Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.Der Staat als Organismus Bedeutung des Landes für den Volkszusammenhang, der Begriff der Na¬ Vergleichen wir damit das größte Werk über denselben Gegenstand in der Von Schäffle werden wir in diesen beiden Bünden nicht mit ungeordneten und Der Staat als Organismus Bedeutung des Landes für den Volkszusammenhang, der Begriff der Na¬ Vergleichen wir damit das größte Werk über denselben Gegenstand in der Von Schäffle werden wir in diesen beiden Bünden nicht mit ungeordneten und <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0624" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/224208"/> <fw type="header" place="top"> Der Staat als Organismus</fw><lb/> <p xml:id="ID_1833" prev="#ID_1832"> Bedeutung des Landes für den Volkszusammenhang, der Begriff der Na¬<lb/> tionalität, die Beziehungen zwischen Volk und Nasse und Staat werden<lb/> untersucht. Daran schließt sich eine Betrachtung des Wohnplatzes der Menschen,<lb/> der Ökumene, im weitesten Sinne des Schauplatzes der Geschichte, der Kultur¬<lb/> gürtel der Erde und endlich der Völkerkreise. Versöhnend schließt die Über¬<lb/> sicht des ungeheuern Reichtums von Erscheinungen des Gesellschaftslebens vor<lb/> dem Hintergrunde des Naturlebens mit einem Hinweis darauf, daß all dieses<lb/> ungeheure Bewegen im Auf- und Niedergang, wie der ganzen Natur „zwie¬<lb/> trächtige Eintracht," nur in einem Umfassendem sein kann, in dem wir leben,<lb/> weben und sind.</p><lb/> <p xml:id="ID_1834"> Vergleichen wir damit das größte Werk über denselben Gegenstand in der<lb/> außerdeutschen Litteratur, Spencers ?rinoix1s8 ok LovioloA^ (1893 neu erschienen<lb/> in zwei starken Bänden), so sehen wir uns zunächst ein ganz andres Ziel gesetzt.<lb/> Es stellt die Entwicklung der Gesellschaft in allen ihren sozialen Äußerungen<lb/> dar, ist also ein großes Stück von dem, was man sonst Völkerkunde nennt.<lb/> Eine gewaltige Menge der verschiedenwertigsten Zitate aus Reisewerken, Völker¬<lb/> beschreibungen, politischen und schönwissenschaftlichen Schriften ist zu einem<lb/> unebnen Ganzen zusammengefügt, dessen Massen vielfach die belebende Kraft<lb/> eigner Gedanken fehlt, die es an dem Auseinanderklaffen zu hindern vermöchten.<lb/> Geistreiche Einfälle und scharfsinnige Zergliederungen können diesen Mangel<lb/> nicht ersetzen. Was kann man aus der breiten Darlegung über die charak¬<lb/> teristische Selbständigkeit der Elemente des sozialen Organismus machen, wenn<lb/> sie es für möglich hält, die Menschen eines Gebietes mit dessen Pflanzen und<lb/> Tieren zu vereinigen, das dem engen Zusammenhang der Teile eines individuellen<lb/> Organismus näherkomme? Von dem Boden als naturgegebnem Kontinuum<lb/> hat Spencer keine Ahnung. Natürlich, denn davon haben Darwin und Wallcice<lb/> nicht gesprochen. Von einem Gedankenbau, wie ihn Schäffle aufrichtet, ist hier<lb/> nichts zu finden. Die Berührungen beider in der Ausscheidung sozialer Organ¬<lb/> systeme mit stützenden, verteilenden und regulirenden Funktionen ist meist<lb/> nur äußerlich. Wie weit einer den andern dabei beeinflußt hat, wissen wir nicht.<lb/> Den Gedanken der Entwicklung haben beide zur Achse ihres soziologischen<lb/> Systems gemacht. Spencer ist es gelungen, durch Einleitung einiger darwinisti-<lb/> schen Bächlein in die Wildnis seiner Zitatenhanfen ein üppiges Wachstum von<lb/> Verallgemeinerungen zu erzielen, die aber zum Teil höchst vergänglich sind, da<lb/> sie nur in dem Vergleich oberflächlicher Ähnlichkeiten wurzeln.</p><lb/> <p xml:id="ID_1835" next="#ID_1836"> Von Schäffle werden wir in diesen beiden Bünden nicht mit ungeordneten und<lb/> unvergleichbaren Zitatenmasfen überschüttet. Sein Buch hat einen viel persönlicher»<lb/> Charakter, zu dem in der ersten Ausgabe allerdings auch ein gewisser knorriger, ver¬<lb/> wickelter Stil zu rechnen war, der neben der dünnen Durchsichtigkeit des Engländers<lb/> auf manchen Leser abschreckend wirken mochte. Mit der Zusammendrängung<lb/> ist auch hier mehr Klarheit eingezogen. Manche Abschnitte liest man geradezu</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0624]
Der Staat als Organismus
Bedeutung des Landes für den Volkszusammenhang, der Begriff der Na¬
tionalität, die Beziehungen zwischen Volk und Nasse und Staat werden
untersucht. Daran schließt sich eine Betrachtung des Wohnplatzes der Menschen,
der Ökumene, im weitesten Sinne des Schauplatzes der Geschichte, der Kultur¬
gürtel der Erde und endlich der Völkerkreise. Versöhnend schließt die Über¬
sicht des ungeheuern Reichtums von Erscheinungen des Gesellschaftslebens vor
dem Hintergrunde des Naturlebens mit einem Hinweis darauf, daß all dieses
ungeheure Bewegen im Auf- und Niedergang, wie der ganzen Natur „zwie¬
trächtige Eintracht," nur in einem Umfassendem sein kann, in dem wir leben,
weben und sind.
Vergleichen wir damit das größte Werk über denselben Gegenstand in der
außerdeutschen Litteratur, Spencers ?rinoix1s8 ok LovioloA^ (1893 neu erschienen
in zwei starken Bänden), so sehen wir uns zunächst ein ganz andres Ziel gesetzt.
Es stellt die Entwicklung der Gesellschaft in allen ihren sozialen Äußerungen
dar, ist also ein großes Stück von dem, was man sonst Völkerkunde nennt.
Eine gewaltige Menge der verschiedenwertigsten Zitate aus Reisewerken, Völker¬
beschreibungen, politischen und schönwissenschaftlichen Schriften ist zu einem
unebnen Ganzen zusammengefügt, dessen Massen vielfach die belebende Kraft
eigner Gedanken fehlt, die es an dem Auseinanderklaffen zu hindern vermöchten.
Geistreiche Einfälle und scharfsinnige Zergliederungen können diesen Mangel
nicht ersetzen. Was kann man aus der breiten Darlegung über die charak¬
teristische Selbständigkeit der Elemente des sozialen Organismus machen, wenn
sie es für möglich hält, die Menschen eines Gebietes mit dessen Pflanzen und
Tieren zu vereinigen, das dem engen Zusammenhang der Teile eines individuellen
Organismus näherkomme? Von dem Boden als naturgegebnem Kontinuum
hat Spencer keine Ahnung. Natürlich, denn davon haben Darwin und Wallcice
nicht gesprochen. Von einem Gedankenbau, wie ihn Schäffle aufrichtet, ist hier
nichts zu finden. Die Berührungen beider in der Ausscheidung sozialer Organ¬
systeme mit stützenden, verteilenden und regulirenden Funktionen ist meist
nur äußerlich. Wie weit einer den andern dabei beeinflußt hat, wissen wir nicht.
Den Gedanken der Entwicklung haben beide zur Achse ihres soziologischen
Systems gemacht. Spencer ist es gelungen, durch Einleitung einiger darwinisti-
schen Bächlein in die Wildnis seiner Zitatenhanfen ein üppiges Wachstum von
Verallgemeinerungen zu erzielen, die aber zum Teil höchst vergänglich sind, da
sie nur in dem Vergleich oberflächlicher Ähnlichkeiten wurzeln.
Von Schäffle werden wir in diesen beiden Bünden nicht mit ungeordneten und
unvergleichbaren Zitatenmasfen überschüttet. Sein Buch hat einen viel persönlicher»
Charakter, zu dem in der ersten Ausgabe allerdings auch ein gewisser knorriger, ver¬
wickelter Stil zu rechnen war, der neben der dünnen Durchsichtigkeit des Engländers
auf manchen Leser abschreckend wirken mochte. Mit der Zusammendrängung
ist auch hier mehr Klarheit eingezogen. Manche Abschnitte liest man geradezu
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