säumige Schuldner zur Zahlung zu zwingen,<lb/>
hatte man in ältern Zeiten allerlei rohe Mittel. Das roheste war die Schuld¬<lb/>
haft; weniger roh, aber äußerst unpraktisch war die in mittelalterlichen Städten<lb/>
übliche Einsperrung des Schuldners oder seiner Bürgen in einem Wirtshause;<lb/>
da sich die Bürgen in ihrer Haft selbstverständlich mit nichts anderm als mit<lb/>
Zechen die Zeit vertrieben, so liefen für den Schuldner oft unerschwingliche Kosten<lb/>
auf. Da war denn eine Geldstrafe noch das vernünftigste. Sie wird in der<lb/>
Gesetzsammlung des Justinian oder sse genannt: la &lt;me&gt;ä intsrest, der Ver¬<lb/>
mögensunterschied zwischen der gegenwärtigen Lage des Gläubigers und der Lage,<lb/>
wie sie sein würde, wenn der Schuldner den Vertrag inne gehalten Hütte (die<lb/>
englische Schreibweise intsrest ist also die etymologisch richtige). Das kanonische<lb/>
Recht gestattete dieses Jnterest unter der Bedingung, daß der Gläubiger wirklich<lb/>
eine» Schaden erlitten habe, z. B. aus Geldmangel in Not geraten sei. oder<lb/>
daß ihm ein Vorteil entgangen sei, z. B. die Möglichkeit, an einem gewinn¬<lb/>
bringenden Handelsgeschäft teilzunehmen. Auch äamnum einen-gens oder luoruru<lb/>
vöSLAns waren also keine Sophismen zur Umgebung des Gesetzes, weil sie eben<lb/>
in der Naturalwirtschaft nicht bei jeder Geldverleihung vorkommen. Sie<lb/>
mußten in jedem einzelnen Falle nachgewiesen werden; vom Kaufmann jedoch,<lb/>
der Geld verlieh, wurde der Nachweis nicht gefordert, weil ja bei ihm stets<lb/>
beides zutrifft. Schon jesuitischer sieht es aus, wenn zu guterletzt das Zins-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I 1397 22</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0177] Zur mittelalterliche» Wirtschaftsgeschichte einem zuverlässigen und ehrenwerten Kaufmann an, der ein sehr einträgliches Geschäft hat, mit der Bitte, er möge sie darin anlegen. Gajus lehnt es aus verschiednen Gründen ab, den Titius als vollberechtigter Teilhaber aufzunehmen, der Gewinn und Verlust mit ihm zu teilen haben würde, und kommt mit ihm dahin überein, daß sein Kapital sicher gestellt werden soll, und daß ihm als Anteil an dem vorher nicht festzustellenden Gewinn fünf Prozent zufallen sollen; jedem der Beteiligten soll es freistehen, den Vertrag nach dreimonatlicher Kündigung zu lösen. Es entsteht die Frage: ist dieses Abkommen als billig und gesetz¬ mäßig zu betrachten, oder wäre Titius uicht verpflichtet, die fünf Prozent zurückzuerstatten? Weniger noch als die Doktoren von Bologna war ein Deutscher geneigt, dem Dr. Eck seine fünf Prozent zu bewilligen: Luther, der uoch ganz auf dem Standpunkte des Thomas von Aquino stand, obwohl sich seitdem das Wirtschaftsleben von Grund aus geändert hatte. Die Kurie, durch die Reformation ängstlich geworden, nahm die Zugeständnisse, die sie den Be¬ dürfnissen des Wirtschaftslebens schon gemacht hatte, teilweise wieder zurück, bis dann die weltklugen Jesuiten die Sache vollends ins Reine brachten. Unter den Reformatoren hatte schon Melanchthon eingelenkt, und Calvin, wenn auch nicht ohne ernste Bedenken, den Anforderungen der Zeit vollauf Rechnung ge¬ tragen; für die Niederländer bildete natürlich seine Zinstheorie nicht den am wenigsten wertvollen Bestandteil seiner Lehre. Die dritte kanonisch erlaubte Art des Zinsenbezugs war das iuwrest, die Buße für Zahluugsversüumnis. Säumige Schuldner zur Zahlung zu zwingen, hatte man in ältern Zeiten allerlei rohe Mittel. Das roheste war die Schuld¬ haft; weniger roh, aber äußerst unpraktisch war die in mittelalterlichen Städten übliche Einsperrung des Schuldners oder seiner Bürgen in einem Wirtshause; da sich die Bürgen in ihrer Haft selbstverständlich mit nichts anderm als mit Zechen die Zeit vertrieben, so liefen für den Schuldner oft unerschwingliche Kosten auf. Da war denn eine Geldstrafe noch das vernünftigste. Sie wird in der Gesetzsammlung des Justinian oder sse genannt: la <me>ä intsrest, der Ver¬ mögensunterschied zwischen der gegenwärtigen Lage des Gläubigers und der Lage, wie sie sein würde, wenn der Schuldner den Vertrag inne gehalten Hütte (die englische Schreibweise intsrest ist also die etymologisch richtige). Das kanonische Recht gestattete dieses Jnterest unter der Bedingung, daß der Gläubiger wirklich eine» Schaden erlitten habe, z. B. aus Geldmangel in Not geraten sei. oder daß ihm ein Vorteil entgangen sei, z. B. die Möglichkeit, an einem gewinn¬ bringenden Handelsgeschäft teilzunehmen. Auch äamnum einen-gens oder luoruru vöSLAns waren also keine Sophismen zur Umgebung des Gesetzes, weil sie eben in der Naturalwirtschaft nicht bei jeder Geldverleihung vorkommen. Sie mußten in jedem einzelnen Falle nachgewiesen werden; vom Kaufmann jedoch, der Geld verlieh, wurde der Nachweis nicht gefordert, weil ja bei ihm stets beides zutrifft. Schon jesuitischer sieht es aus, wenn zu guterletzt das Zins- Grenzboten I 1397 22

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/177
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/177>, abgerufen am 18.06.2024.