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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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England in Ägypten

von ihnen Männer von achtunggebietender Bildung und von schätzenswerten
Charakter kennen. Das Land ist durchaus reif, sich selbst zu regieren. Die
Unruhen im Sudan, das Herausharken der Mnhdia ist Englands Schuld.
Gordon ging mit seiner Schar unter, weil er die englische Politik nicht ver¬
stand, als Ehrenmann nicht verstehen wollte. Seine Tagebücher sind eine
furchtbare Anklage gegen "Ihrer Majestät Regierung."

Während die "milden" Christen in die wehrlose Bevölkerung von Alexandrien
hineinbombardirten, alles Recht und Gefühl mit Füßen traten, hätte man zu¬
gleich von der "fanatischen und rohen" Heidenbande erwarten können, daß sie
allen Europäern, wenigstens allen Engländern, die Hälse abgeschnitten hätte.
Man hätte ihnen das nicht verübeln können, lernen wir doch im Geschichts¬
unterrichte die Brandenburger Bauern als Patrioten preisen, die zu des großen
Kurfürsten Zeiten die versprengten und ermatteten Schweden mit Knütteln
und Flegeln niederschlugen. Aber was thaten die "Barbaren"? In Kairo
wurde kein Europäer angerührt. Der ägyptische Gouverneur lieferte zur Er¬
nährung mittelloser Europäer täglich 300 Portionen, und die Barmherzigen
Schwestern bekamen 4100 Mark angewiesen. Ich entnehme diese Angaben
dem trotz mancher weniger ansprechenden Stellen sehr lesenswerten und in
Deutschland leider viel zu wenig bekannten Buche von H. Resener: "Ägypten
unter englischer Okkupation," das zur Zeit ins Arabische übersetzt wird.
Resener weist mit Recht darauf hin, daß die Kulturmission der Engländer in
Ägypten in einem sehr bedenklichen Lichte erscheint, wenn man erwögt, daß sie
zahlreiche Schulen geschlossen haben, daß sie, um Ägypten zu schwächen und
sich den Sudan gleichsam im Urzustand für spätere günstigere Zeiten zu sichern,
das in hoher Blüte stehende ägyptische Sudanland durch Zerlegung in kleine
Staaten in einen bestündigen Kriegszustand versetzt haben. Dadurch wurden
zahlreiche Missionsgebiete den Räuberscharen des Mahdi preisgegeben, und auf
den Fluren, über die früher die reichen Handelskarawanen zogen, über deren
Wege sich ein Telegraphennetz spann, brennen jetzt die Lagerfeuer der Horden
des Khalifa.

Das wäre Grund genug, das Vorgehen der Engländer zu verurteilen,
aber die Tonart in dem oben angeführten Artikel der Times giebt zu denken,
sie fordert mehr als bloße Verurteilung: wenn es England gelingt, sich durch
ähnliche Finanzoperationen gleichsam zum Hypothekargläubiger Ägyptens und
zwar zum alleinigen zu machen, so ist Ägypten England verfallen. Und das
wäre ein furchtbarer Schlag für den europäischen, namentlich für den deutschen
Handel! Denn mit Ägypten nimmt England auch den Suezkanal. Nicht mit
Gewalt, bewahre! Das würde Aufsehen, Entrüstung und Intervention zur
Folge haben, und das haßt John Bull. Er würde zunächst, von der häßlichen
Kontrolle der Großmächte befreit, möglichst viel Kriegsmaterial im Lande fest¬
legen zur Erhöhung des Nachdrucks. Dann würde er als Herr des Landes


England in Ägypten

von ihnen Männer von achtunggebietender Bildung und von schätzenswerten
Charakter kennen. Das Land ist durchaus reif, sich selbst zu regieren. Die
Unruhen im Sudan, das Herausharken der Mnhdia ist Englands Schuld.
Gordon ging mit seiner Schar unter, weil er die englische Politik nicht ver¬
stand, als Ehrenmann nicht verstehen wollte. Seine Tagebücher sind eine
furchtbare Anklage gegen „Ihrer Majestät Regierung."

Während die „milden" Christen in die wehrlose Bevölkerung von Alexandrien
hineinbombardirten, alles Recht und Gefühl mit Füßen traten, hätte man zu¬
gleich von der „fanatischen und rohen" Heidenbande erwarten können, daß sie
allen Europäern, wenigstens allen Engländern, die Hälse abgeschnitten hätte.
Man hätte ihnen das nicht verübeln können, lernen wir doch im Geschichts¬
unterrichte die Brandenburger Bauern als Patrioten preisen, die zu des großen
Kurfürsten Zeiten die versprengten und ermatteten Schweden mit Knütteln
und Flegeln niederschlugen. Aber was thaten die „Barbaren"? In Kairo
wurde kein Europäer angerührt. Der ägyptische Gouverneur lieferte zur Er¬
nährung mittelloser Europäer täglich 300 Portionen, und die Barmherzigen
Schwestern bekamen 4100 Mark angewiesen. Ich entnehme diese Angaben
dem trotz mancher weniger ansprechenden Stellen sehr lesenswerten und in
Deutschland leider viel zu wenig bekannten Buche von H. Resener: „Ägypten
unter englischer Okkupation," das zur Zeit ins Arabische übersetzt wird.
Resener weist mit Recht darauf hin, daß die Kulturmission der Engländer in
Ägypten in einem sehr bedenklichen Lichte erscheint, wenn man erwögt, daß sie
zahlreiche Schulen geschlossen haben, daß sie, um Ägypten zu schwächen und
sich den Sudan gleichsam im Urzustand für spätere günstigere Zeiten zu sichern,
das in hoher Blüte stehende ägyptische Sudanland durch Zerlegung in kleine
Staaten in einen bestündigen Kriegszustand versetzt haben. Dadurch wurden
zahlreiche Missionsgebiete den Räuberscharen des Mahdi preisgegeben, und auf
den Fluren, über die früher die reichen Handelskarawanen zogen, über deren
Wege sich ein Telegraphennetz spann, brennen jetzt die Lagerfeuer der Horden
des Khalifa.

Das wäre Grund genug, das Vorgehen der Engländer zu verurteilen,
aber die Tonart in dem oben angeführten Artikel der Times giebt zu denken,
sie fordert mehr als bloße Verurteilung: wenn es England gelingt, sich durch
ähnliche Finanzoperationen gleichsam zum Hypothekargläubiger Ägyptens und
zwar zum alleinigen zu machen, so ist Ägypten England verfallen. Und das
wäre ein furchtbarer Schlag für den europäischen, namentlich für den deutschen
Handel! Denn mit Ägypten nimmt England auch den Suezkanal. Nicht mit
Gewalt, bewahre! Das würde Aufsehen, Entrüstung und Intervention zur
Folge haben, und das haßt John Bull. Er würde zunächst, von der häßlichen
Kontrolle der Großmächte befreit, möglichst viel Kriegsmaterial im Lande fest¬
legen zur Erhöhung des Nachdrucks. Dann würde er als Herr des Landes


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[0115] England in Ägypten von ihnen Männer von achtunggebietender Bildung und von schätzenswerten Charakter kennen. Das Land ist durchaus reif, sich selbst zu regieren. Die Unruhen im Sudan, das Herausharken der Mnhdia ist Englands Schuld. Gordon ging mit seiner Schar unter, weil er die englische Politik nicht ver¬ stand, als Ehrenmann nicht verstehen wollte. Seine Tagebücher sind eine furchtbare Anklage gegen „Ihrer Majestät Regierung." Während die „milden" Christen in die wehrlose Bevölkerung von Alexandrien hineinbombardirten, alles Recht und Gefühl mit Füßen traten, hätte man zu¬ gleich von der „fanatischen und rohen" Heidenbande erwarten können, daß sie allen Europäern, wenigstens allen Engländern, die Hälse abgeschnitten hätte. Man hätte ihnen das nicht verübeln können, lernen wir doch im Geschichts¬ unterrichte die Brandenburger Bauern als Patrioten preisen, die zu des großen Kurfürsten Zeiten die versprengten und ermatteten Schweden mit Knütteln und Flegeln niederschlugen. Aber was thaten die „Barbaren"? In Kairo wurde kein Europäer angerührt. Der ägyptische Gouverneur lieferte zur Er¬ nährung mittelloser Europäer täglich 300 Portionen, und die Barmherzigen Schwestern bekamen 4100 Mark angewiesen. Ich entnehme diese Angaben dem trotz mancher weniger ansprechenden Stellen sehr lesenswerten und in Deutschland leider viel zu wenig bekannten Buche von H. Resener: „Ägypten unter englischer Okkupation," das zur Zeit ins Arabische übersetzt wird. Resener weist mit Recht darauf hin, daß die Kulturmission der Engländer in Ägypten in einem sehr bedenklichen Lichte erscheint, wenn man erwögt, daß sie zahlreiche Schulen geschlossen haben, daß sie, um Ägypten zu schwächen und sich den Sudan gleichsam im Urzustand für spätere günstigere Zeiten zu sichern, das in hoher Blüte stehende ägyptische Sudanland durch Zerlegung in kleine Staaten in einen bestündigen Kriegszustand versetzt haben. Dadurch wurden zahlreiche Missionsgebiete den Räuberscharen des Mahdi preisgegeben, und auf den Fluren, über die früher die reichen Handelskarawanen zogen, über deren Wege sich ein Telegraphennetz spann, brennen jetzt die Lagerfeuer der Horden des Khalifa. Das wäre Grund genug, das Vorgehen der Engländer zu verurteilen, aber die Tonart in dem oben angeführten Artikel der Times giebt zu denken, sie fordert mehr als bloße Verurteilung: wenn es England gelingt, sich durch ähnliche Finanzoperationen gleichsam zum Hypothekargläubiger Ägyptens und zwar zum alleinigen zu machen, so ist Ägypten England verfallen. Und das wäre ein furchtbarer Schlag für den europäischen, namentlich für den deutschen Handel! Denn mit Ägypten nimmt England auch den Suezkanal. Nicht mit Gewalt, bewahre! Das würde Aufsehen, Entrüstung und Intervention zur Folge haben, und das haßt John Bull. Er würde zunächst, von der häßlichen Kontrolle der Großmächte befreit, möglichst viel Kriegsmaterial im Lande fest¬ legen zur Erhöhung des Nachdrucks. Dann würde er als Herr des Landes

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/115>, abgerufen am 23.06.2024.