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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Dunkler Drang nach einem guten Rechtsweg

Rechtsprechung aber ist der Lehrherr wegen Erpressung mit Gefängnis nicht
unter einem Monat zu bestrafen.

Im Handelsgesetzbuch ist dem Kaufmann die Verpflichtung auferlegt, ord¬
nungsmäßige Handelsbücher zu führen und alljährlich die Bilanz seines Ver¬
mögens zu ziehen. Wenn er es aber nicht thut, weil er es nicht mag oder
nicht versteht, weil er seine Verpflichtung nicht kennt, oder auch weil die Er¬
füllung der Verpflichtung von den dazu besonders angestellten Personen ver¬
säumt worden ist, so hat er die ihm daraus erwachsenden Nachteile zu tragen,
ohne sich strafbar zu machen. Die an sich straflose Unterlassung wird aber
nachträglich strafbar, sobald über das Vermögen eines Kaufmanns, der die
vorerwähnten Verpflichtungen nicht erfüllt hat, der Konkurs ausbricht. Ein
solcher Kaufmann kann sich nicht mit Unkenntnis oder Unfähigkeit entschuldigen, es
hilft ihm auch der Nachweis nichts, daß seine mangelhafte Buchführung mit
dem Zusammenbruch seines Vermögens nicht in dem geringsten Zusammenhange
steht, daß er unverschuldet durch Diebstahl oder durch Konkurse andrer in Ver¬
mögensverfall geraten ist, er muß ins Gefängnis. Es ist kaum anzunehmen,
daß sich der Gesetzgeber mit der irrigen Hoffnung getragen haben sollte, durch
die geschilderte Strafbestimmung eine Verminderung der Konkurse zu erreichen,
es ist aber auch sonst nicht abzusehen, welchen Zweck die Strafe bei einem
Menschen verfolgen soll, der sich, unterstützt durch günstige Verhältnisse, mit
Geschick zum Kaufmannsstande emporgearbeitet hat, ohne daß ihn jemand über
seine kaufmännischen Verpflichtungen belehrthat, der aber sodann infolge von
Unglück in Vermögensverfall geraten ist. In unserm Konkursrecht stehen aber
leider Satzungen nicht vereinzelt da, die eigentlich ungerecht und dabei unzweck¬
mäßig sind. Sie können auch den ahnungslosen Gläubiger treffen. Zu ihm
kommt vielleicht der in Konkurs geratne Gemeinschuldner, der einen gerichtlichen
Vergleich auf Grund der mit Bürgschaft sicherzustellenden Zahlungsverpflichtung
von sechzig Prozent aller festgestellten Schulden schließen möchte. Der Gläubiger
steht außerhalb der Kaufmannswelt, ist mit dem Schuldner weder verwandt,
noch befreundet, hat von der Geschäftsverbindung niemals sonderliche Vorteile
gehabt, sieht seine Lage für viel schlimmer an, als die der übrigen Gläubiger,
und befürchtet durch den Verlust eines so großen Teils seiner Forderung seinen
Lebensabend in Elend verbringen zu müssen. Er will dem Vergleich nur zu¬
stimmen, wenn ihm gegenüber die besondre Verpflichtung übernommen wird,
daß der Gemeinschuldner, sobald er in bessere Verhältnisse gelangt, spätestens
aber binnen zehn Jahren die nachgelassenen vierzig Prozent nachzählt. Das
Abkommen wird schriftlich getroffen, und der gerichtliche Vergleich kommt zu
stände. Der Gläubiger hat bei diesem Vorgange gewiß kein Schuldbewußtsein,
er schreitet ruhig zur gerichtlichen Klage, wenn es sein Schuldner unterläßt,
die in dem ausgestellten Schein übernommnen Verpflichtungen zu erfüllen.
Nach § 213 der Konkursordnung hat aber der Gläubiger durch das getroffne


Grenzboten I 1897 16
Dunkler Drang nach einem guten Rechtsweg

Rechtsprechung aber ist der Lehrherr wegen Erpressung mit Gefängnis nicht
unter einem Monat zu bestrafen.

Im Handelsgesetzbuch ist dem Kaufmann die Verpflichtung auferlegt, ord¬
nungsmäßige Handelsbücher zu führen und alljährlich die Bilanz seines Ver¬
mögens zu ziehen. Wenn er es aber nicht thut, weil er es nicht mag oder
nicht versteht, weil er seine Verpflichtung nicht kennt, oder auch weil die Er¬
füllung der Verpflichtung von den dazu besonders angestellten Personen ver¬
säumt worden ist, so hat er die ihm daraus erwachsenden Nachteile zu tragen,
ohne sich strafbar zu machen. Die an sich straflose Unterlassung wird aber
nachträglich strafbar, sobald über das Vermögen eines Kaufmanns, der die
vorerwähnten Verpflichtungen nicht erfüllt hat, der Konkurs ausbricht. Ein
solcher Kaufmann kann sich nicht mit Unkenntnis oder Unfähigkeit entschuldigen, es
hilft ihm auch der Nachweis nichts, daß seine mangelhafte Buchführung mit
dem Zusammenbruch seines Vermögens nicht in dem geringsten Zusammenhange
steht, daß er unverschuldet durch Diebstahl oder durch Konkurse andrer in Ver¬
mögensverfall geraten ist, er muß ins Gefängnis. Es ist kaum anzunehmen,
daß sich der Gesetzgeber mit der irrigen Hoffnung getragen haben sollte, durch
die geschilderte Strafbestimmung eine Verminderung der Konkurse zu erreichen,
es ist aber auch sonst nicht abzusehen, welchen Zweck die Strafe bei einem
Menschen verfolgen soll, der sich, unterstützt durch günstige Verhältnisse, mit
Geschick zum Kaufmannsstande emporgearbeitet hat, ohne daß ihn jemand über
seine kaufmännischen Verpflichtungen belehrthat, der aber sodann infolge von
Unglück in Vermögensverfall geraten ist. In unserm Konkursrecht stehen aber
leider Satzungen nicht vereinzelt da, die eigentlich ungerecht und dabei unzweck¬
mäßig sind. Sie können auch den ahnungslosen Gläubiger treffen. Zu ihm
kommt vielleicht der in Konkurs geratne Gemeinschuldner, der einen gerichtlichen
Vergleich auf Grund der mit Bürgschaft sicherzustellenden Zahlungsverpflichtung
von sechzig Prozent aller festgestellten Schulden schließen möchte. Der Gläubiger
steht außerhalb der Kaufmannswelt, ist mit dem Schuldner weder verwandt,
noch befreundet, hat von der Geschäftsverbindung niemals sonderliche Vorteile
gehabt, sieht seine Lage für viel schlimmer an, als die der übrigen Gläubiger,
und befürchtet durch den Verlust eines so großen Teils seiner Forderung seinen
Lebensabend in Elend verbringen zu müssen. Er will dem Vergleich nur zu¬
stimmen, wenn ihm gegenüber die besondre Verpflichtung übernommen wird,
daß der Gemeinschuldner, sobald er in bessere Verhältnisse gelangt, spätestens
aber binnen zehn Jahren die nachgelassenen vierzig Prozent nachzählt. Das
Abkommen wird schriftlich getroffen, und der gerichtliche Vergleich kommt zu
stände. Der Gläubiger hat bei diesem Vorgange gewiß kein Schuldbewußtsein,
er schreitet ruhig zur gerichtlichen Klage, wenn es sein Schuldner unterläßt,
die in dem ausgestellten Schein übernommnen Verpflichtungen zu erfüllen.
Nach § 213 der Konkursordnung hat aber der Gläubiger durch das getroffne


Grenzboten I 1897 16
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[0129] Dunkler Drang nach einem guten Rechtsweg Rechtsprechung aber ist der Lehrherr wegen Erpressung mit Gefängnis nicht unter einem Monat zu bestrafen. Im Handelsgesetzbuch ist dem Kaufmann die Verpflichtung auferlegt, ord¬ nungsmäßige Handelsbücher zu führen und alljährlich die Bilanz seines Ver¬ mögens zu ziehen. Wenn er es aber nicht thut, weil er es nicht mag oder nicht versteht, weil er seine Verpflichtung nicht kennt, oder auch weil die Er¬ füllung der Verpflichtung von den dazu besonders angestellten Personen ver¬ säumt worden ist, so hat er die ihm daraus erwachsenden Nachteile zu tragen, ohne sich strafbar zu machen. Die an sich straflose Unterlassung wird aber nachträglich strafbar, sobald über das Vermögen eines Kaufmanns, der die vorerwähnten Verpflichtungen nicht erfüllt hat, der Konkurs ausbricht. Ein solcher Kaufmann kann sich nicht mit Unkenntnis oder Unfähigkeit entschuldigen, es hilft ihm auch der Nachweis nichts, daß seine mangelhafte Buchführung mit dem Zusammenbruch seines Vermögens nicht in dem geringsten Zusammenhange steht, daß er unverschuldet durch Diebstahl oder durch Konkurse andrer in Ver¬ mögensverfall geraten ist, er muß ins Gefängnis. Es ist kaum anzunehmen, daß sich der Gesetzgeber mit der irrigen Hoffnung getragen haben sollte, durch die geschilderte Strafbestimmung eine Verminderung der Konkurse zu erreichen, es ist aber auch sonst nicht abzusehen, welchen Zweck die Strafe bei einem Menschen verfolgen soll, der sich, unterstützt durch günstige Verhältnisse, mit Geschick zum Kaufmannsstande emporgearbeitet hat, ohne daß ihn jemand über seine kaufmännischen Verpflichtungen belehrthat, der aber sodann infolge von Unglück in Vermögensverfall geraten ist. In unserm Konkursrecht stehen aber leider Satzungen nicht vereinzelt da, die eigentlich ungerecht und dabei unzweck¬ mäßig sind. Sie können auch den ahnungslosen Gläubiger treffen. Zu ihm kommt vielleicht der in Konkurs geratne Gemeinschuldner, der einen gerichtlichen Vergleich auf Grund der mit Bürgschaft sicherzustellenden Zahlungsverpflichtung von sechzig Prozent aller festgestellten Schulden schließen möchte. Der Gläubiger steht außerhalb der Kaufmannswelt, ist mit dem Schuldner weder verwandt, noch befreundet, hat von der Geschäftsverbindung niemals sonderliche Vorteile gehabt, sieht seine Lage für viel schlimmer an, als die der übrigen Gläubiger, und befürchtet durch den Verlust eines so großen Teils seiner Forderung seinen Lebensabend in Elend verbringen zu müssen. Er will dem Vergleich nur zu¬ stimmen, wenn ihm gegenüber die besondre Verpflichtung übernommen wird, daß der Gemeinschuldner, sobald er in bessere Verhältnisse gelangt, spätestens aber binnen zehn Jahren die nachgelassenen vierzig Prozent nachzählt. Das Abkommen wird schriftlich getroffen, und der gerichtliche Vergleich kommt zu stände. Der Gläubiger hat bei diesem Vorgange gewiß kein Schuldbewußtsein, er schreitet ruhig zur gerichtlichen Klage, wenn es sein Schuldner unterläßt, die in dem ausgestellten Schein übernommnen Verpflichtungen zu erfüllen. Nach § 213 der Konkursordnung hat aber der Gläubiger durch das getroffne Grenzboten I 1897 16

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/129>, abgerufen am 20.09.2024.