Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.Englische Zustände Schmutz zu befreien, der zum Himmel stinkt! Immerhin ist es eine großartige Wir haben uns die englischen Zustände vergegenwärtigt nur zu dem ") Zu den die Haupttriebkraft unterstützenden Triebkräften hat bei uns in Deutschland seit
drittehalbhundert Jahren die stets rege und mit folgerichtiger Ausdauer auf die Hebung ihres Staates gerichtete Thätigkeit der Hohenzollem gehört. Englische Zustände Schmutz zu befreien, der zum Himmel stinkt! Immerhin ist es eine großartige Wir haben uns die englischen Zustände vergegenwärtigt nur zu dem ") Zu den die Haupttriebkraft unterstützenden Triebkräften hat bei uns in Deutschland seit
drittehalbhundert Jahren die stets rege und mit folgerichtiger Ausdauer auf die Hebung ihres Staates gerichtete Thätigkeit der Hohenzollem gehört. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0619" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/224203"/> <fw type="header" place="top"> Englische Zustände</fw><lb/> <p xml:id="ID_1824" prev="#ID_1823"> Schmutz zu befreien, der zum Himmel stinkt! Immerhin ist es eine großartige<lb/> Leistung, daß England unter diesen verrückten Verhältnissen seine Bevölkerung<lb/> immer noch zu ernähren vermag, dabei von Vagabondage weit weniger leidet<lb/> als zur Zeit der Königin Elisabeth und seine obern Zehntausend im Reichtum<lb/> beinahe ersticken läßt; aber die Großartigkeit der Leistung vermag die Gefährlich¬<lb/> keit und UnHaltbarkeit der Lage nicht abzuwenden.</p><lb/> <p xml:id="ID_1825" next="#ID_1826"> Wir haben uns die englischen Zustände vergegenwärtigt nur zu dem<lb/> Zwecke, um die Beantwortung der Frage zu ermöglichen: wohin sollen wir<lb/> Deutschen steuern? Wir wissen wohl, daß ein Volk sein Geschick nicht völlig<lb/> in seiner Hand hat, und daß immer alles anders kommt, als es die Weisesten<lb/> geplant haben; aber ganz ohnmächtig steht doch das Volk so wenig wie der<lb/> Einzelne den Schicksalsmächten gegenüber: Gesetze und Einrichtungen, planvoll<lb/> ins Werk gesetzte Unternehmungen, Bündnisse und Kriege sind entscheidend sür<lb/> die Zukunft eines Volkes. Nicht Zufall war es, daß statt der Karthager die<lb/> Römer die Herren von Europa wurden, sondern die Frucht der Weisheit des<lb/> römischen Senats und seiner weitausschauenden Pläne, die er jahrhundertelang<lb/> mit erstaunlicher Beharrlichkeit verfolgte. Manche unsrer angesehensten Preß-<lb/> vrgcme erklären jeden für einen Staatsverbrecher, der es wagt, an der Vor¬<lb/> trefflichkeit, Unverbesserlichkeit und UnVeränderlichkeit der politischen und wirt¬<lb/> schaftlichen Zustände des deutschen Reichs zu zweifeln. Hätten die Leiter<lb/> dieser Organe die Macht, die Entwicklung zum Stillstande zu bringen und<lb/> dadurch die deutsche Nation vom Leben zum Tode zu befördern, so wären sie<lb/> es, die man dem Staatsanwalt als die wahren und gefährlichsten Feinde unsers<lb/> großen Gemeinwesens denunziren müßte. Glücklicherweise haben sie diese Macht<lb/> nicht; für Veränderung sorgen schon die ihnen innig befreundeten Herren<lb/> vom Bunde der Landwirte, die unaufhörlich den Zustand Deutschlands als<lb/> grundschlecht verschreien und jederzeit bereit sind, das unterste zu oberst zu<lb/> kehren. Nein, der Fluß der Entwicklung steht niemals still, selbst in den totesten<lb/> Zeiten und bei den totesten Völkern nicht, und kein Volk ist jemals weniger<lb/> tot gewesen, als wir heutigen Deutschen. Die Antriebe zur Fortentwicklung<lb/> kommen den Völkern sowohl von außen wie von innen. Die äußern Antriebe<lb/> lassen wir beiseite. Unter den innern Antrieben ist der stärkste ja der Antrieb,<lb/> aus dem alle andern Antriebe hervorgehen, die Bevölkerungsspannung, wie man<lb/> das heute nennt, d. h. der Umstand, daß sich durch die stetige Volksvermehrung<lb/> das Verhältnis der Kopfzahl zum Boden, zum Volksvermögen, zur Zahl der<lb/> Arbeitsstätten und Arbeitsgelegenheiten stetig ändert.*) In England ist man<lb/> sich seit Malthus darüber klar, daß hier die eigentliche Triebfeder zu allen<lb/> sozialen und politischen Veränderungen steckt. Von dem Gedanken geleitet, daß</p><lb/> <note xml:id="FID_85" place="foot"> ") Zu den die Haupttriebkraft unterstützenden Triebkräften hat bei uns in Deutschland seit<lb/> drittehalbhundert Jahren die stets rege und mit folgerichtiger Ausdauer auf die Hebung ihres<lb/> Staates gerichtete Thätigkeit der Hohenzollem gehört.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0619]
Englische Zustände
Schmutz zu befreien, der zum Himmel stinkt! Immerhin ist es eine großartige
Leistung, daß England unter diesen verrückten Verhältnissen seine Bevölkerung
immer noch zu ernähren vermag, dabei von Vagabondage weit weniger leidet
als zur Zeit der Königin Elisabeth und seine obern Zehntausend im Reichtum
beinahe ersticken läßt; aber die Großartigkeit der Leistung vermag die Gefährlich¬
keit und UnHaltbarkeit der Lage nicht abzuwenden.
Wir haben uns die englischen Zustände vergegenwärtigt nur zu dem
Zwecke, um die Beantwortung der Frage zu ermöglichen: wohin sollen wir
Deutschen steuern? Wir wissen wohl, daß ein Volk sein Geschick nicht völlig
in seiner Hand hat, und daß immer alles anders kommt, als es die Weisesten
geplant haben; aber ganz ohnmächtig steht doch das Volk so wenig wie der
Einzelne den Schicksalsmächten gegenüber: Gesetze und Einrichtungen, planvoll
ins Werk gesetzte Unternehmungen, Bündnisse und Kriege sind entscheidend sür
die Zukunft eines Volkes. Nicht Zufall war es, daß statt der Karthager die
Römer die Herren von Europa wurden, sondern die Frucht der Weisheit des
römischen Senats und seiner weitausschauenden Pläne, die er jahrhundertelang
mit erstaunlicher Beharrlichkeit verfolgte. Manche unsrer angesehensten Preß-
vrgcme erklären jeden für einen Staatsverbrecher, der es wagt, an der Vor¬
trefflichkeit, Unverbesserlichkeit und UnVeränderlichkeit der politischen und wirt¬
schaftlichen Zustände des deutschen Reichs zu zweifeln. Hätten die Leiter
dieser Organe die Macht, die Entwicklung zum Stillstande zu bringen und
dadurch die deutsche Nation vom Leben zum Tode zu befördern, so wären sie
es, die man dem Staatsanwalt als die wahren und gefährlichsten Feinde unsers
großen Gemeinwesens denunziren müßte. Glücklicherweise haben sie diese Macht
nicht; für Veränderung sorgen schon die ihnen innig befreundeten Herren
vom Bunde der Landwirte, die unaufhörlich den Zustand Deutschlands als
grundschlecht verschreien und jederzeit bereit sind, das unterste zu oberst zu
kehren. Nein, der Fluß der Entwicklung steht niemals still, selbst in den totesten
Zeiten und bei den totesten Völkern nicht, und kein Volk ist jemals weniger
tot gewesen, als wir heutigen Deutschen. Die Antriebe zur Fortentwicklung
kommen den Völkern sowohl von außen wie von innen. Die äußern Antriebe
lassen wir beiseite. Unter den innern Antrieben ist der stärkste ja der Antrieb,
aus dem alle andern Antriebe hervorgehen, die Bevölkerungsspannung, wie man
das heute nennt, d. h. der Umstand, daß sich durch die stetige Volksvermehrung
das Verhältnis der Kopfzahl zum Boden, zum Volksvermögen, zur Zahl der
Arbeitsstätten und Arbeitsgelegenheiten stetig ändert.*) In England ist man
sich seit Malthus darüber klar, daß hier die eigentliche Triebfeder zu allen
sozialen und politischen Veränderungen steckt. Von dem Gedanken geleitet, daß
") Zu den die Haupttriebkraft unterstützenden Triebkräften hat bei uns in Deutschland seit
drittehalbhundert Jahren die stets rege und mit folgerichtiger Ausdauer auf die Hebung ihres
Staates gerichtete Thätigkeit der Hohenzollem gehört.
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